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Einige Wochen zuvor.
Gentil fuhr die Prinzregentenstraße entlang. Hoch über der Isar sah er das Haus seines Freundes weiß in der Sonne leuchten. Eine Villa wie für einen Fürsten hatte er sich bauen lassen. Gentil konnte sich erinnern, dass Franz lange überlegt hatte, wo er sich sein Atelier einrichten könnte. In einem Raum in der Villa? Oder besser in einem eigenen Gebäude, losgelöst von den Wohnräumen? Und wenn es ein eigenes Gebäude werden sollte, dann in Form einer byzantinischen Kapelle? Oder eines antiken Tempels, eines Tempels für seine Kunst? Ein orientalischer Palast mit vergitterten Fenstern wie in einem Serail? Die Idee mit dem Atelier hatte er gerne von Franz übernommen. Im Gegensatz zu ihm hatte er auch nicht lange überlegt, sondern ein Nebengebäude im Stil der Villa ergänzt, verbunden mit einer Garage für seinen Adler. Aber Franz war eben in allem viel exzentrischer, vielleicht lag das an der Großstadt. Alles musste exotisch und luxuriös sein, etwas geheimnisvoll und dunkel, aber immer extravagant und einzigartig. Ein künstliches Paradies.
Bei einem seiner rauschenden Feste hatte einmal ein geladener Schriftsteller ein Gedicht von diesem Baudelaire vorgetragen. »Aus Paris«, hatte der Schreiberling, an dessen Namen sich Gentil nicht einmal erinnern konnte, betont beiläufig erwähnt und seiner Künstlerpose war anzumerken gewesen, dass er den Eindruck, den diese Bemerkung auf die anwesenden Maler machte, sichtlich genoss. Einige hatten anerkennend genickt.
»Baudelaire . Ja, ich habe ihn erst kürzlich am Montmartre in diesem Café getroffen .«, setzte einer an, der damit prahlte, dass er erst einige Tage zuvor aus der Stadt an der Seine zurückgekehrt war, und wandte sich den um ihn gruppierten Anwesenden zu, die ehrfurchtsvoll an seinen Lippen hingen und weiter seinen nun hingehauchten Erinnerungen lauschten. Während er rezitierte, ließ er seinen Blick effektvoll in eine unbekannte Ferne schweifen. Gentil hingegen sah schlicht eine Zimmerwand. Kein Wort verstanden hatte er von diesem unzusammenhängenden Kram, obwohl es sich um eine Übersetzung handelte. Diese Tintenkleckser waren nichts für ihn. Stuck hatte ihm fasziniert erzählt, dass in Pariser Künstlerkreisen viel Absinth und noch mehr Drogen im Spiel waren, dass es Dichter gab, die mit ihren Worten Hässliches und Abstoßendes in Kunstwerke verwandeln konnten, die den Rausch mit Buchstaben und Lauten abbildeten wie Gemälde einer dionysischen Orgie, was auch immer man sich darunter vorzustellen hatte. Dieser Wortrausch, den der Schreiberling deklamierte, hieß »Die künstlichen Paradiese«. Paradies, ja, schön und gut. Aber künstlich? Gentil hatte den Kopf geschüttelt und gehofft, dass die Vorstellung bald beendet war.
Er mochte es eindeutig - und nicht nur angedeutet. Oder zumindest eindeutig zweideutig. Eindeutig zweideutig, das war auch genau das, was ihn mit Franz verband.
Er freute sich schon darauf, seine Bilder zu betrachten; all die wollüstigen Weiber und die düsteren Farben, herrlich. Es war genau nach seinem Geschmack.
Pariser Gedöns und künstliche Paradiese hin oder her, mit Wohlwollen bemerkte er, dass sein Wagen im Vorüberfahren auch im Hier und Jetzt der großen Stadt München einiges an Aufsehen erregte. Die Flanierer und Spaziergänger auf dem Gehweg blieben stehen und drehten sich nach ihm um, vor allem die Männer. War es sein Wagen, den er selbst entworfen und dessen Bau er überwacht hatte? Oder lag es an seinem eigenen Aussehen: dicke Wolljoppe, Künstlermütze, weißer Seidenschal, darüber ein Staubmantel und dazu ein selbstbewusster Schnauzer? Vermutlich die Mischung aus beidem. Was er hier spazieren fuhr, sah man auch als Großstädter nicht alle Tage. Geld gab es eben auch in der Provinz.
Während sich die Sonne auf dem glänzenden Bordeaux und Schwarz der geschwungenen Kotflügel spiegelte, bog er in die Auffahrt zur Stuck-Villa ein. Er wurde schon erwartet, das Tor öffnete sich. Sein Blick ruhte auf der weiß-goldenen Fassade und glitt empor zur Attika, wo nach wie vor, seit Jahren unbeirrt, zwei Götterprozessionen aufeinander zuliefen. Im Hintergrund konnte er den neueren Gebäudeteil erahnen, das ans Wohnhaus angebaute Atelier.
Johann, die gute Seele der Villa, hatte ihm geöffnet und er betrat das Haus durch das Vestibül.
Die grüne, schwere Bronzetür stand weit offen. Flüchtig grüßte Gentil das Gorgonenhaupt mit einem sanften Streicheln seiner rechten Hand. Er war nicht abergläubisch, deshalb blickte er der Medusa direkt in die Augen. Ein herrliches Weib und eine herrliche Idee von Franz, seine Besucher mit dem Medusenblick zu empfangen. Da war sicher schon so mancher der Münchener Philistergemeinde zu Stein erstarrt. Die feinen Herrschaften, die sich im Glanz des Künstlerfürsten sonnen wollten, aber keine Ahnung hatten von seiner Kunst und hinter vorgehaltener Hand ihre Abscheu und ihr Entsetzen über seine gewagten Bilder weitertuschelten.
