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Mein deutsches Nationalgefühl war so stark, daß ich im Anfang der Universitätszeit zunächst zur Burschenschaft in Beziehung gerieth, welche die Pflege des nationalen Gefühls als ihren Zweck bezeichnete. Aber bei persönlicher Bekanntschaft mit ihren Mitgliedern mißfielen mir ihre Weigerung, Satisfaction zu geben, und ihr Mangel an äußerlicher Erziehung und an Formen der guten Gesellschaft, bei näherer Bekanntschaft auch die Extravaganz ihrer politischen Auffassungen, die auf einem Mangel an Bildung und an Kenntniß der vorhandnen, historisch gewordnen Lebensverhältnisse beruhte, von denen ich bei meinen siebzehn Jahren mehr zu beobachten Gelegenheit gehabt hatte als die meisten jener durchschnittlich ältern Studenten. Ich hatte den Eindruck einer Verbindung von Utopie und Mangel an Erziehung. In mein erstes Semester fiel die Hambacher Feier (27. Mai 1832), deren Festgesang mir in der Erinnrung geblieben ist, in mein drittes der Frankfurter Putsch (3. April 1833). Diese Erscheinungen stießen mich ab, meiner preußischen Schulung widerstrebten tumultuarische Eingriffe in die staatliche Ordnung.
Otto von Bismarck. Gedanken und Erinnerungen, Band 1. I. Kapitel
*
Man schrieb das Jahr 1866. Der lange Winter war vorbei und der Frühling zeigte sich in der Mark Brandenburg, dem Kernland des Königreich Preußen, endlich in höchster Pracht. Die Hauptstadt des Landes, Berlin, erlebte einen lauen Maitag. In vierzehn Tagen würde das Pfingstfest gefeiert werden; die Zeit der langen, heißen Tage, deren Licht kein Ende zu nehmen schien, näherte sich.
Geschäftig durcheilten die Menschen die Straßen der preußischen Metropole, ein wahrer Strom flutete hin und her. Handel und Verkehr füllten die Gassen, Kutschen und Pferdedroschken rollten durch die weite Stadt. Fuhrwerke brachten Lasten und Waren in Fabriken und Läden. Da und dort erklang Militärmusik. Auf der Prachtstraße Unter den Linden schien das Tempo auf dem ersten Blick gemäßigter, doch auch hier herrschte buntes Treiben. Gesetzte Bürger mit Ehefrauen und blühenden Töchtern spazierten auf dem Trottoir. Dunkel gekleidete Beamte aus den nahen Ministerien eilten mit wichtiger Miene vorüber. Elegante Damen in weiten Überröcken und breitrandigen Florentinerhüten, unter denen Locken hervorquollen und die ein feiner Duft nach Maiglöckchen und Eau de Cologne umgab, strebten in die Cafés. Offiziere in blauer Uniform folgten ihnen mit Blicken und grüßten höflich. Weiter unten in der Straße in Richtung Stadtmitte schritten Herren in Überrock und hellen Westen, an denen schwere Uhrketten baumelten, und besprachen Geschäftliches. Jetzt erschien eine kichernde, große Schleifen tragende Gruppe von Backfischen, begleitet von Gouvernanten. All diese Menschen schlenderten, flanierten und liefen auf und ab und füllten die große Prachtstraße mit vielfältigem Lärmen.
Mitten unter der bewegten Menge in Höhe des russischen Gesandtschaftshotels spazierte gemessenen Schrittes ein gut gekleideter Herr. Er befand sich dem Äußeren nach in den besten Mannesjahren und war von beeindruckender Gestalt. Der Herr musste eine bekannte Persönlichkeit sein, denn er wurde ehrfurchtsvoll gegrüßt, und er grüßte seinerseits gemessen zurück, indem er den Zylinder leicht lüftete. Der Spaziergänger war der preußische Ministerpräsident Graf Otto von Bismarck, der nach einem Vortrag bei König Wilhelm das königliche Palais verlassen hatte und sich nun auf dem Heimweg befand.
Der Graf fröstelte leicht, eine Erkältung der letzten Tage machte ihm noch immer zu schaffen. Seine Gattin Johanna hatte am Mittag darauf bestanden, dass er, trotz des angenehmen Maiwetters, einen dicken Mantel über Rock, Weste und Hemd anzog, dazu eine seidene Unterjacke. Dennoch war ihm kühl, die Krankheit schien noch nicht völlig überwunden.
»Otto, du musst dich mehr um deine Gesundheit kümmern«, ermahnte ihn ständig seine Frau. Johanna hatte sicher recht, seit dem Jagdunfall in Schweden im Sommer 57 häuften sich die Krankheiten. Beinahe wäre als Spätfolge des Sturzes vom Pferd vor sieben Jahren sogar sein linker Unterschenkel amputiert worden. Zum Glück hatte er sich gegen den russischen Chirurgen Dr. Pirogoff durchsetzen können und das Bein behalten. Aber die Rekonvaleszenz hatte lange gedauert. Und jetzt, er sah sich im besten Alter, denn er war im letzten Monat gerade einundfünfzig geworden, quälte ihn seit einigen Wochen ein grässlicher rheumatischer Schmerz unter dem linken Schulterblatt. Graf von Bismarck schüttelte ärgerlich den Kopf. Krankheit war letztlich Einbildung, er durfte an diese Schmerzen einfach nicht denken. Mit einem guten Essen, einem herzhaften Frühstück mit Braten, Schinken und Eiern und Kuchen ließen sich die Lasten eines Tages einfach besser bewältigen und alle Krankheiten kurieren. Obwohl - der Vortrag bei Seiner Majestät war anstrengend gewesen, zumal die aktuelle politische Lage im Bund äußerste Brisanz zeigte. Wieder einmal Österreich und die Sachsen! Bismarck seufzte. Österreich rüstete für den Krieg, an den Börsen gab es Unruhe und Bewegung, und vor allem war den Franzosen und ihrem Kaiser nicht recht zu trauen. Die Schleswig-Holstein-Frage stand erneut im Mittelpunkt, und damit die Bundesfrage, ja im eigentlichen die Frage der Einheit. Nein, dachte er leicht missmutig, diese Fragen beantwortete er heute nicht mehr, obwohl er sich die eine oder andere Antwort vorstellen konnte. Aber so einfach waren mit Seiner Majestät Antworten nicht zu finden.
