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Kann die Wahrheit für immer verborgen bleiben?
England, in den Dreißigerjahren: Adele ist zwölf Jahre alt, als ihre Schwester bei einem tragischen Unfall ums Leben kommt. Ihre Mutter gibt Adele die Schuld und macht ihr fortan das Leben zur Hölle. Als sie in ein Kinderheim geschickt wird, reißt Adele aus und macht sich auf die Suche nach ihrer Großmutter. Die alte Dame will erst nichts von ihrer Enkelin wissen, doch schon bald entwickelt sich eine zarte Freundschaft zwischen den beiden. Als Adele einige Jahre später den jungen Michael kennen lernt, tritt auch die Liebe in ihr Leben. Doch dann bricht der Zweite Weltkrieg aus. Michael wird eingezogen, und plötzlich taucht Adeles Mutter Rose wieder auf - und droht erneut ihr Leben zu zerstören ...
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eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.
Januar 1931
Als Adele die Euston Road erreichte, quälten sie vom Laufen heftige Seitenstiche. Sie sollte Pamela, ihre achtjährige Schwester, nach deren Klavierunterricht auf der anderen Seite der belebten Hauptstraße abholen und hatte sich verspätet. Es war dunkel, und wie gewöhnlich herrschte um sechs Uhr dichter Verkehr. Außerdem bildete der Schnee der vergangenen Tage inzwischen schwarze, eisige Klumpen in den Rinnsteinen, sodass die Straße noch schwerer zu überqueren war als sonst.
Adele Talbot war elfeinhalb - klein, dünn, blass - und wirkte in dem abgetragenen Tweedmantel für Erwachsene, der ihr viel zu groß war, ausgesprochen verloren. Die Wollsocken waren ihr bis auf die Knöchel heruntergerutscht, und eine Strickkapuze bedeckte ihr widerspenstiges braunes Haar. Aber trotz ihres zarten Alters stand ein sehr reifer Ausdruck der Sorge in ihren großen grünlich braunen Augen, während sie ungeduldig von einem Fuß auf den anderen sprang und auf eine Lücke im Verkehr wartete. Eigentlich hätte ihr Vater Pamela auf dem Heimweg von der Arbeit abholen sollen, aber er hatte es vergessen, und Adele befürchtete, dass ihre kleine Schwester es müde geworden war, auf ihn zu warten, und sich allein auf den Heimweg gemacht hatte.
Immer noch keuchend von der Anstrengung, entdeckte sie vom Straßenrand aus plötzlich zwischen den Autos ihre Schwester. Sie war nicht zu übersehen - das Licht der Straßenlaternen fiel auf ihr langes blondes Haar und ihren leuchtend roten Mantel. Zu Adeles Entsetzen war Pamela bereits an den Rand des Gehsteigs getreten, als hätte sie die Absicht, die Straße allein zu überqueren.
»Bleib da!«, schrie Adele ihr wild gestikulierend zu. »Warte auf mich!«
Mehrere Busse fuhren dicht hintereinander vorbei und versperrten Adele die Sicht, bis plötzlich das Unheil verkündende Quietschen von Bremsen erklang.
Das Herz im Hals, rannte Adele zwischen einem Bus und einem Lastwagen hindurch. Als sie die Straßenmitte erreichte, fand sie ihre schlimmsten Ängste bestätigt: Zwischen einem Auto und einem Taxi lag ihre kleine Schwester reglos auf dem Boden.
Adele schrie. Der gesamte Verkehr war plötzlich zum Erliegen gekommen, und Dampf stieg wie Rauch über den Motorhauben der Autos auf. Fußgänger blieben erschrocken stehen, und alle betrachteten sie das kleine Bündel auf der Straße.
»Pamela!«, rief sie, während sie hinüberrannte, und Entsetzen, Ungläubigkeit und absolutes Grauen schienen sie zu verschlingen.
