Kapitel 2
Technobeats hallen durch den großen Saal. Über mir schwebt eine riesige beleuchtete Kugel, die Lichtflecken auf alles wirft. Um mich herum tanzen zu viele Menschen. Ich spüre ihre Paliettenkleider und rieche süße Parfüms. Wir sind erst seit einer Stunde im Nachtclub und ich habe es schon satt.
Clary hat sich bereits eine Tanzpartnerin geangelt, die echt edgy aussieht. Timothy hat ein Bier in der Hand und flirtet ausgelassen mit allen Tänzern, die sich in die Nähe seiner fuchtelnden Arme wagen. Ich dagegen bewege mich auf den High Heels zu gestelzt, blocke Typen ab, die mich schon anfassen, bevor ich sie überhaupt sehe, und starre zu der Empore, in der die Special Guests erwartet werden.
Wenn in einer Viertelstunde kein Promi auftaucht, den ich kenne, mach ich die Fliege, denke ich genau in dem Moment, in dem mir jemand von hinten einen Drink überschüttet. Das kalte Getränk durchweicht meine Haare und rinnt meinen Rücken hinab.
»Was zur Hölle«, schreie ich, drehe mich erschrocken um und stoße ihn vor die Brust, sodass er einen Schritt vor mir zurücktaumelt. Ich starre einem verschreckten Jungen in die Augen.
»Pass doch auf«, schimpfe ich. Mir läuft sein Bier über den Rücken. Mein Kleid, die Strumpfhose und Unterwäsche sind bereits klatschnass, während er mich wie ein Reh anstarrt.
»Sorry, sorry, sorry«, stammelt er und weicht vor meinem bösen Blick zurück.
Meine Wangen werden heiß, als ich begreife, dass ich völlig überreagiert habe. »Tut mir leid«, erwidere ich verlegen. »Ich hab mich erschreckt.«
Der Junge blinzelt ein paarmal, dann ruft er mir über die Musik hin weg zu: »Hier, nimm den.« Mit den Worten nimmt er seinen Schal ab und reicht ihn mir. Bevor ich noch etwas sagen kann, windet er sich zwischen zwei Paaren durch, die eng umschlungen tanzen.
Ich starre auf den weichen Kaschmirschal in meiner Hand. Mit einem Schulterzucken drücke ich ihn mir auf den nassen Stoff an meinem Hintern. Da legt sich ein Arm um meine Schultern. Timothy zieht mein Ohr an seinen Mund. »Die Special Guest sind da! Enttäusch mich nicht!«
Mein Blick schnellt zur Empore. Ein Mann steht am Geländer und starrt in die Menge. Er ist groß und breitschultrig. Das Haar schimmert im Licht und ich erkenne einen funkelnden Stecker an seinem Ohr. Sein Gesicht bleibt in den flackernden Schatten verborgen.
Jemand rempelt mich an, doch bevor ich mich erneut beschweren kann, zieht Timothy mich aus der Menge zur Bar. Die ganze Zeit sehe ich zu dem attraktiven Typen hinauf, der die Tanzenden mit einem wehmütigen Ausdruck betrachtet, bis ich sein Gesicht erahnen kann. Sein Blick bleibt im selben Augenblick an mir hängen, und ich begreife, dass ich ihn anstarre. Schnell senke ich den Blick. Mist. Er hat mich ganz sicher gesehen.
»Nicht weggucken!«, ruft Timothy entsetzt. Ich atme einmal tief ein und hebe den Blick wieder. Meine Wangen glühen und das Adrenalin rauscht mir durch die Adern. Wieso habe ich mich auf diesen Mist eingelassen? Vielleicht wäre es besser, in der Unbekanntheit zu versinken, als mich an einen Promi ranzuschmeißen, nur um mein Business voranzutreiben.
Inzwischen haben auch einige andere den Mann bemerkt. Einige Mädels kreischen. Als er den Mund verzieht und sich aufrichtet, huscht ein Scheinwerfer über sein Gesicht. Ich kenne dieses Gesicht, aber woher? Von einer Serie? Sein Körper spricht eigentlich eher für Sportler, aber ich komme nicht darauf . Noch während ich seine imposante Gestalt bewundere, verschwindet er in den Schatten der Empore.
Ich atme erleichtert auf. Ein Stoß trifft mich im Rücken. Ich funkle Timothy wütend an, doch er deutet nur auf die Treppe nach oben und reißt die Augen auf. Mit einem schalen Geschmack im Mund wende ich mich wieder um und starre die Treppe an. Sie wird von einem Security-Mann bewacht, der gerade zwei Mädels durchlässt, die eindeutig auf eine heiße Nacht aus sind. Blond, schlank, spärlich bekleidet.
»Deine Chance«, schreit mir Timothy ins Ohr. »Komm schon, Süße! Du schaffst das!« Ich würde mich lieber mitten auf der Tanzfläche übergeben, als mich dem Security anzubiedern.
Du musst bekannt werden. Und dafür musst du unter die richtigen Leute, höre ich Raphis Stimme. Ich kann dir nur Gelegenheiten schaffen, du musst sie ergreifen. Und wenn du das nicht tust, weiß ich nicht, ob ich dich länger vertreten kann. Mein Sargnagel.
Ohne Raphi habe ich bisher noch keinen einzigen Kunden an Land gezogen. Sie ist verdammt gut darin, Leute zu finden, die mich buchen, auch wenn ich ein schwieriger Fall bin. Ohne die Unterstützung meiner Agentin könnte ich sofort die Koffer packen.
Ich habe keine andere Wahl. Also gehe ich mit wiegenden Hüften auf den Security-Mann zu, der gerade drei Betrunkene abwimmelt. Mein Lächeln habe ich für die Livestreams stundenlang geübt und es sitzt perfekt, auch wenn es sich wie eine Grimasse anfühlt.