Der Ministerpräsident blieb stehen, zog die Taschenuhr hervor und warf einen Blick auf das Ziffernblatt - gleich halb sechs. Zu Hause erwarteten ihn Gäste und ein kräftiges Abendessen. Er beschleunigte seinen Schritt, fiel dabei unwillkürlich in den Rhythmus des gerade vorbeimarschierenden 1. Bataillons des 2. Garde-Regiments zu Fuß. Den kommandierenden Offizier kannte er gut. Bismarck trat auf ihn zu, um ihn kurz zu begrüßen, da knallte es in seinem Rücken zweimal laut.
Was war das?
Pistolenschüsse, wer schoss?
Er drehte sich rasch um. Unmittelbar hinter ihm befand sich ein schmaler junger Mann von vielleicht zwanzig, zweiundzwanzig Jahren. Der Mann sah ganz ordentlich aus. Er war mit einem anständigen dunklen Anzug bekleidet und hatte ein graues Plaid über die Schulter geworfen. Sein Hut war ihm entfallen. War er der Schütze? Da sah Bismarck, dass der junge Mann einen Revolver direkt auf ihn gerichtet hielt. Ja, der Kerl hatte offenbar gerade auf ihn geschossen und augenscheinlich nicht getroffen! Bismarck zögerte nicht und sprang vor. Er ergriff den Burschen an der Kehle und packte gleichzeitig den rechten Arm des Mannes. Ein weiterer Schuss krachte. Ein in der Nähe befindlicher Herr versuchte ebenfalls, den Angreifer in seinem Tun zu hindern. Doch dem Attentäter gelang es, den Revolver in die linke Hand zu nehmen und diesen auf die Brust Bismarcks zu setzen. Erneut drückte der Mann ab. Der Graf spürte einen kurzen Druck, einen jähen Schmerz - war das der Tod? Einen Augenblick durchfuhr ihn ein Schwindel, der sofort wieder verschwand. Nein, nichts war passiert, den Schmerz musste er sich eingebildet haben, denn das Herz schlug weiter. Er atmete, er lebte; die Kugeln hatten trotz der kurzen Distanz ihr Ziel verfehlt - er war unverletzt! Die Soldaten und Offiziere des 2. Garde-Regiments eilten hinzu, der Schütze wurde ergriffen, entwaffnet und mit gefesselten Händen zur Polizeiwache in der Dorotheenstraße gebracht. Bismarck blieb zurück, besorgte Bürger umringten ihn.
»Sind Eure Exzellenz verletzt worden?«
»Nicht im Geringsten, nur der Stoff ist etwas verbrannt.«
»Und Sie fühlen sich wohl?«
»Gewiss, es ist nichts passiert!«
Sie beglückwünschten den Ministerpräsidenten zum glimpflichen Ausgang des Mordanschlags und geleiteten ihn schließlich unter Hochrufen heim in die Wilhelmstraße 76. Das Ganze war ihm lästig, aber unvermeidbar, und irgendwie rührte ihn die Anhänglichkeit der Bürger. Daran, ein Krankenhaus aufzusuchen, dachte er nicht, er wollte nur nach Hause.
Dort warteten im Salon bereits ungeduldig die Gäste. Die Damen und Herren wurden allmählich hungrig, allein der Ministerpräsident ließ weiter auf sich warten. Die Gastgeberin, Bismarcks Ehefrau Johanna, trat ans Fenster und hielt nach ihrem Gatten Ausschau. Auf der Straße war die vertraute Silhouette noch nirgends zu sehen. Sie wandte sich mit einem Seufzer vom Fenster ab.
»Dein Vater wird länger bei Seiner Majestät sein, als er angenommen hat. Es ist auch immer so viel zu besprechen«, sagte sie zu ihrer Tochter Marie.
»Heute hätte Papa ruhig pünktlich sein können«, erwiderte Marie leise und zog einen Schmollmund.
Ihre Mutter ging nicht weiter auf die Bemerkung ein und begab sich zurück zu ihren Gästen. Dort bemühte sie sich redlich, der Gesellschaft die Wartezeit mit Plaudereien zu verkürzen. Johanna von Bismarck liebte Musik und spielte selbst ausgezeichnet Klavier, so lenkte sie das Gespräch auf ihr Lieblingsthema. Bald sprach die Runde über den in Bayern lebenden Sachsen Richard Wagner. Noch immer bewegte die letztjährige Aufführung seiner Oper >Tristan und Isolde< die Gemüter und es wurde gleichermaßen gelobt wie getadelt.
»Ich stehe mit dem Meister in enger Verbindung«, tat die Gräfin von Schleinitz-Wolkenstein, Gattin des preußischen Hausministers Alexander von Schleinitz, selbstgefällig kund. »Mein Gemahl hat vor, den Meister nach Berlin einzuladen.«
»Wie überaus interessant«, erwiderte Johanna, die die Salonnière und deren leidenschaftliches...
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