Schweitzer Fachinformationen
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Berlin Kurfürstendamm: In den Zwanzigerjahren hat die Flaniermeile einen ganz anderen Charakter als die Prachtstraße Unter den Linden. Kein Stadtschloss, keine Universität, keine Staatsbibliothek, keine in Stein gehauene Tradition und Gemächlichkeit, sondern kreative Unruhe, gehobenes Amüsement und ein pulsierendes Nachtleben, Läden, die eröffnet, ausgebaut werden und irgendwann wieder verschwinden, Mode- und Fachgeschäfte, Cafés und Tanzlokale, Theater und Galerien.
Am Ku'damm 232 sind es zum Beispiel die Ausstellungsräume jener Künstler, die sich in der »Berliner Secession« zusammengeschlossen haben und die Kaiser Wilhelm II. seinerzeit - »Kunst aus der Gosse!« - aus seinem Gesichtskreis verbannte.1 Nebenan ein Atelier für fotografische Porträts. Ein Schaukasten auf dem Bürgersteig lenkt die Aufmerksamkeit der Passanten auf das Studio:2 Kinder- und Prominentenfotos, Tanz- und Theateraufnahmen, dazu die Anzeige »Ausbildung von Amateuren und Berufsphotographen«.3
Wer ein Atelier am Ku'damm 230 führt, der möchte »modern sein wie der Boulevard selbst«.4 Die Fotografin Suse Byk hat namhafte Kundschaft. Der Maler Max Liebermann, der Dichter Alfred Döblin oder die Sozialreformerin Alice Salomon lassen sich von ihr porträtieren. In ihrem Studio lernen die spätere Modefotografin Yva oder die Architekturfotografin Lore Feininger. Suse Byk führt viele junge Frauen in ihr Metier ein und ermutigt sie zum Schritt in die Selbstständigkeit.
Ihre spärlich überlieferten Äußerungen zur Fotografie klingen zurückhaltend. Als Fotografin müsse sie sich in Menschen hineinversetzen, nicht nur ihre schöne Seite sehen, »sondern ihr Wesen schon bei kurzem Kennenlernen erfassen«. Nur so sei es möglich, sie in einem für sie charakteristischen Augenblick wiederzugeben.5
Von Porträts erwartet sie vor allem Lebendigkeit. Den Auslöser im richtigen Moment zu betätigen setzt ihrer Ansicht nach eine wache, einfühlsame Beobachtung voraus. Passend dazu die Erinnerungen der von Lampenfieber geplagten Schauspielerin und Tänzerin Valeska Gert, der Suse Byk die Scheu vor den Aufnahmen nimmt: »Sie filmte so leicht und so elegant, dass ich jede Angst verlor und eine Riesenfreude an dieser Arbeit bekam.«6
Der erste Kontakt der Fotografin zu Albert Einstein könnte über ihren Cousin zustande gekommen sein. Alfred Byk ist ein ehemaliger Assistent Max Plancks und Professor für physikalische Chemie. Regelmäßig besucht er die Veranstaltungen der Physikalischen Gesellschaft am Reichstagufer und nimmt teil an den Diskussionen über die Relativitäts- und Quantentheorie.
Als ältester Sohn des jüdischen Chemiefabrikanten Heinrich Byk ist er mit den angewandten Wissenschaften groß geworden. Die väterliche Firma produziert Schlafmittel, die auch bei der Narkose eingesetzt werden, und profitiert davon, dass sich die Fotografie immer breiteren Bevölkerungsschichten öffnet.7 In einem ihrer Werke werden lichtempfindliche Emulsionen und Fotopapiere angefertigt und in einer eigens dafür eingerichteten Forschungsabteilung der rasanten technischen Entwicklung angepasst.
