Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Pfarrer Oskari Huuskonen ist sauer. Sein Gottesdienst wird durch einen Stromausfall unterbrochen. Schuld daran ist der tragische Tod der Dorfköchin Astrid Sahari. Sie war in Panik vor einer wild gewordenen Bärenmutter auf einen Strommast geflüchtet und dort zusammen mit dem grimmigen Tier verglüht. Die zwei aufgeweckten Bären-Jungen, die die Bärin hinterlässt, stellen die Dorfgemeinde vor ein Problem. Doch bald ist für eines ein Platz im Tierpark gefunden - und das andere schenkt man kurzerhand Pfarrer Huuskonen zum runden Geburtstag ...
Die Balkenkirche von Nummenpää war im siebzehnten Jahrhundert errichtet worden. Die Überlieferung besagte, dass an derselben Stelle früher eine kleine Holzkapelle gestanden hatte, in der zur Sommerzeit, aber auch an hohen Festtagen im Winter seitens der Muttergemeinde Somero Gottesdienste abgehalten worden waren. Doch inzwischen hatte Nummenpää eine eigene Kirchengemeinde, der Pastor Huuskonen als Geistlicher vorstand. Er war verheiratet und hatte mit seiner Gattin zwei Töchter, die längst aus dem Haus und ihrerseits verheiratet waren. Das Leben in dieser abgelegenen Dorfgemeinde in Uusimaa bot wenig Erfreuliches, oft fühlte sich der Pastor einsam und niedergeschlagen. Er war ein temperamentvoller Kirchenmann, zu dem es besser gepasst hätte, Gottes Wort in einer größeren und wichtigeren Gemeinde zu verkünden oder an höherer Position in der Hierarchie des Bistums zu wirken. Doch trotz wiederholter Versuche war es ihm nicht gelungen, Nummenpää zu verlassen. Lag es vielleicht an seinen bisweilen eigenwilligen Bibelinterpretationen, seinen häufig vom vorgeschriebenen Text abweichenden Predigten oder seinen kritischen und galligen Stellungnahmen in der christlichen Presse? Oskari Huuskonen war Doktor der Theologie und hatte seine Dissertation über die Apologie, die Verteidigung der christlichen Wahrheit, geschrieben. Er hatte diese Wahrheit in seiner Forschungsarbeit belegt und bestätigt. Das war allerdings eine Weile her, und er war sich seiner Behauptung geschweige denn der Wahrhaftigkeit des gesamten christlichen Glaubens längst nicht mehr sicher.
Seine Gattin Saara Huuskonen, geborene Lindquist, Oberstufenlehrerin für Schwedisch, wäre ebenfalls lieber in eine belebtere und blühendere Gegend gezogen, doch in diesen harten Zeiten mit hoher Arbeitslosigkeit gab es keine freien Stellen, nirgends wurde eine neunundvierzigjährige Schwedischlehrerin gebraucht. Das war kein Wunder und lag keineswegs an Oskari, doch trotzdem gab seine Frau ihm die Schuld, dass sie bis ans Ende ihres Lebens in dem elenden Nummenpää ausharren mussten, wo die Winter dunkel und freudlos und die Sommer heiß und voller Schmeißfliegen waren, die dem Kuhdung entsprangen. Wenn Oskari wenigstens ein bisschen verbindlicher, also im guten Sinne verträglicher und kooperativer gewesen wäre, hätten sich ihm gewiss die verschiedensten Einsatzmöglichkeiten im Rahmen der Kirche geboten. Schließlich war es die Hauptaufgabe der Pastoren, die Botschaft von Milde und Demut zu verkünden. Warum nur hielt sich Oskari nicht selbst daran, sondern schwang sich immer wieder zum Kritiker seiner Vorgesetzten auf und stritt über belanglose theologische Fragen? Mit ein bisschen mehr taktischem Geschick würde er den Mund halten und sich um eine Stelle in der Zentrale des Bistums in Helsinki und, nach angemessener Zeit, um die des Bischofs bemühen. Wenn er erst seine Frau aus dem Hinterwald herausgeholt hätte, könnte er über Glaubensfragen räsonieren, so viel er wollte.
