»Es kann nicht sein, was nicht sein darf«
Warum der Umgang mit der AfD missriet
Wenn man sich die Wirklichkeit anders vorstellt, als sie ist, und wenn man von solchen falschen Vorstellungen ausgehend handelt, dann muss man sich nicht wundern, wenn noch so schöne eigene Pläne scheitern. Wer im europäischen Hochsommer Badeurlaub in Argentinien machen will, der wird eben frieren. Wer klug ist, überlegt sich derlei vorab und lässt sich nicht auf Pläne ein, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht aufgehen. Wen Torheit aber selbstgefällig macht, der wird nach Schuldigen an seinem Pech suchen - und zwar am liebsten nach solchen, gegen die man ohne eigenes Risiko vorgehen kann. Dann erklärt man Schule und Medien für daran schuld, dass Sohnemann immer noch nichts über den Zusammenhang zwischen der schrägen Achse der Erde und dem Umlauf unseres Planeten um die Sonne weiß, also zu den Ursachen der Jahreszeiten.
Derlei weit ausgreifende Erklärungen mögen sogar dann zutreffen, wenn sie zunächst wie an den Haaren herbeigezogen wirken. Auch dann setzt nämlich das, was ist, hier und jetzt unveränderliche Rahmenbedingungen unseres Handels. Deshalb ist am Misslingen eigener Vorhaben selbst schuld, wer sie betreffende Wirkungszusammenhänge nicht kennt, nicht vorab ausfindig macht oder trotz aller Hinweise nicht in Rechnung stellt. Als unbelehrbar zeigt sich dabei, wer lieber andere Rahmenbedingungen verlangt, als das eigene Handeln am Hier-und-Jetzt Unveränderlichen auszurichten. Gar lächerlich macht sich sachkundigen Beobachtern, wer es wie Persiens Großkönig Xerxes im Jahr 480 v. Chr. hält. Beim Aufmarsch zum Angriff auf Griechenland hatte nämlich ein Sturm die gerade errichteten Schiffsbrücken über den Hellespont zerstört. Was dann geschah, beschrieb der griechische Historiker Herodot (490/480-430/420 v. Chr.) so:
»Xerxes geriet darüber in einen großen Unwillen und befahl, dem Hellespont dreihundert Schläge mit einer Peitsche zu geben und ein Paar Fußeisen in das Meer zu versenken. . [Auch befahl er], denselben [Hellespont] mit Fäusten zu schlagen und die tollen und abscheulichen Worte zu sagen: >Du bitteres und salziges Wasser, der Herr legt dir diese Strafe auf, weil du ihm Schaden getan, da er dich doch auf keine Weise beleidigt hat. Doch wird der König Xerxes hinübergehen, du magst wollen oder nicht<. . So befahl er das Meer zu strafen und zugleich denen, welche dem Brückenbau vorgestanden, die Köpfe abzuschlagen.«
Vermutlich bemerkten schon Zeitgenossen, dass man dem naturgegebenen Zusammenhang zwischen Sturm, Wasserbewegung und der Zerstörung von Schiffsbrücken auch mit noch so wütenden Strafen nicht beikommen kann. Doch sie ließen sich das wohl nicht anmerken, nämlich aus begründeter Angst vor des Großkönigs gewalttätigem Zorn. Allerdings führte das Beschweigen von Tatsachen und Zusammenhängen auch im Altertum durchaus nicht jene Zustände herbei, die damalige Spitzenpolitiker herbeizwingen wollten. Womöglich glaubte zwar König Xerxes, sein spektakuläres Vorgehen gegen Wind und Wellen hätte jenes Schönwetter herbeigeführt, zu dem es nachher wieder kam. Weniger Verblendete mochten aber erkennen, dass zumindest die Hinrichtung der leitenden Ingenieure mehr geschadet als genutzt habe - und dass es überhaupt sinnvoller ist, sich bei Planungen aller Art nicht bloß nach den eigenen Wünschen zu richten, sondern auch nach den Umständen von deren Erfüllbarkeit.
Leicht ist zu sehen, dass der Umgang von Deutschlands Bildungselite, Medienleuten und Politikern mit der AfD vielfach dem gleicht, wie einst der Perserkönig mit dem aufgewühlten Hellespont verfuhr. Nicht allzu neugierig wurde vor zehn Jahren nach den wirklichen Ursachen dieses aufziehenden politischen Unwetters samt seiner Wucht gesucht. Viele glaubten nämlich, sie längst zu kennen. Um nichts weiter als um Rechtspopulismus, Rassismus und Faschismus gehe es hier. Also machte man sich abwehrfreudig sogleich an solche Therapieversuche, die von der fraglosen Richtigkeit dieser Diagnose ausgingen. Letztlich aufs Geratewohl unternommen, misslangen sie von Anfang an. In dieser Lage fiel den meisten aber auch nichts anderes ein als einst dem persischen Großkönig: nämlich zu toben und strafen - bis hin zum versuchten Verbot missliebiger Zeitschriften und der unwillkommenen AfD insgesamt. Gesellschaftlich verursache Problemlagen aber vergehen nicht wie übles Wetter von selbst.
