Schweitzer Fachinformationen
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Die Geschichte vom Schlangental
Irgendetwas schien im Schlangental vor sich zu gehen.
Sanft ließ der Wind die Seidenvorhänge vor den Räumen auf und ab tanzen und verbreitete einen intensiven Geruch in der Luft. Er war so unglaublich abstoßend, dass die Gestalt im Schatten ihres Huts nicht umhinkam, das blasse Gesicht zu verziehen.
Sie hatte einen bleichen, geradezu strahlenden Teint, blutleere Lippen und war von einer so schlanken, zierlichen Statur, dass man sie vielmehr in einem Rock als in einer Hose erwartet hätte. Der Ausdruck in ihren Augen hingegen glich einem Sturm - einem wütenden Orkan, der den Himmel unentwegt in seiner Gewalt zu halten schien.
Bin Seomoon griff vorsichtig nach dem Heft ihres Tigersäbels, den sie unter ihrem Gewand versteckt hielt.
Festlich dekorierte Räume reihten sich aneinander, im Garten blühten überall sonderbare Blumen, und Menschen schlenderten mit ihren Gläsern in den Händen umher. Bin musterte alles ganz genau.
»Selbst wenn sich die aufstrebenden Mächte zusammenschließen, bleiben sie Schwächlinge. An den Minister werden sie niemals heranreichen.«
Stimmen drangen durch die dünnen Seidenvorhänge des Raums.
Es handelte sich um die Schlangenresidenz - das Anwesen des Premierministers, ein Mann, dem nachgesagt wurde, noch mehr Macht innezuhaben als der König selbst. Ein Ort, der sogar in finsterer Nacht hell erstrahlte, vom Treiben all jener, die Gold- und Silberschätze mitbrachten, um die Gunst Seiner Gnaden zu gewinnen.
Bin war jedoch nicht auf der Suche nach der Macht oder dem Geld der Lebenden.
Eine plötzliche Bewegung in den Reihen der Trunkenbolde zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Unauffällig blieb Bin vor der geöffneten Schiebetür stehen, kniete sich auf ein Bein nieder und spähte in den Raum.
»Genau deshalb habe ich auch Seine Gnaden aufgesucht und ihn um einen Posten für meinen Jungen gebeten!«
In dem Raum saßen einige Männer, die in protzige Gewänder gehüllt waren.
Neben dem dickbäuchigen Mann in der Mitte des Zimmers streckte sich ein Schatten in die Länge, bei dessen Anblick Bin die Augen verengte. Die langen Finger des Schattens berührten das Perlenband am Hut des Mannes.
Die Perlen klimperten.
Ein Geräusch, das allein Bin wahrnehmen konnte.
Die schattenhafte Gestalt wirkte geradezu verzückt, während sie mit funkelnden Augen die kleinen Kugeln berührte.
Noch nicht.
Bin atmete langsam ein und lauschte den Geräuschen. Dieses Wesen war nicht das, wonach sie heute suchte. Doch die Anwesenheit eines solchen Geists sprach dafür, dass gewiss auch ihr eigentliches Ziel bald auftauchen würde.
Jenes Etwas, das das Schlangental heimsuchte.
»Heute wollen wir die Gläser heben, als gäbe es kein Morgen!«
Voller Elan stießen die Männer an. Ihre aneinanderprallenden Gläser gaben ein scharfes Klirren von sich, als Bin zwischen den herausschwappenden Schnapstropfen etwas entdeckte.
Ein langer, schmaler Schatten huschte über die Münder der Männer, die sich hemmungslos dem Alkohol hingaben, und glitt ihre Rachen hinab.
Bin stand auf.
Oh?
Ihr Blick fiel auf die Schiebetür auf der anderen Seite.
Jemand versteckte sich hinter ihr und spähte genau wie sie heimlich in den Raum.
»Mundet Euch der Schnaps, meine Herren?«
Eine Bedienstete betrat mit reizender Stimme den Raum, nahm die leere Flasche an sich und stand erneut auf. An der Wölbung der Flasche klammerte sich etwas fest. Es gab keine Zeit für weitere Überlegungen.
Das musste es sein.
Bin folgte der Dienerin, die den Raum wieder verließ. Ihr roter Rock streifte über die Gänge der Schlangenresidenz. Mit der Flasche in der Hand lief sie in den hinteren Teil des Gartens. Bin folgte ihr eilig und ging zügig um die Ecke. Es krachte.
»Ah! Was soll das?«
Sie stieß mit einem Mann zusammen, der ebenfalls um die Ecke gerannt kam, und fiel zu Boden.
Verzweifelt suchte sie nach der Dienerin, konnte jedoch nicht ausmachen, wohin sie verschwunden war.
»Euretwegen habe ich sie verloren!«, schallte es auf sie herab - Worte, die vielmehr sie hätte sagen sollen.
Als sie den Kopf hob und einem außergewöhnlich gut aussehenden Gesicht entgegenblickte, stockte ihr der Atem.
Die grazilen Gesichtszüge unter seinen dicken Augenbrauen verliehen dem Mann eine nachhaltige Präsenz. Selbst die Schönheit einer aus Jade geschnitzten Blume hätte im direkten Vergleich mit ihm regelrecht ordinär gewirkt.
Der Mann senkte den Kopf und sah Bin eindringlich an. Die plötzliche Nähe zu ihm ließ sie zurückschrecken.
»Habt Ihr es gesehen?«
»W-was soll ich gesehen haben?«
Bins Ton klang unerwartet streng, doch der Mann blickte ihr direkt in die Augen und wich nicht zurück.
»Wart Ihr es nicht, die mir gegenüber ebenfalls den Raum durchsucht hat?«
Er trat noch einen Schritt näher.