An diesem Sonntag stammte der vorgeschriebene Predigttext aus dem Alten Testament, es waren Moses Worte zu Josua:
»Nimm Männer mit dir und mache dich auf, gegen die Amalekiter zu kämpfen.«
Pastor Oskari Huuskonen predigte vom kämpfenden Volk und erklärte, dass die Europäische Gemeinschaft den Finnen nicht helfen könne, wenn ihnen der Glaube fehle und sie im Augenblick der Entscheidung die Hände sinken ließen. Er sprach ebenfalls im Sinne von Kapitel 1, Vers 2 des Buches Obadja, wo es heißt:
»Siehe, ich habe dich gering gemacht unter den Heiden und sehr verachtet.«
Es war eine boshafte Predigt. Die Gemeindemitglieder lauschten den Worten ihres Seelenhirten mit heißen Ohren. Schließlich sind die wenigsten von uns Menschen ohne Sünde, dasselbe trifft auf die Völker zu, und die Drohungen des Buches Obadja, von Huuskonen akzentuiert, fielen auf fruchtbaren Boden.
»Ganze Nationen können sein wie der brüllende Löwe«, donnerte der Pastor.
Nachdem der Steinarbeiter Aarno Malinen ausgesegnet worden war, wurde kurz die Totenglocke geläutet, und anschließend folgte die Trauung. Die Braut Marketta Haapala, Tochter des Betonfabrikanten, ein semmelblondes ältliches Mädchen, war Oskari Huuskonen aus seiner seelsorgerischen Arbeit bestens vertraut, sowohl hinsichtlich ihres Geistes als auch – peinlich, peinlich – ihres Körpers. Marketta war schwanger, das arme Ding. Inzwischen wusste man im Dorf jedoch allgemein, dass Hannes Loimukivi der Urheber ihrer Schwangerschaft war, und nachdem gründlich Druck auf ihn ausgeübt worden war, hatte er in die Ehe mit Marketta eingewilligt. Pastor Oskari Huuskonen hatte persönlich mit Loimukivi ein Gespräch geführt, das sehr fordernd gewesen war.
Zum Klang von Mendelssohns Hochzeitsmarsch schritt das Paar durch den Mittelgang zum Altar. Alles schien in Ordnung zu sein, wenn man von der ein wenig verschlossenen Miene des Bräutigams absah. Die Kirche war voll, all jene, die am Gottesdienst teilgenommen hatten, wollten der Eheschließung des ungleichen Paares beiwohnen.
Während die Brautleute so dahinschritten, erlosch in der Kirche das Licht. Stromausfall! Der Pastor fluchte im Stillen. Im Finstern wollte er ausgerechnet dieses Paar nicht gern trauen. Nun, auch so fanden die beiden schließlich zu ihm an den Altar. Der Pastor musterte sie streng und begann mit der Zeremonie. Er beschloss, eine längere Trauformel zu benutzen, die er mit zahlreichen Bibelsätzen unterlegen würde. Außerdem wollte er eine aufmunternde Rede halten, die er vor allem an den Bräutigam richten würde. Es konnte nicht schaden, dem Windhund ein paar Lebensregeln mit auf den Weg zu geben.
Pastor Huuskonen baute seine Traurede auf Kapitel 12, Vers 27 des Buches Nehemia auf:
»Und bei der Einweihung der Mauer zu Jerusalem suchte man die Leviten aus allen ihren Orten, dass man sie gen Jerusalem brächte, zu halten Einweihung in Freuden, mit Danken, mit Singen, mit Zimbeln, Psaltern und Harfen.«
Der Pastor sagte, dass an diesem Tag in der Gemeinde Nummenpää gefeiert werde so wie einst vor tausenden von Jahren bei der Einweihung des neuen Tempels von Jerusalem. Auch hier werde hinter Gottes Rücken Musik gespielt, wenn auch nicht auf der Zimbel, so doch zumindest auf dem Akkordeon, und man werde die herrlichen Delikatessen von Astrid Sahari verspeisen, werde singen und tanzen. Bei all dieser irdischen Freude sollten die Menschen jedoch bedenken, dass auf ein Fest stets der Alltag folge, und am Alltag tue man gut daran, auf Gott zu vertrauen und ein ehrbares Leben zu führen.
