Schweitzer Fachinformationen
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Um über den Winter zu kommen, produziert der nordamerikanische Waldfrosch Rana sylvatica Traubenzucker als Frostschutzmittel. Im Spätherbst beginnt die Froschleber mit der Herstellung von Traubenzucker. Dieser wird über das Blut im Körper verteilt und lässt den Blutzuckerspiegel auf das 250-fache des Normalwerts steigen. Die Folge der Überzuckerung: Der Gefrierpunkt sinkt.
Johanna hievte die schwere Holzkiste aus ihrem Lieferwagen. Das war gar nicht so einfach, weil sie dicke Fäustlinge trug und die Kiste nur kleine Metallausbuchtungen als Tragegriffe hatte, die sie mit ihren durchgefrorenen Fingern nur schwer zu fassen bekam. Mit einiger Mühe wuchtete sie die schwere Last auf die Sackkarre. Als sie erschöpft Luft ausstieß, verwandelte sich ihr Atem sofort in eine kleine weiße Wolke.
»Arschkalt heute«, stellte Tom fest, der auf dem Parkplatz neben ihr stand und Kartons mit selbst produziertem Gin auslud. »Bezaubernde Ginny« stand auf den Kartons. Tom hielt inne, zog einen silbernen Flachmann aus der Innentasche seines Anoraks und öffnete ihn.
Tom hatte diesen Ausdruck in den Augen. Es wirkte, als würde er auf verschmitzte Art lächeln, auch wenn er es nicht tat. Lachfalten zogen sich von den Augenwinkeln bis zu den Schläfen. Er hatte es in seinem Leben oft lustig gehabt.
Als Tom den Flachmann an seine Lippen setzte, bemerkte Johanna, dass seine Lippe aufgeplatzt war. Und das war noch nicht alles. Ihr Blick wanderte höher. Die Haut unterhalb von Toms rechtem Auge schillerte rotviolett und wirkte geschwollen.
»Was ist denn mit dir passiert?«, fragte Johanna, »wer hat denn dich so z'sammg'richt? Hat dich wer g'haut?«
»Mich haut keiner .« Tom nahm noch einen kräftigen Schluck. »Und wenn's einer versucht, kriegt er selber eine auf die Goschn.« Er lachte und zwinkerte Johanna so bubenhaft verschmitzt zu, dass diese nicht wusste, ob er sie nur auf den Arm nahm.
Tom hielt den Flachmann Richtung Johanna und nickte ihr auffordernd zu: »Magst auch?«
Johanna schüttelte den Kopf. »Nein danke, ich mach mir nichts aus Schnaps.«
»Das ist kein normaler Schnaps, das ist mein weihnachtlicher Wundergin«, sagte Tom: »Ganz neue Rezeptur. 24 verschiedene Kräuter. Der wärmt dich richtig durch. Des brauchst bei dieser Orschkälten.«
»Weißt du eigentlich, warum es >arschkalt< heißt?«, fragte Johanna.
Tom schüttelte den Kopf.
»Nun, der Grund ist, dass die Leute früher keine geheizten Toiletten hatten. Bei vielen war das Plumpsklo vor dem Haus. Und im Winter ist dir dann halt auf der eiskalten Klobrille der Hintern abgefroren.«
Tom nickte beeindruckt.
»Dauert eh nimmer lang, bis es wieder taut«, sagte er dann und machte eine wegwerfende Handbewegung. Johanna bemerkte, dass die Knöchel seiner rechten Hand verschorft waren. Also doch in eine Schlägerei gekommen, dachte sie.
»Jetzt, Ende November, denkst dir, die Hölle gefriert«, ereiferte sich Tom. »Und zu Weihnachten hat es dann 15 Grad. Dafür schneit's dann zu Ostern wieder, wenn wirklich keiner mehr den Schnee braucht.«
Johanna stieg nicht auf das Thema ein. Sie hatte dieses Lamento schon oft genug gehört.
Hauptsache, heute passt es, dachte sie und blickte sich um. Es war der erste Adventsonntag, und es sah aus wie in einem Bilderbuch. In den Tagen zuvor war Schnee gefallen. Nichts Ungewöhnliches für die Jahreszeit. Das Ungewöhnliche war, dass er trotz des milden pannonischen Klimas tatsächlich liegen geblieben war. Minus sechs Grad zeigte das Thermometer heute an.
Tom sah auf Johannas voll beladene Sackkarre. »Komm, ich helf dir, die Sachen zu deinem Stand zu bringen.«
Johanna nickte dankbar.
»Bist du deppert, das ist schwer«, sagte Tom, als er versuchte, eine zweite von Johannas Kisten auf der ersten zu stapeln: »Was zahrst du da alles zum Christkindlmarkt? Steine?«
»Das ist die Metalldeko vom Gerhard«, sagte Johanna: »Die wiegt so viel. Ich verkauf das, was ich auch in meinem Hofladen anbiete: Seifen, Pflanzenkosmetik, selbst gemachte Delikatessen, Sirup, Punsch und natürlich Weihnachtskekse.«
»Natürlich«, sagte Tom. »Ein Weihnachten ohne Johannas Kekserl - undenkbar! Hast auch die Unwiderstehlichen mitgebracht?« Ein bubenhaftes Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit. Tom, der verlebte Wirt, konnte auch mit Mitte 40 immer noch so begeistert strahlen wie ein Kind. Vor allem, wenn es um die Unwiderstehlichen ging. Eine der besten Kekssorten aller Zeiten.
»Klar«, bestätigte Johanna, »und ich sag dir was: Wenn du mir hilfst, das Auto auszuräumen, schenk ich dir ein Tatzerl davon.«
»Na sicher helf ich dir«, sagte Tom.
