Schweitzer Fachinformationen
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Mein erster Vollzeitjob war Kühemelken auf einer Familienfarm in Wakefield. Sehr bald realisierte ich, dass ich einen schwierigen Kurs zwischen zwei Chefs steuern musste, denn die beiden hatten unterschiedliche Vorstellungen davon, was meine Aufgaben waren. Genau genommen waren es auch zwei Höfe. Auf dem einen regierte der alte Herr, der Vater, und auf dem anderen sein Sohn, der gerade frisch von der Landwirtschaftsschule kam. Theoretisch hatte eigentlich jeder sein Reich. Die Realität aber sah so aus, dass der Vater mich aufsuchte und mir erklärte, was und wie ich etwas zu tun hatte, was das komplette Gegenteil von dem war, was mir der Sohn ein paar Minuten zuvor aufgetragen hatte. Der alte Knabe wollte alles so haben, wie es schon immer war, ganz traditionell, und der junge Bursche hatte einen Haufen neuer Ideen im Kopf, die sein Vater schlichtweg für Unsinn hielt. Sie stritten über die einfachsten Dinge.
Über Eimer zum Beispiel: Jeden Tag gab es 130 Kühe zu melken und 25 Kälber zu füttern. Der Sohn wollte, dass ich die Eimer auswusch, sie sterilisierte und dann in einer Reihe aufstellte, denn er sah die Gefahr, dass Dreck von einem Eimer zum anderen übertragen würde, wenn man sie aufstapelte. Dann kam der alte Herr und fragte mich, was um Gottes willen ich denn da täte. All die aufgereihten Eimer würden doch dreckig werden und stünden im Weg herum und sollten gefälligst aufgestapelt werden. So wurde ich ohne Pause von dem einen gerügt, weil ich tat, was der andere mir aufgetragen hatte. Man konnte es keinem recht machen, immer hatte einer etwas rumzunörgeln. Außer mir arbeiteten noch zwei Burschen vom YTS (Youth Training Scheme, staatliches Ausbildungsprogramm für Jugendliche) auf dem Hof und wir drei hatte ständig Stress mit einem der Chefs. Dann gab es noch einen alten Farmarbeiter, der schon immer dort war. Es war sozusagen eine richtige Männerwirtschaft, die noch nie durch ein Mädchen gestört worden war.
Gleich am Anfang hieß es: » Und vergiss deine Köderdose nicht.«
Köder?, dachte ich. Was hat Angeln damit zu tun?
Aber schnell merkte ich, dass sie die >Brotdose< meinten. Bei schönem Wetter saßen wir draußen und aßen, aber wenn es regnete - was meistens der Fall war - saßen wir im Schuppen auf Milchkästen und Teekisten. Die Teekisten waren voll mit Männermagazinen. Es war eigentlich abstoßend für mich, mein Brot zu essen, während die drei andern Typen den Playboy lasen, doch irgendwann störte ich mich nicht mehr daran. Wenn man in einer Welt arbeiten möchte, die seit Jahrhunderten männlich ist, dann sollte man sich auch nicht aufregen oder feministisch tun, nur weil man ein bisschen angemacht wird oder die Kerle ungehobelt daherreden.
Es war echt schwere Arbeit. Ich stieg jeden Morgen um sechs aufs Rad und war um sieben Uhr dort, eine Stunde bergauf, bergab. Wenn ich nicht Fahrrad fuhr, musste ich zwei Busse nehmen, was sehr viel länger dauerte. Wenn ich nach einem Tag auf der Farm wirklich mal den Bus nahm, konnte ich mir einer Sache sicher sein:
Ich schaffte es, den ganzen Bus zu räumen, und zwar nur wegen meines üblen Geruchs, normalerweise Silage-Geruch - meine Mitreisenden hatten schnell die Nase voll.
Ich hatte eine 7-Tage-Woche, aber jedes dritte Wochenende bekam ich mein - wie die Farmer es nannten - freies Wochenende. Dies waren aber die schlimmsten aller Wochenenden: Das Melken morgens und abends blieb meine Aufgabe, nur die Stunden dazwischen waren frei. Das bedeutete für mich aber, die Tour mit dem Fahrrad zweimal am Tag zu machen. Ich hatte das Gefühl, den ganzen Tag im Sattel zu sitzen, den ganzen Tag bergauf, bergab zu strampeln. Kein Wunder, dass ich keine Zeit für Freunde oder Verabredungen hatte. Zu jener Zeit gingen meine Schul- und Collegefreunde schon längst ihre eigenen Wege. Einer war eifriger Student in Oxford, ein anderer Auszubildender bei der Lloyds Bank - alle hatten ganz normale, sinnvolle Berufe. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich nicht so leistungsfähig war wie sie, aber ich war immer noch nicht im Reinen mit dem, was ich tat. Ich liebte die Arbeit auf der Farm, doch die Arbeitszeit war brutal und ich hatte das Gefühl, mein Leben noch nicht richtig in der Hand zu haben.
Meine Farm war zum großen Teil ein Ackerbaubetrieb, für mich eine ganz neue Erfahrung. Stundenlang schaufelte ich Getreide in Silos und Getreidespeicher oder füllte Säcke mit Gerste. Ich musste auch einen Mähdrescher abschmieren, 130 Schmiernippel jeden Morgen während der Erntezeit. Die Maschine, ein museumsreifer, riemengetriebener Mähdrescher, war der ganze Stolz des Alten, und er machte tatsächlich Stichproben, um zu kontrollieren, ob ich alles richtig geschmiert hatte.
