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Kapitel 1
Hamburg, April 1938
Das Klirren der Gläser klang angenehm in ihren Ohren. Dieser helle Ton, der sich in Wellen im Raum ausbreitete. Helene blickte sich lächelnd um. Die Gäste hatten sich am Sonntagmittag im Salon der Villa am Harvestehuder Weg versammelt, um sie zu ehren. Es war ihre Familie, die sie über alles liebte. Sie sah auf das Kristallglas in ihrer Hand und die perlende Flüssigkeit darin.
Champagner!
Den hatte sie noch nie getrunken. Es sah lustig aus, wie die kleinen Blasen wie Perlen an einer Kette aufstiegen. Ob er genauso gut schmeckte, wie er aussah?
»Liebe Familie, wie schön, dass wir heute hier zusammengekommen sind, um diesen besonderen Anlass zu feiern. Lasst uns unsere liebe Helene hochleben, die ihren Abschluss an der Frauenoberschule mit Bravour bestanden hat.« Carl von Löwenstein stand vor dem Kamin, in dem tagsüber nur ein kleines Feuer brannte. Die Sonne versteckte sich zwar hinter den Wolken, doch die Kälte des Winters schien sich langsam zu verabschieden. Endlich kamen die Vorboten des Frühlings hervor.
Liebevoll blickte Carl zu seiner Tochter. »Mama und ich sind sehr stolz auf dich, mein Mädchen. Du warst immer eine fleißige Schülerin und hast uns sehr viel Freude bereitet. Nun lasst uns auf das Wohl von Helene anstoßen und auf ihre goldene Zukunft.«
»Vielen Dank, Papa. Danke, dass ihr alle gekommen seid«, bedankte sich Helene artig und stieß mit jedem ihrer Gäste an. Da war ihre Großmutter Johanna, ihr Bruder Paul, Evi und Felix von Domnitz. Und natürlich ihre Eltern. Dann endlich konnte sie den Champagner kosten und verzog das Gesicht, weil nicht nur die Perlen an der Nase prickelten, sondern es auch ganz anders schmeckte, als sie vermutet hatte. Wenn sie ehrlich war, mochte sie ihn nicht, aber das würde sie nicht laut sagen. Mama hatte die Flaschen extra aus dem Keller geholt, zu ihrem Ehrentag. Sie wollte sie nicht enttäuschen.
»Herzlichen Glückwunsch, Helene. Das hier ist von Papa und mir zu deinem Abschluss.« Ihre Mutter überreichte ihr ein kleines Päckchen, das sie in Seidenpapier eingewickelt und mit einer Schleife versehen hatte.
»Für mich?«, fragte Helene überrascht und packte es unbeholfen aus. Eine Schatulle, auf der der Name Wilm in goldenen Lettern graviert war, kam zum Vorschein. Vorsichtig öffnete sie den Deckel, ein zierliches Goldarmband war auf dunkelblauem Samt gebettet.
»Ist das schön! Vielen, vielen Dank.« Sie küsste ihre Mutter auf die Wange, fiel ihrem Vater um den Hals. »Danke, Papa.«
»Der Juwelier hat schon für Königin Viktoria einen goldenen Anhänger geschaffen. Halte es in Ehren, mein Kind«, erklärte Carl und half ihr, das Armband anzulegen. Es waren zwei zarte Kordeln, die wie Taue aussahen, die ineinander verschlungen waren. Den Verschluss zierte ein kleiner Anker.
Helene musterte das Schmuckstück an ihrem Arm und lächelte stolz. »Sieht es nicht wundervoll aus?«, fragte sie in die Runde und die Gäste applaudierten ihr. Ein schüchternes Lächeln glitt über Helenes Lippen.
»Aber ich habe hier noch etwas«, erklärte Carl und zog ein weiteres Geschenk hinter seinem Rücken hervor. »Ich habe an diesem Tag natürlich meine geliebte Frau nicht vergessen, die mir diese wundervollen Kinder geschenkt hat. Das hier ist für dich, liebe Greta. Danke für all deine Liebe und was du für unsere Familie tust.« Er trat vor, küsste seine Frau liebevoll auf die Wange und überreichte ihr ebenfalls ein kleines Päckchen.
»Aber das wäre doch nicht notwendig gewesen, Carl.« Gretas Wangen glühten, als sie das Geschenk entgegennahm. Es war ebenfalls eine dunkelblaue Schatulle, nur etwas größer. Greta öffnete den Deckel und klappte ihn sofort wieder zu. »O nein, das sollst du doch nicht.« Ihre Wangen bekamen vor Freude hektisch rote Flecken.
»Was ist es denn?«, fragte Paul, Helenes sechzehnjähriger Bruder neugierig.
»Ja, zeig uns, was Papa dir geschenkt hat«, forderte Helene sie auf.
»Na gut«, gab Greta schnell nach und öffnete erneut den Deckel, drehte die Schatulle, damit es alle sehen konnten.
»Gott, ist die schön.« Johanna schlug sich eine Hand vor den Mund. Sie war die Frau, die Gretas Vater immer hatte heiraten wollen, wozu es aber nie gekommen war. Doch für Greta war sie wie eine Mutter, da ihre leibliche Mutter bei ihrer Geburt gestorben war. Johannas Kinder, Clara und Hans, waren wie Geschwister für Greta und im Kindesalter zu ihr in die Villa am Harvestehuder Weg gezogen, nachdem Levi Rosenthal das Land verlassen hatte. Für Helene war Johanna die beste Großmutter der Welt und sie wollte diese um nichts auf der Welt missen, obwohl sie nicht blutsverwandt waren.
