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«Wenn es zum Krieg mit Japan kommen sollte, werden wir rücksichtslos kämpfen. Die werden sofort eingesetzt, um die Papierstädte Japans in Brand zu stecken. Wir werden keineswegs davor zurückschrecken, Bomben auf Zivilisten abzuwerfen - wir kämpfen mit allen Mitteln.»
Pressekonferenz von General Marshall am 15. November 1941[1]
Als George Marshall, Stabschef der US Army, einen kleinen Kreis prominenter amerikanischer Journalisten wenige Wochen vor dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor an seinen Ansichten teilhaben ließ, war kaum zu erwarten, dass der Boeing-Langstreckenbomber B-17 «Flying Fortress» («Fliegende Festung») die japanischen Hauptinseln überhaupt würde erreichen können. Die Motive für Marshalls Prahlerei sind nur schwer zu ergründen; es sei denn, er hoffte insgeheim, jemand aus dem kleinen Kreis der Adressaten könnte so indiskret sein, die Militärführer Japans wissen zu lassen, welche Gefahr sie heraufbeschworen, wenn sie einen Krieg gegen die Amerikaner riskierten. In der amerikanischen Öffentlichkeit waren Bombenangriffe auf Zivilisten weitgehend geächtet, und so dachte auch Präsident Roosevelt, nominell der Oberbefehlshaber der Streitkräfte und damit Marshalls Vorgesetzter. Die Nennung der japanischen «Papierstädte» ließ einen Alltagsrassismus aufscheinen, den viele Menschen im Westen angesichts der scheinbar exotischen Kultur Japans teilten.
Wie sich herausstellen sollte, wurde die Bombardierung japanischer Städte, und zwar nahezu aller, erst nach einem fast vierjährigen erbitterten Ringen im Süd- und Zentralpazifik möglich. Marshalls Versprechen, die Bombardements würden «mit allen Mitteln» erfolgen, war letztlich das einzige, das er wirklich einlöste. Denn 1945 erlebte Japan die drei tödlichsten Bombenangriffe des gesamten Krieges - auf Tokio, Hiroshima und Nagasaki. Fast zwei Drittel von Japans «Papierstädten» wurden durch Feuersbrünste zerstört, durch den von Präsident Truman im August 1945 angekündigten «Regen des Verderbens» («rain of ruin»). Die Atombomben läuteten schließlich ein neues strategisches Zeitalter ein. Wie es dazu kam und welche Folgen die Ereignisse hatten, ist Gegenstand dieses kleinen Buches.
Die amerikanischen Militärführer hatten schon lange erwogen, wie Japan in die Knie zu zwingen wäre, falls es zu einem Krieg zwischen den beiden wichtigsten Marinemächten der Pazifikregion kommen sollte. Ein Bombenkrieg wurde erst spät in diese Überlegungen einbezogen, da Japan zunächst weder vom kriegsgeplagten China her noch aus dem ganzen Südpazifikraum mit verfügbaren Bombenflugzeugen erreicht werden konnte. Das änderte sich erst, als ab Sommer 1944 der Langstreckenbomber B-29 «Superfortress» («Superfestung») zur Verfügung stand. Angesichts der groß angelegten strategischen Bombardements auf dem europäischen Kriegsschauplatz kamen die Planer der US-Luftstreitkräfte jedoch nicht umhin, den Einsatz der Langstreckenbomber im Krieg gegen Japan - wie letztlich auch in Deutschland - zu reduzieren.
Flächenbombardements waren ein zentrales Element im strategischen Arsenal der Westalliierten - eines, das dem sowjetischen Verbündeten nicht zur Verfügung stand. Diese Art der indirekten wirtschaftlichen Kriegführung passte gut zu dem strategischen Konzept, das den militärischen Druck auf die Heimatfront des Feindes als legitimes und effektives Ziel für den Einsatz der eigenen Luftstreitkräfte ansah. Die Briten hatten diese Strategie in Europa rücksichtslos verfolgt und hofften, dass sie sich nun, nach dem Sieg über Hitler, den amerikanischen Luftstreitkräften im Kampf gegen Japan würden anschließen können.
