1. Kapitel
Sex, war sein erster Gedanke. Er hatte fantastischen Sex gehabt, falls er das nicht geträumt hatte. Ja!
Hauptkommissar Giovanni Beck schlug die Augen auf und genoss das wohlig entspannte Gefühl, das seinen ganzen Körper durchströmte. Vorsichtig drehte er sich auf die Seite und betrachtete die Frau, deren Anwesenheit nicht ganz unwesentlich zu seiner Entspannung beigetragen hatte.
Beck grinste zufrieden. Die ernste Sarah hatte sich in seinen Kissen in einem wahren Feuerwerk der Gefühle entladen und ihn bis zur Erschöpfung gefordert. Wenn das so weiterging, brauchte er kein Fitnessstudio mehr.
Er richtete sich halb auf, um sie besser betrachten zu können. Ihre rotbraunen Locken ergossen sich über das Kopfkissen und boten einen hübschen Kontrast zu ihrem schmalen, blassen Gesicht. Auf den Wangenknochen lagen flatternd ihre langen dunklen Wimpern und Beck ertappte sich bei dem Wunsch, sie wach zu küssen und vielleicht dort weiterzumachen, wo sie vor nicht allzu langer Zeit aufgehört hatten.
Guck mal an, alter Knabe, dachte er befriedigt, was so eine Phase der Enthaltsamkeit doch Gutes bewirken kann.
Lächelnd erinnerte er sich an die Zeit, als er Sarah kennen gelernt hatte, im Zusammenhang mit einem Mordfall, der ihm kurz nach seinem Wechsel von Berlin nach Braunschweig übertragen worden war.
Es war an Weihnachten gewesen. Das Fest der Liebe. Wie passend. Würde er das nächste Fest gemeinsam mit Sarah feiern? Gemeinsam mit Sarah - wie selbstverständlich ihm so ein Gedanke kam . Etwas erschreckend.
Vor drei Monaten hatte er noch nicht einmal gewusst, dass es sie überhaupt gab, geschweige denn, dass er den Wunsch verspüren könne, mit ihr oder überhaupt irgendeiner Frau wieder eine Beziehung einzugehen, die über Sex und Frühstück (am besten ohne Frühstück) hinausging.
Es war wirklich ein Witz. Jahrelang hatten er und Sarah in Berlin gelebt, ohne sich zu begegnen. Kaum hatten sie der Millionenstadt den Rücken gekehrt und sich in die Provinz geflüchtet, kreuzten sich ihre Wege. Kein Wunder - in Berlin sah man wahrscheinlich vor lauter Menschen den einen nicht mehr, auf den es ankam. So wie mit dem Wald und den Bäumen.
Vielleicht sollte er seinen Single-Freunden aus der Großstadt mal einen Tipp geben: Fahrt in die Provinz, dort werdet ihr der Frau eures Lebens begegnen.
Wie bitte? Vorsichtig, lieber Giovanni, immer hübsch langsam. Genieß einfach die Zeit mit der schönen Sarah und bleib locker.
Als hätte sie seine Gedanken gespürt, murmelte Sarah und bewegte sich unruhig. Sie drehte ihren Kopf auf die Seite und schlug die Augen auf. Da waren sie wieder, diese dunklen Teiche aus flüssiger Schokolade, deren Blick Beck immer ein wenig weich in den Knien werden ließ.
Sie reckte sich und lächelte ihn verschlafen an. Mann! Dieses Lächeln kribbelte über Becks Haut wie eine Berührung. Am liebsten hätte er sich sofort wieder über sie geworfen, aber er hatte gelernt, dass die Frauen eine etwas subtilere Herangehensweise schätzten, vor allem am frühen Morgen.
Gott, warum lässt du Frauen und Männer sexuell so unterschiedlich funktionieren, wenn du willst, dass wir uns vermehren?!
Wohlerzogen, wie er war, verdrängte er die Steinzeit-Automatismen seines Körpers und lächelte zurück. »Hallo, Süße. Hast du gut geschlafen? Wie sieht es aus, hast du Lust auf ein schönes Frühstück?«
Sarah brummte zufrieden und schlang einen Arm um Becks Hals. »Gute Idee. Wie wär's denn erst mal mit einer kleinen Vorspeise?«
Bevor Becks Gehirn aussetzte und andere Körperteile die Regie übernahmen, entschuldigte er sich noch schnell bei Gott.
*
Sarah warf sich Giovannis Schlafanzugoberteil über ihre Blöße und betrachtete sich in seinem Schlafzimmerspiegel. Dittmann, du alte Schlampe. Sie kicherte, als sie die Küche betrat.
Beck wandte sich nach ihr um und reichte ihr einen Becher mit Cappuccino. »Prego, signorina. Worüber lachst du?«
Sie deutete auf sein Schlafanzugoberteil. »Was für ein Klischee. Nach einer heißen Nacht kommt die Frau nur mit seiner Schlafanzugjacke bekleidet in die Küche, damit auch der schwachsinnigste Zuschauer merkt, was gelaufen ist.« Sie lehnte sich an den Küchentisch und nahm einen Schluck aus dem Becher.
Giovannis Blick glitt an ihren Beinen hinauf und hinterließ dort eine heiße Spur.
Jetzt nicht rot werden! Dankbar für den heißen Becher in ihrer Hand, neigte sie den Kopf tiefer und ließ vorsichtshalber ein paar Locken vor ihr Gesicht fallen. So musste sich Bridget Jones nach dem Sex mit Daniel Cleaver gefühlt haben.
