Kapitel 2 - 1000 Years old sturdust
"Du bist wunderschön. Du bist jahrtausendealtes Sternenlicht. Du bist frei geboren, auf diese Welt gekommen, um zu leuchten. Du kannst alles sein, was du willst."
Noch ein Zettel von Emelie. Dieses Mal ein Lesezeichen in ihrem Lieblingsbuch über die Kelten. Emelie ist von dieser alten Kultur fasziniert und so hab auch ich schon einiges über sie gehört.
Vor über 2000 Jahren haben sie entlang der Atlantikküste gewohnt, waren mächtige Krieger, ihrer Zauberer nannten sie Druiden und sie benutzten Runen als Schriftzeichen.
Die Runen sind auch der Grund, warum wir jetzt überhaupt über die Kelten sprechen.
Erinnerst du dich an die Tasche, die Roary an der Brücke aus dem Kanal gezogen hatte? Genau, bei der Schießerei und dem Feuerwerk.
Roary war mit der Tasche nach Hause gerannt. Also zu mir. Und jetzt gibt es nur zwei Möglichkeiten:
Entweder wir haben den Jackpot.
Ich weiß zwar noch nicht genau, was Roary mitgenommen hat, aber es sieht super wertvoll aus.
Denn in der Tasche ist ein Tetraeder aus stabilem Edelholz, das etwa so groß ist, wie ein Schuhkarton. Auf den Seitenflächen sind Schriftzeichen und Linien eingraviert, die schwach leuchten. Außerdem vibriert es ganz leicht.
Wahrscheinlich ist es ein magisches Artefakt. Die waren bei den Kanarischen Kriegen von besonderer Bedeutung.
Ich hab schon zwei meiner Dealer angerufen.
Einer antwortet nicht, der andere will damit nichts zu tun haben. Er hat Angst vor dem "oder".
Denn entweder wir haben den Jackpot, oder das Teil steht irgendwie in Verbindung mit dem Syndikat. Und dann sind wir erledigt.
Ich warte also gerade auf den Rückruf meiner dritten Connection. Solange hab ich aber schon mal ein wenig selbst nachgeforscht.
*
Zunächst im Bücheregel von Emelie, welches noch immer in meinem Schlafzimmer steht.
Denn seit dem Kollaps kannst du dich mit deinem Computer nicht mehr überall einloggen, und selbst wenn, ist das Netz nicht mehr dasselbe. Entweder die Geschwindigkeit ist schlecht, oder es bricht ständig ab, und du bist auch nicht wirklich sicher.
All das macht Bücher plötzlich wieder richtig wertvoll. Und weil Emelie noch keine eigene Wohnung hat, bewahrt sie ihre Papiersammlung halt bei mir auf.
Von dort hab ich auch das Buch über die Kelten. Es enthält sogar mehrere Runenalphabete, aber keine der Schriftzeichen sehen so aus, wie die, auf dem Tetraeder.
Deswegen bin ich dann doch in den Cyberspace eingetaucht, und wow, du kannst dir kaum vorstellen, was ich gefunden hab.
Pass auf, die Kelten kannten neben dieser Welt noch eine weitere Welt. Und zwar Mag Mor, die Anderswelt.
Sie ist keine Unterwelt oder das Land der Toten. Sie ist völlig lebendig, mit grünem Gras, tiefen Wäldern und mächtigen Kreaturen. Du konntest oder kannst sie durch sogenannte Portale betreten. Lebendig, ohne dass du vorher sterben musst.
Also eigentlich so, wie eine Reise auf einen anderen Planeten. Stell dir das vor, es ist möglich.
Die Kelten, oder ein Stamm von ihnen, sind irgendwann selbst nach Mag Mor geflohen. Sie werden die Tuatha de Danann genannt.
Frag mich jetzt bitte nicht, wie du es genau aussprechen sollst, denn ich hab leider keine Audiofile entdeckt.
Es bedeutet auf jeden Fall: "Die, die zaubern können"
Im Shadow, also dem Darknet, hab ich Spuren gefunden, dass es diese Welt immer noch gibt. Und die Portale auch noch immer offen sind.
Zum Beispiel bietet hier BigFish23 eine Fahrt nach Ray Athum an, was wohl eine Stadt in Mag Mor ist.
Jemand anderes hat einen Reisebericht veröffentlicht. Da werden noch andere Städte genannt, Personen und Ereignisse.
Ein bisschen verrückt alles, aber super aufregend.
*
Gerade lese ich mehr über Banda, irgendeinem geheimnisvollen Inselreich im Süden, das einen Konflikt mit Midrad, einem anderen Land, hat, als plötzlich eine Melodie in meinem Kopf auftaucht.
Obwohl ich mir sicher bin, dass ich die Melodie noch nie gehört habe, kommt sie mir seltsam bekannt vor. Sie ist zauberhafte und klingt ein wenig nach irischer Volksmusik.
Ich nehme meine Gitarre und fange an zu spielen. Zu Beginn läuft es auch richtig gut. Irgendwie weiß ich einfach, wo ich greifen muss, kann die Melodie tief in mir spüren, wo jeder Ton widerhallt und mit mir resoniert.
