Schweitzer Fachinformationen
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George Orwells geniales Meisterwerk und Vermächtnis erscheint in einer neuen und zeitgemäßen Übersetzung von Eike Schönfeld.
»Der Große Bruder wacht über dich« - eine lückenlose Überwachung durch Kameras und Monitore rund um die Uhr, Bespitzelung durch Freunde, Nachbarn und Kinder: Die Partei ist im öffentlichen wie im privaten Leben allgegenwärtig, nichts entgeht ihr. Geschichtsschreibung wird verfälscht und den aktuellen politischen Gegebenheiten angepasst; Individualität ist nicht erwünscht. Wer sich widersetzt, wird mit Folter oder mit Tod bestraft. Winston Smith, Mitarbeiter im »Ministerium für Wahrheit«, der das ausgeklügelte System durchschaut, versucht trotz aller Gefahren, sich einen Rest von persönlicher Freiheit zu bewahren. Als er sich dann noch verliebt, hat das fatale Folgen.
Schonungslos zeichnet George Orwell in dem 1948 entstandenen Roman das erschreckende Bild einer Gesellschaft, die alles und jeden rund um die Uhr überwacht und bis ins letzte Detail straff durchorganisiert ist. Mehr denn je können wir uns dem beklemmenden Wirklichkeitsbezug nur schwer entziehen.
Es war ein heller, kalter Apriltag, und die Uhren schlugen dreizehn. Winston Smith, das Kinn an die Brust gedrückt, um dem scheußlichen Wind zu entrinnen, schlüpfte rasch durch die Glastüren der Victory Mansions, wenn auch nicht rasch genug, um zu verhindern, dass ein sandiger Staubwirbel mit ihm hineingelangte.
Im Flur roch es nach gekochtem Kohl und alten Lumpenmatten. An einem Ende war ein farbiges Plakat, für drinnen eigentlich zu groß, an die Wand geheftet. Es zeigte lediglich ein riesiges, über einen Meter breites Gesicht: das eines Mannes von ungefähr fünfundvierzig mit dickem, schwarzem Schnauzbart und groben, aber stattlichen Zügen. Winston ging zur Treppe. Sinnlos, es mit dem Aufzug zu versuchen. Selbst zu normalen Zeiten fuhr er nur selten, und zurzeit war der Strom tagsüber abgeschaltet. Das war Teil der Sparkampagne zur Vorbereitung auf die Hasswoche. Die Wohnung lag im siebten Stock, und Winston, der neununddreißig war und überm rechten Knöchel ein offenes Bein hatte, ging langsam und blieb sogar mehrmals stehen. Auf jedem Treppenabsatz, gegenüber dem Aufzugschacht, starrte das riesige Gesicht von dem Plakat an der Wand. Es war eines jener Bilder, die so gestaltet sind, dass einem die Augen überallhin folgten. DER GROSSE BRUDER HAT DICH IM BLICK stand darunter.
In der Wohnung verlas gerade eine sonore Stimme eine Liste mit Zahlen, die etwas mit der Produktion von Roheisen zu tun haben. Die Stimme kam aus einer länglichen Metallplatte gleich einem trüben Spiegel; sie bildete einen Teil der rechten Wandfläche. Winston drehte einen Schalter, worauf die Stimme sich etwas senkte, die Worte gleichwohl noch erkennbar waren. Das Gerät (der Bildschirm, wie es hieß) ließ sich leiser stellen, vollständig ausschalten jedoch nicht. Er trat ans Fenster: eine eher kleine, schwächliche Gestalt, deren Abgezehrtheit von dem blauen Overall, der Uniform der Partei, bloß noch verstärkt wurde. Er hatte sehr blonde Haare und ein von Natur aus heiteres Gesicht, und die Haut war von grober Seife, stumpfen Rasierklingen und der Kälte des Winters, der eben erst vorbei war, rau geworden.
Selbst durch die geschlossene Fensterscheibe wirkte die Welt draußen kalt. Auf der Straße wirbelten kleine Windstrudel Staub und Papierfetzen zu Spiralen, und obwohl die Sonne schien und der Himmel von einem harschen Blau war, wirkte alles bis auf die Plakate, die überall angeklebt waren, vollkommen farblos. Das Gesicht mit dem schwarzen Schnauzbart starrte von jeder beherrschenden Ecke herab. Auch an der Fassade direkt gegenüber war eines. DER GROSSE BRUDER HAT DICH IM BLICK stand darunter, und die dunklen Augen blickten tief in Winstons hinein. Auf Straßenebene schlackerte ein weiteres, an einer Ecke eingerissen, unruhig im Wind und gab dabei immer wieder das eine Wort ENGSOZ frei. In der Ferne strich ein Hubschrauber zwischen den Dächern dahin, verharrte einen Moment lang wie eine Schmeißfliege und drehte dann in einer Kurve ab. Das war die Polizeipatrouille, sie spähte die Leute durchs Fenster aus. Doch die Patrouillen zählten nicht. Einzig die Gedankenpolizei zählte.
