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Selbst nach den Maßstäben Nordkoreas - eines Landes, das auf perfekte Weise Propaganda betreibt - hätte man sich für die Bestattung Kim Jong-ils am 28. Dezember 2011 kein passenderes Wetter wünschen können. Es war kalt und grau, und es schneite. Das Weiß des Schnees bildete einen idealen Kontrast zu dem schwarzen Leichenwagen mit dem Sarg und zur Kleidung der Trauernden: Ausdruck der Wehmut des Volkes, das von seinem geliebten Führer Abschied nahm. Nach dem Tod Kim Il-sungs, dem Staatsgründer, hatte er seit 1994 über das Land geherrscht. Während sich der Trauerzug durch den Schnee bewegte, standen die Nordkoreaner schluchzend am Straßenrand, fielen in Ohnmacht und wurden von Weinkrämpfen geschüttelt, auch wenn diese Gefühlsausbrüche vermutlich nicht immer echt waren. Männer und Frauen, Soldaten und Arbeiter, die Jungen und die Alten, alle schlugen sich an die Brust oder klammerten sich aneinander, um Trost zu finden, oder stampften in ihrer Pein mit den Füßen. Das Dröhnen dieser kollektiven Klage war ohrenbetäubend, und es berührte wahrscheinlich auch jene in der Menge, die nicht die leidenschaftliche Liebe zu dem toten Führer teilten, der mit eiserner Hand regiert hatte.
Angeführt wurde die Prozession von dem jungenhaft wirkenden Kim Jong-un, dem neuen Führer Nordkoreas. Er bewahrte Haltung und folgte dem Sarg ruhig und gemessen, doch seine angespannten Züge und seine Tränen verrieten den tiefen Schmerz, den er sicherlich empfand. Schließlich war er jetzt eine Waise, denn seine Mutter war an Brustkrebs gestorben, als er zwanzig Jahre alt war.
Kim Jong-il, der Diktator, Vater und Filmliebhaber, wäre von diesem Finale in jeder Hinsicht angetan gewesen.
Kim Jong-ils Tod am 17. Dezember 2011 - aufgrund von »Arbeitsüberlastung«, wie es in den nordkoreanischen Staatsmedien hieß - kam nicht überraschend. Jeder wusste um seine gesundheitlichen Probleme - Ende 2008 hatte er bereits einen Schlaganfall erlitten.1 Es war zu erwarten gewesen, dass ihm eines Tages die familiäre Vorbelastung mit Herzerkrankungen, das starke Rauchen und Trinken sowie seine ausschweifenden Partys zum Verhängnis werden würden. Auch sein Vater Kim Il-sung war einem Herzinfarkt erlegen. Doch seltsamerweise löste der Tod von Kim Jong-il einen Schock aus.
Zur Zeit der Bestattung arbeitete ich noch nicht lange als Analystin bei der Central Intelligence Agency, ich hatte dort erst 2009 angefangen, kurz nach Kims Schlaganfall. Als er bei der Zusammenkunft der sogenannten Obersten Volksversammlung im Frühjahr zum ersten Mal wieder in der Öffentlichkeit auftrat, war er erschreckend dünn, das einst rundliche Gesicht war eingefallen, und die Wangenknochen traten deutlich hervor. Er ging langsam und schleppend.
Angesichts seines Todes wurde die Welt von einer spürbaren Angst erfasst. Südkorea berief seinen Nationalen Sicherheitsrat ein und versetzte die Armee und den Zivilschutz in höchste Alarmbereitschaft.2 Japan richtete einen Krisenstab ein,3 und das Weiße Haus verkündete in einer Stellungnahme, es stehe »in engem Kontakt mit den Verbündeten in Südkorea und Japan«. Ich weiß noch, dass ich im CIA-Hauptquartier in Langley, Virginia, besorgt auf kleinste Anzeichen der Instabilität des Regimes in Pjöngjang achtete und mich fragte, welchen Weg Nordkorea unter seinem jugendlichen neuen Führer einschlagen würde.
Das nordkoreanische Regime beeilte sich jedoch, etwaige Zweifel und Irritationen im Hinblick auf den neuen Herrscher zu zerstreuen. Die Medien bejubelten pflichtgemäß sein »herausragendes« Leben, seine brillanten Führungsqualitäten und seine Rolle als »Vater der Nation und Leitstern der Wiedervereinigung des Vaterlands«. Unter Kim Jong-un sei die Zukunft sicher:
Heute steht Genosse Kim Jong-un, der Große Nachfolger, an der Spitze unserer Revolution . Alle Parteimitglieder, die Soldaten und Offiziere der Volksarmee und das Volk sollten vertrauensvoll die Führung des Genossen Kim Jong-un unterstützen, sie sollten mit aller Kraft die echte Einheit der Partei, der Armee und des Volkes verteidigen und sie weiter stark machen wie Stahl .
Der Weg unserer Revolution ist mühselig, und die derzeitige Situation ist hart, aber es gibt auf der ganzen Welt keine Kraft, die das revolutionäre Voranschreiten unserer Partei, unserer Armee und unseres Volkes unter der weisen Führung des großen Genossen Kim Jong-un aufhalten kann.4
Das nordkoreanische Regime scheute sich nicht, den jungen, unerfahrenen neuen Führer zum Helden zu stilisieren.
