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London, 1935: Durch einen Zufall lernen sich die beiden Mädchen Verity und Ruby kennen. Verity stammt aus gutem Hause, Ruby aus ärmlichen Verhältnissen, doch gerade wegen ihrer Unterschiede sind die beiden von der jeweils anderen sehr beeindruckt und freunden sich miteinander an. Trotz aller Widerstände schaffen sie es, ihre Freundschaft bis ins Erwachsenenalter zu bewahren, aber dann entzweit ein schreckliches Unglück die beiden Freundinnen. Werden sie je wieder zueinander finden?
1935
»Guck dir das an!«, rief Ruby dem Mädchen zu, das neben ihr stand und wie sie selbst mit offenem Mund auf den Mann starrte, der gerade aus dem Badeteich in Hampstead gezogen wurde.
»Ist er tot?«, fragte das andere Mädchen mit bebender Stimme.
»Wahrscheinlich. Die versuchen ja nicht mal, ihn wiederzubeleben.«
Es war Anfang April, kurz nach Ostern, und obwohl die Sonne schien, war es kalt. Abgesehen von den beiden Mädchen gab es nur wenige Leute, die den Vorfall beobachteten, hauptsächlich Erwachsene, die mit ihren Hunden Gassi gingen.
Schweigend schauten die Mädchen zu, wie zwei kräftige Polizisten den triefend nassen Körper auf den Weg neben dem Teich und dann auf eine von zwei Sanitätern gehaltene Trage hievten.
In dem weitläufigen Park von Hampstead Heath gab es drei Badeteiche, jeweils einen für Männer und einen für Frauen und einen für Badegäste beiderlei Geschlechts. Alle drei waren eingezäunt und von Sträuchern und Bäumen umgeben. Der Teich für Damen war kaum zu sehen, so dicht war das Buschwerk, hinter dem er sich verbarg. Aber der Ertrunkene hatte in dem Teich für gemischtes Publikum gebadet, und da wegen Reparaturarbeiten am Zaun ein Teil der Hecke gestutzt worden war, hatten die Mädchen freie Sicht.
Ruby versetzte es einen leichten Stich, als sie sah, wie ein Sanitäter das Gesicht des Ertrunkenen zudeckte. Es war der erste Tote, den sie je gesehen hatte, und obwohl sie gut zehn Meter entfernt stand und den Mann nicht gekannt hatte, empfand sie Trauer.
»Wer mag das sein?«, fragte das andere Mädchen. »Ob er Frau und Kinder hat? Wir müssen wohl abwarten, bis darüber etwas in der Zeitung steht«, fügte sie bekümmert hinzu.
Ruby hatte das Gefühl, dass die andere genauso betroffen war wie sie selbst, und drehte sich zu ihr um. Sie war vermutlich ein bisschen jünger als Ruby, vielleicht zwölf oder dreizehn, und hatte langes blondes Haar, das von einem blauen Samtband gehalten wurde. Ihre Stimme klang kultiviert, ihre Kleidung wirkte teuer. Normalerweise war Ruby für solche Mädchen unsichtbar.
»Darüber schreiben die nur, wenn er reich oder berühmt war. Warum arme Leute sterben, interessiert doch keinen«, sagte sie im Brustton der Überzeugung. »Wohnst du hier in der Gegend? Ich hab dich noch nie gesehen.«
»Ich wohne auf der anderen Seite von Hampstead Village, in der Nähe von Swiss Cottage«, sagte die Blonde. »Normalerweise gehe ich nicht allein auf die Heide; Mutter glaubt, dass hier oben Mörder herumlungern.«
Es gefiel Ruby, wie sie das sagte - als fände sie die Ansichten ihrer Mutter albern. »Liegen Mörder denn auf der Lauer nach Leuten, die sie abmurksen können?«, fragte sie und musste unwillkürlich grinsen, weil sie die Vorstellung komisch fand. »Bringen die nicht meistens jemanden um, den sie schon kennen? Na, ist ja auch egal. Wie heißt du, und wie alt bist du?«, wollte sie wissen.
