Schweitzer Fachinformationen
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Tonis Hautton fällt in die Kategorie Cappuccino Macchiato, serviert an einem lauen Novemberabend in Sri Lanka (gemäß der nationalen Kategorisierung Andersfarbiger). Aber nicht nur der alltägliche Rassismus macht ihr zu schaffen, sondern auch die fragwürdigen Leidenschaften ihrer Familie für Versicherungspolicen, Affären, Scam-Mails und Gartenzäune. Und dann sind da noch ihre chronischen Kopfschmerzen sowie die Zwillingsschwester, die in fast allem besser ist als sie. Nur wenn Toni ihre Daily Soap schaut, kann sie kurz abschalten. Bis irgendwann nicht einmal das mehr geht. Das Familienunternehmen Banal & Bodeca ist derweil einem heftigen Shitstorm ausgesetzt. Um den Vorwurf des Rassismus zu entkräften, möchte es eine Reality-Show mit Schwarzen Darstellern produzieren lassen. Als sich die Wege der beiden Familien kreuzen, kommt es zu ungeahnten Verstrickungen. Alle Beteiligten müssen sich fragen: Ist das Leben nicht selbst eine Art Seifenoper?
Louis Efe di Cabrio fällt unter die Kategorie Mousse au Chocolat, kreiert aus einer Kakaoernte Belgisch-Kongos, raffiniert mit einer Portion Schweizer Marketing16. Nachdem er seinen Job verloren hat, ist er wie Anneli von einer Sinnkrise heimgesucht worden, die ihm schließlich auch noch die Frau gekostet hat.
Seine heiße Affäre mit Annelis bester Freundin Barbara Knall war nämlich nur so lange heiß, wie sie verboten war - ein geläufiges Phänomen im Reich der Leidenschaften. Louis Efe hat Barbara schneller fallen lassen als davor den heißen Teller mit Züri Geschnetzeltem in der Kronenhalle, der zu lange unter dem Wärmestrahler gestanden hat und den er, anstatt ihn wieder abzustellen und mit einem Serviertuch zu fassen, aus Stolz mit der bloßen Hand bis zum Gast getragen hat, wobei diese einen eigenen Willen entwickelt und sich der Strapaze entzogen hat, als Louis Efe dem berühmten Schriftsteller das Geschnetzelte hinstellen wollte. Anstatt dieses also auf die für es vorgesehene weiße Blüte zwischen dem polierten Silbermesser und der etwas weniger polierten Silbergabel zu platzieren, lässt er es in einem Akt des Schmerzes, der noch älter ist als die Kronenhalle, auf den Schoß des Herren fallen, der deswegen Verbrennungen dritten Grades erleidet - was die fristlose Kündigung Louis Efes zur Folge hat. Aber eins nach dem anderen.
Vor seiner Kündigung lässt ein Stammgast des Lokals nach dem Essen nämlich etwas auf dem Tisch liegen, was eine Kette von Ereignissen nach sich ziehen wird, die sogar den Bundespräsidenten der Schweiz involviert. Ebendieser Stammgast hat ein Auge auf Louis Efe geworfen, weshalb er die Kronenhalle täglich aufsucht, um sich dann, sobald er seinen Lieblingskellner erblickt hat, an einen Tisch in dessen Zuständigkeitsbereich platzieren zu lassen.
