Schweitzer Fachinformationen
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«Der Brief ist so lang geworden, weil ich keine Zeit für einen kürzeren hatte.»
(möglicherweise Blaise Pascal)
Abstand zum eigenen Text zu gewinnen wird deutlich erleichtert, wenn einem eine Pandemie dazwischenkommt. Insbesondere, wenn am Erscheinungstag sämtliche Buchläden schließen. Sie wissen schon, in jener wilden Anfangsphase der Corona-Pandemie, als Leute ähnlich wenig Masken trugen wie heute, aber dafür ihr Telefon sehr sorgfältig mit Rasierwasser abwischten. Die Welt hatte Wichtigeres zu tun, als sich um unsere Pläne zu kümmern, und auch Buchmessen erschienen plötzlich wie eine ziemlich fragwürdige Idee. («Und wenn man die Bücher auch mit Rasierwasser abwischt?») Mit jedem Anruf, den ich bekam, purzelten Vorträge und Pressetermine aus dem Kalender, und so wurde aus der Lesereise zu «Hormongesteuert ist immerhin selbstbestimmt» noch im Fahren ein lustiger Tagesausflug. Immerhin mit Sekt anstoßen konnten wir noch auf das Buch, aber danach saßen wir erst mal in Quarantäne. Die Welt stand still. 2020 eben.
Mehrere Jahre Pandemie und beunruhigend viele Weltereignisse später ist zwar nichts vorbei, aber alles anders, und ich habe noch mal die Gelegenheit, mein Buch aus dem Regal zu nehmen. Zeit, den Laptop aufzuklappen und daraus eine ganz neue Ausgabe zu machen - die halten Sie gerade in den Händen.
Seit dem ersten Erscheinen ist schließlich einiges passiert. Spätestens jetzt haben wir alle unsere Stresshormone entdeckt - und wie es sich anfühlt, wenn sie keine Pause kriegen. Oder wie stark das, was unseren Körper angreift, auch auf unser Gehirn wirkt. Ein kollektiver Crashkurs in Sachen Zerbrechlichkeit. Worüber wir dagegen viel zu wenig gelernt haben, ist Resilienz (aber dazu später mehr). Anderswo haben wir im Chaos unsere Hormone eher laufen lassen - dank Homeoffice konnten Jugendliche länger ausschlafen, einige Väter waren zum ersten Mal mit ihren Kleinkindern zu Hause. Und wenn Sie nicht gerade ein Buch darüber schreiben mussten, war das genug Zeit, für sie und Ihre Partner*innen um alles an unserem Leben und Arbeiten infrage zu stellen, genauso wie den ganzen Rest. Gleich nachdem wir alle unseren Impfpass und unsere Konzentration wiedergefunden hatten (letztlich war beides hinter dem Sofa).
Aber auch auf der politischen Bühne toben die Themen um Hormon und Hirn. Die Diskussionen um Sex und Gender werden mit jeder Woche lauter und im Ausgleich schlechter informiert. Was wiederum jenen nutzt, denen es dabei ohnehin nie um Information ging.
Die Sorge ums Testosteron befeuert YouTube-Videos, und in den USA befeuert unser Unwissen in Sachen Uterus die Angriffe auf reproduktive Rechte. Auf TikTok sagt alle elf Minuten ein Influencer was Komisches über Serotonin. Es sind aufregende Zeiten für uns - und unsere Hormone -, in denen wir dringend Informationen brauchen. Allein schon, um der Desinformation etwas entgegenzusetzen. Denn, was sich in der Zwischenzeit nicht geändert hat, ist das Maß, in dem wir Hormone falsch verstehen. Ganz im Gegenteil.
Zum Glück gibt es seit der letzten Veröffentlichung brandneue Studien, überraschende Ergebnisse und ja, auch Neues zur Pille für den Mann. Beziehungsweise - viel zu lang Vernachlässigtes zur Pille, mit der sich der Rest der Weltbevölkerung seit Jahrzehnten rumschlägt.
Die Neuauflage ist eine Chance, über all das Neue zu reden, genauso wie das große Ganze, das man jetzt viel besser sieht, und die Ideen, die man am liebsten beim ersten Mal schon gehabt hätte. So, wie einem die richtig guten Antworten auch immer erst dann einfallen, wenn man schon wieder zu Hause ist und unter der Dusche. Nur kann man dann nicht mehr zurück. Hier schon. Also dann, ein Buch, wie eine Unterhaltung, in die man gern noch mal eintauchen würde, mit allem, was man weiß, drei Jahre später. Mit netter Gesellschaft, Snacks und Wein. Das Cover ist auch viel schöner.
Ein paar echt gute Gründe, über Hormone zu reden, und ein paar andere, warum wir's trotzdem nicht tun.
