Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Während sie ihren Mut zusammenkratzte, um es ein drittes Mal mit der Anwaltsprüfung zu versuchen, arbeitete Penny bei Broome, Broome & Brillstein, der renommiertesten Kanzlei in Manhattan. Ehrlich gesagt war sie gar keine feste Mitarbeiterin. Aber sie war auch keine Praktikantin! Okay, manchmal rannte sie runter zum Starbucks unten im Foyer, um schnell noch ein halbes Dutzend caffè latte und koffeinreduzierte Sojacappuccinos zu holen, aber nicht jeden Tag. An anderen Tagen schickte man sie los, ein paar Extrastühle für eine wichtige Besprechung zu besorgen. Aber sie war keine Praktikantin! Penny Harrigan war keine Anwältin, noch nicht, aber ganz sicher war sie keine kleine Praktikantin.
Die Tage waren lang, hier bei BB&B, aber sie konnten auch aufregend sein. Heute zum Beispiel hörte sie lauten Donner, der zwischen den Wolkenkratzern von Lower Manhattan widerhallte. Es war das Dröhnen eines Hubschraubers, der auf dem Dach landete. 76 Stockwerke über dem Boden, auf dem Heliport ebendieses Gebäudes, landete jemand von immenser Wichtigkeit. Penny stand im Erdgeschoss und jonglierte mit einem schlabberigen Pappdeckel, auf dem ein halbes Dutzend heiße Kaffeebecher stand. Sie wartete auf den Fahrstuhl. Der polierte Stahl der Aufzugtüren zeigte ihr Spiegelbild. Sie war keine Schönheit. Aber auch nicht hässlich. Weder groß noch klein. Ihre Haare sahen hübsch aus, sauber und ordentlich wallten sie um die Schultern ihrer schlichten Brooks-Brothers-Bluse.
Ihre braunen Augen blickten groß und aufrichtig. Im nächsten Augenblick wurde ihr glatthäutiges, ruhiges Gesicht ausgelöscht.
Die Fahrstuhltüren glitten auf und eine Traube von bulligen Männern quoll aus der Kabine, wie ein angreifendes Footballteam in identischen marineblauen Anzügen. Als wollten sie einem Star-Quarterback den Weg bahnen, drängten sie aus dem Aufzug und schoben die ungeduldig Wartenden beiseite. Auch Penny war gezwungen, zur Seite zu treten, und unwillkürlich reckte sie den Hals, um zu sehen, wen die Männer da abschirmten. Alle, die eine Hand frei hatten, streckten den Arm nach oben und schossen mit ihren Handys Fotos und Videos aus der Vogelperspektive. Penny konnte durch den vorbeistürmenden Wall von blauem Stoff nichts erkennen, aber sie konnte nach oben schauen und das berühmte Gesicht auf den Displays der zahllosen Aufnahmegeräte sehen. Das Foyer war erfüllt von elektronischen Klicklauten. Vom Rauschen und Knistern von Sprechfunkgeräten. Und hinter alldem hörte man ein gedämpftes Weinen.
Die Frau auf den kleinen Displays der Myriaden Handys tupfte sich mit der Ecke eines Taschentuchs die Wangen. Das Leinen und die Spitze waren bereits mit Tränen und Mascara verschmiert. Selbst mit der überdimensionalen Sonnenbrille war das Gesicht unverkennbar. Und falls es noch irgendwelche Zweifel gegeben hätte, wurden sie von dem blendenden blauen Saphir ausgeräumt, der zwischen ihren perfekten Brüsten baumelte. Falls man dem glauben durfte, was man in der Kassenschlange im Supermarkt lesen konnte, dann war es der größte makellose Saphir der Geschichte, fast 200 Karat schwer. Dieser Stein hatte die Hälse ägyptischer Königinnen geziert. Römischer Kaiserinnen. Russischer Zarinnen. Es war für Penny unmöglich, sich vorzustellen, worüber eine Frau, die ein solches Juwel trug, wohl weinen mochte.