Für Japan lief dies auf eine Brandbombenkampagne von März bis August 1945 hinaus und schließlich als Höhepunkt auf die Atombombenangriffe in der vorletzten Woche des Pazifikkrieges. Letztere werden oft als getrenntes Thema behandelt, aber sie zielten als Komplementäraktionen ebenfalls darauf ab, Japans Städte zu zerstören. Im Folgenden werden sie darum in diesem Kontext betrachtet. Die britische Gesandtschaft in Japan, die die Aufgabe hatte, einen Bericht über die Bombardierungen zu erstellen, hob den Zusammenhang zwischen beiden Kampagnen hervor: «Die Brandbombenangriffe vom März», heißt es in dem Bericht, «bereiteten zweifellos den Boden für den Zusammenbruch der Moral nach den Atombombenabwürfen.» Japan habe seine Friedensfühler bereits im Juni 1945 ausgestreckt, im Anschluss an die Brandbomben, «und die Atombomben im August brachten diese Bestrebungen zur Reife, waren aber nicht ihr Auslöser».[2]
Die Luftstreitkräfte der US Army, die sowohl die konventionelle als auch die nukleare Bombenkampagne durchgeführt hatten, gefielen sich in dem Gedanken, dass nur durch ihre Macht die japanische Kapitulation wenige Tage nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima herbeigeführt wurde. Diese Schlussfolgerung wird nach wie vor von vielen Historikern geteilt. Wann immer ethische Zweifel angemeldet wurden, lautete die Antwort: militärische Notwendigkeit angesichts eines wilden, erbitterten Gegners. Das Erzwingen der japanischen Kapitulation durch Bombardierungen habe unzählige amerikanische Leben gerettet, und dieses Ergebnis galt damals wie heute als höherer moralischer Imperativ als die Sorge um Hunderttausende zivile Opfer auf der japanischen Seite. «Aber sich Gedanken zu machen, ob unser Handeln moralisch ist - das ist doch irre», verkündete US-General Curtis LeMay, der Kommandeur dieser Bomberkampagne, zwanzig Jahre nach Kriegsende. «Wenn wir in einer beliebigen Schlacht unsere Aufgabe erfüllt hatten», fuhr er fort, «ohne allzu viele unserer eigenen Leute in den Tod zu schicken, dann fanden wir, wir hätten einen ziemlich guten Tag gehabt.»[3] Das waren und sind bis heute die zentralen Argumente auf der einen Seite der Nachkriegsdebatte über Effektivität und Moral der Bomberkampagne, vor allem aber des Einsatzes der Atombomben.
Je mehr Zeit vergeht, desto uneindeutiger werden diese Grundannahmen über den Bombenkrieg. Sie werfen mindestens so viele Fragen auf, wie sie beantworten, und haben zur Entstehung einer äußerst umfangreichen historischen Literatur geführt. Warum wandten zum Beispiel die amerikanischen Luftstreitkräfte in Japan eine Strategie der unterschiedslosen Zerstörung der Städte durch Brandbomben an, während dieselben Luftwaffenkommandeure die britischen Flächenbombardements deutscher Städte sehr kritisch beurteilten? Auch hier ging es doch darum, Stadtzentren durch Feuersbrünste zu vernichten. Was führte zur Entwicklung von Nuklearwaffen und schließlich zur Entscheidung, sie auch einzusetzen? Führten die - konventionellen und atomaren - Bombardements wirklich zur japanischen Kapitulation, oder gibt es noch andere Erklärungen, durch die die Berufung auf die Macht der Luftstreitkräfte relativiert werden müsste? Waren die Atomwaffen nicht auch als zynische Demonstration der amerikanischen Macht und technischen Überlegenheit gedacht, um die Sowjetunion einzuschüchtern - zu einem Zeitpunkt, als beide Staaten sich rasch auf die gegenseitige Konfrontation im Kalten Krieg zubewegten?
Zu guter Letzt bleibt bis heute auch die Frage ungeklärt, ob die Atombombenabwürfe moralisch gerechtfertigt und legitim waren oder ob es sich um ein ungesühntes Kriegsverbrechen handelte. Auf all diese Fragen wurden zahlreiche verschiedene Antworten gegeben. Kein anderes Einzelthema in der Geschichte der amerikanischen Kriegsanstrengungen hat so viele historische, politische und philosophische Schriften hervorgebracht wie dieses. Und kein anderer erhaltener Aktenbestand ist so oft einer genauen forensischen Prüfung unterzogen worden.
Ziel dieses Buches ist es, die genannten Fragen klar darzustellen und zu zeigen, welche Antworten möglich sind - im Lichte dessen, was wir heute, acht Jahrzehnte später, wissen. Um die oft stark amerikanisch geprägte Erzählung zu erweitern, werden hier zwei ergänzende Elemente eingebracht: Zum einen ist heute die japanische Seite der Geschichte wesentlich besser bekannt als noch vor einer Generation, und sie wird hier so vollständig wie möglich in die Diskussion integriert. Das betrifft beide Formen der Bombardierung und deren Auswirkungen auf die japanische Führung wie auch auf die weitere Bevölkerung. Wenn man weiß, wie man in Japan zu Kapitulation stand, wird deutlich, warum diese so schwer zu erreichen war. In der Tat wurde der Begriff dort niemals benutzt; es war immer von einer «Beendigung des Krieges» die Rede.
Zum anderen soll hier auch die britische Seite der Geschichte zur Geltung kommen, denn auch Großbritannien war ein wichtiger Gegner im Krieg mit Japan, dessen Rolle in den Berichten über die Niederlage Japans oft übersehen wird, weil die britischen Streitkräfte kaum über Südostasien hinauskamen. Sowohl Winston Churchill als auch Harry Truman gaben grünes Licht für den Einsatz der beiden Atombomben. Britische Bomberstaffeln sollten gerade zu jenem Zeitpunkt im Pazifik eintreffen, als Japan kapitulierte. Ein Team hochkarätiger britischer Wissenschaftler war 1944 in Los Alamos eingetroffen, um beim Bau der Atombombe zu helfen, doch ihre Beteiligung wurde in den Darstellungen oft beiseitegewischt, so als hätten sie nichts Wesentliches beigetragen.[4]
Der folgende Text ist in nicht unerheblichem Maß dem Reichtum der gegenwärtigen Forschung verpflichtet, was ich...
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