Bei diesen Worten stolperte ein beschwipster Zecher in die Kirche. Er war kurz zuvor aus der Kneipe gewankt und draußen Zeuge geworden, wie die Köchin und die Bärin auf dem Strommast zu Tode gekommen waren. Der Säufer rief:
»Predigt stopp! Astrid Sahari und eine Bärin sind auf den Strommast geklettert! Jetzt hängen sie da oben und qualmen, beide sind mausetot!«
Allgemeiner Aufruhr entstand mitten in der Trauung, und für eine Steigerung sorgte noch der Hausmeister des Gemeindeamtes und des Gesundheitszentrums, der ebenfalls die Beine in die Hand genommen hatte und in die Kirche gerannt war. Er tauchte jetzt in der Tür auf und rief laut, dass er dringend kräftige Männer brauche, er müsse im Keller des Gesundheitszentrums den Dieselmotor in Gang setzen, der während des Stromausfalls den Generator betreiben solle. Ein Patient am Beatmungsgerät habe bereits große Probleme, die Sache sei brandeilig.
»Der Motor muss richtig angekurbelt werden, der Akku ist leer, und ich allein krieg das Scheißding nicht gedreht.«
Pastor Huuskonen blieb nichts weiter übrig, als die Zeremonie abzubrechen, er erklärte, dass die Trauung aufgeschoben und zu einem späteren Zeitpunkt, der noch angekündigt werden würde, fortzusetzen sei, möglichst unmittelbar nachdem die Folgen der Katastrophe beseitigt wären. Alle Anwesenden, der Bräutigam voran, stürzten aus der Kirche, ohne den Pastor ausreden zu lassen. Die arme Braut sank auf eine Bank, in den zitternden Händen hielt sie einen Strauß mit den schönsten Feldblumen der Jahreszeit. In den Augen der verlassenen, schüchternen Frau schimmerten Tränen.
Oskari Huuskonen rannte mit dem Hausmeister in vollem Galopp zum Gesundheitszentrum. Als sie an der Trafostation vorbeikamen, sah er auf dem Hochspannungsmast zwei qualmende Gestalten, ohne dass er unterscheiden konnte, welche die Köchin und welche die Bärin war. Doch jetzt war keine Zeit, sich damit zu befassen, erst musste der Dieselmotor in Gang gesetzt werden, damit der Sauerstoffapparat wieder funktionierte und das Leben des Patienten gerettet würde.
Im Keller der Bettenstation drehte Huuskonen mit aller Kraft an der Handkurbel des Dieselmotors, während der Hausmeister die Messgeräte einstellte; der Motor sprang surrend an, und Leben spendender Strom floss wieder ins Netz des Krankenhauses, das Beatmungsgerät begann zu funktionieren, und der in den letzten Zügen liegende ehemalige Besamungstechniker Tisuri konnte wieder an seine Sauerstoffmaske angeschlossen werden. Die verschwitzte Krankenschwester wankte in den Pausenraum, wobei sie die Hand aufs Herz presste.
»Der Pflegedienst ist nicht immer ein Zuckerschlecken«, keuchte sie.
Pastor Huuskonen kehrte ins Dorfzentrum zurück. An der Trafostation wimmelte es von Menschen, als fände hier eine religiöse Erweckungsveranstaltung statt. Die Feuerwehr hatte die beiden Leichen mit der Leiter vom Mast geholt. Über Astrid Sahari hatte man eine Decke gebreitet, aber der Kadaver der Bärin lag ungeschützt im Gras. Der Geruch verbrannten Fleisches...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.
Dateiformat: ePUBKopierschutz: ohne DRM (Digital Rights Management)
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet – also für „glatten” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Ein Kopierschutz bzw. Digital Rights Management wird bei diesem E-Book nicht eingesetzt.