Für Kim Jong-un war die Beisetzung seines Vaters der Höhepunkt eines öffentlich demonstrierten Erbfolgeprozesses, der bereits ein paar Jahre zuvor begonnen hatte. Damals hatte der britische Botschafter in Pjöngjang berichtet, Regierungsvertreter hätten bei nationalen Ereignissen neben Kim Jong-il auch seinen Sohn, den »jungen General«, gefeiert.5 Achtzigjährige Regimemitglieder hätten sich im staatlichen Fernsehen tief vor Kim Jong-un verbeugt.6 Das Regime warb nicht nur für die Kontinuität durch eine Weitergabe der Macht von Kim zu Kim, sondern stilisierte den jungen Mann auch zur Reinkarnation seines verehrten Großvaters - er trug den gleichen dunklen Mao-Anzug und denselben Haarschnitt, und sogar sein Leibesumfang glich dem des Staatsgründers.
Unklar blieb allerdings, ob Kim Jong-un überhaupt die Bürde als neuer nordkoreanischer Führer auf sich nehmen wollte. Und wenn die Eliten ihn nicht akzeptierten, würde es vielleicht zu einer Destabilisierung des Landes, zu massenhaftem Loyalitätsverlust und einer Flüchtlingsflut, zu blutigen Säuberungen und womöglich sogar zu einem Militärputsch kommen. Würde ein unbesonnener und keinerlei Beschränkungen unterliegender Kim seine neue Macht, zu der auch die Befehlsgewalt über ein von seinem Vater aufgebautes Atomwaffenarsenal gehörte, leichtfertig für ein militärisches Abenteuer nutzen? War es sein Ziel, die Politik und das Verhalten des Landes allein zu bestimmen, oder würde er sich offen zeigen für Ratschläge aus seinem Umfeld? Asien-Kenner sagten voraus, Kim werde bald gestürzt oder gar getötet werden: »Das Nordkorea, das wir kennen, gibt es nicht mehr. Ob es nun in den nächsten Wochen oder im Lauf von Monaten kollabiert - das Regime wird sich nicht halten können.« Zweifellos würde jemand, der gerade erst Mitte zwanzig war und keinerlei Führungserfahrung besaß, rasch von den Veteranen des Regimes entmachtet werden. Die Bevölkerung würde keinesfalls eine zweite dynastische Nachfolge, die ohnehin für den Kommunismus beispiellos war, dulden. Erschwerend kam hinzu, dass Kims Jugend in einer Gesellschaft, in der die Weisheit und die Erfahrenheit des Alters einen hohen Stellenwert besitzen, ein entscheidendes Manko war. Selbst wenn es Kim gelang, seine Position zu wahren, indem er sich durch das Festhalten an den Atom- und Raketenprogrammen des Landes Legitimität und Prestige verschaffte, schien der Zusammenbruch Nordkoreas näher denn je.
Als Kim mit ernster Miene neben dem Leichenwagen mit dem Sarg seines Vaters entlangschritt, war er umringt von älteren Parteifunktionären und Militärs, der sogenannten »Siebener-Bande«. Ihre prestigeträchtige Rolle bei der Trauerfeier und die symbolische Platzierung an der Seite des Nachfolgers legten nahe, dass Kim Jong-un die Unterstützung der alten Garde genoss und der Status quo erhalten bleiben würde. Die meisten Beobachter sahen in diesen sieben Veteranen des Regimes die mutmaßlichen Mentoren des jungen Führers, zumindest in der nahen Zukunft.7 Einige prophezeiten auch eine Umgestaltung des Personenkults der Familie Kim: Kim Jong-un werde als Aushängeschild dienen, doch in Wirklichkeit würden die »Regenten« die Zügel in der Hand halten und die Geschicke des Landes lenken.
So sah die Lage damals aus. In den folgenden Jahren nutzte Kim die Mechanismen der autoritären Herrschaft - Repression und Angst, die Bindung der Eliten an sein Regime sowie die Kontrolle über die Streit- und Sicherheitskräfte -, um seine Macht zu festigen und den Personenkult weiter auszubauen, mit dem schon die Legitimität seines Großvaters und seines Vaters als alleinige Führer Nordkoreas untermauert worden war. Aber Kim Jong-un begnügte sich nicht damit, die vorhandenen Kontrollmechanismen aufrechtzuerhalten. In der Zeitschrift Asian Perspectives beschreibt Patrick McEachern, Analyst im US-Außenministerium und aufmerksamer Beobachter Nordkoreas, wie Kim seine Macht bündelte, indem er die Kompetenzen von Militär und Kabinett einschränkte und die Partei der Arbeit Koreas unter seine alleinige Führung stellte.8 In den ersten beiden Jahren seiner Herrschaft eliminierte Kim fünf Mitglieder der Siebener-Bande: Einer wurde hingerichtet, die Übrigen wurden degradiert oder auf andere Weise aus ihrem Amt entfernt und ins Abseits gedrängt. Gleichzeitig übernahm er selbst wichtige Führungspositionen.9 Seine angeborene Flexibilität und Anpassungsfähigkeit wurden insbesondere sichtbar, als er seine Instrumente der Zwangsherrschaft schärfte: Er nutzte neue Technologien (Internet) ebenso wie alte (chemische und biologische Waffen) und arbeitete mit Hochdruck daran, Nordkorea einen Platz in der Welt als Atommacht zu verschaffen, die das Potenzial besaß, die Vereinigten Staaten anzugreifen.
Trotz Kim Jong-uns enormem Einfluss auf das gegenwärtige geopolitische Geschehen und der Gefahr, die er für die weltweite Sicherheit darstellt, wissen die meisten Menschen so gut wie nichts über ihn. Die Faszination, die Nordkorea auslöst, hat zu einer Flut von Artikeln, Dokumentarfilmen und Experteninterviews geführt, die den...
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