Ich wurde auch mit einem Kartoffelsack auf dem Rücken losgeschickt, um vorsichtig den wilden Hafer auszurupfen, der zwischen der Gerste wuchs. Der Farmer betonte, ich solle auf keinen Fall meine Verpflegung vergessen . Beim Blick über die reifen, goldenen Gerstenfelder konnte man den Flughafer gut erkennen, die grünen Rispen überragten alles. Auf den ersten Blick schien es nur eine Handvoll wilder Gräser zu geben, aber als ich in das Feld hineinkroch, entdeckte ich ihre ungeheure Ausbreitung. Jetzt wurde mir klar, warum ich meine Tagesverpflegung mitnehmen sollte. Der Vorteil dieser langen Tage in den Gerstenfeldern war, dass ich eine goldene Bräune bekam, die man in keinem Sonnenstudio hätte kaufen können, leider reichte sie aber wegen der langen Gummistiefel nur bis zu den Oberschenkeln.
Die Erntezeit war unglaublich arbeitsintensiv: Wenn der Wassergehaltsmesser den erforderlichen Trockenheitsgrad des Getreides anzeigte, hieß es >alle Mann an Deck<. Flutlicht wurde rund um die Felder installiert und niemand hörte auf zu arbeiten, bevor nicht das gesamte Getreide sicher eingebracht war. Obwohl die Arbeit sehr hart war, merkte ich, dass ich dabei eine ganze Menge praktischer Erfahrung sammeln konnte. Ich lernte, wie man Gülle auf die Felder verteilt - mit einem langen Schleppschlauch und Traktor oder mit einer Scheibenegge - ich lernte, wie man mit einer Zapfwellenegge Erdklumpen aufbricht, um den Boden für die Aussaat bereit zu machen, ich lernte ein Kalb zu enthornen, und ich lernte Traktorfahren. Autofahren konnte ich schon, damit hatte mein Vater mich mit großer Geduld bereits vertraut gemacht. Eine einzige Fahrstunde mit einem professionellen Fahrlehrer genügte, um die Details für die Fahrprüfung zu lernen. Ich bestand beim ersten Versuch.
Während meiner Zeit auf der Farm haben sich meine Eltern oft gewundert, Was in aller Welt tut sie da eigentlich?, besonders dann, wenn ich verdreckt und stinkend nach Hause kam. Die Antwort war ganz einfach, ich war ganz am Ende der Rangordnung, ich war der Handlanger, der Wasserträger, von dem man erwartete, dass er alles ohne Murren tat. Aber ich war glücklich damit, denn ich konnte arbeiten und lernen. Ich musste ja irgendwie anfangen und außerdem gab es zu jener Zeit bei mir zu Hause Ereignisse, die wichtiger waren als meine Karriere.
Ich war damals 18 Jahre alt, als mein Vater starb. Jahrelang hatte er geglaubt, ein Magengeschwür zu haben, und bekam Gaviscon verschrieben, ein Antazidum gegen Verdauungsstörungen. Als die Schmerzen schließlich unerträglich wurden, veranlasste der Arzt weitere Untersuchungen und es wurde Magenkrebs festgestellt. Zu dem Zeitpunkt war er schon sehr krank und konnte nicht mehr arbeiten. Schließlich kam die Zeit, als er noch nicht einmal mehr an seinen geliebten Motorrädern herumbasteln konnte. Das war das Schlimmste für ihn. Es war herzzerreißend zu sehen, wie er die Räder wegräumte und die Ersatzteile katalogisierte, die Garage, Keller und Dachboden füllten. Ich konnte zwar Kurbelwellen von Pleuelstangen unterscheiden, aber er hatte über viele Jahrzehnte Unmengen an Einzelteilen angehäuft und um zu verhindern, dass wir nach seinem Tod von irgendwelchen skrupellosen Händlern übers Ohr gehauen wurden, machte er eine detaillierte Liste davon. Wir mussten ihm versprechen, niemals seinen Kompressor zu verkaufen, alles andere versuchte er bei Motorradfans loszuwerden. Meine Mutter arbeitete zu der Zeit in der Schulkantine und sie musste ihren Job aufgeben, um für ihn zu sorgen. Katie war damals zwölf Jahre alt und es war für uns alle eine sehr schwere Zeit. Ich war bei ihm, als er starb. Er war zu Hause und stand seit Tagen unter Morphium. Mich verfolgt dieser Moment immer noch, es war solch ein irreales Erlebnis, es war, als ob ich es nicht wirklich selbst erlebte: all die Formalitäten und praktischen Dinge, die geregelt werden mussten, den Arzt und den Bestatter anrufen, und dann das Schlimmste, die Großmutter aufsuchen, um ihr zu sagen, dass ihr Sohn gestorben sei. Ich wollte eigentlich nicht zur Beerdigung gehen, aber meine Mutter bestand darauf. Der zweite Konflikt folgte auf dem Fuß:
»Du gehst nicht in deinen Gothic-Sachen dorthin.«
»Vater kennt mich nur so, und alle gehen in Schwarz. Wo ist das...
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