Plötzlich ergab alles einen Sinn: der Hubschrauber, der irgendeine Megaberühmtheit auf dem Gebäudedach absetzte, während diese traumatisierte Schönheit im Erdgeschoss nach draußen eilte. Die Seniorpartner der Kanzlei nahmen heute eidesstattliche Aussagen auf. Es ging um den großen Unterhaltsprozess.
Die Stimme eines Mannes in der Menschenmenge rief: »Alouette! Alouette! Lieben Sie ihn noch?« Eine Frau rief: »Würden Sie ihm noch eine Chance geben?« Die Menge schien ihren kollektiven Atem anzuhalten und verstummte, als warte sie auf eine Offenbarung.
Die weinende Schönheit, eingerahmt in die kleinen Bildsucher von hundert Handys, dokumentiert aus jeder Richtung und jedem Winkel, hob ihr elegantes Kinn und sagte: »Ich lasse mich nicht abservieren.« Zersplittert in all diese verschiedenen Perspektiven, schluckte sie. »Maxwell ist der beste Liebhaber, den ich jemals hatte.«
Eine neue Salve von Fragen ignorierend, bahnte sich das Sicherheitsteam seinen Weg durch die Menge der Neugierigen zum Gebäudeausgang, wo bereits eine Wagenkolonne wartete. Im nächsten Moment war das Spektakel vorüber.
Die Frau im Mittelpunkt der ganzen Aufregung war die französische Schauspielerin Alouette D'Ambrosia gewesen. Sie war sechsfache Gewinnerin der Goldenen Palme. Vierfache Oscarpreisträgerin.
Penny konnte es kaum erwarten, ihren Eltern zu mailen und von dieser Szene zu berichten. Das war einer der Vorteile, wenn man bei BB&B arbeitete. Auch wenn sie hier nur Kaffee holte, war Penny froh, dass sie von zu Hause fortgegangen war. In Nebraska bekam man niemals Filmstars zu Gesicht.
Die Wagenkolonne fuhr ab. Alle schauten noch in die Richtung, in der sie verschwand, als eine vertraute Stimme rief: »Omaha-Mädchen!«
Es war eine Kollegin aus der Kanzlei, Monique. Sie schnippte mit den Fingern und winkte, um Pennys Aufmerksamkeit zu erregen. Neben Monique mit ihren kunstvollen Porzellanfingernägeln voller blitzender österreichischer Kristalle und ihren Extensions, in die Perlen und Federn eingeflochten waren, fühlte Penny sich immer wie ein unscheinbarer grauer Spatz.
»Hast du gesehen?«, stammelte Penny. »Das war Alouette D'Ambrosia!«
Monique schlängelte sich durch die Menge und rief: »Omaha-Mädchen, du wirst im 64. gebraucht.« Sie nahm Pennys Ellbogen und zog sie zum wartenden Aufzug. Die Pappbecher mit dem heißen Kaffee gluckerten und drohten überzuschwappen. »Der alte Brillstein hat das ganze Team zusammengetrommelt, und sie schreien nach zusätzlichen Stühlen.«
Pennys Annahme war also richtig gewesen. Es ging um die eidesstattliche Aussage. Der Unterhaltsprozess D'Ambrosia gegen Maxwell. Jeder wusste, dass es sich nur um ein juristisches Manöver handelte. Einen Publicitygag. Der reichste Mann der Welt war 136 Tage lang mit der schönsten Frau der Welt liiert gewesen. Genau 136 Tage. Penny kannte alle Details des Falles aus der Warteschlange im Supermarkt. In New York waren die Kassiererinnen so langsam und mürrisch, dass man den kompletten National Enquirer von vorne bis hinten lesen konnte, während man darauf wartete, endlich seinen schmelzenden Ben-&-Jerry's-Buttertoffee-Eisbecher bezahlen zu dürfen. Der Regenbogenpresse zufolge hatte der Milliardär der Frau den größten Saphir der Welt geschenkt. Sie hatten Urlaub auf den Fidschis gemacht. Die glorreichen Fidschis! Und dann hatte er die Beziehung beendet. Bei jedem anderen wäre das vermutlich das Ende der Geschichte gewesen, aber dieses Paar stand im Zentrum der weltweiten Aufmerksamkeit. Wahrscheinlich um ihr Gesicht zu wahren, verlangte die geschasste Geliebte jetzt 50 Millionen Dollar als Entschädigung für emotionale Grausamkeit.
