Schweitzer Fachinformationen
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Georgios Weckruf klingelte um 06:00 Uhr das erste Mal, und sofort hatte er erneut seine verzweifelte Lage vor Augen. Er drehte sich noch einmal auf die Seite, aber nachdem das Handy gnadenlos ein zweites Mal losklingelte, quälte er sich aus seinem Bett und ging unter die Dusche. Im Foyer des Hotels nahm er sich noch schnell einen Kaffee und machte sich auf zum Fähranleger, wo die Schnellfähre nach Paros schon wartete.
Die See war ruhig, so würde die Fahrt nur gute 45 Minuten dauern. Es ging ihm ziemlich schlecht, aber das war immer so, wenn er wehmütig von Mykonos zurück nach Paros fuhr. Dann erschien ihm die Ausweglosigkeit seiner Situation noch drastischer, und er musste aufpassen, nicht wieder in ein totales Loch zu fallen. Warum hatte dieser alte Drachen ihm nur den Geldhahn zugedreht, wo sie doch eh nicht wusste wohin damit? Aber es konnte ja nicht mehr lange dauern, bis sich die alte Dame vom Leben verabschiedete. Er spielte mit dem Gedanken, Dr. Spanopoulos anzurufen, um den genauen Zustand seiner Mutter zu erfragen, verwarf die Idee aber schnell wieder. Der Arzt würde ihn durchschauen und seine gespielte Besorgnis sehr schnell erkennen, dazu wusste er zu viel. Das Klingeln seines Handys riss ihn aus seinen Gedanken, anhand der Nummer erkannte er sofort, dass es Kiriakos war.
»Hallo, mein Lieber, so früh schon unterwegs?«, sprach er in den Hörer, ohne auf eine Begrüßung von Kiriakos zu warten. Kiriakos schien überrascht, denn für ein paar Sekunden blieb die Leitung stumm, bevor sich auf der anderen Seite der Leitung etwas tat.
»Hey, so früh habe ich mit dir auch nicht gerechnet. Ich wollte dir aufs Band sprechen, aber so kann ich dich selbst fragen, ob du heute am späten Nachmittag bei mir vorbei schaust? Ich habe da ein paar pikante Neuigkeiten, die dich sicher interessieren werden. Wir könnten später dann zusammen etwas essen gehen.«
Georgios Miene erhellte sich, das passte bestens und würde ihn aus seiner Melancholie reißen. Mit Kiriakos war er gerne zusammen, das tat ihm gut.
»Das ist ausgezeichnet«, erwiderte er sofort, »ich habe sowieso in Parikia zu tun und könnte so gegen 18:00 Uhr bei dir im Büro sein. Was meinst du mit pikanten Neuigkeiten?«
Kiriakos druckste ein wenig herum, bevor er antwortete: »Ich weiß nichts Genaues, aber euer Anwalt, dieser Manolis, war heute hier in der Verwaltung, und ich habe zufällig einen Teil des Gespräches mitbekommen. Dabei fiel auch der Name deiner Mutter. Ich kann versuchen, bis heute Abend mehr heraus zu bekommen, vielleicht gibt es eine Aktennotiz zu seinem Besuch.«
Georgios wurde hellhörig, hatte aber keinen Schimmer, in welcher Angelegenheit Manolis wohl unterwegs war. Kiriakos hatte ihn aber neugierig gemacht, und er stimmte seinem Vorschlag sofort zu. So schien der Tag doch noch eine gute Wendung zu nehmen, und während er sich gedanklich schon auf Kiriakos freute, erschien Parikia in der Ferne.
Er hatte noch einiges zu erledigen, die Saison würde bald beginnen. Er musste noch seinen kleinen Laden in Lefkes auf Vordermann bringen. Das Bergdörfchen war ideal für seinen Souvenirladen, denn der kleine verschlafene Ort im Inselinneren war so, wie man sich ein typisches Kykladendorf vorstellte. Verzückt von der schlichten Schönheit des Ortes, verleitete es viele Touristen spontan zum Kauf von irgendwelchem Kitsch. Georgios hatte sich diesen Laden in Lefkes eingerichtet, weil hier viele Reisegesellschaften ihre Gäste hinbrachten.
Das Baumaterial für die Renovierung wollte er sich in Parikia besorgen. Er hatte sich bereits eine Liste erstellt und hoffte, heute alles zu bekommen, so dass er im Laufe der Woche mit den Arbeiten beginnen konnte. In zwei Wochen würden die Busverbindungen von Parikia und von Naoussa nach Lefkes wieder aufgenommen, dann musste alles fertig sein. Dann würden die ersten Touristen in seinem Laden vorbei kommen und hoffentlich ein paar Euro bei ihm lassen.
Die Fähre legte pünktlich in Parikia an. Georgios ging in ein kleines Restaurant an der Hafenpromenade und bestellte sich einen Kaffee und ein Sandwich. Danach begab er sich zu seinem klapprigen Peugeot, den er in Hafennähe geparkt hatte, und machte einen Abstecher in die nahe gelegene Baustoffhandlung. Anschließend fuhr er nach Lefkes und verbrachte hier den ganzen Tag mit den Vorbereitungen zu den geplanten Arbeiten. Zu dem Laden gehörten eine kleine Küche und ein Schlafraum, in dem Georgios auch wohnte, seitdem er aus dem elterlichen Haus ausgezogen war. Am Anfang war das eine große Umstellung für ihn, aus einem so großzügigen Haus in eine solche Enge zu ziehen. Aber es war günstig. Mehr konnte er sich halt im Moment nicht leisten.
