Schweitzer Fachinformationen
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Es war, als wäre im Cybercafé eine Bombe explodiert. Schlagartig wurde Hari aus seinem Bongjee-Alter-Ego herauskatapultiert. Früher oder später musste das Unvermeidliche eintreten, und eines der Opfer - höchstwahrscheinlich der Moskauer Gangster - schickte jemanden, um ihm die Eier abzuschneiden. Aber woher hätte Hari wissen sollen, dass dieser Tag heute war?
Die anderen Kunden beendeten ihren sinnlosen Zeitvertreib. Scharniere quietschten, und Köpfe lugten aus den Kabinen, während Doc nochmals ewige Anständigkeit und Gottesfürchtigkeit gelobte.
Als wollte er zeigen, wie wenig er an Docs Unschuld glaubte, spuckte Mr. Rhino auf den Schreibtisch. «Wir besitzen Ihren IP-Fingerabdruck, weil wir Ihre Datenpakete abgefangen haben. Mit den Internetprotokollen identifiziert man Computer im Netz. Und Sie waren dumm genug, einen primitiven Server mit raubkopierter Software zu benutzen, noch dazu schlecht konfiguriert. So konnten wir Sie bis in die C. D. Road, Bangalore, Indien, zurückverfolgen.» Es klang furchtbar technisch, und dann zog der Mann sogar einen Stapel Ausdrucke aus seiner Aktentasche.
Doc war vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben sprachlos, und seine Körpersprache verlor alle Geschmeidigkeit. Schließlich gab er ein lahmes «Hier darf jeder eine Kabine anmieten» von sich.
«Sparen Sie sich die Mühe, Bongjee», sagte Mr. Rhino. «Leugnen erhärtet den Verdacht, dass Sie der Autor sind und die Schuld tragen, und erhöht nur die zu zahlende Strafgebühr. Wir können beweisen, dass jeden Tag dasselbe Cybercafé genutzt wird. Und wer sitzt hier jeden Tag? Sie.»
Hari loggte sich aus seinen E-Mail-Accounts aus und löschte die Chronik im Browser. Während der langsame Prozessor die Spuren seiner Aktivitäten tilgte, kippte er seinen letzten Kaffee herunter. Der Countdown lief, bis er mit einem Schildchen am großen Zeh in einer Halle aufgebahrt würde. Er berechnete seine Überlebenschance auf 31:69. Das Universum hatte die Tendenz, sich zu rächen, und es lag im Wesen des kosmischen Gesetzes, dass es keine Tat gab, die nicht durch ein Gegengewicht wieder ausgeglichen wurde. In diesem speziellen Fall bedeutete das, dass er sich in fünf Minuten vielleicht schon auf dem Weg zu seiner nächsten Reinkarnation befand.
Unglücklicherweise hatte das Cybercafé weder eine Hintertür noch einen Notausgang. Der einzige Weg nach draußen führte direkt am Feind vorbei. Hari ging davon aus, dass seine Überlebenschance nach ein paar Schritten nur noch bei 12:88 lag, und war sicher, bald sterben zu müssen. Da hörte er Doc sagen: «Wenn Sie mir eine Beschreibung oder ein Foto geben, kann ich meine Nutzerkartei durchgehen.»
«Das Ressort für Internetkriminalität in der Polizeizentrale wird sich freuen, wenn wir ihnen die Sache mit Ihrem E-Mail-Betrug stecken», antwortete Mr. Rhino.
«Überprüfen Sie die Computer», bot Doc an. Dann entdeckte er Hari und begrüßte ihn mit seinem üblichen «Wie war der Kaffee, Majestic?».
Rhino richtete sein Paar stahlharter, rostverkrusteter, von der Luftverschmutzung blutunterlaufener Augen auf Hari. Der starrte seinerseits in eine Ansammlung schwarzer Mitesser und schiefer Zähne - Eigenschaften, die auf eine ausgeprägte Fähigkeit zum Ärgermachen verwiesen. Er ging einen weiteren Schritt auf den Ausgang zu und wollte sich gerade an dem massiven Rücken des Mannes vorbeizwängen, als Doc ihn aufhielt. Auf seinem Schreibtisch lagen die Ausdrucke von Haris kreativen Ergüssen.
«Hey, Majestic, du kennst doch jeden. Schon mal von einem Bongjee gehört?»
Woher sollte Doc wissen, dass er gerade Haris frühzeitigen Tod riskierte, um sein eigenes Leben zu retten? Hari machte mit dem Kopf die übliche unverbindliche Seitwärtsbewegung.
Einen Kunden zu belügen, dem man Auge in Auge gegenübersteht, ist schwer. Das liegt an der wissenschaftlich belegten Tatsache, dass die meisten menschlichen Wesen mit einem Unterbewusstsein ausgestattet sind, das nicht immer mit ihrem Bewusstsein übereinstimmt. Lästigerweise zieht das Unterbewusstsein die Wahrheit der Fiktion vor. Daher muss ein erfolgreicher Schwindler sich erst selbst hinters Licht führen, nur dann wird seine Lüge zu 99 Prozent für wahr gehalten.
Deshalb versuchte Hari, keine widersprüchliche Körpersprache zu verwenden, und warf einen finsteren Blick auf die Ausdrucke, um seine Missbilligung jeglicher ungesetzlicher Aktivitäten zu demonstrieren. Es war zugleich beängstigend und faszinierend, seine Worte gedruckt zu sehen. Experten hatten untersucht, was er in einer klaustrophobischen Kabine zwischen lauter Perversen geschrieben hatte. Und sie hatten diese Episteln bis hierher zurückverfolgt, um den Autor zu identifizieren.