»Ich heiße Verity Wood und bin dreizehn Jahre alt. Und du?«
»Ruby Taylor, vierzehn. Ich wohne in Kentish Town, und da ist es längst nicht so schön wie hier. Deine Mutter würde bestimmt in Ohnmacht fallen, wenn sie wüsste, dass du mit einer wie mir redest!«
»Es kümmert mich nicht wirklich, was sie denkt.« Verity warf den Kopf zurück, sodass ihr das schimmernde Haar in den Nacken fiel. »Was meinst du, wo bringen sie den Toten wohl hin? Wird die Polizei herausfinden, woher er kommt?«
Es gefiel Ruby, dass diese Verity, die offenbar aus gutem Haus kam, es nicht für unter ihrer Würde hielt, mit einer zu sprechen, die von den meisten Leuten als »Kind der Gosse« bezeichnet worden wäre.
»Der kommt ins Leichenschauhaus, wo man Tote aufschneidet, um zu sehen, woran sie gestorben sind. Wenn einer irgendwelches Zeug in den Taschen hat, an dem man sieht, wer er ist und wo er wohnt, geht die Polizei hin und sagt es der Familie und bringt einen Verwandten ins Leichenschauhaus, damit er den Toten identifiziert.«
»Was du alles weißt!«, rief Verity.
Ruby zuckte die Achseln. »Mrs. Briggs, die unter uns wohnt, die hatte mal die Polizei im Haus, als sie ihr gesagt haben, dass ihr Alter in Camden Town mit eingeschlagenem Schädel tot aufgefunden worden ist. Meine Ma ist mit ihr hingegangen, um ihn zu identifizieren. Beiden ist total schlecht geworden, weil er so übel zugerichtet war. Aber als der Doktor ihn aufgeschnitten hat, kam raus, dass er gar nicht an der Kopfwunde gestorben ist. Er hatte einen Scheißherzinfarkt und ist hingeknallt und hat sich den Schädel am Randstein aufgeschlagen.«
»Mann«, sagte Verity beeindruckt und sah Ruby bewundernd an. »Du weißt aber wirklich eine Menge!«
Sie verstummten, als der Krankenwagen mit dem Ertrunkenen abfuhr, und beobachteten, wie vier Polizeibeamte ausschwärmten, um das Gelände rund um den Teich abzusuchen.
»Die gucken, ob sie irgendwas finden, weil sie dann wissen, ob der Mann freiwillig ins Wasser gegangen oder einfach gefallen ist. Wenn sie noch andere Fußspuren oder so finden, denken sie vielleicht, jemand hat ihn reingestoßen oder überhaupt zuerst umgebracht und dann die Leiche ins Wasser geworfen«, stellte Ruby sachkundig fest. »Ich schätze mal, der ist zuerst ermordet und dann ins Wasser geworfen worden, nachdem der Badeteich geschlossen wurde.«
Ruby interessierte sich sehr für Detektivarbeit. Sie stammte aus dem rauen, heruntergekommenen Kentish Town und hatte gelegentlich beobachtet, wie sich Polizeibeamte nach einem Verbrechen auf die Suche nach Beweisen machten. Sie war auch schon einige Male befragt worden, ob sie nicht diese oder jene Person gesehen habe, und genauso oft hatte sie die jungen Konstabler mit Fragen zu den Fällen gelöchert, in denen sie ermittelten. Seit sie reden konnte, war ihr eingebläut worden, nie jemanden zu »verpfeifen«, und das würde sie auch nie tun, aber gegen das Einsammeln von Informationen, um ihre eigene Neugier zu befriedigen, gab es kein Gesetz, ob geschrieben oder ungeschrieben.
Die Mädchen blieben noch eine Weile stehen, aber da es nichts Interessantes mehr zu sehen gab, schlenderten sie schließlich in Richtung Whitestone Pond und Hampstead Village weiter.
»Hast du Geschwister?«, fragte Ruby, der sehr viel daran lag, das Interesse dieses vornehmen Mädchens so lange wie möglich zu fesseln.