»Darf ich hoch?«, frage ich zuckersüß und streife den Arm des Securitys. Sein Blick checkt mich schnell und professionell ab. Dann nickt er und deutet auf die Treppe.
Verdutzt gehe ich an ihm vorbei. Unsicherheit kriecht mir den Rücken hinauf, ob das ein Versehen war, doch ich darf mich jetzt nicht umsehen. Am oberen Ende der Treppe stehen bereits zwei Männer, die T-Shirts einer teuren Marke und glitzernde Ketten tragen. Sie betrachten mich wie Frischfleisch, als ich mich ihnen langsam nähere.
»Hi.« Ich grinse die beiden an. »Lasst ihr mich durch?«
Ihre Blicke bleiben etwas zu lange an meinem Ausschnitt hängen, doch sie winken mich weiter.
»Fühl dich wie zu Hause«, sagt einer und zwinkert mir zu, der andere gibt mir einen Klaps auf den Hintern, als ich fast an ihnen vorbei bin.
Ich werfe ihm einen wütenden Blick zu, doch als ich seine anzüglich zuckende Augenbraue sehe, entscheide ich, dass ich mir diese Chance nicht von einem dahergelaufenen Idioten kaputt machen lassen darf. Neugierig sehe ich mich auf der Empore um. Es gibt einige Couches. Auf allen Tischen stehen Gläser. Beinahe könnte man meinen, hier wird schon eine ganze Weile gefeiert. Dabei ist dieser Bereich erst seit kaum zehn Minuten gefüllt.
Am Geländer entdecke ich nicht mehr den Mann, dafür einige Frauen, die mit einem drahtigen Typen rummachen und sich dabei fotografieren. Ich wende verlegen den Blick ab. Langsam wird mir klar, dass alle Männer hier oben trainiert sind. Auch wenn sie völlig unterschiedliche Figuren haben, gibt es keinen, der unsportlich aussieht. In mir keimt der Verdacht, dass sie zu einer Sport-Mannschaft gehören.
Ich atme langsam aus, während ich mich nach einem Drink umsehe. Hier gibt es keine Bar, aber ein Kellner bemerkt meinen Blick und kommt zu mir. »Was darf es sein?«
Ich überlege nur kurz, bevor ich sage: »Screaming Orgasm.« Der Typ sieht mich etwas verstört an. Mit einem leichten Seufzen erkläre ich: »Ein Cocktail mit Sahne, Kaffee und Baileys.« Der Kellner nickt verlegen, bevor er noch ein paar andere Bestellungen aufnimmt, die offenbar weniger exotisch sind. Mal gucken, ob der Barkeeper weiß, was ich meine.
Ich habe keinen echten Plan, wie ich zwischen den ganzen Mädels herausstechen soll, die sich unter die Sportler gemischt haben. Jede Einzelne von ihnen sieht toll aus. Lange Haare, knappe goldene und schwarze Kleider, lange Nägel und unglaublich lange Wimpern. Im Vergleich zu diesen Frauen bin ich völlig underdressed.
Und leider kommt mir hier oben kein einziges Gesicht bekannt vor. Den gutaussehenden Typen, den ich am Geländer gesehen hatte, entdecke ich auch nicht. Vielleicht sollte ich mich einfach in eine der Gruppen mischen und auf das Beste hoffen?
»Und bist du auch eins der Luckygirls?«, fragt eine tiefe Stimme hinter mir.
Ich wende leicht den Kopf und sehe nur eine breite Brust. Der Kerl, der mir gegenübersteht, ist bestimmt zwei Meter groß! Mit einem leichten Lächeln weiche ich etwas zurück, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Er kommt mir irgendwie bekannt vor. Die blondierten kurzen Haare kontrastieren mit seiner dunklen Haut. Diese kantigen Wangenknochen und das breite Lächeln habe ich schon in Sportshows gesehen.
»Luckygirls?«, frage ich mit hochgezogenen Brauen. »Weil ich Glück hatte, hier hochzudürfen?«
Er grinst ein Zahnpastalächeln und schüttelt leicht den Kopf. Gleichzeitig arbeitet mein Gehirn auf Hochtouren, um herauszufinden, wer er ist. »Wird Zeit, dass Lucky über Leandra hinwegkommt.« Ich erstarre. Lucky? Leandra? Und dann fällt der Groschen: Das hier sind die New York Sailors! Das Footballteam, das gerade in aller Munde ist! Mein Mund öffnet sich zu einem erstaunten »Oh«, während mein Blick noch einmal über die Männer huscht, die sich hier vergnügen.
»Ihr hattet heute ein Spiel, oder?«, frage ich, denn ich bin gerade sehr dankbar für den freundlichen Mann, der meine Hilflosigkeit bemerkt hat. Vielleicht reicht es ja schon, wenn ich mich eine Weile mit ihm unterhalte und wir dann ein paar Fotos zusammen machen. Ich bin mir fast sicher, dass er berühmt ist, auch wenn er viel zu bodenständig dafür wirkt.
Der Footballspieler verzieht das Gesicht. »Du hast das Spiel nicht gesehen?« Mein Kopfschütteln bringt ihn wieder zum Grinsen. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich erleichtert oder empört sein sollte.« Er scheint kurz nachzudenken, bevor er beschließt: »Erleichtert. So hast du wenigstens die Schmach nicht gesehen.«
»Tut mir leid«, murmle ich, da mir nichts Besseres einfällt.
»Ich bin übrigens Jack, der Center.« Er legt mir einen Arm um die Schultern und führt mich zu einer Couch, die von einer Gruppe Frauen umstanden wird. Ich komme nicht dazu, Jack zu fragen, was ein Center ist, da lande ich...