Eine knappe Stunde später stand Johanna mit roten Backen in ihrem Hütterl, das mit einer großen beleuchteten Sieben gekennzeichnet war. Toms Hütte hatte die Nummer 13. Insgesamt gab es 24 solcher Holzhütten, die im Kreis um einen riesengroßen Christbaum aufgebaut waren.
Der Weihnachtsmarkt, der einem Adventkalender nachempfunden war, war Teil des Südburgenländischen Adventzaubers, der an jedem der vier Adventwochenenden stattfinden sollte. Eine Idee des Tourismusdirektors.
Gleich beim Eingang gab es eine Christkindlwerkstatt, in der Kinder Kerzen ziehen, Christbaumkugeln bemalen und Orangen mit Gewürznelken spicken konnten.
Dahinter, in einem kleinen Gehege, befand sich eine lebende Krippe, in der sich Esel, Ziege und Schaf um eine Babypuppe scharten, die auf Stroh gebettet war. Die Tiere ließen es allerdings an Respekt fehlen und zupften begeistert Strohhalme unter dem Hintern des vermeintlich frischgeborenen Heilands heraus.
Friedlicher ging es bei der Krippenausstellung zu, die sich in einem Gebäude ganz hinten befand. Hier gab es auch eine Sammlung alter Spielsachen: Blechspielzeuge, Steckenpferde, Trommeln, Glasmurmeln und ein antikes Puppenhaus.
In diesem Saal sollte am dritten Adventsonntag auch die Prämierung der besten Weihnachtskekse stattfinden. Johanna hatte gute Chancen, den Wettbewerb zu gewinnen. Das fanden zumindest die Mitglieder des Klub der Grünen Daumen. Ein Verein, der von Johanna vor drei Jahren gegründet worden war, um Einheimischen und Zuagroasten Garten-Know-how, aber auch Wissenswertes zu Tradition und Handwerk näherzubringen.
Johanna blickte auf ihre Uhr. In wenigen Minuten würde der Weihnachtsmarkt offiziell seine Pforten öffnen. Die ersten Besucher strömten bereits herein. Johanna hob grüßend die Hand und winkte, als sie ihre Klubfreundinnen Vera, Mathilde und Isabella entdeckte.
Die drei Frauen verstanden sich bestens, obwohl sie unterschiedlicher nicht hätten sein können. Vera, dunkelhaarig, groß und oft in asymmetrische Teile gekleidet, die in der Stadt als Avantgarde und am Land als seltsam bezeichnet wurden, war Journalistin bei der Lokalzeitung. Sie war Alleinerzieherin einer 15-Jährigen und hatte lange in der Großstadt gelebt, bevor sie das Schicksal in das alte Bauernhaus ihrer Urgroßmutter verschlagen hatte. Ihre größte Stärke war ihr Recherchetalent. Ihre größte Schwäche war Tom. Der Tom mit der dicken Lippe, mit dem sie vor 20 Jahren eine Affäre gehabt hatte, die immer wieder aufgewärmt wurde. Was Ernstes wurde nie draus, was an Toms Bindungsparanoia lag, die er wie einen Schutzschild vor sich hertrug. Vera dachte, die Menschen am Land würden davon nichts mitkriegen, dass sie und der Tom das Pantscherl auf kleiner Flamme am Köcheln hielten. Das war freilich reines Wunschdenken. Am Land kriegten immer alle alles mit, was damit zu tun hatte, dass Geheimnisse unter dem Siegel der Verschwiegenheit sofort brühwarm dem oder der Nächstbesten weitererzählt wurden. Immer unter dem Motto: Von mir hast des net, aber hast schon g'hört?
Eine, die für ihre Klatschsucht berühmt war, war Mathilde. Eine liebenswerte, warmherzige Köchin, die sich gerne im Stil der Fifties stylte. Sie meinte es nicht böse, wenn sie über andere tratschte, sie tat es hauptsächlich deshalb, weil sie ihr eigenes Leben an der Seite ihres Künstlerfreundes Gerhard, der tagaus, tagein auf Metallteile eindrosch, sterbenslangweilig fand.
Isabella, die Dritte im Bunde, fand ihr Leben alles andere als langweilig. Die feingliedrige Kräuterpädagogin mit den raspelkurzen Haaren war Witwe und hochschwanger. »Das, was ich erlebt habe, würde ein Buch füllen«, pflegte sie zu sagen.
»Irgendwann, wenn ich Zeit habe, schreibe ich ein Buch über uns, was heißt eines, jede von uns kriegt dann einen eigenen Band«, pflegte Vera darauf zu antworten. Aber alle wussten, dass das niemals passieren würde, weil Vera viel zu beschäftigt war, um Bücher zu schreiben.
»Hier, nehmt euch was zu trinken«, sagte Johanna und griff nach einer großen Thermosflasche mit Tee. Die Blätter, Beeren und Blüten dafür hatte sie im Sommer selbst gepflückt und die Mischung dann mit Zimtrinde, getrockneten Uhudlertrauben und allerlei Gewürzen verfeinert.
»Ist da eh kein Alkohol drinnen?«, fragte Isabella.
»Keine Sorge«, sagte Johanna und dann zu Vera und Mathilde gewandt: »Wenn ihr beide was Härteres trinken wollt, müsst ihr zu den Punschhütten rüber oder zum Tom.« Sie deutete in Richtung Hütte Nummer 13, vor der sich bereits eine lange Schlange gebildet hatte.
»Vielleicht später«, sagte Vera, als sie ein taubenblaues, handgetöpfertes Häferl mit Johannas Tee entgegennahm.
»Der Tom ist ein bisschen lädiert«, sagte Johanna. »Schaut aus, als hätt er gestern a Rauferei...
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