Schweitzer Fachinformationen
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Nathalie leckte sich genüsslich das Olivenöl von den Fingern. Socca war ihr erklärter Lieblingssnack geworden, seit sie hier in Nizza lebte. Ein relativ flüssiger Teig aus Kichererbsenmehl, Wasser und Olivenöl, der, in reichlich Olivenöl auf verzinnten Kupferpfannen, kurz in einem knallheißen, holzbefeuerten Ofen zu pfannkuchenartigen Fladen gebacken und dann, nur mit etwas frisch gemahlenem Pfeffer gewürzt, in Stücke gerupft und mit den Fingern gegessen wurde. Den dazu ansonsten üblichen Roséwein hatte sie allerdings durch ein Mineralwasser ersetzt.
Gabriela war heute nur für eine Sechs-Stunden-Schicht eingeteilt gewesen und hatte somit schon im Laufe des Nachmittags frei. Als Nathalie anrief, war sie nur allzu gern bereit, die beiden zu treffen und sich gemeinsam auf Spurensuche zu begeben. Sie verabredeten sich im Chez René Socca, das in einer der kleinen Gassen der Altstadt lag, nur ein paar Tramhaltestellen von Gabrielas Arbeit entfernt.
Nicolas wollte Gabriela ursprünglich direkt von der Arbeit abholen, um nach Toms Lagerraum zu suchen, aber Nathalie bestand darauf, dass Gabriela erst einmal etwas zu essen bekommen sollte, da sie ja schließlich nicht wussten, wie lange ihr Ausflug dauern würde. Das Chez René Socca schien der ideale Kompromiss, denn dort konnte man an einer Straßenverkaufstheke die leckersten Nizzaer Spezialitäten kaufen und dann direkt an einem der vielen Holztische essen, ohne viel Zeit zu verlieren.
Nicolas kam gerade vom Ausschanktresen zurück und balancierte geschickt drei Kaffees durch die vorbeiflanierenden Touristen hindurch.
»Ich hoffe, ich finde das Gebäude wieder«, meinte Gabriela nervös zu Nathalie. »Mein Orientierungssinn ist nicht gerade der beste, und das sah alles irgendwie gleich aus.«
»Gabriela, du bist ein Mädchen! Niemand erwartet von dir, dass du eine Adresse auf Anhieb findest«, meinte Nicolas gespielt verständnisvoll. »Wenn du sagst >links<, fahre ich nach dem >anderen Links< - Männer sagen dazu >rechts< -, und so finden wir das Lager dann schneller, als du denkst.«
Das brachte ihm natürlich postwendend eine Retourkutsche von Nathalie ein: »Oh Mann, hör sich einer >Monsieur GPS< an! Muss beim Rückwärtsfahren die Musik leiser drehen, damit er besser sehen kann, wo er hinfährt, macht sich dann aber über weibliche Navigationsdefizite lustig.«
Nach dem Kaffee machten sie sich schließlich auf den Weg zu Nicolas' Wagen, den er in der öffentlichen Tiefgarage unter dem Nationaltheater geparkt hatte.
Die Garagenausfahrt mündete direkt auf den Boulevard Risso, der sie in wenigen Minuten aus der Stadt hinausbringen würde. Das war mit ein Grund gewesen, warum Nicolas Gabriela gebeten hatte, ihnen mit der Trambahn ein Stück entgegenzukommen. Gabrielas Arbeitsplatz lag nämlich inmitten des Stadtkerns mit all seinen kleinen Einbahnstraßen, wo Lieferwagen ständig Staus produzierten, wenn sie anhielten, um ihre Ware zu entladen, und somit zwangsläufig die einzig verfügbare Fahrbahn blockierten.
Der Boulevard tauchte nur wenige hundert Meter später, an der Ausstellungshalle Acropolis, in einen Tunnel ab, und von da an fuhren sie unterirdisch aus der Stadt hinaus. Als sie endlich wieder ans Tageslicht kamen, befanden sie sich bereits außerhalb des dicht bebauten Zentrums auf der mehrspurigen Straße, gesäumt von lieblosen Wohnblocks mit unzähligen Satellitenschüsseln an den Balkonen. Einzige Farbtupfer in dieser Tristesse waren die Wäscheleinen mit den grellbunten Gewändern der Franzosen mit kreolischen oder arabischen Wurzeln, die hier den Großteil der Bewohner stellten.
Jetzt ging der Boulevard in eine kreuzungsfreie Ausfallstraße namens Paillon über, die ihren Namen von dem gleichnamigen Fluss hatte, der aus den Bergen kommend ganz Nizza unterirdisch durchquerte und vorn an der Promenade des Anglais ins Meer mündete.
Sie fuhren jetzt jedoch stromaufwärts, und da noch kein Feierabendverkehr herrschte, kam bereits nach weniger als einer Viertelstunde das Ortsschild von Drap in Sicht.
Nicolas hatte sich bereits vorher erkundigt und blieb zunächst auf der Umgehungsstraße. Im alten Ortskern von Drap standen die Wohnhäuser dicht an dicht - da war kein Platz für Lagerhäuser. Erst hinter der eigentlichen Ortschaft befanden sich diverse kleine Gewerbezonen.
Sie waren nun schon durch mehrere menschenleere Straßen gefahren, wo sich Lagerschuppen an kleine Gewächshäuser reihten, Handwerksbetriebe ihre Werkstätten hatten, teilweise mit dem Wohnhaus des Inhabers direkt nebenan.
Während sie die Gegend absuchten, fragte sich Nicolas, was Tom wohl hier hinaus verschlagen hatte.
Links von ihnen erregte ein Gabelstapler kurz seine Aufmerksamkeit. Er manövrierte vorsichtig eine prall bepackte Palette in einen Transporter.
