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Andreas Baltrum hasste es! Dieses Gefühl, dass seine Frau Andrea etwas hatte, ihm aber nicht sagen wollte, was. Sie verbreitete so eine ungemütliche Stimmung, und das am Sonntag.
»Nun sag doch endlich, was los ist«, verlangte er genervt. Sie schlich seit Stunden um ihn herum, hielt immer wieder plötzlich inne, öffnete den Mund, starrte dann abwesend vor sich hin, überlegte, seufzte, machte den Mund wieder zu und ging weg.
»Ach. Nichts«, sagte sie.
Er kannte sie genau: Sie hatte was, wusste aber nicht, wie sie es ihm beibringen sollte.
Allmählich wurde er wütend. War er etwa nicht der Mann, dem man alles sagen konnte?! Seine Angestellten der Firma »Baltrum&Sohn«, die er von seinen Eltern übernommen hatte, hätten bei dieser rhetorischen Frage heftig die Köpfe geschüttelt, allerdings nur in seiner Abwesenheit. Alle wussten, wie überzeugt Herr Baltrum davon war, dass seine Sicht der Welt die einzig wahre Realität darstellte. Und eine andere Meinung nicht nur keine Chance hatte, sondern, schlimmer, als Affront aufgefasst wurde.
Den ganzen Tag ging das so weiter. Sie saugte um ihn herum energisch nicht vorhandenen Staub. Machte plötzlich entschlossen den Staubsauger aus. Guckte ihn ungewohnt direkt an, holte tief Luft . und atmete wieder tief aus. Machte den Staubsauger an und saugte wütend weiter, weg von ihm.
Endlich war auch dieser Sonntag zu Ende. Ihr 18-jähriger Sohn kam von einer Party nach Hause, zu der er Samstagabend aufgebrochen war. Andreas und Andrea Baltrum auf ihrem Wohnzimmersofa im Erdgeschoss hörten die Haustür auf- und zugehen, die Kühlschranktür auf- und zuklappen, schwere Schritte, die gedämpft die Treppe mit dem Treppenläufer aus Kokosfaser hochsprangen, und dann die Tür zum Kinderzimmer im Dachgeschoss zuknallen.
Der »Tatort« war schlecht wie immer. Und wie immer hatten sie ihn zusammen geguckt, um hinterher festzustellen, dass der »Tatort« so schlecht gewesen war wie immer, und sich gefragt, warum man sich den eigentlich trotzdem noch angucken würde. Nun lagen sie endlich in ihrem Ehebett aus Wildkirsche, das er auch von seinen Eltern übernommen hatte. Sie links, er rechts. Wie seit zwanzig Jahren. Mit zwei Matratzen, und zwei Matratzenschonern dafür, wobei in diesem Bett nie etwas passiert wäre, wovor man diese Matratzen hätte schützen müssen. Nicht einmal Frühstück. Auch Getränke waren wegen der Gefahr von Flecken streng verboten, ohne dass man das je hätte thematisieren müssen. Das verstand sich von selbst.
Andreas Baltrum stopfte sich das Stützkissen im Nacken zurecht und knipste seine Nachttischlampe aus. Tiefe Dunkelheit erfüllte das Zimmer. Es roch von ihrer Bettseite wie immer nach ihrer Nachtcreme und dem Weichspüler, mit dem sie ihren Baumwollnachthemden regelmäßig einen frischen Hauch von Frühling verlieh, wie auf der Flasche verheißen wurde. Sie raschelte unruhig herum. Wie sollte er so schlafen können?
Wütend setzte er sich auf. »Andrea, also, entweder du sagst jetzt, was los ist, oder du liegst endlich still«, rief er in der Lautstärke, die sie absurderweise stets als »Schreien« bezeichnete, während er einfach nur mal etwas energischer wurde. Er war eben ein Mann, und Männer hatten nun mal laute Stimmen. Außerdem gab es ihm ein Gefühl von Männlichkeit, laut zu werden. Er mochte das. Und meistens wirkte es. Er lauschte angespannt. Es herrschte Stille. Tiefes Schweigen. Zufrieden wickelte er sich in seine Einzeldecke ein und war gerade am Wegdösen, als er leise ihre Stimme vernahm: »Leck mich!«
Das konnte nicht seine Frau gewesen sein.
»Was?«
Stille.
Dann etwas lauter: »Du kannst mich mal lecken, bitte!«
Andreas Baltrum war hellwach. Was war das für eine Gossensprache von seiner Ehefrau?
»Andrea«, rief er schockiert aus, »hast du diese Ausdrucksweise von deinem Sohn übernommen?«
Lautes Schweigen.
Ihm wurde heiß. Konnte seine Frau wirklich das andere Lecken gemeint haben? Wie die Frauen in den Pornos, die er manchmal abends am Computer anschaute, wenn er sagte, er wolle in seinem Arbeitszimmer noch etwas für den nächsten Tag vorbereiten? Er hätte nicht gedacht, dass das ohne Regieanweisung wirklich eine Frau wollen könnte. Und vor allem nicht seine!
Da sagte sie leise, aber entschlossen aus dem Dunklen: »Andreas, ich möchte Sex haben. Aber nicht mehr das, was wir immer machen. Und immer gemacht haben. Und wo ich immer mitgemacht habe, weil ich dachte, das gehört eben dazu. Sondern so, dass ich auch was fühle und will und nicht die ganze Zeit denke, was ich machen kann, damit es schneller vorbei ist und du die nächsten Tage gute Laune hast. Und vielleicht mal ein paar Blumen mitbringst oder die Wäsche aufhängst. Oder mich fragst, wie mein Tag war. Und sogar zuhörst, wenn ich antworte.«
Er war sprachlos. Surreal! Träumte er schlecht? Andreas knipste die Nachttischlampe an und drehte sich zu ihr um, um diese unvertrauten Sätze mit der altvertrauten Person zusammenzubringen. Mit eigenen Augen zu sehen, was hier geschah.