Dann freilich tobt und straft weiter, wer sich nicht belehren lässt - und zwar auch nicht davon, dass die AfD trotz eines jahrelangen »Kampfs gegen rechts« nicht nur nicht verschwand, sondern stark und stärker wurde. Es galt und gilt den deutschen AfD-Gegnern ihr Handeln sogar als alternativlos. Teils verführt dazu Denkfaulheit, teils der selbstzufriedene Rückblick in Zeiten, da man auf ähnliche Weise die rechtspopulistischen Republikaner oder die Schill-Partei besiegte.[4] Klüger wäre es wohl gewesen, die tatsächlichen Wirkungszusammenhänge des AfD-Aufstiegs zu ergründen und dann in genau diese einzugreifen. Doch allzu viele glichen dem Sonderling »Palmström« aus Christian Morgensterns (1871-1914) Gedicht über eine »unmögliche Tatsache«. Das endet mit einem vortrefflichen Reim, den sich der Verseschmied auf Palmströms wirklichkeitsvergessenes Handeln macht:
». weil, so schließt er messerscharf,
nicht sein kann, was nicht sein darf.«
»Nicht sein« durften nach damals vorherrschender Akademiker-, Journalisten- und Politikermeinung gar nicht wenige Wirkungszusammenhänge. Also konnten sie - als »unmöglichen Tatsachen« - durchaus nicht zu jenen ins Gewicht fallenden Ursachen des Aufkommens und späteren Aufstiegs der AfD gehören, die gerade AfD-Gegner bei ihren Handlungen hätten berücksichtigen sollen:
- Keineswegs könne sich die Eurozone zu einer Haftungsgemeinschaft für nach eigenem Ermessen von einzelnen Ländern aufgenommene Staatsschulden entwickeln. Vielmehr würde der Euro-Stabilitätspakt von allen Euro-Staaten schon aus Eigeninteresse bald wieder eingehalten, was obendrein der Stabilitäts- und Wachstumspakt der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion verbürge. - Hier wurde vor allem der Wunsch nach einer guten Entwicklung zum Vater politischer Versprechen.
- Niemals gäbe es ein Risiko, dass Deutschland als stärkste Wirtschaftsmacht der Eurozone für Schulden anderer Staaten aufkommen müsse. Einesteils war das vertraglich ausgeschlossen. Andernteils wusste damals noch niemand von Target-2-Salden, also von Forderungen der Deutschen Bundesbank gegen die Zentralbanken anderer Staaten der Eurozone, die bei der Abwicklung des internationalen Zahlungsverkehrs entstehen. Diese Forderungen beliefen sich im April 2024 auf rund 1047,9 Milliarden Euro, also auf weit mehr als das Doppelte des Bundeshaushalts für 2024, der mit rund 477 Milliarden Euro plante. In Aussicht wird gestellt, es könne niemals ein Ausfall dieser Ausstände drohen - gerade so, wie man einst glauben machte, der Wert der goldgedeckten Mark des Bismarck-Reichs könne nie in einer Inflation verdunsten. Aber doch geschah es so aufgrund der Schuldenlast des Ersten Weltkriegs. - Ob künftige Historiker wohl einst ähnlich plausibel das Abwürgen deutschen Wohlstands durch die Erfüllung bundesrepublikanischer Haftungspflichten werden zu erklären haben?
- Von der seit 2015 teils geförderten, teils geduldeten massenhaften, selbstermächtigten Zuwanderung nach Deutschland könne unser Land nur profitieren. Sogar umso größer wäre der Nutzen, je höher die Migrantenzahlen lägen. Besseres als Gold werde Deutschland nun geschenkt, nämlich Menschen. Die aber würden bald schon als Auszubildende, Pflegekräfte, Ärzte und Ingenieure unsere massenhaft offenen Arbeitsstellen besetzen, wollten auch - endlich in Frieden und Freiheit - hart arbeiten, und würden uns auf diese Weise ein zweites Wirtschaftswunder von jener Art bescheren, das Deutschland einst vor allem den türkischen Zuwanderern verdankt habe. - Doch inzwischen sehen auch viele der einst Hoffnungsvollen, dass es so nicht wirklich gekommen ist, während sich die immer schon Zweifelnden bestätigt fühlen.
- Ganz unbegründet wären Sorgen der Art, selbstermächtigte Einwanderung könne Deutschlands innerer Sicherheit schaden. Womöglich werde nun sogar die Anzahl der Gewalttaten pro Kopf sinken, weil doch die Migranten nach ihrer Flucht vor Krieg und Bürgerkrieg nichts anderes ersehnten als Recht und Ordnung. Messerstechereien von Migranten oder sexuelle Übergriffe aus ihren Reihen könnten im sie aufnehmenden Land zwar vorkommen, wären aber nicht mehr als beklagenswerte Einzelfälle, mit denen man es also nicht übertreiben solle. Wichtiger wäre es ohnehin, erst einmal die Mängel in der eigenen Willkommenskultur abzustellen. - Tatsächlich zeigte sich im Lauf der Jahre eher die Haltlosigkeit solchen Schönredens von unerwarteten Einwanderungsfolgen als eine mangelnde Berechtigung von Sorgen darüber, was am Ende der Sackgasse von Deutschlands gutgemeinter Einwanderungspolitik wirklich stehen könne.
- Zwar könne man die Zuwanderung rechtlich, verwaltungsmäßig und moralisch ohnehin nicht begrenzen. Doch Sorgen um die Finanzierbarkeit anhaltender Zuwanderung müsse man sich trotzdem nicht machen. Erstens wären wir ein reiches Land und würden durch möglichst rasch eingebürgerte Migranten nur noch reicher. Zweitens könne man ohnehin nur auf der Grundlage von menschenverachtenden Unterstellungen von einer »Einwanderung in die Sozialsysteme« oder gar vor einer »Ausnutzung« unseres Sozialstaates sprechen. Drittens gehöre es sich gleich gar nicht, die Interessen von...