Jetzt sagte Mr. Rhino zu dem armen Doc: «Wir haben Sie ans Kreuz genagelt, Bongjee. Und wie es weitergeht, überlasse ich meinem Klienten. Es ist in Ihrem eigenen Interesse, dass Sie sich mit ihm einigen.»
Plötzlich war von draußen das gequälte Muhen einer Kuh zu hören, und dann hallte das Schmettern von Metall auf Metall auf der Straße wider.
Auf den fürchterlichen Lärm folgte beängstigende Stille. Sofort drängten neugierige Kunden an Hari und Mr. Rhino vorbei.
Zusammen mit den anderen schlüpfte Hari auf die Veranda, die einmal außen um das Erdgeschoss des Puncherwallah-Komplexes herumführte. Erleichtert sog er die würzigen Abgase der C. D. Road ein. Sogar die Straßen kannte man in dieser Gegend nur unter ihren Decknamen. Die C. D. Road hatte offiziell einen viel längeren Namen, aber um Zeit und Gehirnzellen zu sparen, benutzten die Leute diese Abkürzung. Die richtige Bezeichnung wurde schon so lange nicht mehr benutzt, dass Hari sich nicht erinnern konnte, sie jemals gehört zu haben.
Vom Vorbau hatte man einen Panoramablick auf die C. D. Road. Im letzten Jahrtausend - damals war Hari noch ein Teenager - war die Straße ständig mit vierrädrigen Ambassadors, dreirädrigen Rikschas und zweirädrigen Ochsenkarren verstopft gewesen. Aber die Stadt hatte sich verändert und sowohl hinsichtlich der Autos als auch der Verkehrsstaus aufgerüstet.
Der Verkehr war zum Erliegen gekommen. Im Zentrum der Aufmerksamkeit befand sich ein brandneuer rosa Porsche. Er hatte eine Kuh angefahren, die gerade Plastiktüten verspeiste. Zum Glück war es auf den mit Schlaglöchern übersäten Straßen gar nicht möglich zu rasen, weshalb die Kuh lebendiger war als das Auto und unbeirrt weiter mitten auf der Straße herumhinkte. Auf dem Dach des Porsche lag eine erledigte Straßenlampe.
Schaulustige umringten den Wagen, um mit ihren Handys Nahaufnahmen zu machen. Hari erkannte den Porsche von einem Foto aus einem der Online-Artikel wieder, die er heute Morgen gelesen hatte. Gehörte dieser Schlitten nicht der Kinogöttin Maydum, der Gemahlin des Zelluloid-Gottes Jagatprasiddha?
Tatsächlich. Hari lief die Stufen hinunter und tauchte in die Menge. Als auf der Fahrerseite Jagatprasiddha persönlich ausstieg, gerieten die Fans in Ekstase. Er rieb sich den Rücken - möglicherweise ein Bandscheibenvorfall. Die dralle, ziemlich viele Jahre jüngere Maydum stützte ihn.
Hari betrachtete prüfend das Auto: Die Kühlerhaube war eingedrückt, die Windschutzscheibe zerbrochen, und das Dach hatte eine böse Delle. Ein importiertes Luxusauto reparieren zu lassen würde Tonnen von Rupien kosten, da jede Rupie entsprechend dem heutigen Inflationsbericht nur zwei amerikanische Cent wert war. Dagegen erschien sein eigener Ärger mit Mr. Rhino banal.
Jagatprasiddha war Haris Idol. Der Star hatte als Gepäckträger am Bahnhof angefangen, zehn Minuten von der C. D. Road entfernt. Er war ein kräftiger, hochgewachsener Kerl, ein potenzieller Superman, und wurde bald von einem Filmproduzenten entdeckt. Von da an mehrte sich sein Ruhm. Die anhaltende Inflation und nicht zuletzt neue Werbeverträge trieben die Honorare der Megastars in ungekannte Höhen. Ein durchschnittlicher Held oder die weibliche Hauptfigur einer Fernsehserie durfte nicht mal für einen Eimer lauwarmes Seifenwasser Reklame machen, aber Megastars wie Jagatprasiddha und seine Frau fuhren importierte Autos, die ihnen die Hersteller zu Werbezwecken zur Verfügung gestellt hatten. Obwohl er jetzt unvorstellbar reich war, ging Jagatprasiddha Gerüchten zufolge manchmal zum Bahnhof, trank auf dem Bahnsteig einen Chai und rauchte mit seinen alten Arbeitskollegen eine Bidi-Zigarette. Solchen Geschichten konnten die Leute nicht widerstehen, weshalb sie den Megastar mit ihrer grenzenlosen Liebe überschütteten und sich seine Filme wieder und wieder ansahen.
Hari verschmolz mit der Menge. Ihm fiel auf, dass überall Touristen waren - ein weiterer fester Bestandteil der C. D. Road, da sie sich in der Nähe der Fern- und Busbahnhöfe befand.
Ein junger Mann holte seine Kamera heraus; aus irgendeinem Grund liebten die Ausländer es, indische Straßenkühe in Aktion zu fotografieren. Der Fotoapparat zeigte in Haris Richtung, und er lächelte in der Annahme, er wäre möglicherweise mit auf dem Bild. Außerdem juckte es ihm in den Fingern, Kontakt zu dem Touristen aufzunehmen und ihn zu einem Souvenirladen für überteuerte exotische Produkte zu bringen, der Schleppern eine gute Provision bot.
Dann sah er zufällig zum Puncherwallah-Komplex auf.
Es war ein baufälliges zweistöckiges Gebäude mit Geschäften und Büros, darunter das fliegenschissgroße Kämmerchen von Haris Onkel, das sich im...
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