Kurzzeitig hat auch Heinrich Byks jüngerer Bruder Siegmund in dem Unternehmen mitgewirkt. Er ist ebenfalls Chemiker und der Vater von Suse Byk, die das familiäre Erbe auf ihre Weise fortführt. Ihre Lebensgeschichte liegt im Verborgenen. Nach eigener Aussage hat sie ihr Handwerk nicht als Autodidaktin gelernt.8 Vermutlich hat sie die »Photographische Lehranstalt« des Berliner Lette-Vereins besucht, wo neben Fotografinnen auch Technische Assistentinnen und Metallografinnen ausgebildet werden. Sie erhalten dort Unterricht in Anatomie und Optik, Chemie und Elektrizitätslehre, kommen mit neuester Technik in Berührung, mikroskopieren und experimentieren mit den jüngst entdeckten Röntgenstrahlen.9
In Suse Byks Ausbildungszeit vor dem Krieg waren die Belichtungszeiten länger, wie auch die Haare der Frauen und ihre Röcke. Und wie steif ihr die Haltung der Personen in den alten Familienalben nun erscheint! »Es war ein langer und nicht leichter Weg von dem >Bitte recht freundlich< zu der heutigen lebendigen Charakteristik«, so die Fotografin rückblickend.10
Ihr Interesse gilt der Expressivität und Wandlungsfähigkeit des menschlichen Gesichts. Proben Ausdruckstänzerinnen wie Valeska Gert oder Vera Skoronel vor ihrer Kamera, dann arbeitet Suse Byk die Plastizität ihrer Gesichter durch starke Kontraste heraus oder verwandelt sie durch Überbelichtung in zweidimensionale Masken. Abseits der Bühne, wenn Kunden wie Einstein ihr Atelier am Kurfürstendamm aufsuchen, um sich mit professionellen Lichtbildern und Fotokarten auszustatten, handhabt sie die Lichtführung behutsamer.
Im November 1919 sitzt Einstein vor ihrer Kamera. Er ist 40 Jahre alt, trägt Anzug und Krawatte, passend zu seiner herausgehobenen Stellung in Berliner Wissenschaftskreisen. Sein Haar, von dem bereits gesagt wird, es ähnele dem eines Künstlers, ist dicht, aber längst nicht so lang und wirr wie in späteren Jahren, als es zum Markenzeichen seiner Unangepasstheit wird.
Einstein am Wendepunkt seiner Karriere: Kein anderes von Suse Byks Fotos wird jemals so viel Beachtung finden wie dieses. Gut möglich, dass sie im Wettlauf mit Pressefotografen die Nase vorn hat, weil ihr Cousin ihr den entscheidenden Hinweis gegeben hat. Genauso plausibel erscheint es aber, dass die Fotografin direkt von der Vossischen Zeitung beauftragt worden ist, der das plötzlich aufflammende internationale Interesse an Einsteins Person nicht entgangen sein kann. Oder hat Berlins traditionsreichste Zeitung zunächst bei Einstein angefragt und dieser Suse Byk daraufhin selbst ins Spiel gebracht? Zwei Jahrzehnte später, als das Magazin Life in den USA eine Fotoserie mit ihm anstrebt, wird Einstein darauf pochen, dass die Bilder nur von »Miss Jacobi« gemacht werden dürfen, womit Lotte Jacobi gemeint ist. Auch sie ist eine von ihm geschätzte Fotografin mit jüdischen Wurzeln, die er aus seiner Zeit in Berlin kennt.
Am 30. November 1919 präsentiert die Vossische Zeitung das Einstein-Porträt an prominenter Stelle in ihrer Sonntagsbeilage - allerdings kleinformatig und mit einer allzu bescheidenen Bildunterschrift: »Prof. Albert Einstein, der Mitschöpfer der Relativitätstheorie, deren Voraussagen jetzt eine glänzende Bestätigung durch Verarbeitung der Beobachtung der letzten Sonnenfinsternis erhalten haben. Phot. Suse Byk«.
Im Hause Ullstein merkt man bald, der Bedeutung des Ereignisses und Einsteins Anteil daran nicht gerecht geworden zu sein. Auch aus der Fotografie ist mehr zu machen. Nur zwei Wochen später wird sie noch einmal gedruckt, diesmal auf der Titelseite des auflagenstärksten Blatts, der Berliner Illustrirten Zeitung, die bereits 1914 die Schwelle von einer Million verkauften Exemplaren überschritten hat.
Albert Einstein auf der Titelseite der »Berliner Illustrirten Zeitung«.
Hunderttausende, Millionen Deutsche sehen den Wissenschaftler, von dem einige bereits gehört haben, nun zum ersten Mal: gedankenversunken, den Blick gesenkt. Unter dem Foto die markige Zeile: »Eine neue Größe der Weltgeschichte: Albert Einstein .«. Und weiter in etwas kleinerer Schrift: »., dessen Forschungen eine völlige Umwälzung unseres Naturverständnisses bedeuten und den Erkenntnissen eines Kopernikus, Kepler und Newton gleichwertig sind. Phot. Suse Byk«.
Einsteins Kopf füllt die gesamte Titelseite der Illustrierten. Die Redaktion hat die Porträtaufnahme an den Rändern beschnitten und auf Zeitungsformat vergrößert. In der Haltung des »Denkers« sitzt Einstein da, das Haupt auf seine rechte Hand...
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