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Vom Ritter zum Reitkünstler
Der Dresdner Kurfürstliche Stall und sein Stallhof haben heute ihre eigentliche Bestimmung verloren. Ihre prächtigen Grisaille-Malereien hat der Regen zerstört, Pferde und Gemälde sind verschwunden. Ihre Geschichte ist jedoch faszinierend.
Ihr Bau fällt in einen besonderen Moment der Geschichte Europas, nämlich jenen, als die voll gepanzerten Ritter von den Schlachtfeldern verschwanden und die Reichen und Mächtigen nur noch in Schauturnieren gegeneinander antraten. Im gleichen Augenblick änderte man die Reitweise vom steifen Sitz zur eleganten Reitkunst und ihrer Hohen Schule. Die Pferde wurden runder und prächtiger, die Sättel glitzernder und die Hufe tanzten von da an zur Piaffe. Man wollte nunmehr Ballotaden und Kapriolen sehen und deren Ausübung kennzeichnete die Hierarchie-Stellung des neuen Herrschers.
Wie es zur Entstehung der Reitkunst als solcher kam, die schon bald ganz Europa im Sturm eroberte und jeden Fürsten in die Pesade trieb, wurde bisher wenig erforscht. Bei genauerer Untersuchung zeigt sich jedoch, dass die Erbauer des Dresdner Stalls beim Durchbruch der neuen Kunstform in Mitteleuropa eine wichtige Rolle spielten. Lassen Sie uns diesen Weg bis zum Bau des Dresdner Gebäudes nachverfolgen und die Ereignisse davor betrachten.
Bis zum Beginn der Renaissance dominierten die schwerfälligen Ritter und ihre eisernen Rüstungen die Schlachtfelder Europas. Dann jedoch eroberten die Türken Konstantinopel im Jahr 1453 mit Hilfe von Kanonen und man erfand Hakenbüchse und Radschlosspistole. Im Herbst 1529 standen die Türken erstmals vor Wien. Auch in Deutschland war man sich der Gefahr bewusst und wie anderswo begann man auch in Dresden voller Angst, neue Festungsmauern zu bauen.
Die Heerführer des damals herrschenden Habsburger Kaisers Karl V. schufen zudem62 ab 1522 die Tercios. Diese Piken-bewaffneten festen Fußvolk-Abteilungen, die schweizer, italienische und deutsche Söldnertruppen umfassten, bildeten von da an die Grundlage ihrer Armeen in den späten Gefechten der Italienkriege, den diversen Kriegen auf französischem Gebiet ab der Mitte des 16. Jahrhunderts und im Schmalkaldischen Krieg auf deutschem Territorium. Ihre Infanterie nutzte die Durchschlagskraft der ersten Feuerwaffen, geschützt von einem undurchdringlichen Schutzwall aus 6 m langen Piken.
Begleitet wurde sie dabei von in der wendigen Scharmützeltechnik reitenden albanischen Stradioten, aber auch von deutschen Reitern, die man in Italien die 'Raitri' nannte, in Frankreich wenig später nach ihrer neuen Waffe die 'pistoliers'. So mancher sächsische Adelige verdingte sich als Truppenführer letzterer.63 Sie konnten daher erster Hand dabei zusehen, wie sich die gepanzerten Ritter zunehmend als ungeeignet erwiesen, dem Arkebusenfeuer und den Barrieren der Piken vor allem aber auch den schnellen, auf der Hinterhand wendenden leichten Reitern standzuhalten. Schwere, unhandliche Pferde konnten mit ihrer steifen Last nicht drehen und liefen in den Sperren in den Tod.64
Albrecht Dürer, Studie eines Reiters mit der Aufschrift 'Daz ist die rustung zw der czeit jm Tewtzschlant gewest.' 1498. Man sieht hier die sehr beschränkten Reitkünste des Spätmittelalters. Das Pferd drückt den Rücken weg, steht nach hinten ausgestellt und auf der Vorhand. Der Reiter hat die Beine durchgedrückt und hält sich fast stehend. Man beachte den kupierten Schweif des Pferdes. Fußvolk schnitt damals gern den gegnerischen Pferden den Schweif ab, was ungemein schmerzhaft ist und das Pferd vorerst außer Gefecht setzte, ohne das wertvolle Beutetier zu töten. Wien, Albertina, 3067. Dürer stellt hier eine aus seiner Sicht bereits historische Situation dar. Er freundet sich mit dem meisterlichen Reiter Galeazzo Sanseverino an und weitere seiner Pferdestudien zeigen elegant über den Rücken gerittene Pferde.
Mit ihnen wurde sich dessen ein Großteil der europäischen Aristokratie bewusst. Italien war in jenem Moment ein Sammelplatz der Völker. Dem Strudel lag ein Konflikt zwischen Kaiser Karl V. und Franz I. von Frankreich um die Vorherrschaft im Süden zugrunde.65 Jede der Streitkräfte brachte Söldner aus aller Herren Länder ins Spiel und der Kampf der Herrscher und ihrer Heere um das sonnige und kunstversessene Italien hatte den Nebeneffekt, dass nicht nur neue Militärtechniken, sondern auch Italiens Ruhm in die fernsten Ecken Europas drang. Jeder Fürstenhof begehrte von da an italienische Maler, italienische Mode und südländische Pferde. Und jeder rüstete um.