Dabei erwachen Bilder in meinem Kopf: Es ist Nacht und ich bin auf einer Lichtung zwischen riesigen Bäumen. Im Sternenlicht tanzen hier zwei goldene Schmetterlinge.
Sie fliegen um mich herum, umhüllen mich dabei mit einem Schleier aus goldenem Licht und ich fühle mich frei, sicher und für einen Augenblick so, als wäre ich endlich zu Hause.
Als nächstes fliegen die Schmetterlinge langsam in den Wald. Ich hab das Gefühl, sie wollen, dass ich ihnen folge, doch plötzlich verlier ich die Melodie. Ich kann sie nicht mehr richtig spüren, nicht mehr klar greifen und die Musik und die Bilder enden.
*
Ich öffne die Augen. Noch einmal höre ich kurz die Tonfolge, mit welcher die Melodie begonnen hat.
Die Schriftzeichen auf der Kiste leuchten abwechseln stark auf und verschwinden danach. DannIm gibt es ein Knacken, so als hätte sich ein Schloss geöffnet, und das Tetraeder fällt auseinander.
Dort sitzt nun eine schneeweiße Krähe. Sie schaut mich an, krächzt wütend und springt vom Tisch.
Doch dann reißt der Film. Die Krähe hat Probleme mit dem Flügel.Sie stürzt in die Yukka, verliert kurz die Orientierung, dreht sich schnell im Kreis, schmeißt dabei das Tablett mit dem Rum vom Tisch, springt in den Lautsprecher, wirft die kleine Ganeshastatue mit den Räucherstäbchen herunter, zuckt ein paar Mal, fällt um und bleibt regungslos liegen.
Für einen Moment wage ich es nicht, mich zu bewegen. Als ich schließlich doch einen Schritt nach vorne mache, zuckt die Krähe wieder, springt auf, dreht noch eine Runde voller Chaos und Zerstörung durch mein Wohnzimmer, fängt schließlich an zu leuchten, wird immer heller und heller und .
. bam, ich muss meine Augen zu halten, steht da eine weiße Katze.
Sie faucht mich wütend an.
Ich weiche zurück, bleibe auf Abstand und betrachte die Katze. Sie ist sehr schön. Ihre Augen leuchten wie Sterne und funkeln wie Smaragd.
Ich entscheide mich, ihr eine Schüssel Hafermilch aus der Küche zu holen.
*
"Hast du Durst", rufe ich, als ich wieder zurückkomme.
Da blitzt es erneut und vor mir steht eine schöne, junge Frau.
"Was willst du von mir?", faucht sie mich auf Englisch an.
Was ich von ihr will?
Ich frage mich, ob ihr überhaupt bewusst ist, dass sie nackt in meinem Wohnzimmer steht und ein paar Minuten vorher aus dieser alten Kiste gekommen ist. Und zwar als Katze, ich meine Krähe.
Und wo ich die Kiste herhabe, mitten in der Nacht, aus dem Kanal, nach einer Schießerei, das scheint für sie auch nicht besonders bedeutsam.
Roary ist völlig gelassen. Er liegt auf der Couch, dreht sich auf den Rücken und will gestreichelt werden, so als kenne er diese Frau gut.
Ich entscheide mich erneut für einen Gentelmanmove und gebe ihr Zeit und Raum.
"Ich hab auch Tassen", meine ich gelassen und gehe mit der Schüssel Hafermilch zurück in die Küche. Dort beginne ich ein Wagnis: Ich mache einen Kakao.
Ich meine jetzt nicht diese stark entölte Zuckermischung, die du dir in ein Glas Hafermilch rühren kannst. Nein, ich meine richtigen, rohen Kakao, voll mit geilen Dingen, die dein Bewusstsein auf einen anderen Level heben. Und was ich gerade rufe, nun, das ist der Drache.
Alles klar, kurz erklärt: Ich hatte mal einen guten Freund. Der hieß Frank und vertrieb rohen Kakao aus Südamerika. An einem Vormittag im November rief er an: "Du musst vorbeikommen", war alles, was er sagte.
Wir wohnten damals beide in Berlin. Also war ich mit dem Fahrrad nach Neukölln gefahren. Hier saß Frank weinend vor dem großen Buddha in seinem Wohnzimmer gesessen
"Das ist ein Geschenk der Götter", hatte er geschluchzt "wir können die Welt verändern."
Was war passiert?
In Peru hatten sie tief im Dschungel eine bis dahin unbekannte Sorte von Kakao entdeckt: "Dragon Bliss."
Damit wurde der ganze Hype um Kakaorituale, Tantrayoga und die Kraft der Liebe nochmal einen Gang höher geschaltet.
Dragon Bliss war mehr als flüssiges MDMA,
es war mächtiger als das LSD,
göttlicher als das Shanga,
und völlig legal.
Eine ganze Generation Liebesaktivisten mit fast superheldengleichen Kräften wuchs heran. Musikgeschichte, Kunst, Popkultur, einfach alles wurde neu geschrieben.
Doch dann wurden Nebenwirkungen festgestellt.
Es gab eine regelrechte Hexenjagd, aber Dragon Bliss überlebte, und blühte neu auf in den heimischen Wohnzimmern und den...