Zufrieden begutachtete er seine Vorbereitungen und machte sich für den Abend in Parikia fertig. Die von Kiriakos erwähnte Aktennotiz hatte er schon wieder total vergessen. Kurz vor Sechs parkte er nahe des Krankenhauses in Parikia und schlenderte zur Stadtverwaltung. Kiriakos Büro lag im ersten Stock mit Blick auf den Park des Krankenhauses. Beschwingt sprang Georgios die Treppe zum 1. Stock hoch und lief durch den langen Flur bis zu Kiriakos Büro. Er lauschte kurz, ob noch jemand da war, aber das schien nicht der Fall zu sein. So riss er die Tür auf und begrüßte Kiriakos überschwänglich wie immer, wenn sie sich trafen, aber diesmal reagierte Kiriakos eher bedrückt und abweisend.
»Hallo, ich habe den Eindruck, du freust dich gar nicht, mich zu sehen. Bin ich zu früh?«, fragte Georgios mit enttäuschter Stimme und legte einen schmachtenden Blick auf.
»Nein, ganz im Gegenteil, mein Lieber, ich habe schon auf dich gewartet«, Kiriakos deutete dabei auf eine Akte, die auf seinem Schreibtisch lag. »Ich befürchte nur, dass du gleich nicht mehr so fröhlich bist, wenn du diese Akte gelesen hast.«
Erst jetzt kam Georgios der eigentliche Grund seines Besuches wieder in den Sinn, und der ernste Blick von Kiriakos machte ihn stutzig. Er zögerte nicht lange und griff nach dem Ordner auf dem Schreibtisch.
Der Aktenordner war mit einer Eingangsnummer und dem Datum von heute versehen, darunter sprang ihm sofort in Druckbuchstaben der Name seiner Mutter entgegen: Maroula Apostolopoulou. Er setzte sich an Kiriakos Schreibtisch, schlug nervös die erste Seite auf und begann zu lesen. Seine anfängliche Nervosität wandelte sich in eine gespenstische Ruhe. Es schien, als verfiele er in eine Starre, nachdem er den Text mehrfach gelesen hatte. Kiriakos, der ihn genau beobachtete, hatte ihn so noch nie erlebt und fragte vorsichtig nach, ob alles in Ordnung sei. Doch Georgios hörte ihn schon gar nicht mehr, soweit hatte er sich mit seinen Gedanken entfernt. Was er da gerade gelesen hatte, versetzte ihn in einen schockartigen Zustand und zog ihm den Boden unter den Füssen weg. Wie konnte das sein? Warum tat sie ihm das an? Wie hatte sie das nur so lange geheim halten können? Ihm gingen tausende Gedanken durch den Kopf, sein Gehirn brannte, aber es passte so gar nicht in das Bild, das er von seiner Mutter hatte. Sie, die ihn so kalt aus ihrem Leben gestrichen hatte, offenbarte hier ein Geheimnis, das man ihr niemals zugetraut hätte. Der letzte Funke Hoffnung, doch noch ein Stück Normalität in ihrem Verhältnis zu erlangen, war gerade erloschen. Es trommelte in seinem Kopf, er rang nach Luft und stieß einen lauten Schrei aus. Kiriakos zuckte erschrocken zusammen, obwohl er mit solch einer Reaktion fast schon gerechnet hatte. Georgios hochroter Kopf zeigte den Zustand seiner Erregung an, er stammelte nur vor sich hin und versuchte mehr und mehr zu begreifen, was er da gerade erfahren hatte.
Langsam wurde ihm klar, was das für ihn bedeutete, und er wurde zunehmend wütender und verzweifelter. An einen schönen Abend war heute nicht mehr zu denken. Kiriakos musste die Wandlung Georgios hilflos mit ansehen und versuchte, ihn zu trösten.
»Du darfst keinem sagen, dass ich dir die Akte gezeigt habe«, sagte er, um Georgios zu einem Gespräch zu ermuntern, doch mit wenig Erfolg.
Georgios glich einem in die Enge getriebenem Tier und starrte mit leerem Blick vor sich hin. Dann schmiss er die Akte auf dem Schreibtisch zurück und lief wortlos aus dem Büro. Er musste raus, er brauchte frische Luft, ansonsten würde sein Kopf explodieren. Das hätte er dem alten Drachen nicht zugetraut, nein, soweit durfte es nicht kommen. Er würde sich nicht damit abfinden, er musste etwas unternehmen. Und er wusste, er würde bis zum Äußersten gehen.
Georgios fuhr zurück nach Lefkes, er wollte jetzt alleine sein. Er brauchte Zeit, um einen Plan auszuarbeiten. Er besorgte sich etwas zu Essen und ein paar Flaschen Wein und zog sich in seinen kleinen Garten zurück. Das war sein Refugium, hier hatte er schon oft gesessen und Pläne gemacht, wenn er nicht mehr weiter wusste. Er öffnete eine Flasche Wein und trank einen kräftigen Schluck. Sowie der Wein durch seine Kehle ran, wurde er ruhiger. Wirre Gedanken gingen ihm durch den Kopf, und er erschrak über sich selbst, was ihm so alles in den Sinn...
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