Da Vinci und Rosso Fiorentino begleiteten Franz I. zurück nach Frankreich. Tizian überquerte die Alpen, um Karl V. zu dienen. Und die neuen militärischen Zwänge brachten die Herrscher im gleichen Moment dazu, über eine wendigere Kavallerie nachzudenken, so wie es ihnen die Stradioten und die Neapolitaner vorritten. Die deutschen Landsknechte und Reiter befanden sich dabei an allen Fronten mitten im Geschehen und trugen die Neuigkeiten heim.66
Je mehr die Radschlosspistole ihren Einzug hielt, desto mehr benötigte man Beweglichkeit und die Italiener unter Giovanni de' Medici, genannt Giovanni delle Bande Nere, stellten zum ersten Mal auch in Norditalien auf der Basis der Stradioten Scharmützel-Einheiten auf. Eine neue Art der Reiterei hielt Einzug.67 Sie zeichnete sich durch Wendigkeit und Schnelligkeit aus und nutzte türkische und mit ihnen gekreuzte italienische Pferde.
Die ersten dieser viel begehrten, leichten türkischen Pferde, die aus dem zusammengebrochenen Byzanz stammten und auf dem berühmten persischen Nisäer basierten, den bereits Herodot um 430 v. Chr. als das beste Reitpferd der Welt gepriesen hatte, erreichten das ferne Sachsen als Geschenke des Kurfürsten von Brandenburg im Jahr 1488 und des Kaisers Maximilian I. im Jahr 1498.68 Sie wurden umgehend zur Zucht eingesetzt und 1520 erwähnt man auch bereits türkische Stuten in den sächsischen Gestüten.69 Angeregt durch die neuen Informationen aus Italien und familiäre Beziehungen mit den Gonzaga war der sächsische Hof einer der ersten, der die neuen Pferde und die neuen Reitweise einführte.
Die italienische Reitkunst zur Pracht und Parade stach dabei ganz besonders ins Auge der mächtigen Sachsen und aller anderen europäischen Herrscher. 70 Beeindruckt von deren Eleganz, begann man nun, ihre Schulsprünge und Pesaden nachzuahmen.71 Dies hinderte die Sachsen nicht, auch in der Turnierkunst zu brillieren. Diese wurde nunmehr zum adeligen Schauspiel in historisierender Romantik. Aber während man steif mit langen Lanzen und geblendeten Pferden gegeneinander anritt, sprangen bereits völlig anders geartete edle Hengste Kapriolen in den einleitenden Paraden. 72 Die Darstellungen der sogenannten 'Inventionen', die sich in den sächsischen Archiven erhalten haben, zeigen dies eindrucksvoll.
Die hohe Stellung des sächsischen Kurfürsten Moritz und später August als Erzmarschall und Augusts enge Freundschaft mit Kaiser Maximilian II. und dessen Bruder Erzherzog Ferdinand II. von Tirol förderten in der Folge die Überhöhung des Interesses der sächsischen Herrscher für Pferde und Pracht. Sie wollten mithalten, wenn nicht übertreffen.
Vor allem nach einer Reise des früh verstorbenen Kurfürsten Moritz von Sachsen nach Italien im Jahr 1549 wurden der Süden und seine Reitkunst endgültig zum Mythos und Ideal am Dresdner Hof.
Franz I. empfängt in Paris Karl V. und Kardinal Alessandro Farnese. Palazzo Farnese Caprarola, ca. 1557, Taddeo Zuccari. Farnese war einer der besten Reiter seiner Zeit und Arbeitgeber des legendären Gianbattista Pignatelli. Franz I. wiederum beschäftigte den berühmten Galeazzo Sanseverino als seinen Grand Ecuyer.
Ein Ritter in einem mittelalterlichem Turnierbuch. Er steht im Sattel, das Bein durchgedrückt. Das Pferd ist geblendet und rennt nur geradeaus. In der Schlacht blendete man die Pferde nicht, aber im Turnier wurde dies üblich.
Philipp IV. von Spanien. Man beachte den Unterschied in Reitweise, Harnisch und Haltung. Das Pferd springt in Posata oder Courbette. Es kann auf der Hinterhand wenden und gehorcht seinem Reiter perfekt. Diego Velazquez, 1630
Die italienische Eleganz zu Pferd wurde schon bald in ganz Europa zum Ideal und wurde auch von den großen Künstlern jener Zeit verewigt. Hier: Reiterskizze nach Raffael, Galleria dell' Accademia, Venedig
Italien als Wiege der neuen Reitkunst
Der konvexe Kopf, 'la Testa Montanina', Wahrzeichen der Neapolitaner findet sich zuerst bei den orientalischen Nisäer-Pferden. Hier abgebildet als das Ideal beim sächsischen Baron von Eisenberg73
Eine der ersten Darstellungen der Kapriole in Cesare Fiaschis Buch 'Trattato del Imbrigliare', 1556. Damals sollte das Pferd noch im wieder auf den Boden-Treffen nach hinten ausschlagen,...
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