Dienstag
Steinböck erwachte gegen sieben Uhr morgens mit schrecklichen Kopfschmerzen auf dem Sofa. Irgendwann in der Nacht musste er die Hosen ausgezogen haben. Er betrachtete die Flasche mit dem sündhaft teuren Whisky. Sie war tatsächlich halb leer. Für einen kurzen Moment dachte er daran, einen kleinen Schluck zu nehmen. Er starrte auf seine Hände und stellte fest, dass er das Zittern noch kontrollieren konnte. Zufrieden griff er nach dem Schwarzen Krauser und drehte sich eine Zigarette. Nach zwei Zügen drückte er die Kippe angewidert aus und entschloss sich, erst einmal ausgiebig zu duschen. Die Dusche machte keinen besonders sauberen Eindruck, aber dafür war das Wasser heiß, und er bildete sich ein, dass er damit auf gewisse Weise die Wanne desinfizieren würde. Er drückte sich eine große Menge Zahnpasta auf die Bürste, stellte sich unter den warmen Strahl und versuchte, den ekelhaften Geschmack in seinem Mund wegzuputzen. Für einen Moment glaubte er, den Schatten der Katze vor der Duschwand zu sehen, aber als er die Tür zurückschob, konnte er nichts entdecken.
Steinböck entschloss sich, heute mit dem Wagen ins Kommissariat zu fahren, da er am Nachmittag noch Verschiedenes für die Wohnung besorgen wollte. Die Katze hatte sich bisher noch nicht blicken lassen, so hinterließ er ihr einen gefüllten Napf mit Trockenfutter. Sein Stellplatz war hinter dem Haus, und als er in den Wagen steigen wollte, kam Maxi Müller aus ihrem Wintergarten und winkte ihm zu.
»Guten Morgen, Kommissar. Wann haben Sie heute Zeit, um Hackers Sachen zu packen?«, fragte sie. Maxi Müller merkte, dass er nicht bei der Sache war, und fuhr fort: »Wenn es Ihnen recht ist, packe ich die Sachen zusammen, und Sie tragen die Kisten heute Abend in den Keller. Aurelia kommt gegen zwölf Uhr und würde dann die Wohnung putzen.«
Steinböck hob erleichtert den Daumen.
»Perfekt, ich bezahl sie dann heute Abend.«
»In Ordnung«, sagte sie grinsend, wobei sie bemerkte, wie die Katze gerade hinter Steinböcks Rücken in dessen Auto sprang. »Wie geht es eigentlich Frau Merkel?«
Der Kommissar blickte sie etwas verständnislos an und stieg dann in seinen alten VW-Käfer.
»Bis heute Abend«, brummte er und fuhr langsam mit ein paar Fehlzündungen vom Hof.
*
Als Steinböck gegen 8.30 Uhr das Kommissariat erreichte, stellte er befriedigt fest, dass ihm nach seiner Beförderung zum Ersten Hauptkommissar wenigstens ein eigener Parkplatz zustand. Er stellte den Motor ab, und als er das Auto verlassen wollte, hörte er ein Schnurren, das er aufgrund seiner Kopfschmerzen nicht sofort zuordnen konnte. Er sah in den Rückspiegel und blickte in das Gesicht von Frau Merkel. Für einen kurzen Moment hatte er das Gefühl, dass die Katze heruntergezogene Mundwinkel hatte. Verstört schloss er kurz die Augen.
»Kruzifix, wie bist du hier reingekommen?«, fluchte er. »So eine Scheiße, was mach ich jetzt mit dir? Am liebsten würd ich dich im Auto lassen. Aber wie ich dich kenne, kackst du mir dann mit Fleiß auf den Fahrersitz. Aber ich kann dich auch nicht hier rausschmeißen, mitten in der Stadt. Und dass ich dich jetzt zurückfahre, das kannst du vergessen.«
Steinböck griff sich die Katze und schlug die Wagentür zu. Obwohl er sie ziemlich unsanft unter den Arm geklemmt hatte, schnurrte sie unaufhörlich weiter.
»Ich glaub, das hast du mit Absicht getan. Dafür werde ich dich ab jetzt Frau Merkel nennen. Ich weiß, dass du den Namen nicht magst.« Schlagartig hörte sie zu schnurren auf. Der Beamte an der Pforte grüßte freundlich, rief dann aber, als er die Katze in Steinböcks Armbeuge sah:
»Tiere sind im Kommissariat nicht erlaubt, Herr Hauptkommissar.«
»Das geht schon in Ordnung. Die Katze ist Augenzeuge eines Mordes und zur Vernehmung da. Außerdem muss sie ein Phantombild machen«, brummte er und ließ den Beamten einfach stehen. Endlich erreichte er sein Büro. Er öffnete die Tür und setzte die Katze unsanft auf den Boden.
»Morgen, Chef, Kaffee?«, fragte eine gut gelaunte Ilona Hasleitner. Steinböck sah sie verdutzt an. Es roch nach frisch gebrühtem Kaffee, und es dauerte einen Moment, bis er wieder klar denken konnte. Mein Gott, er hatte sich mit dem Whisky fast sämtliche Erinnerungen an den gestrigen Tag weggesoffen. Er blickte auf den zusätzlichen Schreibtisch und den zweiten Bildschirm. Auf dem Regal stand eine Kaffeemaschine, an die er sich beim besten Willen nicht erinnern konnte. Er deutete darauf.
»Haben wir so etwas hier auf Lager?«, fragte er die junge Polizistin.
»Die hab ich von daheim mitgebracht. Ist es dir nicht recht?«, fragte sie kleinlaut.