Was meint er denn damit? Juliette dreht sich zur anderen Bettseite und strahlt ihrem Freund den Twitter-Feed ins Gesicht. Leo zuckt die Schultern, rückt sein Kopfkissen zurecht und wendet sich wieder seinem eigenen Handy zu. In seinem Kopf fragt sich unterdessen ein ganzes Hormonsystem, warum es nicht dunkel wird. Es kennt weder Handys noch soziale Medien. Aber es weiß, dass die Stäbchen im Auge immer noch Licht melden. Genauer gesagt: blaues Licht, denn das ist es, was Bildschirme absondern. Es signalisiert: helllichter Tag. Um drei Uhr nachts. Melatonin wird langsam nervös. Leo braucht den Schlaf zum Regenerieren. Für emotionale Aufarbeitung! Nichts Dramatisches - irgendjemand hat seine E-Mail nicht beantwortet, aber das Hirn meint, Leo neigt zum Selbstmitleid. So oder so funktioniert das Aufarbeiten nicht ohne eine Tiefschlafphase. Wenn dagegen tatsächlich noch die Sonne scheint, müsste das Melatonin wahrscheinlich den Sommer einleiten. Keine leichtfertige Entscheidung, weil es dadurch Sexhormone, Stimmung und Immunsystem mit reinzieht. Nervös zieht es die Stirn in Falten. «Übrigens .», das Wachstumshormon knufft ihm Energieriegel-kauend in die Seite, «. die Tagschicht beschwert sich auch ständig. Der Typ bekommt nicht genug Sonnenlicht! Darum ist er ständig so unterkühlt und schmerzempfindlich. Sein Serotoninspiegel ist der Horror!» Melatonin zieht ungläubig die Augenbrauen hoch. «Hochsonne bis drei Uhr nachts, und er hat Lichtmangel?» Grimmig beugt es sich wieder über seine Monitore. «Womit haben wir es hier nur zu tun?» In dem Moment kommt Kortisol mit eiligen Schritten um die Ecke: «Also ihr könnt hier jetzt erst mal einpacken. Das Gehirn hat ein Klingelgeräusch gehört, das es an Arbeit erinnert hat. Ich hab alles wieder hochgefahren, und wir spielen jetzt ein Medley aus .»
Vier Stunden später wird Leo von seinem Wecker aus dem Schlaf gerissen. «Bah, ist das kalt hier . und warum hab ich nur solche Kopfschmerzen?»
Leo wird das Rätsel des verlorenen Schlafes heute nicht mehr lösen. Genauso wenig wie das der Kopfschmerzen oder der allgemeinen Grummeligkeit. Sonst wüsste er, wer da mitentscheidet, ob wir Typ Eule sind oder Typ Lerche oder mehr so chronisch zerrupfter Spatz.
Er wüsste, dass bei allem, was Kopf und Körper verbindet, wahrscheinlich ein Hormon beteiligt ist, das mit Herz und Nieren per Du ist und von seinem Gehirn intimste Informationen erhält: über seine Sexualität bis hin zu noch viel intimeren Themen wie seinem eigentlichen Stresslevel. Und er wüsste, dass diese Hormone dabei längst nicht nur Botenstoffe sind, sondern unser Gehirn aktiv mitgestalten. Mitentscheiden, wie schnell wir reagieren; wie stark wir fühlen; was uns begeistert, beruhigt oder Angst macht . und ob wir darauf mit dynamischer Problemlösung reagieren oder uns sicherheitshalber erst mal tot stellen (mehrere Hormone halten das für eine gute Idee). Als offizielle Schnittstelle zwischen Geist und Körper verbinden Hormone Medizin mit Psychologie, Umwelt mit Politik und Arbeitsrecht mit Reizdarm. Sie sind das Thema für Menschen mit Entscheidungsschwierigkeiten.
Aber obwohl wir ahnen, dass sich Körper und Geist irgendwo treffen und zusammen was trinken gehen, wissen wir erstaunlich wenig über diesen Ort oder das, was sie sich dabei erzählen. Was wir noch weniger wissen, ist: warum eigentlich? In unserer Vorstellung wabern die Hormone schließlich ziemlich planlos durch unser Hirn, grätschen ständig wichtigen Gedanken dazwischen, bleiben mit dem Fuß an irgendeinem Kabel hängen und reißen Stecker aus der Wand, sodass wir plötzlich im Dunkeln stehen. («Mein klares Denken war doch gerade noch da?») Aber auch wenn wir «hormongesteuert» gern als Synonym für «hirnlos» benutzen - ohne Hormone wäre unser Gehirn langfristig vor allem eins: aufgeschmissen. Schlaf-, lieb- und motivationslos.
Wir haben also viele gute Gründe, über Hormone zu reden. Fragt sich nur, warum wir es nicht tun? Bei unserer Entscheidungsfindung stellen wir uns fast nie vor, den Teil des Körpers miteinzubeziehen, der sonst zum Herabsenken der Hodensäcke zuständig ist. Oder für die Wanderbewegung von Eibläschen. Und diese Einstellung trifft sich gut mit dem Verhalten der Wissenschaft: Auch die tendiert beim Thema Hormone bis jetzt vor allem zum «Nicht-darüber-Reden» (erste Regel des Hormonklubs). Also zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Denn das ist unsicheres Gelände, und Wissenschaftler sind beruflich verpflichtet, so was zuzugeben. Darum liefern sie uns auch keine klaren Take-home-Messages oder zitierfähige Instagram-Kacheln, sondern eher Sätze wie «Metaboliten von Progesteron, speziell Allopregnanolone, modulieren GABA(A)-Rezeptoren, was in einigen Fällen zu angstlösenden, in anderen zu nervös reizbaren Effekten führt»1 - was uns dann eher mit Take-home-Questions zurücklässt. Oder mit der Herausforderung, daraus eine vernünftige Botschaft zu basteln. («Ah, schreib einfach, Progesteron macht Stimmung!») Immer auf die Gefahr hin, dabei Mythen und Missverständnisse zu produzieren. Die Verkürzung Progesteron = Stimmung wird z.B. sehr explosiv, wenn man anmerkt, dass das gleiche...
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