Schweitzer Fachinformationen
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Nach sieben langen Dürrejahren regnete es nun schon seit drei Tagen ununterbrochen in Strömen. Tuba bearbeitete mit einem Besen die Wände des Wasserbeckens, um den verkrusteten, siebenjährigen Schlamm abzukratzen. Eimerweise schüttete sie Wasser auf die flache Stufe am Rande des Wasserbeckens, wo man die Füße zu waschen pflegt. Sie goss auch das Gärtchen, um die staubtrockene, dürstende Erde mit erlösender Feuchtigkeit zu tränken.
Die zwei Ehefrauen von Hadschi Mostafa beobachteten durch das Fenster die achtzehnjährige, dreimal von Hadschi Mahmud Khan geschiedene biwe. Die ältere, die vernünftiger und auch erfahrener war, dachte, was wohl passieren würde, wenn der Hadschi plötzlich überraschend heimkäme und die unverschleierte Tuba im Becken sähe. Die jüngere war naiver und schlichteren Gemüts. Sie zögerte, ob sie sich ihr anschließen und bei der Säuberung des Beckens helfen solle. Die ältere hatte schon das Fenster geöffnet, um Tuba anzusprechen, als diese die Arbeit unterbrach und sich umwandte. Sie hatte sich völlig verausgabt, und hätte es nicht geregnet, wäre sie schweißüberströmt. Die ältere Frau Hadschi Mostafas meinte, es sei nicht schicklich, so halb nackt das Becken zu fegen. Wenn nun ein Mann einträte, der Hadschi oder sonst jemand? . Tuba presste die Lippen zusammen und machte weiter. Die Freude an der Arbeit war ihr vergangen. Sie hielt inne und sah sich um. Das Becken war so sauber wie nur möglich. Sie schöpfte mit einer Schale das übrig gebliebene Wasser in einen Eimer, stellte Besen, Eimer und Schale neben das Becken und stieg hinaus. Ihre Füße ließ sie vom Regenwasser waschen. Dann ging sie zu ihrem Zimmer. Sie wusste, dass die beiden anderen sie noch immer beobachteten. Sie schloss die Tür, zog den Vorhang zu, um sich vor den neugierigen Blicken der zwei Ehefrauen Hadschi Mostafas zu schützen, zog ihr Hemd aus und merkte erst jetzt, dass sie über und über mit Schlamm bespritzt war. Sie packte ihre Badesachen zusammen, warf sich den Tschador um und zog den Gesichtsschleier über, nahm das Bündel unter den Arm, schloss das Zimmer ab und ging auf die Haustür zu. Hadschi Mostafas Frauen eilten wieder zum Fenster, und die ältere öffnete es, um Tuba zu fragen, wohin sie denn gehe. Sie gehe in den Hammam, antwortete Tuba, ins öffentliche Badehaus. Wenn Sahra käme, solle man ihr ausrichten, sie solle sie dort abholen. Die ältere wollte etwas entgegnen, denn sie hatte einschlägige Anweisungen vom Hadschi, traute sich aber dann doch nicht. Als Tuba aus der Tür trat, dachte die ältere Frau des Hadschi bei sich, dass sie wohl einmal mehr für Tuba und Sahra würde geradestehen müssen.
Der Nieselregen durchnässte Tuba bis auf die Haut; als sie den Hammam erreichte, tropfte es vom Saum ihres schwarzen Tschadors. Tuba war weder traurig, noch fühlte sie sich unbehaglich. Der Regen war für sie wie eine Erholung gewesen. Während der vier harten Jahre, die sie im Hause ihres Ehemannes verbrachte, musste sie die ständige Beschuldigung, sie sei für die Dürre verantwortlich, über sich ergehen lassen. Hadschi Mahmud Khan, ihr Ehemann, glaubte aufgrund einer Eingebung zu wissen, dass zwischen der Dürre und Tubas Anwesenheit in seinem Haus ein Zusammenhang bestand. Zuerst konnte Tuba die Tragweite dieser Anschuldigung nicht begreifen. Sie war es nicht gewohnt, sich als verfluchtes Wesen zu fühlen. Als Tuba neun Jahre alt war, war ihr Vater Hadschi Adib von der Wallfahrt nach Mekka zurückgekehrt und hatte gesagt, er habe unter der goldenen Dachtraufe des Haus Gottes in Mekka für sie gebetet und ihr ein Leben so lang wie Noahs Leben gewünscht. Das Andenken an den Vater, der in ihren Augen die Welt bedeutet hatte, war ihr teuer. Obwohl groß gewachsen und mit durchdringendem, aufmerksamem Blick, trug er seinen Kopf meist bescheiden gesenkt. Adib, sein Titel, bedeutete, dass er ein Gelehrter war. Tuba wusste dies seit ihrer frühesten Kindheit, seit sie ihre Rechte von ihrer Linken zu unterscheiden gelernt hatte. Ihre Mutter, selbst Analphabetin zwar, wies immer wieder darauf hin, dass der Vater ein Adib war - und ein Adib war ein großer Weiser.
Als der Engländer zu ihnen gekommen war, war Tuba sechs oder sieben Jahre alt. Niemand hatte bis dahin einen Engländer zu Gesicht bekommen, geschweige denn einen Engländer in seinem Haus empfangen, außer Hadschi Adib. Den wahren Hintergrund dieses Besuchs erfuhr Tuba allerdings erst lange Zeit später.