»Spinnst du, das ist eine super Idee. Wenn du jetzt noch eine Butterbrezen hättest, wär der Morgen gerettet.«
»Eine oder zwei?«
»Was meinst du?«
»Eine oder zwei Butterbrezen?«
Steinböck schaute sie verdattert an. Dann hob er die Hand und spreizte zwei Finger nach oben.
Hasleitner stand auf, goss ihm eine Tasse Kaffee ein und stellte sie vor ihm auf den Tisch. Dann sagte sie ernst.
»Sei ehrlich, Chef, du hast gestern gesoffen?« Der Kommissar schaute sie verblüfft an.
»Wie kommst du jetzt darauf?«
»Ich bin alleine bei meinem Vater aufgewachsen, weil die Mutter bald nach meiner Geburt gestorben ist. Er hat jeden Abend gesoffen, und du schaust heut genauso aus wie er jeden Morgen«, sagte sie traurig.
»Ich glaub nicht, dass dich das etwas angeht«, sagte er mürrisch. Ilona drehte sich um und ging mit hängenden Schultern zur Tür.
»Ich hol' jetzt die Butter aus dem Kühlschrank.«
Steinböck schaute verblüfft hinter ihr her. Eigentlich wollte er richtig wütend werden, schaffte es aber nicht. Diese empfindlichen Antennen hätte er der jungen Frau nicht zugetraut. Am meisten ärgerte er sich über sich selbst. Er blickte auf die Katze.
Sie sah ihn vorwurfsvoll an, und er war sich nicht sicher, ob sie nicht gerade Arschloch zu ihm gesagt hatte. Dann drehte sie sich um, sprang auf den Stuhl und von dort auf einen Stapel Akten, der auf dem Fensterbrett lag. Sie schaute aus dem Fenster und zeigte Steinböck ihren Hintern, wobei sich ihr Schwanz leicht zuckend hin und her bewegte.
»Frau Merkel«, äffte er in ihre Richtung. Das Zucken des Schwanzes wurde schlagartig stärker, aber sie ignorierte ihn weiterhin. Vorsichtig hob er die bis zum Rand gefüllte Kaffeetasse an die Lippen. Gerade als er trinken wollte, klopfte es. Genervt stellte er die Tasse zurück. Die Tür öffnete sich, und der Leiter des Kommissariats Paul Mögele betrat das Büro. Mögele war Anfang 40, kahlköpfig und trug ständig einen dieser hässlichen Trachtenanzüge. Aus irgendeinem Grund hatte er es geschafft, so jung bereits zum Leiter der Münchner Mordkommission aufzusteigen. Steinböck hatte ihn tatsächlich vor 20 Jahren mit ausgebildet. Schon damals hatte er die Münchner Eigenart, sich mit den meisten Kollegen zu duzen. Selbstverständlich duzte er Mögele weiter, auch wenn dieser versuchte, etwas Distanz zu schaffen, indem er Steinböck plötzlich siezte. »Gibt's schon was Neues zum gestrigen Mordfall?«, fragte er und ließ seinen Blick durchs Büro streifen.
»Mir sind dran. Ich warte noch auf die Untersuchung der KTU und des Pathologen.«
»Gut, ist gerade gekommen«, sagte er und hob einige Akten hoch. »Schauen Sie sich das an, und dann geben Sie mir bis Mittag einen vorläufigen Bericht.«
»Schon gut«, brummte Steinböck. Mögele legte die Akten auf den Tisch. Dann blickte er auf den zweiten Schreibtisch und die Kaffeemaschine.
»Kommen Sie mit der Ilona Hasleitner zurecht oder möchten Sie, dass ich mich nach jemand anderem umschaue?«
Steinböck blickte erschrocken auf.
»Wie kommst du jetzt da drauf? Die Ilona ist schon in Ordnung.«
»Umso besser. Ihr Partner kommt nämlich so schnell nicht. Er ist noch mal für sechs Wochen krankgeschrieben.«
»Was fehlt ihm denn?«
»Burn-out-Syndrom.«
»Ja, dann ist es besser, wenn er sich noch erholt«, sagte Steinböck zufrieden und überlegte ernsthaft, wie es möglich war, bei der Münchner Polizei einen Burn-out zu bekommen.
»Übrigens möchte ich das morgendliche Briefing jetzt jeden Tag durchführen. Das heißt, alle Teams treffen sich morgens um neun im Gruppenraum. Es schadet nichts, wenn die anderen auch einen Überblick über die Fälle ihrer Kollegen haben.«
»Des ist eine gute Idee«, knurrte er und starrte dabei stur auf seinen Kaffee.
»Ist das der Augenzeuge, der ein Phantombild machen soll?«, fragte Mögele grinsend, wobei er auf die Katze deutete. Der Kommissar schaute kurz auf Frau Merkel, die ihm noch immer den Hintern zudrehte und ihn sowie auch Mögele ignorierte.
»Genau«, sagte er und hob die Kaffeetasse erneut an den Mund, fest entschlossen, sie nicht mehr abzusetzen, bevor er nicht einen ordentlichen Schluck genommen hatte.
*
Gerade als Paul Mögele Steinböcks Büro verließ, kam ihm Hasleitner auf dem Gang entgegen. Schnell versteckte sie die Tüte mit den Brezen und die Butter hinter ihrem Rücken.
Der Amtsleiter blieb kurz stehen und sah die junge Frau an.
»Kommen Sie zurecht mit Ihrem neuen Chef?«
»Ja freilich«, antwortete sie erstaunt.
»Also dann passen Sie gut auf. Von dem Steinböck können Sie eine Menge lernen, auch wenn seine Methoden a bisserl seltsam sind.«
Ilona Hasleitner nickte stumm, dann verschwand sie im Büro. Sie ging zu ihrem Schreibtisch, holte ein Messer aus der Schublade und...