SM - MEINE NORMALE SEXUALITÄT
Das S und das M, zwei Buchstaben, die meine Sexualität darstellen.
Ich spreche erst einmal über (für mich) ganz normale Bedürfnisse: ganz offen, frei und mit sehr viel Geilheit seinen Sex auszuleben, mit Sympathie und idealerweise mit Liebesgefühlen dem jeweiligen Partner gegenüber. Also eine natürliche menschliche Regung, könnte man sagen - wenn nicht die Besonderheit dieser Sexualität ins Spiel kommen würde, die selbst in der heutigen «aufgeklärten» Zeit bei vielen große Vorurteile und sogar Ängste wecken kann. Aber darum gibt es ja «Pauls Bücher», die helfen sollen und müssen diese Märchen aus der Welt zu räumen.
Warum ist SM etwas Besonderes, ich würde sagen, etwas besonders Geiles? Das kann man natürlich erst beantworten, wenn man mit diesen beiden Buchstaben schon eigene Erfahrungen gemacht hat oder die Fantasien eine deutliche und eindeutige Sprache sprechen, auch wenn diese Sprache erst einmal nur im Kopf stattfindet. Das Besondere bestand meiner Meinung nach bisher zum guten Teil in der weit gehend versteckten Praktizierung dieser Sexualität. Durch die Veröffentlichung, die Darstellung der Gefühle und das Beschreiben von SM wird ein Teil des Besonderen genommen. Ich sage deshalb gern, dass SM dadurch «normaler» wird. Auch dazu soll dieses Buch beitragen.
Die zweite Mär, die es auszurotten gilt, ist die von der Gewalt - eines der größten Vorurteile, die es zu diesem Thema gibt. Innerhalb dieser Art der Sexualität wird Gewalt ausgeübt, heißt es, denn es findet Unterdrückung statt, Herrschsucht wird ausgelebt und auch noch mit Schlägen, Einsperren und Vergewaltigung durchgesetzt. Entsetzlich! Eigentlich ist diesem Vorurteil mit einem Satz alle Glaubwürdigkeit genommen, nämlich: Bei SM handelt es sich um eine einvernehmliche Sexualität. Beide Partner, oder mehrere, lassen sich bewusst auf diese «Spielchen» ein und begeben sich nach Absprache oder im Vertrauen zueinander in die jeweiligen «Abgründe», um es mal dramatisch auszudrücken. Beide wissen Bescheid, haben in den meisten Fällen bereits einschlägige Erfahrungen gemacht und der Schwanz steht. Also why not?
Aber mit diesem einen Satz ist es eben nicht getan. Ich möchte zum Einreißen der Mauern beitragen. Ich möchte aufklären, erklären und die Ängste nehmen, die ja ihrerseits wieder zur Festigung der Vorurteile beitragen. Ich habe Lust daran gefunden, von SM zu berichten, denn er hat einen großen Platz in meinem Leben eingenommen, und es bringt mir Freude, anderen die Ängste zu nehmen, um so die «Gemeinde» zu vergrößern und der SM-Sexualität aus dem halbdunklen Schmuddeldasein ins helle Licht zu verhelfen.
Wenn das so einfach wäre ...
Natürlich gibt es auch Methoden der wirklichen Folter, die als Equipment die gleichen «Werkzeuge» einsetzen wie ich. Sicherlich trifft man auch in diesen Folterkellern Menschen, die sich dort sexuell abreagieren, aber mit der Sexualität, von der hier die Rede sein soll, hat das überhaupt nichts zu tun. Allerdings tragen die Vermischung dieser Foltermethoden mit meiner Art der Sexualität und die Ähnlichkeit bestimmter «Werkzeuge» zu den Vorurteilen bei. Insofern ist es wichtig, die Unterschiede zu beschreiben.
Die Grundlage für solch eine immer noch «eigentümliche» und geheimnisumwobene Sexualität liegt in den Gedanken und Fantasien. Deutlich werden sie meist in den so genannten Filmen, die im Kopf ablaufen. Als Film bezeichne ich die sexuellen Fantasien eines Menschen, die bei Erregung, aber auch in ganz normalen Situationen auftreten können: beim Betrachten von schönen Körpern zum Beispiel oder bei Folterszenen in alten Spielfilmen. Ganz besonders treten diese Filme im Kopf natürlich beim eigentlichen Abspritzen zutage.
Wer beim Orgasmus SM-Gedanken oder ganze filmische Szenen betrachten kann, der kann sicher sein, dass hier seine Fantasien erst mal nur im Kopf ausgelebt werden. Er sollte sich deshalb nicht nur dieses Buch durchlesen, sondern sich schleunigst an die Verwirklichung und das reale Ausleben dieser Fantasien machen. Er ist ein SMler und wird von dieser Sexualität höchstwahrscheinlich nicht loskommen. Auch wenn es beim Einstieg Ängste geben kann, große Widersprüche auftauchen und viele Freunde davon abraten, ist es der einzige Weg, um einen gewissen Druck aus dem Kopf zu kriegen. Man wird nicht nur sexuell befriedigt, sondern auch ruhiger, mutiger und selbstbewusster. Dies wird sich natürlich auf den ganzen Menschen und den ganzen Geist auswirken. Ich will nicht übertreiben, aber bei mir begann durch das bewusste und offene Ausleben meines SM eine neue Phase in meinem Leben. Es geht nichts über eine Erfüllung und das Ausleben seiner sexuellen Gelüste. Das ist nicht nur die Grundlage für dieses Buch, sondern auch der Start für ein besseres Leben.