Da rief Gabriela aufgeregt: »Nicolas, das Gebäude dahinter, das mit den vielen Toren, das könnte es sein.«
Sofort bog er in die Zufahrtstraße ein und fuhr in den Ladehof vor dem Gebäude. Die Tore entpuppten sich beim Näherkommen als deckenhohe Rolltore auf einer Laderampe. Lastwagen konnten hier rückwärts an die Rampe rangieren, damit man Waren direkt in deren Laderaum hineinrollen konnte, ohne ständig die hydraulische Hebebühne zu bemühen. Zum Aufladen von sperrigem und teilweise recht schwerem Bühnenequipment war das recht praktisch.
»Bist du sicher, dass es das richtige Lager ist?«, fragte Nicolas zweifelnd, da er nirgendwo eine Werbetafel oder ein Firmenschild entdecken konnte.
»Ja, das ist es«, meinte sie aufgeregt. »Wir sind damals von der anderen Seite gekommen.« Sie deutete auf eine zweite Zufahrt, die gegenüber vom Hof führte. »Deswegen habe ich es wahrscheinlich nicht gleich wiedererkannt. Kommt mit, das Verwalterbüro ist auf der Huckseite.« Vor allem wenn sie so aufgeregt war, sprach Gabriela - wie alle Brasilianer - das R wie ein H aus. Nicolas und Nathalie kannten das auch schon von Tom. Sie folgten ihr auf die Rückseite des Gebäudes.
Eine schwere Eisentür stand weit offen. Damit sie nicht zufallen konnte, war sie mit einer Schnur am Haken eines Fensterladens festgezurrt. In der Mitte der Tür prangte ein handgemaltes Schild, auf dem »Offen« stand. Nicolas war sich sicher, würde man die Tür schließen, klebte auf deren Außenseite ein entsprechendes Schild mit der Aufschrift »Geschlossen«. Ein Aushang mit detaillierten Angaben zu den Öffnungszeiten war in Frankreich keine Pflicht.
Als sie aus der hellen Sonne in das düstere Gebäude traten, konnten sie nicht viel erkennen, aber Gabriela wandte sich zielsicher nach rechts, und dort befand sich eine weitere offene Tür, aus der sie der übergewichtige Verwalter über seinen Schreibtisch hinweg wortlos ansah, was er offensichtlich als Begrüßung für ausreichend befand. Gabriela ließ Nicolas den Vortritt.
Ein Blick auf den Verwalter genügte, und Nicolas wusste, dass dieser mit Sicherheit schon alle rührseligen Geschichten kannte, sei es von säumigen Mietern, Leuten, die vorzeitig aus ihrem Vertrag rauswollten, oder was es sonst noch an Problemen rund um seinen Lagerservice gab. Dem Mann konnte man vermutlich keinen Bären mehr aufbinden. Nicolas beschloss, bei der Wahrheit zu bleiben.
»Ein Freund von uns hat hier bei Ihnen einen Lagerraum gemietet, Antônio Ortiz. Die Gendarmerie hat uns informiert, dass in seinem Apartment eingebrochen wurde, und er selbst ist seitdem verschwunden. Seine Freundin hier, vielleicht erinnern Sie sich an sie, war vor einiger Zeit mit ihm hier. Sie hat auch nichts mehr von ihm gehört. Wäre es möglich, einen Blick in Monsieur Ortiz' Lagerraum zu werfen, um zu sehen, ob dort alles in Ordnung ist?«
Der Mann überlegte kurz und befand ihr Anliegen offenbar als gerechtfertigt. Er schien seine Mieter gut zu kennen, denn ohne eine Kundenliste zu konsultieren, schloss er ein Schränkchen hinter sich auf und nahm zielstrebig einen Schlüssel von einem der darin befindlichen Haken.
Nachdem der Verwalter die Tür zu Toms Lager aufgeschlossen hatte, machte er Licht und stellte sich in die Mitte des Raums. Es war offensichtlich, dass er nicht vorhatte, Nicolas und seine Begleiterinnen aus den Augen zu lassen.
Neben einer beeindruckenden Armada elektronischer Konsolen und Geräte befand sich hier auch eine Ansammlung diverser Trommeln. Hauptsächlich typisch brasilianische Percussion-Instrumente, wie Berimbaus, die an einen Spielzeugbogen erinnerten, an dessen unterem Ende ein ausgehöhlter Kürbis befestigt war, Batuque-Trommeln, die verschiedensten Caxixi, mit Muscheln oder Kieseln gefüllte Körbchen und noch viele andere Instrumente, von denen selbst Nicolas einige noch nicht kannte. Er entdeckte auch ein in seine Bestandteile demontiertes Schlagzeug. Es wies zwar deutliche Gebrauchsspuren auf, aber es verfügte offensichtlich über weit mehr Einzelteile als ein typisches Basis-Drumset. In einer Ecke standen einige Kisten mit Maracas, Triangeln und weiteren Rasseln. Gegenüber der Tür lagen auf dem Boden die zwei großen Lautsprecherboxen, die Nicolas schon des Öfteren bei Toms Konzerten gesehen hatte. Bisher hatte er jedoch angenommen, dass es sich um die hauseigene PA-Anlage des jeweiligen Lokals handelte. Offensichtlich waren aber auch sie Toms Eigentum.
Die Rückwände waren geöffnet worden, und graue Wolle quoll aus dem Inneren hervor. Nicolas musste sofort an Toms Verstärker im Apartment denken, der gewaltsam geöffnet worden war. Aber hier lagen ein Schraubenzieher und direkt daneben ein Schälchen, in dem die Schrauben sorgsam aufbewahrt wurden. Das sah nicht...
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