»Ihr habt es also nicht gesehen?«
Ein erfrischender Duft ging von ihm aus.
Es war merkwürdig. Sie wollte am liebsten weglaufen, obwohl sie lediglich von Angesicht zu Angesicht voreinander standen. Bins Augen, die ohne Probleme selbst dem Blick lebloser Dinge standhielten, irrten auf der Suche nach einem Fluchtweg vor diesem Mann vergebens durch die Luft.
Sie spürte die Hand des Mannes an ihrer Taille und schrie vor Schreck auf. Oder besser gesagt hatte sie vor, zu schreien.
»Was tut Ihr da?«
»Es wäre ziemlich ärgerlich, damit hier erwischt zu werden, oder etwa nicht?«
»Wann habt Ihr .?«
In seiner Hand hielt er plötzlich den Säbel, den sie bis eben noch um ihre Hüfte geschnallt hatte.
Es mochte namentlich ein Säbel sein, war aber kurz genug, um unter dem Gewand versteckt werden zu können. Und dennoch hatte er ihn mit Leichtigkeit gefunden und starrte nun Bin an.
»Gebt ihn mir sofort zurück! Was fällt Euch ein, einfach fremdes Eigentum an Euch zu nehmen?«
»Dieser Säbel ist keiner, der lebendige Wesen verletzt, habe ich recht?«
Bins Gesicht erstarrte kurzzeitig.
»Woher wisst Ihr das .?«
»Ein Tigersäbel, der im Monat, am Tag und zur Zeit des Tigers hergestellt wurde, um dessen Energie zu erlangen. Er ist dafür gemacht, böse Geister zu verletzen und auszutreiben, nicht wahr? Ich habe etwas Ähnliches schon einmal gesehen.«
Die Kunst der Seelenjagd. Die Austreibung des Bösen und Beschwörung des Glücks.
Die wohlgeformten Augenbrauen des Mannes hoben sich.
»Sicherlich ist Euch bewusst, dass es verboten ist, eine solche Waffe ohne die Erlaubnis des Königs zu schmieden.«
Bin durchbohrte den Mann mit ihrem Blick.
»Was wollt Ihr?«
»Oh, Ihr seid schnell von Begriff. Das gefällt mir.«
»Antwortet mir.«
»Wer so etwas bei sich trägt, ist kein normaler Mensch. Seid Ihr etwa auch ein Seelenjäger?«
Bin hob eine Augenbraue.
»Was meint Ihr mit >auch<?«
»Wieso? Bin ich etwa zu gut aussehend, um ein Seelenjäger zu sein?«, antwortete der Mann und zog einen weißen Seidenfächer aus seinem Gewand, den er dann geräuschvoll öffnete.
»Was redet Ihr denn da für einen Unsinn?«
Die Augenwinkel des lächelnden Mannes, der gerade noch stolz mit seiner Schönheit geprahlt hatte, senkten sich erneut.
»Nun gut. Es mag wahr sein, dass ich eher mit meinem Gesicht als mit meinen Jagdfähigkeiten überzeugen kann. Und genau deshalb müsst Ihr mir helfen.«
»Wie bitte?«
»Das hier ist die Residenz Seiner Gnaden, des Premierministers. Und so, wie Ihr gekleidet seid, seid Ihr sicherlich kein geladener Gast.«
Die Augen des Mannes musterten Bins abgenutzte Kleidung von oben bis unten.
Ihr marineblaues Gewand war unter all ihrer Kleidung das Schönste, das sie besaß, im direkten Vergleich zu den Gewändern der übrigen Gäste in der Schlangenresidenz wirkte es jedoch schlichtweg unansehnlich.
»Ihr habt doch ebenfalls keine .!«, setzte Bin verärgert an und wollte auf die ebenso dürftige Kleidung des Mannes hinweisen, als sie sich selbst unterbrach.
Was sie zunächst für ein schlichtes, schmuckloses Gewand gehalten hatte, stellte sich auf den zweiten Blick als ein seidener Umhang heraus, den man dicht mit Wolken aus jadefarbenem Garn bestickt hatte. Eine so feine Stickerei, dass sie erst bei genauerer Betrachtung zu erkennen war. Wie viele Menschen Stunden der Mühen dafür aufgewandt hatten, ließ sich unmöglich erahnen.
»Habt Ihr es jetzt verstanden?«
Bin schaute umher. Sie hatte keine Zeit zu verschwenden.
»Wobei soll ich Euch helfen?«
Der Mann lächelte, als er Bins genervten Ton hörte.
»Wie bereits erwähnt, bin ich noch immer ein Anfänger in der Kunst der Seelenjagd. Ich würde Euch gern auf Eurer Jagd begleiten.«
Mit einem Schnalzen der Zunge tat Bin ihren Unmut kund.
»Ha, ist Euch bewusst, worauf Ihr Euch da einlasst? Euer ach so schönes Gesicht könnte sich schnell die eine oder andere Narbe einfangen.«
»Ah, Ihr haltet mich also ebenfalls für gut aussehend. Mit Euren scharfen Augen entgeht Euch gewiss kein einziger Geist.«
»Heben wir uns die Fragen für später auf und gehen weiter. Ich weiß zwar nicht, wie es um Euch steht, aber ich bin ein viel beschäftigter Mann.«
Bin schüttelte den Kopf. Dieser Mann würde niemals aufhören zu reden.
Er ist ein gut aussehender Irrer, dachte sie, nickte jedoch einfach, als wollte sie sagen: »Mach, was du willst.«
»Nun gut, da Ihr immerhin etwas über die Seelenjagd zu wissen scheint, werde ich Euch keine...
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