»Wenn ich dich so anschaue, weiß ich auch, warum die Regisseure so oft auf dieses Detail setzen. Weißt du eigentlich, dass Wagner deine Beine bewundert?«
»Was?« Sarah verschluckte sich und hustete. »Über so was sprecht ihr? Ich denke, der mag dich nicht?«
»Er bewundert ja auch nicht meine Beine, sondern deine. Zu Recht.«
Sarah setzte sich an den Küchentisch, weil ihr Becks Blick auf besagte Extremitäten zu intensiv wurde. Noch eine Runde und sie musste an den Tropf. »Wie kommt dein Kollege dazu, sich über meine Beine zu äußern?«
»Tja, als wir dich das erste Mal gesehen haben, waren wir schon beide überrascht. Positiv natürlich. Obwohl ich eher auf deine Augen abgefahren bin.«
»Ha, ha.« Sarah schnaubte ungläubig. »Die Definition der Männer von Augen ist ja bekanntermaßen etwas weiter angelegt.«
»Nein, wirklich. Obwohl ich deinen Po zugegebenermaßen auch ziemlich sehenswert fand.«
Sarah griff nach einem Croissant. »Ich fasse es nicht. Du kommst zu mir, um in einem wirklich grauenhaften Mordfall zu ermitteln und starrst auf meinen Po? Männer!«
»So sind wir, Schatz, das Testosteron ist unser Fluch.« Beck grinste. »Mein Anteil an diesem Hormon scheint dich aber heute Nacht nicht weiter gestört zu haben.«
Verdammt, jetzt wurde sie doch rot. »Nein, manchmal ist das schon eine nützliche kleine Einrichtung mit den Hormonen.« Vor allem, wenn sie in so einer leckeren Verpackung daherkommen, du Schnuckel.
»Du wirst ja rot, wie süß.«
»Danke, dass du mich darauf hinweist.« Sarah warf das Croissant nach Beck.
»Aua. Man wirft nicht mit Lebensmitteln, Frau Lehrerin. Dein Östrogen war schließlich auch ganz schön aktiv, du fleischgewordenen Männerphantasie! Weißt du eigentlich, wie viele Männer sich vorstellen, heißen Sex mit ihrer Lehrerin zu haben?«
»Hör auf. Ich komme mir vor wie die Hauptdarstellerin in einem Softporno.« Verlegen presste Sarah ihre Hände an die heißen Wangen. Sie schielte vorsichtig in Becks Richtung. Gott, sah dieser Mann gut aus, einfach verboten! Vor allem heute Morgen, mit leichtem Bartschatten, dem verwuschelten, blonden Haar und seinem schiefen Lächeln.
»Tja, ich fand dich auch ganz hübsch, bei unserer ersten Begegnung. Und vor allem wollte es mir nicht in den Kopf, wie jemand, der so blond ist wie ein Wikinger, Giovanni heißen kann.«
Beck verzog gequält das Gesicht. »Warum müsst ihr Frauen einen eigentlich immer hübsch nennen? Damit kastriert ihr uns. Ein Mann ist nicht hübsch, er sieht höchstens gut aus.«
»Na gut, dann sage ich eben nicht, dass ich fand, dass du aussiehst wie ein Unterwäschemodel für Calvin Klein.«
Jetzt warf Beck das Croissant und stand auf. Sarah kreischte und flüchtete um den Tisch. »Man schmeißt nicht mit Lebensmitteln, Herr Kommissar.«
»Nein, und man schlägt auch keine Frauen. Deshalb muss ich mir wohl eine andere Strafe ausdenken.« Beck schnappte sich Sarah und trug sie aus der Küche.
Huch, dachte Sarah, wie herrlich anachronistisch! Ich Jane, du Tarzan.
*
Beck schlang sich seinen grauen Schal um den Hals und blickte in den Spiegel. Ihm fiel auf, dass seine Gesichtshaut so frisch aussah, als habe er seinen Spaziergang schon hinter sich. Sex war anscheinend nicht nur für die Durchblutung der Lenden gut. Er trat beiseite, um Sarah Gelegenheit zu geben, ihre Baskenmütze dekorativ über ihre Locken zu stülpen. Amüsiert betrachtete er ihre rosigen Wangen und grinste.
»Was ist?« Sarah schob sich irritiert ihre Kopfbedeckung aus der Stirn. »Findest du die Mütze doof?«
»Nein, ganz im Gegenteil, ich finde du siehst ganz entzückend damit aus. Wie eine rothaarige Pariserin.« Beck schob Sarah vor sich und küsste sie in den Nacken.
»Ich bin nicht rothaarig!« Empört befreite sie sich aus seinen Armen. »Mein Haar ist kastanienfarben.«
»Sag ich doch - rothaarig«, neckte Beck sie und zog an einer Locke. »Vielleicht sollte ich dich Pippi nennen.«
»Untersteh dich!« Sarah boxte ihn vor die Brust.
Beck griff ihre Fäuste und hielt sie fest. »Wir kennen uns noch nicht einmal ein Vierteljahr und schon schlägst du mich?«
Sarah legte den Kopf in den Nacken und strahlte ihn an. »Ja, und? Haben deine anderen Frauen länger gebraucht, bis sie Gewalt angewendet haben?«
»Meine anderen Frauen, wie du dich auszudrücken beliebst, haben gemerkt, dass Gewalt nicht vonnöten ist, wenn sie es mit einem solch sensiblen Feingeist wie mir zu tun haben.« Beck zog Sarah an sich und küsste sie auf den Hals.
»Mmm. Hör auf, wir wollen spazieren gehen. Noch eine Runde überlebe ich außerdem nicht.«
»Na und? Wär doch ein schöner Tod, oder?« Beck hatte plötzlich keine Lust auf einen Spaziergang mehr, es war doch sowieso viel zu kalt.
Leider schien Sarah diesmal ernsthaft anderer Meinung zu sein und schob ihn von...