Paul Banal hatte schon immer etwas für die Arbeiterklasse übrig, erst recht für die attraktive. Die Vorstellung, von Vertretern des gemeinen Fußvolkes wie ein Popstar angehimmelt zu werden, erscheint ihm angesichts seiner Bindungsängste als einzig mögliche Simulation romantischer Beziehungen. Deshalb stellt er diesem wunderschönen Kellner mit einzigartiger Ausstrahlung nach, wobei sich die kommunikative Distanz zwischen den beiden von Tag zu Tag verringert. Die Länge des einen oder anderen, mit vieldeutigen Blicken Paul Banals gespickten Plauschs quantifiziert sich dabei proportional zur Höhe seines Trinkgeldes, und bald schon setzt sich Louis Efe - trotz des strikten Verbotes der Geschäftsleitung - zu ihm an den Tisch, um ungefragt intime Details aus dessen Liebesbeziehung zu erfahren.17 Die Annäherungsversuche des Gastes sieht Louis Efe, der um einiges älter ist als er, trotz ihres immer offensiveren und geradezu exhibitionistischen Charakters lediglich als spielerische Schmeicheleien, bis er eines Tages ein in Geschenkpapier gewickeltes Päckchen mit einer Karte auf dem Tisch vorfindet, den Paul Banal soeben verlassen hat. Sechs Minuten später ereignet sich die unglückliche Melange zwischen dem heißen Kalbsfleisch und dem Schoß des Schriftstellers, und Louis Efe wird von einem wutentbrannten Chef de Service frühzeitig nach Hause geschickt.
In seiner subventionierten Altstadtwohnung erwartet ihn Barbara Knall, in Jogginghose und dem Shirt, das er ihr geliehen hat. Ihr Haar ist verstrubbelt, ihre Bewegungen werden von einem leichten Schweißgeruch abgerundet, und der Begrüßungskuss offenbart die bakterielle Invasion ihrer ungeputzten Mundhöhle.
Plötzlich sieht Louis Efe Barbara mit anderen Augen, sieht er alles mit anderen Augen. Barbara ist nicht mehr länger der verbotene und deshalb umso begehrenswertere Vamp mit den dunkelrot geschminkten Lippen und dem hautengen schwarzen Minikleid18, der ihn an Annelis Geburtstag im Badezimmer oral befriedigt hat. Sie ist nicht mehr das Konzept einer Frau, sondern eine realisierte Frau19, der er sofort ein Taxi bestellen möchte. Auch seine Arbeit als Kellner ist retrospektiv nur noch ein notwendiges Übel für ein Dach über dem Kopf und eine warme Speise im Bauch. Die Gespräche über Kunst mit seinen Lieblingsgästen, das Glücksgefühl, wenn während eines hektischen Abends alles perfekt verlaufen ist, die feuchtfröhlichen Nächte in schummrigen Bars, die er nach getaner Arbeit mit seinen Kollegen verbracht hat - all das hat plötzlich keinerlei Bedeutung mehr für ihn.
Nachdem Louis Efe Barbara tatsächlich ein Taxi bestellt hat, öffnet er die Flasche Cabernet Sauvignon, die er vor einiger Zeit aus der Kronenhalle mitgebracht hat, um sie gemeinsam mit ihr zu trinken, und ruft Anneli an, die nicht abhebt. Dann widmet er sich mit dem randvollen Weinglas in der Hand der Karte, die von Paul Banals krakeliger Schrift bedeckt ist.
Lieber Louis Efe,
du bist viel zu schön, um in der Gastronomie zu arbeiten.
Jemand wie du gehört vor die Kamera.
Ich möchte, dass die ganze Welt an deiner Schönheit teilhaben kann und du nie wieder heiße Teller tragen musst.
Möchtest du mein neuer Factory Boy werden?
In tiefster Verehrung,
Paul Banal
Louis Efe öffnet das Päckchen und entnimmt ihm eine Videokassette, die er mit Nervosität, die der antizipierten Fremdscham geschuldet ist, in den Rekorder legt. Auf dem Röhrenfernseher erscheint die Aufnahme eines jungen Mannes, der sich mit einer Stimme aus dem Off unterhält, die ihm zuerst Anweisungen gibt, wie er sich vor der Kamera zu positionieren habe. Als die Stimme - Louis Efe erkennt sie als die von Paul Banal - mit der Position des Mannes zufrieden ist, gebietet sie ihm, sich mit Namen vorzustellen und den Zuschauern ein Geheimnis über sich zu verraten. Mit verlegenem Lächeln und zu Boden gerichtetem Blick fängt der Mann an zu sprechen.
prince okiti Ich heiße Prince Okiti Osayoghoghowemwen, ich bin achtzehn Jahre alt, und mein Geheimnis ist .