»Nein, leider nicht. Es kann ziemlich einsam sein, ein Einzelkind zu sein«, antwortete Verity.
Ruby konnte mit dem Begriff »einsam« nicht viel anfangen. Da sie zusammen mit ihrer Mutter in einem Zimmer lebte und jeder andere der sechs Räume im Haus von ganzen Familien bewohnt wurde, gab es in ihrer Nähe ständig Menschen und Lärm. Genau deshalb war sie heute in den Park von Hampstead Heath gegangen: um Ruhe und Frieden zu haben.
»Ich bin gern allein«, sagte sie achselzuckend. »Na ja, jedenfalls hab ich's gern ruhig - das ist es bei mir zu Haus nämlich nie. Aber ich finde es schön, mit dir zu reden. Du bist richtig nett und außerdem wahnsinnig hübsch.«
»Oh, danke schön«, sagte Verity und wandte ihr Gesicht Ruby zu. Das Mädchen hatte rote Locken, die förmlich nach einer Bürste schrien, aber die Haarfarbe war schön und wurde durch die grünen Augen noch betont. »Du bist auch hübsch. Deine Haare gefallen mir, und es macht Spaß, mit dir zusammen zu sein, weil du so viel weißt. Die Mädchen von meiner Schule sind alle so langweilig und brav. Alles, was sie können, ist kichern und über Kleider reden.«
»Über Kleider kann ich nicht reden, weil ich bloß das hier habe«, sagte Ruby. Ihr Kleid war aus grober brauner Baumwolle, viel zu weit und noch dazu recht schmuddelig. Darüber trug Ruby eine Jungenjacke aus Tweed, die ihre Mutter eines Abends auf dem Heimweg vom Pub gefunden hatte. Sie hätte die Jacke selber getragen, wenn sie ihr nicht zu klein gewesen wäre. »Freut mich, dass dir mein Haar gefällt. Die meisten Leute nennen es karottenrot.«
»Karottenrot ist es überhaupt nicht, eher wie Kupfer, und wirklich schön«, sagte Verity. »Obwohl ich finde, du solltest versuchen, es hin und wieder zu kämmen.«
Ruby wusste nicht recht, was sie darauf sagen sollte. Verity kam ganz offensichtlich aus jener Art von Zuhause, die Ruby nur flüchtig aus dem Kino kannte. Ein Haus, wo Bürsten und Kämme auf einem Frisiertisch lagen, wo man sich jederzeit ein heißes Bad einlassen konnte und jemand die schmutzige Kleidung einsammelte und für einen wusch und bügelte.
Ruby war klar, dass Verity keine Ahnung hatte, wie es war, eine Mutter zu haben, die meistens betrunken war, in einem kleinen Zimmer zu hausen, wo man eimerweise Wasser zu schleppen hatte, wenn man sich selbst oder seine Sachen waschen wollte, oder das Ganze am gemeinsamen Wasserhahn draußen im Hof erledigen musste. Wenn Ruby ihr Kleid wusch, musste sie, während es trocknete, gut aufpassen, dass es nicht von jemandem geklaut wurde, der noch schlechter dran war als sie selbst. Während dieser Zeit trug sie nur ihren Unterrock und dazu einen Sack um die Schultern. Selbst ihr Kamm ging ständig verloren.
Aber sie nahm Verity die Bemerkung nicht übel. »Würd ich machen, wenn ich einen Kamm hätte«, erwiderte sie und betrachtete verstohlen den dicken marineblauen Mantel mit braunem Pelzbesatz an Kragen und Manschetten, den die andere trug. Was hätte sie nicht gegeben, um so einen Mantel zu besitzen! Sie konnte auch sehen, dass Veritys Kleid, das unter dem Mantel hervorlugte, aus rosa Wollstoff war. Sie trug sogar dicke Strümpfe an den Beinen, um nicht zu frieren. »Ich würde mich auch über einen schönen warmen Mantel wie deinen freuen und über eine warme...
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