»Der Herr erwartet Sie im Empfangssalon, wie immer.«
»Danke, Johann. Ich finde allein hin, kenn ja den Weg.«
»Wie Sie wünschen, Herr Gentil.«
»Schandel, Johann, Schandel. Wir kennen uns schon so lange, Sie dürfen ruhig auch Schandel zu mir sagen.«
»Oh, vielen Dank, mein Herr.«
Mit einem kurzen Diener verschwand der gut aussehende Mann in Richtung Wirtschaftsräume. Franz' Postulat der Ästhetik betraf eben auch die Auswahl seiner Dienstboten. Gentil dachte an Berta. Wenigstens gut kochen konnte sie.
Doch Berta war weit weg und Gentil ließ sich wohlig von den Friesen und Ornamenten des Vestibüls umzingeln. Das schwarz-weiße Fußbodenmosaik war das Einzige, was ihm hier nicht so gut gefiel, der Kontrast war ihm zu hart, er mochte es eher Ton in Ton. Taube, Löwe und Schlange wiesen ihm den Weg die Treppe nach oben, die vertrauten Gefährten von Geselligkeit und Gastfreundschaft, Symposion, Tanz und Trunk. Genialer Einfall wiederum. Die Philister würden es nicht bemerken und nur für Schmuck und Beiwerk halten, aber die »Eingeweihten«, die wahren Freunde der Kunst, würden sofort wissen, was sie in diesem Haus erwartete.
Gentil blieb einen Moment der Atem weg, als er die Tür mit den goldenen Ornamentbeschlägen zum Empfangssalon aufschob und ihm die ganze Gewaltigkeit der Farben und Symbole entgegenschlug. Die dunklen roten Samtvorhänge zum Musikzimmer waren zugezogen und wölbten leicht ihren Saum ins Empfangszimmer hinein, offenbar wurde dahinter gerade gelüftet. Gentil nahm einen schwachen Geruch von Weihrauch wahr; vermutlich hatte Stucks Mary gestern Abend wieder zu einem Konzert eingeladen.
Dadurch, dass der Durchgang zur Zimmerflucht bis auf einen Spalt verschlossen war, fiel wenig Licht in den Salon, was die goldenen Ornamentbänder, die den Raum unterhalb der Decke einrahmten, geheimnisvoll schimmern ließ. Blüten und Gorgonenhäupter wechselten sich ab und schufen eine besondere Atmosphäre: wie im richtigen Leben der Wechsel zwischen Schönem und Schrecklichem. Natürlich hatte sich Franz dabei etwas gedacht und nicht wahllos Verzierungen angebracht. Sie wanden sich auch um die blutroten polierten Steinplatten an den Wänden, durch die der Raum mit der mit Intarsien belegten Kassettendecke noch dunkler wirkte. Franz ließ sich seinen Geschmack etwas kosten, das musste man ihm lassen. Kerzenlicht brachte Leben in die blank polierten Flächen; die Gorgonenhäupter schienen sich etwas zuzuraunen. Diese Art der Rauminszenierung musste er sich merken. Mystische Lichtreflexe konnte er sich auch in seiner Villa vorstellen.
Gentil wurde das Gefühl nicht los, dass sich irgendetwas verändert hatte. Sein Blick blieb am Kamin hängen. Der grüne Serpentinit kontrastierte mit den roten Steinen und rahmte ein gemütliches Feuerchen ein, dessen Zungen ihre Häupter reckten. Genialer Einfall, das Tor zur Hölle. Leider gab es in seinem eigenen Haus keine Möglichkeit, einen offenen Kamin einzubauen. Der heimische Sandstein war ihm eigentlich auch lieber als das glatte grüne Mineral. Aber trotzdem, Respekt, die Verbindungstür zu Luzifers Reich gefiel ihm. Konnten die unbeliebten Gäste doch gleich alle zur Hölle fahren.
Im Dämmerlicht erhob sich nun die schlanke Gestalt seines Freundes aus einem rechteckigen Sessel, den Gentil hier noch nie gesehen hatte.
»Mein Freund!«
Mit theatralisch weit geöffneten Armen ging Stuck auf ihn zu. Lange ließ er seinen Blick auf Gentils Gesicht ruhen, während die Hände schwer auf dessen Schultern drückten.
»Wie schön! Wie geht es dir? Was machen die Geschäfte?«
Stuck hatte seine Augen mit Khol wie ein Ägypter schwarz umrandet, was seine Blässe noch unterstrich und mit seinem Haar um die Wette dunkelte. Er trug einen eleganten schwarzen Anzug über einem nicht mehr ganz tadellosen weißen Hemd, dessen oberste Knöpfe geöffnet waren. Die Schleife hing ungebunden schlaff vom Kragen herab. Gentil sah einen schweren goldenen Ring mit einem mächtigen Rubin an Stucks linker Hand. Allem Anschein nach hatte er sich seit gestern Abend nicht umgezogen.
»Gut, gut! Ohne meine Kreiselpumpen würdet ihr Münchener bald auf dem Trockenen sitzen.« Sein Lachen klang selbstzufrieden. »Jede Brauerei, die es sich leisten kann, baut die neueste Technik aus unserem kleinen Aschebersch ein. Ohne mich würdet ihr hier das Bier noch immer so brauen wie früher die Mönche im Kloster.«
Er streichelte auffällig über die Wölbung seiner Brieftasche, die sich auf der linken Brust abzeichnete.
»Morgen treffe ich mich in Schwabing mit einem Galeristen, der hat einen Heiligen Michael für mich.«
»Sieh an, sieh an,...
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