paul banal Komm schon, sei nicht so schüchtern.
prince okiti Mir fällt nichts ein.
paul banal Natürlich fällt dir was ein. Nun sag schon.
prince okiti Also gut. Mein Geheimnis ist .
paul banal Fang noch mal von vorne an.
prince okiti Ich heiße Prince Okiti Osayoghoghowemwen, ich bin achtzehn Jahre alt, und mein Geheimnis ist, dass ich, also, ich habe keine Aufenthaltsbewilligung.
paul banal Das hast du mir gar nicht erzählt.
prince okiti Das haben Geheimnisse so an sich.
paul banal Magst du deinen Pullover für uns ausziehen?
Das geht so weiter, bis Paul Banal keine Fragen mehr einfallen und Prince Okiti keine Kleider mehr trägt, die ganze Aufnahme dauert nur circa sechs Minuten.
Als Louis Efe sich danach auf die kurze und abgewetzte Ledercouch legt, die über das Polster ragenden Beine überkreuzt und die Arme als Stütze hinter dem Nacken verschränkt, fragt er sich, wie es mit ihm weitergehen soll. Durch seine Arbeit als Kellner in einem gehobenen Etablissement kennt er viele einflussreiche Menschen wie diesen Paul Banal, der sich für einen zweistelligen Millionenbetrag das Gemälde von einem berühmten Künstler kauft, ohne irgendetwas von Kunst zu verstehen. Er weiß, wie er mit ihnen reden, an welchen Stellen ihrer Monologe er lachen muss, welche Geschichten sie gern hören, Geschichten über Männer wie ihn, die zu heiße Teller servieren und nur Beachtung finden, wenn sie gut aussehen, Geschichten über Dinge, die sie sich kaufen sollten, damit wiederum sie Geschichten erzählen können darüber, wie geschmackvoll und tiefgründig sie sind. Aber Louis Efe hat keine Lust mehr, sich demütigen zu lassen. Er möchte keine Schablone seiner selbst mehr sein. Er möchte auch zu der Klasse derjenigen gehören, die Geschichten erzählen, anstatt sie nachzuplappern, so wie dieser Prince Okiti. Louis Efe würde nicht von einem wie Paul Banal in eine Videokassette gesperrt werden, so viel steht fest.
Er bleibt für mehrere Wochen in seiner Wohnung. Zum Gefühl der Einsamkeit gesellt sich bald das der Nutzlosigkeit, welches mit Arbeitslosigkeit im Spätkapitalismus einhergeht. Schließlich steigert er sich in den Wahn hinein, mit Anneli an seiner Seite alle seine Probleme auf einen Schlag lösen zu können. Er pflegt nur Kontakt mit seinem Zwillingsbruder Echo Efe, der wegen seines Verwandtschaftsverhältnisses mit Louis Efe in dieselbe Kategorie des Hautfarbenverzeichnisses wie dieser fällt und die Illusionen seines sechs Minuten jüngeren Bruders mit Ellipsen und Kopfnicken bekräftigt. Die beiden treffen sich fast täglich, trinken Gralsburg und schmieden Eroberungspläne.
Echo Efes Privatleben ist im Gegensatz zu dem seines Bruders überschaubar, wenn nicht inexistent. Der Sechsunddreißigjährige ist es gewohnt, im Schatten seines Zwillingsbruders zu stehen - sein Gesicht ist einen Zacken asymmetrischer, sein Penis um einen Bruchteil kleiner, sein Charme um einiges geringer20, und er schielt, weshalb er von klein auf eine Prismenbrille tragen muss -, alles Besonderheiten, die ihm zwar die Aufmerksamkeit der übergriffigen Verwandtschaft erspart, aber auch Dissoziationstendenzen in ihm geweckt haben. Statt nun einen Groll gegen den attraktiveren, besser bestückten Bruder zu hegen, ist seine Coping-Strategie die Selbstaufopferung. Echo Efe ist seinem Bruder...
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