Als sie einen der Aufzüge betraten, rief eine fröhliche Stimme quer durch das Foyer: »Yo, Landei!« Die beiden Frauen drehten sich um und sahen einen grinsenden, rotwangigen jungen Mann in einem Nadelstreifenanzug auf sie zusprinten. Er schlug Haken um die anderen Leute und war nur noch ein paar Schritte entfernt. »Haltet den Fahrstuhl auf!«, rief er.
Aber Monique drückte stattdessen auf den Knopf, der die Türen schloss. Wiederholt stach sie mit ihrem juwelenbesetzten Daumen auf den Knopf ein, als sende sie ein Notsignal im Morsecode. Penny lebte jetzt seit sechs Monaten im Big Apple, aber noch nie hatte sie gesehen, dass jemand einen Aufzugknopf weniger als 20-mal drückte. Die Türen schlossen sich mit einem dumpfen Geräusch, nur Zentimeter vor der Adlernase des jungen Anwalts, und sperrten ihn aus.
Sein Name war Tad. Er flirtete jedes Mal mit Penny, wenn er sie traf. Sein Spitzname für sie war »Landei« und er repräsentierte das, was ihre Mutter »einen guten Fang« nennen würde. Penny hingegen vermutete etwas anderes. Insgeheim spürte sie, dass er ihr nur deshalb Aufmerksamkeit schenkte, weil er sich bei Monique einzuschmeicheln versuchte. Es war der altbekannte Trick, mit dem ein Mann sich an eine schöne Frau heranmachte, indem er um ihren fetten, stinkenden Hund herumscharwenzelte.
Nicht dass Penny stinken würde. Oder fett wäre. Nicht wirklich.
Und nicht dass es Monique interessiert hätte. Mit ihrer schrillen, bauernschlauen Art war sie mehr auf der Jagd nach einem Hedgefonds-Manager oder einem frischgebackenen russischen Oligarchen. Ungeniert erzählte sie jedem, dass ihr einziges Ziel im Leben darin bestehe, in einem Stadthaus in der Upper East Side zu leben, Pop-Tarts zu mampfen und den ganzen Tag im Bett abzuhängen. Mit einem mächtigen, vorgetäuschten Seufzer der Erleichterung sagte sie: »Omaha-Mädchen, wann lässt du endlich diesen armen Jungen seinen glitschigen kleinen Hering in dich reinstecken?«
Penny fühlte sich nicht im Geringsten geschmeichelt von Tads Zwinkern und Hinterherpfeifen. Sie wusste, dass sie nur der hässliche Hund war. Das Sprungbrett.
An Bord des Fahrstuhls taxierte Monique Pennys Alltagsoutfit. Monique stemmte eine Hand in die Hüfte und hob ihren Zeigefinger. An keinem Finger der modisch gestylten Frau war Platz für auch nur einen weiteren glitzernden Ring. Monique schürzte die Lippen mit den drei unterschiedlichen Schattierungen von rotem Lipgloss und sagte: »Mädchen, ich mag deine Retrofigur!« Mit einem Kopfschwung schleuderte sie ihre Perlenzöpfe über die Schulter. »Ich finde es toll, dass du dir nichts draus machst, so kräftige...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: ohne DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet – also für „glatten” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Ein Kopierschutz bzw. Digital Rights Management wird bei diesem E-Book nicht eingesetzt.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.