»Bitte mach das Licht wieder aus«, sagte sie und schloss die Augen, »sonst kann ich nicht weiterreden. Und wenn ich nicht endlich rede, dann . Ich will dir einfach die Wahrheit sagen, meine Wahrheit. Und auch, dass du mir deine Wahrheit sagst. Dass wir beide endlich total ehrlich miteinander sind!«
»Die Wahrheit ist immer objektiv.«
»Manchmal ist Wahrheit auch einfach zu schlimm, um wahr zu sein.«
»Na ja, Andrea, so schlimm kann es ja nun auch nicht gewesen sein, nicht wahr? Dramatisierst du nicht sehr? Hast du vielleicht gerade diesen Sex-Schundroman gelesen, mit diesem Dingsda, Grey? Aber dafür bist du doch zu schlau.« Er lachte kurz verächtlich auf und drehte sich auf die Seite.
»Wieso hast du mich nie gefragt, ob ich gekommen bin?«, fragte sie weiter, und nun klang ihre Stimme tränenerstickt.
»Wie, gekommen?« Ihm wurde immer heißer unter der Daunendecke.
»Einen Orgasmus gehabt habe, Andreas. Mit dir, im gleichen Bett. Wegen dir.«
Er war sprachlos.
»Ich dachte immer, das sei dir nicht so wichtig«, sagte er irgendwann lahm zu seinem Kissen. »Ich dachte, Sex wäre eben nichts für dich. So wie ja auch . schnelles Autofahren oder Golfspielen einfach nicht deine Sache ist. Ich dachte, du magst das nicht, das Schwitzen und die Geräusche und die Anstrengung, das alles wäre vielleicht zu viel für dich. Dass ein Orgasmus viel zu anstrengend für dich wäre, mit deinen Herzrhythmusproblemen und Hitzewallungen und so.«
Es sollte fürsorglich rüberkommen, aber er hörte selbst, wie bescheuert das klang. Ich fände es zu anstrengend, dafür verantwortlich zu sein, dass sie beim Sex einen Orgasmus bekommt, dachte er. Und du hast es nicht verlangt. Hattest überhaupt wenig Verlangen. Ich dachte, du hast kein Talent dafür. Man hört ja manchmal die Floskel »unter seinen Händen wurde sie zu Wachs«. In seinen Händen wurde sie bestenfalls zu Holz. Und irgendwann zu Stein. Einem warmen Stein, aber doch Stein.
»Dann frag mich jetzt mal. Wie oft ich einen Orgasmus mit dir hatte.«
»Andrea, ich habe morgen um neun Uhr einen wichtigen Termin in der Firma«, explodierte er vorbeugend. »Wie kannst du mich derart um den Schlaf bringen? Das passt jetzt so gar nicht!«
»Es passt dir doch nie«, zischte sie.
»Nur weil du Schlafstörungen hast, muss ich jetzt auch noch welche kriegen, damit wir ein harmonisches Paar sind, oder was? Ein gemeinsames Thema haben? Du hättest heute den ganzen Tag mit mir reden können, Andrea, statt aggressiv staubzusaugen«, rief er, »ich war ja da.«
Er hörte sie erstickt auflachen. Oder schluchzen?
»Du warst da? Nein, Andreas, du warst nur anwesend, aber dabei wie immer abwesend. Wie schon seit Jahren. Ich spüre dich nicht. Du bist wie ein Hologramm. Ich weiß nicht, was du denkst und fühlst. Auch mir gegenüber«, sagte sie.
Und dann kam er, der ultimative Knaller aller Frauenfragen, gleich nach »Was denkst du«: »Liebst du mich eigentlich noch?«
O Gott. »Wie Prince Charles bei seiner Verlobung mit Diana so schön sagte - was man so Liebe nennt«, versuchte Andreas einen Scherz.
Stille. Sie wartete auf eine Antwort.
Andreas dachte nach.
»Ja, ich liebe dich . aber anders als am Anfang . Nach all den Jahren liebe ich dich wie . wie . wie Familie. Du bist mein liebstes Familienmitglied.« Er überlegte, sie freundschaftlich zu knuddeln.
Schweigen.
Fassungsloses Schweigen.
Mit ihren verschiedenen Arten, vielsagend zu schweigen, konnte seine Frau nach all den Jahren mehr ausdrücken als andere in einer zweistündigen Rede.
»Es ist ja nicht so, dass ich dich nicht total schätze, Andrea. Du bist die Mutter meines Sohnes, die gute Seele des Hauses; deine Stimme und dein Geruch sind mir so vertraut wie mein eigener. Du kochst echt fantastisch. Du hast Geschmack, bist intelligent, ich liebe es, wenn du mir zuhörst und bei Problemen in der Firma die richtigen Fragen stellst. Ich mag es, auf dem Sofa zu liegen und dich in der Küche mit etwas klappern zu hören. Das ist für mich der Gipfel der Gemütlichkeit, ganz ehrlich! Aber . ich dachte, das Körperliche ist kein Thema mehr. Weil du doch bestimmt wenig Hormone hast und selten Lust.«
Zynisches Schweigen.
»Was willst du eigentlich alles von mir? Dir geht es so verdammt gut, Andrea! Du hast ein schönes Haus, den Garten, Zeit für...
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