Die Erzählung des Ritters
Inhaltsverzeichnis Es war einmal, wie alte Sagen melden,
Ein Herzog; Theseus nannte man den Helden.
Herr und Gebieter war er von Athen,
Als Krieger seiner Zeit höchst angesehn;
Es war kein größrer in der Welt bekannt.
Erobert hatt' er schon manch reiches Land.
Mit List und Tapferkeit hat er bekriegt
Das Weiberreich und endlich ganz besiegt,
Das weiland ward geheißen Scythia.
Die junge Königin Hippolyta
Führt' er als Gattin heim aus diesem Streit
Mit vielem Pomp und großer Festlichkeit.
Emilie zog mit ihr, ihr Schwesterlein.
So im Triumph mit Siegesmelodei'n
Mag nach Athen der edle Herzog reiten
Und all sein Heer in Waffen ihn begleiten.
Ja, hielt' es mich nicht gar zu lange auf,
Erzählt' ich gern den völligen Verlauf,
Wie Theseus sich mit ritterlicher Macht
Das Reich der Weiber unterthan gemacht;
Auch von den großen Schlachten würd' ich sagen,
Worin die Amazonen er geschlagen;
Und wie belagert ward Hippolyta,
Die tapfre Königin von Scythia;
Wie ihre Hochzeit festlich ward begangen
Und von dem Tempel, da sie ward empfangen.
Doch Alles dies muß ich zur Seite stellen:
Ich hab' ein großes Feld noch zu bestellen,
Und schwach nur sind die Stier' an meinem Pflug;
Meine Geschichte ist noch lang genug.
Auch will ich keinen der Gesellschaft hindern
Und seine Zeit ihm zum Erzählen mindern.
Laßt sehn, wer wird das Abendbrod gewinnen,
Drum wo ich abbrach, will ich neu beginnen.
Der Herzog, dessen ich Erwähnung that,
Als er beinahe schon die Stadt betrat
In hohem Muth, mit Siegesglanz geschmückt,
Gewahrt, da er zur Seite grade blickt,
Wie eine Damenschaar in einer Reih'
Am Weg hin knieet, immer zwei und zwei
Hinter einander, schwarz gekleidet alle.
Sie schrei'n und jammern mit so lautem Schalle:
Kein Mensch auf Erden kann in Wahrheit sagen,
Er hörte je so jammerhaftes Klagen.
Und nimmer wollten sie vom Schreien lassen,
Sie mußten erst des Herzogs Zügel fassen.
»Wer seid ihr, die den festlichen Empfang
Ihr so mir stört mit Schrei'n und Klaggesang?«
Sprach Theseus, »treibt Mißgunst etwa und Neid
Auf meinen Ruhm euch, daß ihr also schreit?
Hat Jemand euch mißhandelt und beleidigt,
So sprecht! Wohl findet sich, der euch vertheidigt.
Und weshalb habt ihr schwarze Kleider an?«
Worauf die älteste der Schaar begann -
Todtbleich, sie konnte kaum vor Ohnmacht stehn;
Ein Jammer war's zu hören und zu sehn -:
»O Herr, dem das Geschick ein glorreich Leben
Und Sieg und Ruhm in Fülle hat gegeben,
Nicht neiden wir dir deine Kriegesehren,
Doch flehen wir uns Beistand zu gewähren.
Habe mit unserm Mißgeschick Erbarmen
Und laß aus Edelmuth, zum Trost uns Armen,
Ein Tröpfchen Mitleid auf uns niederfallen.
Denn, Herr, es ist hier keine von uns Allen,
Die Königin nicht oder Fürstin war.
Jetzt sind wir eine jammerhafte Schaar.
Wohl sorgt dafür Fortuna's falsches Rad,
Daß keines Standes Glück Bestehen hat.
So haben wir, um dir uns vorzustellen,
Hier an der Göttin Gnade Tempelschwellen
Schon volle vierzehn Tage zugebracht.
Nun hilf uns, Herr, es liegt in deiner Macht.
Ich Aermste, jetzt in Thränen und in Qual,
War einst des Königs Kapaneus' Gemahl,
Der fiel vor Theben; Fluch auf jenen Tag!
Und Alle, die wir jetzt in Ungemach
Mit Wehgeschrei bestürmen deine Ohren,
Wir haben unsre Männer dort verloren,
Als unser Heer vor jener Veste lag.
Nun ließ der alte Kreon - Weh der Schmach! -
Der Herr und Fürst von Theben ist zur Zeit,
Erfüllt von Haß und Ungerechtigkeit,
Er ließ, um seiner Tyrannei zu fröhnen
Und noch die todten Leiber zu verhöhnen,
Die Leichen unsrer Herrn, die dort erschlagen,
Auf einen Haufen hoch zusammentragen,
Und will in keiner Weise jetzt gestatten,
Sie zu verbrennen oder zu bestatten,
Nein, giebt den Hunden sie zum Fraß aus Hohn.«
Und kaum gesagt, so lagen Alle schon
Platt auf dem Grund und schrieen jämmerlich:
»Erbarme der elenden Frauen dich
Und laß ins Herz dir unsern Kummer dringen.«
Und rasch vom Roß sah man den Herzog springen;
Ihr Wort ergriff sein mitleidsvolles Herz;
Er wähnt', es müsse brechen ihm vor Schmerz,
Als er, die jüngst noch waren so beglückt,
So elend sah und so von Noth bedrückt.