Meiner Meinung nach sind gelegentliche Abenteuer in Darkrooms von Lederkneipen oder kurze Treffs zu Hause nur ein Anfang. Es gehört sicherlich sehr viel Mut dazu, weiterzugehen und in Ansätzen eine SM-Beziehung (so wie in den drei Bänden von «Pauls Büchern» beschrieben) zu beginnen, aber man kann davon noch viel mehr profitieren, sexuell und für die Ausgeglichenheit seines übrigen Lebens.
Viele fragen nun: Wo kommen die Gedanken, die Fantasien und die Filme im Kopf her? Eine gute Frage. Ich habe sie mir oft gestellt und noch öfter haben sie mir andere gestellt. Beantworten können habe ich sie mir und anderen nie. Sie ist auch nicht zu beantworten, es sei denn durch eine jahrelange Psychoanalyse, in der versucht wird Ursachen in der Kindheit oder im bisherigen Leben zu finden. Sicherlich spielen die Erziehung und das soziale Umfeld eine Rolle und vieles andere mehr, aber das ist nicht entscheidend, zumindest nicht für mich. Denn letztendlich muss man seine sexuellen Gelüste akzeptieren, um sie ausleben zu können. Nur ein selbstbewusster SMler ist ein guter SMler, der nicht nur mit seinen Gelüsten Frieden gemacht hat, sondern auch darüber erzählen kann und so den Gedanken immer weiter verbreiten wird.
Im Grunde ist es ähnlich wie bei einem Coming-out. Wir sprechen von einem schwulen Coming-out, wenn ein Mann sich selbst seine Homosexualität eingesteht und dies auch nach außen hin vertreten kann. Das Gleiche gilt für den SM. Auch hier muss man es sich eingestehen, übrigens egal ob schwul, lesbisch oder hetero, und es nach außen hin vertreten können. Allerdings bin ich der Meinung, dass es sich beim SM-Coming-out um einen schwierigeren Prozess handelt. Die Vorurteile sind noch größer und die Akzeptanz in der Öffentlichkeit ist geringer. Da sind Gott sei Dank die Schwulen schon besser in das gesellschaftliche Leben integriert.
SM ist keine rein schwule Sexualität, sondern eine bestimmte Sexualpraktik, interessant für sehr viele verschiedene Menschen. Für mich als Schwulen ist zum Beispiel Sex ohne SM mittlerweile schwer vorstellbar. Normaler Sex mit Frauen auch. Aber SM mit Frauen in bestimmten Konstellationen und mit einer gewissen Sympathie ist durchaus denkbar. SM ist für mich eine spannende und geile Inszenierung von aufregenden Spielen zum Thema Unterwerfung und Beherrschung, dem eigentlichen Grundgedanken des SM. Einen Menschen in gewisser Weise zu beherrschen, ob nun bei einem Spielchen oder sogar auf das ganze Leben bezogen, und im Gegenpart dazu einen Menschen zu treffen, der bereit ist sich in einer oder jeder Beziehung zu unterwerfen, ist der Glücksgriff, der es endlich wahr werden lässt, SM zu leben. Denn alle Theorie ist ohne den feuchten Sex eben nur Theorie und dadurch irgendwann auch langweilig.
Manchmal ist es ein schwieriger Weg, bis man seine Sehnsüchte verwirklichen kann. Oft ist die Suche mit vielen Enttäuschungen verbunden. Schließlich muss neben einer gewissen Sympathie auch die Nähe zum SM und die Rollenverteilung stimmen. Die Welt beweist uns aber trotzdem jeden Tag neu, dass ebendies möglich ist und auch sehr gut funktioniert. Glücklich der, der es gefunden hat.
Wie alles im Leben entwickelt sich auch SM zuerst im Kopf. Es kann sehr klein anfangen, zum Beispiel in der Kindheit mit Indianerspielen, mit Fesseln an einen Baum. Sicherlich ist von dort bis zum eigenen Spielzimmer ein langer Weg. Er hat bei mir über dreißig Jahre gedauert, aber in welchen Bereichen des Lebens ist nicht eine langsame Entwicklung notwendig? Ist die SM-Ader erst einmal entdeckt, kann es nicht anders laufen.
Es ist aber nun in keinem Fall (den ich kenne, und ich kenne viele) ein gerader Weg, der stetig voranschreitet. Es gibt nicht nur Höhen und Tiefen, sondern auch Unterbrechungen in der persönlichen Entwicklung zum SM. Diese Pausen können sogar ein paar Jahre dauern, in denen zum Thema SM außer im Kopf nichts stattfindet. Man trennt sich in solchen Pausen, die übrigens bei einem gewissen Stand des Sich-selbst-als-SMler-Akzeptierens nicht mehr vorkommen, total von diesem «schlechten Sex». Man stellt sich selbst und gerade auch seinen Sex total infrage. In diesen Momenten stürzen alle gesellschaftlichen Vorurteile über dem eigenen Kopf zusammen. Man lehnt SM plötzlich selbst wieder ab, will sogar die paar Spielsachen, die man erworben hat und die den Sex beflügeln sollten, einfach fortwerfen - nur weg damit, damit alles wieder sauber ist ...
Glaubt mir, es kommt alles zurück. Ein Fliehen vor diesen sexuellen Gelüsten ist nicht möglich. Die einzige Möglichkeit ist, sie zuzulassen, sie zu akzeptieren und seinen Spaß und natürlich seine Befriedigung daran zu haben. Es ist nur ein kleiner Schritt im Kopf, aber ein bleibender für das weitere Leben. Leider gibt es auch Menschen, die aus einer schnell genommenen Pause im SM keinen Weg zurück finden. Die...