Der Taxifahrer, ein hoch gewachsener Mann mit dickem Bauch, war aus seinem Wagen gestiegen und starrte jetzt auf das Kind zwischen seinen Vorderreifen hinab. »Sie ist einfach losgerannt!«, versicherte er und sah sich, um Bestätigung heischend, mit wildem Blick um. »Ich konnte nichts mehr tun.«
Schon hatte sich eine Traube von Menschen gebildet, und Adele hatte alle Mühe, sich zwischen ihnen hindurchzudrängeln. »Du darfst sie nicht anfassen, Schätzchen«, meinte jemand warnend, als sie endlich in der Mitte des Kreises angekommen war und sich neben Pamela hockte.
»Sie ist meine kleine Schwester«, stieß Adele hervor, und die Tränen strömten ihr über die vom Wind gepeitschten Wangen. »Sie sollte warten, bis sie abgeholt wird. Wird sie wieder gesund?«
Doch noch während Adele die Frage stellte, spürte sie, dass Pamela bereits tot war. Ihre blauen Augen standen weit offen, ihre Miene zeigte Erschrecken, aber sie rührte sich nicht, sie gab keinen Laut von sich und verzog nicht einmal vor Schmerz das Gesicht.
»Der Krankenwagen ist bereits unterwegs«, hörte Adele jemanden sagen, und ein Mann trat vor, fühlte Pamelas Puls und zog dann seinen Mantel aus, um ihn über ihr auszubreiten. Aber währenddessen schüttelte er leicht den Kopf. Das und die erschütterten Mienen der Menschen um sie herum bestätigten Adeles Ängste.
Sie wollte schreien, wollte auf den verantwortlichen Taxifahrer einschlagen. Aber gleichzeitig konnte sie nicht glauben, dass Pamelas Leben vorbei sein sollte. Alle liebten sie, sie war so witzig, sprühte nur so vor Leben, und sie war zu jung, um zu sterben.
Über ihre Schwester gebeugt, strich Adele ihr das Haar aus dem Gesicht und schluchzte ihren Kummer und ihr Entsetzen hinaus.
Eine Frau mit Pelzmütze schlang ihr den Arm um die Taille und zog sie weg. »Wo wohnst du, Kleines?«, fragte sie, während sie sie dicht an ihre Brust gedrückt hielt und sie tröstend hin und her wiegte. »Sind deine Mum und dein Dad zu Hause?«
Adele wusste nicht, was sie antwortete, denn sie nahm in diesem Augenblick nur das Kratzen des Mantels, den die Frau trug, auf ihrer Wange wahr und das Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen.
Aber sie musste die Frage der Frau wohl beantwortet haben, bevor sie sich losriss, um sich am Straßenrand zu erbrechen, denn später, nach der Ankunft des Krankenwagens und der Polizei, hörte sie dieselbe Frau den Männern erklären, dass die Schwester des überfahrenen Kindes Adele Talbot heiße und in der Charlton Street Nummer siebenundvierzig wohne.
Doch bis dahin nahm Adele weder die Gesichter der Menschen um sich herum wahr noch das, was sie zu ihr sagten, ja, sie spürte nicht einmal den schneidend kalten Wind. Sie war sich nur ihres eigenen Schmerzes bewusst, sah nichts als den goldenen Widerschein der Straßenlaternen auf Pamelas blondem Haar und dass der Wind über die schwarze, nasse Straße wehte, und sie hörte nur lautes, ungeduldiges Hupen.
Euston gehörte Pamela und ihr. Für andere mochte es vielleicht nur eine schmutzige, gefährliche Durchgangsstation sein, die die Menschen auf dem Weg zu anderen, sichereren und hübscheren Vierteln Londons notgedrungen passieren mussten, aber für Adele war Euston stets so harmlos wie ein Park gewesen. Die Charlton Street lag direkt in der Mitte zwischen Euston und St. Pancras; die beiden Bahnhöfe waren für sie ihre persönlichen Theaterbühnen und die Passanten die Figuren in einem Schauspiel gewesen. Sie hatte Pamela dorthin mitgenommen, vor allem wenn es kalt oder nass gewesen war, und dann hatte sie zu Pamelas Begeisterung Geschichten über die Menschen erfunden, die sie dort sahen: Eine Frau in einem Pelzmantel, die neben einem Träger hertrippelte, der ihre großen Koffer schleppte, war eine Gräfin. Ein junges Paar, das sich leidenschaftlich küsste, war durchgebrannt. Manchmal sahen sie Kinder, die mit einem Namensschild am Mantel allein unterwegs waren, und Adele spann daraus eine fantastische Abenteuergeschichte, in der böse Stiefmütter, Burgen in Schottland und Schatztruhen voller Geld vorkamen.