Er hob sie auf, umfing sie mit den Armen,
Tröstete sie mit herzlichem Erbarmen
Und schwor 'nen Eid bei seiner Ritterschaft,
Er wolle gleich aufbieten alle Kraft,
An dem Tyrannen Kreon sie zu rächen.
Das ganze Volk der Griechen solle sprechen,
Es sei von Theseus Kreon so bedient,
Wie Einer, der den Tod mit Fug verdient.
Und eiligst, ohne mehr sich aufzuhalten,
Ließ er gen Theben sein Panier entfalten
Und machte Kehrt mit seinem Heerestroß.
Er wollte jetzt zu Fuß nicht, noch zu Roß
Heimziehn. Es wurde kaum nur Rast gemacht.
Er zog des Weges fort dieselbe Nacht,
Sandte die Königin Hippolyta
Zusammt der schönen Maid Emilia
In ihre neue Heimat nach Athen
Und ritt davon, ohne sich umzusehn.
Mars' rothes Bild erstrahlt mit Schild und Lanze
Im weißen Banner breit mit solchem Glanze,
Daß auf und ab es flimmert durch das Feld,
Und die Standarte, dem Panier gesellt,
Zeigt Kreta's Minotaur aus Gold geschlagen
In voller Pracht, den Theseus einst erschlagen.
So ritt der Fürst, der Held im Siegesruhme,
Des eignen Ritterheeres schönste Blume,
Bis er gen Theben kam, wo er ein Feld
Sich auswählt, das zum Kampf er passend hält.
Doch, weitrer Worte mich zu überheben,
Er ficht mit Kreon selbst, dem Herrn von Theben,
Erlegt ihn ritterlich in offner Schlacht,
Jagt in die Flucht die ganze Heeresmacht,
Nimmt auch mit Sturm die Festung selbst hernach,
Reißt Wall und Mauer ein und Dach und Fach
Und giebt die Leichen dann den Damen allen
Von ihren Eheherrn, die dort gefallen,
Sie zu bestatten nach dem Brauch der Zeit.
Doch führte die Erzählung mich zu weit,
Wollt' ich vom Jammer und den Weheklagen
Der Frauen an dem Scheiterhaufen sagen,
Oder der großen Ehre, die den Damen,
Als Abschied sie von ihm zu nehmen kamen,
Theseus erwies, der edle Siegesheld.
Auf Kürze hab' ich meinen Sinn gestellt.
Als so des werthen Herzogs Theseus Hand
Kreon erlegt und Thebens Stadt verbrannt,
Hat er die Nacht gerastet auf dem Plan
Und mit dem Land, wie ihm beliebt, gethan.
Die Marodeure übten nach der Schlacht
Mit Eifer ihr Geschäft und mit Bedacht:
Im Leichenhaufen wühlten sie umher,
Und plünderten die Kleider und die Wehr.
Und so geschah es, daß mit schweren Wunden
Bedeckt ein Jünglingspaar dort ward gefunden,
Zwei Ritter bei einander liegend, beide
In gleichem reich geschmückten Kampfgeschmeide.
Der eine hieß Arcitas, wie sich fand,
Der andere war Palamon genannt.
Man konnte lebend nicht noch todt sie nennen;
Doch waren sie am Wappenrock zu kennen.
Der Herold konnte ganz bestimmt erklären,
Daß von Thebanschem Königsblut sie wären,
Söhne von Schwestern aus dem Königshause;
So zog man sie denn aus dem Leichengrause
Und trug sie sänftlich in das Feldherrnzelt
Des Theseus, der für sie kein Lösegeld
Annahm, vielmehr sie nach Athen zur Haft
Hingab und ewiger Gefangenschaft.
Und als der werthe Herzog dies gethan,
Nahm er sein Heer und ritt heimwärts die Bahn
Mit Lorbeer als ein Siegesheld bekränzt.
Da lebt er nun von Freud' und Ruhm umglänzt
Sein Lebelang. Was soll ich weiter sagen?
Im Burgverließ mit Kummer und mit Klagen
Wohnen daselbst Arcit und Palamon
Für immer. Gold erlöst sie nicht davon.
Und Tag' und Jahre gingen so vorbei,
Bis eines Morgens es geschah, im Mai,
Daß sie, die schöner als die Lilie
Auf grünem Schaft zu schaun, Emilie,
Frischer als Maienblüthen, jüngst erschlossen
(Denn mit der Rose Roth war sie umgossen;
Ich weiß nicht, wer von beiden schöner war)
Noch vor dem Tag aufstand, wie immerdar
Sie pflegte; völlig war sie angezogen.
Der Mai ist trägen Schläfern nicht gewogen,
Er stachelt jedes zarte Herz mit Macht
Und weckt es aus dem Schlafe noch bei Nacht
Und spricht: Steh auf, mir Huldigung zu schenken.
Dieß ließ Emilien auch daran denken,
Dem Mai zu huldigen und aufzustehn.
In sauberm Kleid war frisch sie anzusehn,
In Flechten hing der blonden Haare Zier
Hinten herunter eine Elle schier.
So trieb...