»Die Perlen passen ganz wundervoll zu dir, Mama«, bestätigte Helene und fuhr andächtig über die einzelnen Perlen der zweireihigen Kette. »Und sie passen hervorragend zu den Ohrringen, die Papa dir zu Weihnachten geschenkt hat.«
Carl nahm die Kette aus der Schatulle und legte sie Greta um den Hals, schloss hinter ihr stehend den Verschluss. Dann küsste er ihren Nacken. »Die schönsten Perlen für die schönste Frau«, flüsterte er lächelnd.
»Vielen Dank, Carl.« Tränen schimmerten in Gretas grünen Augen und sie tastete verlegen nach ihrer Kette. »Dann lasst uns jetzt essen. Lina hat sich sehr viel Mühe mit dem Menü gegeben, an diesem besonderen Tag.« Greta war wie immer elegant gekleidet. Ihr brünettes Haar trug sie nicht, wie andere Frauen, zu einem Knoten gebunden, sondern kurz zu einem Bubikopf geschnitten. Sie fand es praktischer und Greta war für alles Nützliche zu haben. Noch war kein graues Haar zu sehen, obwohl sie bald die vierzig erreicht hatte und ihr eigener Vater bereits mit fünfunddreißig Jahren ergraut war. Auch trug sie gerne Hosen, was von der feinen Gesellschaft nicht gerne gesehen wurde. Eine deutsche Frau hatte Kleider zu tragen, doch ihre Mutter hatte schon immer ihren eigenen Kopf gehabt und dies an Helene weitergegeben. Heute trug Greta jedoch ein feines Kleid aus dunkelgrüner Seide, wadenlang, mit weißen Akzenten an Kragen und Manschetten. Sie hatte sich dem Anlass angemessen gekleidet, um Carl und auch Helene eine Freude zu bereiten.
Helene selbst hatte ihr bestes Kleid angezogen. Es war aus Seidentaft gearbeitet, dunkelblau mit weißen Punkten und als Mantelkleid geschnitten, mit einem Gürtel in der Taille. Dazu trug sie üblicherweise einen weißen Hut, aber natürlich nicht im Haus. Die Schuhe hatten keinen hohen Absatz, weil sie für eine junge Frau relativ groß war und nicht zu sehr auffallen wollte. Die Größe hatte sie von ihrem Vater geerbt. Er war ebenfalls hochgewachsen und sah sehr stattlich aus. Kein Wunder, dass ihre Mutter sich einst Hals über Kopf in ihn verliebt hatte. Die beiden gaben ein schönes Paar ab, wie sie vor dem Kamin im Esszimmer standen. Carl mit seinen intensiv blauen Augen und den schwarzen Haaren, die an den Schläfen leicht grau wurden, was seiner Attraktivität allerdings keinen Abbruch tat.
Das Esszimmer war ein Raum, in dem sie ihre Mahlzeiten einnahmen, und der durch eine Schiebetür vom Salon getrennt werden konnte. Die Möbel stammten noch von ihren Großeltern, waren wertvoll und vor allem zeitlos. Über dem Kamin hing ein Bild, das ihre Mutter von Carls Vater geerbt hatte. Es war ein William Turner und sehr wertvoll.
Helene wandte sich dem langen Esstisch zu und hoffte, dass es heute keinen Fisch gab. Sie würde gerne etwas anderes essen. Ihre Mutter liebte Fisch und deshalb kam er zu fast allen Gelegenheiten auf den Tisch.
Lina, die früher als Küchenhilfe im Haushalt der von Löwensteins zu arbeiten angefangen hatte, war mittlerweile die hochgelobte Köchin im Hause. Martha, die früher hier als Köchin angestellt war, war vor fast zehn Jahren gestorben. So hatte Lina die Arbeit übernommen und vor Marthas Tod eine Menge von ihr gelernt. Margot, das neue Hausmädchen, war fleißig und gerade mal siebzehn Jahre alt. Da die Schulzeit in diesem Jahr von neun auf acht Jahre reduziert worden war, gab es viele junge Frauen, die eine Anstellung suchten. Neben Margot gab es noch Bille, die Küchenhilfe. Sie war eine Nichte von Lina, ein wenig langsam, wenn es darum ging, sich mehrere Dinge gleichzeitig zu merken, ansonsten aber ein liebenswertes und hübsches Mädchen.
Zu Helenes Freude stand zur Feier des Tages gekochtes Rindfleisch mit Meerrettichsoße auf dem Speiseplan. Eine ihrer Leibspeisen. Dafür hatte bestimmt Johanna gesorgt, und Helene warf ihr einen dankbaren Blick zu, den ihre Großmutter mit einem Nicken quittierte. Zwar behagte ihr der Rote-Bete-Salat nicht so sehr, sie ließ es sich aber trotzdem schmecken.
»Was hast du jetzt vor, nachdem du die Schule hinter dich gebracht hast?«, erkundigte sich Evi von Domnitz. Sie war eine gute Freundin ihrer Mutter und hatte einige Jahre in ihrem Haus gewohnt, bis sie Felix Wunderlich geheiratet hatte. Felix hatte den Namen seiner Frau angenommen, immerhin war sie die Alleinerbin einer Bankiersfamilie aus Berlin. Ihre Eltern waren früh verstorben, und Vera von Löwenstein, ihre echte Großmutter, die Helene nie hatte kennenlernen dürfen, hatte sich vor vielen Jahren Evi angenommen. Felix und Evi arbeiteten beide im Gewürzkontor der von Löwensteins, wo er mittlerweile die rechte Hand ihres Vaters und Evi zusammen mit...
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