Zu Hause herrschte immer eine bedrückende Atmosphäre. Ihre Mutter saß oft stundenlang in mürrischem Schweigen da und nahm die Anwesenheit ihrer Kinder oder ihres Mannes kaum zur Kenntnis. Sie war immer so gewesen, daher hatte Adele diesen Zustand einfach akzeptiert, aber sie hatte es auch gelernt, die Zeichen einer drohenden Gefahr zu deuten, die den Ausbrüchen wilder Wut vorangingen, und in solchen Fällen brachte sie Pamela und sich selbst so schnell wie möglich in Sicherheit. Diese Wutanfälle konnten furchtbar erschreckend sein, denn ihre Mutter warf dann mit allem um sich, was ihr in die Finger kam. Sie schrie Schimpfworte, und sehr häufig kam es vor, dass sie nach ihrer älteren Tochter schlug.
Adele versuchte, sich einzureden, dass die volle Wucht des mütterlichen Zorns sich nur deshalb stets auf sie richtete und nicht auf Pamela, weil sie die Ältere war. Aber tief im Innern wusste sie, dass sich ihre Mum deshalb so verhielt, weil sie sie aus irgendeinem Grund hasste.
Auch Pamela hatte das gespürt und stets versucht, sie dafür zu entschädigen. Wenn sie von ihrer Mutter Geld bekommen hatte, hatte sie es immer mit Adele geteilt. Als sie zu Weihnachten ihren neuen roten Mantel geschenkt bekommen hatte, hatte es ihr zu schaffen gemacht, dass Adele leer ausgegangen war. Auf ihre stille Weise hatte sie sich nach Kräften angestrengt, diese Dinge irgendwie auszugleichen. Mit ihrem sonnigen Lächeln, ihrer Großzügigkeit und ihrem Sinn für Humor hatte Pamela Adeles Leben erträglich gemacht.
Während sie nun hilflos weinend dastand und sich nach einem Erwachsenen sehnte, der sie in die Arme nahm und ihr versicherte, dass Pamela nicht tot sei, sondern lediglich bewusstlos, war Adele sich einer Tatsache nur allzu sicher: Wenn ihre Schwester wirklich für immer fortgegangen war, dann konnte sie selbst ebenso gut auch tot sein.
Während Pamela in einen Krankenwagen gehoben wurde, griff ein stämmiger junger Polizist nach Adeles Hand. Als die Männer das kleine Mädchen auf die Bahre legten, zogen sie ihr die Decke bis übers Gesicht - eine unausgesprochene Bestätigung der Tatsache, dass sie bereits tot war.
»Es tut mir sehr leid«, sagte der Polizist sanft, dann bückte er sich, sodass er auf gleicher Augenhöhe mit ihr war. »Ich bin Constable Mitchell«, fuhr er fort. »Der Sergeant und ich werden dich gleich nach Hause bringen. Wir müssen deiner Mum und deinem Dad von dem Unfall erzählen, und du wirst uns genau erzählen müssen, was passiert ist.«
Erst da bekam Adele Angst um sich selbst. Von dem Moment an, als sie das Quietschen der Autobremsen gehört hatte, hatten sich ihre Gedanken ausschließlich um Pamela gedreht. Alle Gefühle waren in diese eine Richtung gelaufen, und nichts anderes hatte für sie existiert als der kleine Körper ihrer Schwester auf dem Boden und die Erkenntnis dessen, was sie einander bedeutet hatten. Aber bei der Erwähnung ihrer Eltern ergriff Adele plötzlich eine schreckliche Furcht.
»Ich k-k-kann nicht nach Hause gehen«, platzte sie heraus und umklammerte erschrocken die Hand des Polizisten. »Sie werden sagen, es sei meine Schuld gewesen.«
»Natürlich werden sie...
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