Hinter Winstons Rücken brabbelte die Stimme aus dem Bildschirm noch immer über Roheisen und die Übererfüllung des Neunten Dreijahresplans. Der Bildschirm empfing und sendete simultan. Jedes Geräusch Winstons, das über einem sehr leisen Flüstern lag, wurde davon erfasst, außerdem konnte er, solange er im Sichtfeld der Metallplatte blieb, ebenso gesehen wie gehört werden. Natürlich konnte man unmöglich wissen, ob man gerade beobachtet wurde. Wie häufig oder mit welchem System die Gedankenpolizei sich in einen individuellen Anschluss einklinkte, war reine Spekulation. Es war sogar denkbar, dass sie jedermann jederzeit beobachteten. Jedenfalls konnten sie sich in einen Anschluss einklinken, wann immer sie wollten. Man musste in der Annahme leben - und tat dies auch aus Gewohnheit, die Instinkt geworden war -, dass jedes Geräusch, das man machte, mitgehört und jede Bewegung, außer im Dunkeln, beobachtet wurde.
Winston hielt dem Bildschirm weiterhin den Rücken zugedreht. Das war sicherer, auch wenn, wie er wohl wusste, selbst ein Rücken aufschlussreich sein kann. Einen Kilometer weiter ragte das Wahrheitsministerium, sein Arbeitsplatz, groß und weiß über die verrußte Landschaft auf. Das also, dachte er mit vager Abscheu - das war London, die Hauptstadt von Rollbahn eins, der Provinz Ozeaniens mit der drittgrößten Bevölkerung. Er versuchte, eine Kindheitserinnerung herauszupressen, die ihm sagen sollte, ob London schon immer so gewesen war. Hatte es schon immer diese Fluchten modernder Häuser aus dem neunzehnten Jahrhundert gegeben, an der Seite mit Holzbalken abgestützt, die Fenster mit Pappe, das Dach mit Wellblech geflickt, deren schiefe Gartenmauern in alle Richtungen sackten? Und die zerbombten Grundstücke, über denen Gipsstaub in der Luft wirbelte und wo Weidenröschen auf den Schutthaufen wucherten, und die Stellen, wo die Bomben einen größeren Bereich gerodet hatten und trostlose Kolonien aus Hühnerställen gleichen Holzhütten entstanden waren? Doch es war zwecklos, er konnte sich nicht mehr erinnern: Nichts war von seiner Kindheit geblieben als eine Reihe strahlend heller Tableaus, die ohne jeden Hintergrund auftauchten und zumeist unverständlich blieben.
Das Ministerium der Wahrheit - auf Neusprech[1] Miniwahr - unterschied sich in verblüffender Weise von jedem anderen Objekt in Sichtweite. Es war ein gewaltiger Pyramidenbau aus schimmernd weißem Beton, der sich Terrasse um Terrasse dreihundert Meter in die Luft erhob. Von Winstons Standpunkt aus waren lediglich, in eleganter Schrift von der weißen Fassade abgehoben, die drei Parolen der Partei zu lesen:
KRIEG IST FRIEDEN
FREIHEIT IST SKLAVEREI
UNWISSENHEIT IST STÄRKE
Das Ministerium der Wahrheit enthielt, so hieß es, oberirdisch dreitausend Zimmer und darunter die entsprechenden Verästelungen. Über London verstreut gab es nur drei weitere Gebäude von ähnlicher Erscheinung und Größe. Sie ließen die umliegende Architektur derart schrumpfen, dass man vom Dach der Victory Mansions aus alle vier gleichzeitig sehen konnte. In ihnen residierten die vier Ministerien, unter denen der gesamte Regierungsapparat aufgeteilt war: das Ministerium der Wahrheit, das sich mit Nachrichten, Unterhaltung, Bildung und den schönen Künsten befasste; das Ministerium des Friedens, das sich mit Krieg befasste; das Ministerium der Liebe, das für Recht und Ordnung sorgte, und das Ministerium der Fülle, das für die wirtschaftlichen Belange zuständig war. Ihre Namen auf Neusprech: Miniwahr, Minipax, Minilieb und Minifüll.
Das wirklich beängstigende war das Ministerium der Liebe. Es hatte überhaupt keine Fenster. Winston war noch nie darin gewesen, nicht einmal näher als einen halben Kilometer gekommen. Man konnte es ausschließlich in amtlicher Angelegenheit betreten und dann auch nur, wenn man ein Labyrinth aus Stacheldrahtverhauen, Stahltüren und versteckten Maschinengewehrnestern überwand. Sogar auf den Straßen, die zu seinen äußeren Barrieren führten, patrouillierten bullengesichtige, mit Gliederknüppeln bewaffnete schwarz uniformierte Wachen.
Winston drehte sich abrupt um. Er hatte seine Gesichtszüge zu einer Miene stillen Optimismus geordnet, die aufzusetzen ratsam war, wenn man sich dem Bildschirm zuwandte. Er durchquerte das Zimmer zu der winzigen Küche. Indem er das Ministerium um diese Tageszeit verließ, hatte er sein Mittagessen in der Kantine geopfert, wobei ihm bewusst war, dass es in der Küche außer einem Kanten dunkles Brot, der fürs Frühstück am nächsten Morgen aufgehoben werden musste, nichts Essbares gab. Er nahm eine Flasche mit einer farblosen Flüssigkeit und einem schlichten weißen Etikett mit der Aufschrift VICTORY GIN vom Bord. Sie verströmte einen üblen, öligen Geruch, wie chinesischer Reisschnaps. Winston goss sich fast eine ganze Teetasse voll ein, wappnete sich gegen einen Schock und leerte sie wie eine Dosis Medizin.
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