Der Engländer war hoch zu Pferd auf der Straße dahergesprengt. Das Pferd hatte vor Hadschi Adib, der gerade die Straße überqueren wollte, gescheut, so dass der Hadschi zu Boden stürzte. Der Engländer schlug ihm mit seiner Reitgerte ins Gesicht, beschimpfte ihn in gebrochenem Persisch als Dummkopf und Idioten und ritt davon. Asadollah, der Schlächter, der vor seinem Geschäft auf einem Holzblock Fleisch hackte, rannte dem Engländer mit dem Spaltmesser in der Hand hinterher und beschimpfte ihn. Anschließend eilte er zu Hadschi Adib hin, der noch immer im Straßenstaub lag, und half ihm, zusammen mit den anderen herbeigeeilten Ladenbesitzern, auf die Beine. Er musterte ungläubig die rote Spur der Reitgerte im Gesicht des Hadschi, und dieser quälende demütigende Blick würde dem Hadschi bis zu seinem Lebensende keine Ruhe lassen. Die Nachbarn umringten den Hadschi und sahen ihn erwartungsvoll an. Hätte der Hadschi in jenem Augenblick zum Aufstand aufgerufen, wäre es zu einer Rebellion gekommen. Aber er - und das gab er niemals zu - dachte in jenem Augenblick gerade über ein Rätsel in der Lehre des Mullah Sadra nach. Am folgenden Abend wollte er mit seinen Freunden darüber disputieren, und weil er so in Gedanken versunken gewesen war, hatte er das dahergaloppierende Pferd gar nicht bemerkt. Er kam langsam wieder zu sich und nahm die um ihn herum stehenden Menschen wahr. Sein linkes Auge war wohl vom Gertenhieb angeschwollen. Am liebsten hätte er das schmerzende Auge mit einem Tuch zugedeckt, vor dem Wind geschützt. Aber er konnte dies vor den Schaulustigen nicht tun. Also drohte er mit erhobener Stimme, dass er es den Engländern heimzahlen werde, und zwar so, dass man in den Geschichtsbüchern darüber berichten werde. Dann machte er sich entschlossenen Schrittes auf den Weg. Die Ladenbesitzer folgten ihm schweigend. Nach fünf oder sechs Schritten wandte er sich zu ihnen um und versprach, dass der Engländer zur Strafe genau an dieser Stelle, vor ihren Füßen, ausgepeitscht werden würde. Nun sei es aber besser, wenn alle in ihre Läden zurückkehrten. Er selbst eilte davon, und mit jedem Schritt wuchs in ihm die Wut über das Vorgefallene. Als er bei Moschiroddoules Haus anlangte, glich sein Kopf einer roten Rübe, die zwischendurch immer wieder erblasste, um dann wieder rot anzulaufen. Moschiroddoules Diener war zunächst über den gegen die Sitte verstoßenden unangekündigten Besuch erschrocken und führte den Gast in den Empfangsraum des Hauses. Der Adib fühlte sich unbehaglich. Er versuchte, seine Wut zu bezwingen. Der Fußboden war in europäischem Stil mit Teppichen belegt. Ringsum standen fransengeschmückte Sessel mit hohen Beinen. An den Wänden hingen Bilder der Schweizer Alpen und von europäischen Städten. Das Haus verfügte über elektrischen Strom. Ein riesiger Lüster hing von der Decke und erhellte den Raum. Verstört setzte sich der Hadschi auf den Rand eines Sessels. Seine Wut ging langsam in eine Art von Erstarrung und Kraftlosigkeit über.
Schließlich betrat der Hausherr den Raum und entschuldigte sich, dass er ihn hatte warten lassen. Die zwei Männer tranken Tee, aßen Kuchen dazu, und währenddessen rang der Adib fieberhaft nach Worten, um das Geschehene zu schildern. Er traute sich nicht, wie ein Untertan zu klagen; doch war er keine Kämpfernatur, die ihr Recht selbst hätte durchsetzen können. Also erging er sich zuerst weitschweifig darüber, dass die Fundamente des Landes und des Volkes auf den Schultern großer Männer ruhten, zu denen auch die Gelehrten gehörten. Ohne sie käme das Rad des Lebens zum Stehen, die Untertanen würden aufsässig, und die Ordnung gerate ins Wanken.
Moschiroddoule nahm seine Äußerungen mit Interesse zur Kenntnis und pflichtete ihm bei. Worauf ihm der Hadschi unterwürfig den Zwischenfall mit dem Engländer erzählte. Nur mit Mühe konnte er das Zittern seiner Stimme und seiner Hände unterdrücken. Er versuchte zum Ausdruck zu bringen, dass er sich nicht als großen und wichtigen Mann betrachtete. Aber wenn ein Engländer sich anmaßte, ihm, der das Gewand und den Titel eines Gelehrten trug, ungestraft vor den Augen Bekannter und Unbekannter einfach ins Gesicht zu schlagen - wo komme man da hin? Wie würde das gemeine Volk so etwas aufnehmen? Und wo würde das hinführen?
Moschiroddoule erfasste die Dringlichkeit des Anliegen vom Adib auf der Stelle. Auch er wurde zornig. Er erging sich in großen Worten und langen Reden und versprach schließlich, das Problem Seiner Majestät Schah Mosaffareddin vorzutragen und den Engländer durch den britischen Botschafter verfolgen und gebührend bestrafen zu lassen.
Als der Hadschi abends nach Hause zurückkehrte, hatte er sich einigermaßen beruhigt. Er hatte unterwegs der harrenden Menge von seiner Unterredung mit Moschiroddoule berichtet und angekündigt, dass der Vorfall Folgen haben werde.
Einige Wochen später meldete der Engländer seinen Besuch an. Am Tag vorher wurden ohne Ankündigung europäische Sessel und Tische aus Moschiroddoules Haus zum Hadschi gebracht. Moschiroddoules Verwalter meinte entschuldigend, dass die Europäer es nicht gewohnt seien,...
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