Schweitzer Fachinformationen
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Ich ließ im Sitzen meinen Oberkörper nach vorne sacken. Dazu schlang ich die Arme umeinander und krümmte mich zusammen. Einem Vorgesetzten hätte ich wohl kaum erklären können, dass ich hier Wache hielt. Zumal auch noch mein Kopf, nur Zentimeter über dem Tisch, sanft hin- und herwiegte. Im Halbschlaf wanderten die Gedanken meiner Traumhochzeit entgegen. Im wahren Leben mangelte es an so ziemlich allem dafür. Sei's drum, umso feierlicher heiratete ich meine Lucy nun in einem rauschenden Fest: Das schwarze Haar der Braut und ihre dunklen Augen strahlten im Wettstreit mit dem Hochzeitskleid, das so weiß war wie ihre Zähne. Ich trug eine Galauniform mit goldenen Knöpfen. Doch die waren nicht einmal das Schönste daran, sondern meine nagelneuen Schulterklappen des Inspektors, die ich mit einem Seitenblick bewunderte. Ein wahrhaft prächtiges Bild von uns glücklichem Paar zeigten die schweren Wandspiegel des Rheinhotels Dreesen. Seine weißen Gebäude zwischen Bonn und Bad Godesberg boten unseren Gästen im Sonnenlicht einen wundervollen Ausblick auf den Rhein, den gegenüberliegenden Petersberg und das Siebengebirge. Der einzige Haken an diesem Ort drang wie ein Stachel in meinen Traum hinein und ich blinzelte kurz auf. Dies war früher Hitlers Lieblingshotel gewesen. Und der hatte sich vor dem Krieg inmitten dieser prächtigen Kulisse diebisch über seinen Betrug am englischen Premier Chamberlain und dem Weltfrieden gefreut. Das war aber keineswegs dem Hotel anzulasten. Außerdem hatten Lucy und ich hier jüngst einen wunderbaren Abschlussball nach unserem Tanzkurs genossen - dessen Übungsstunden zuvor freilich in einem kalten Bonner Kellerloch mit einem verstimmten Klavier stattgefunden hatten. Als US-Amerikanerin begeisterte sie sich für deutsche Traditionen, die Stil und Geschmack bewiesen und eine Historie besaßen, die über die zwölf Jahre der Barbarei hinausreichten. Und die Geschichte des feinen Hauses am Rhein erstreckte sich deutlich weiter zurück. Mit dieser Versicherung schloss ich meine Augen wieder, und kurz darauf spiegelten wir uns erneut als Braut und Bräutigam in Harmonie mit dem lichtdurchfluteten Festsaal. Meinerseits eine 1,80 Meter große Stattlichkeit unter dunkelblondem Haar. Das trug ich zur Feier des Tages gescheitelt, und die grünen Augen blitzten. Derweil versammelten sich sämtliche Gäste auf dem edlen Parkett, wir, das Hochzeitspaar, traten vor die Terrassentür zum Rhein hin. Alle erhoben die Gläser. Das reiche Büfett vor der Saal-Wand wollte die Tafel biegen. Mehr Fleisch stand darauf, als es eine Großfamilie in den letzten zehn Jahren zusammengenommen auch nur aus der Nähe gesehen hätte. Mutter lächelte, die Polizeikollegen ebenfalls. Aber ziemlich neidisch.
»Auf das stolze Paar«, »Zum Wohl«, »Hoch sollen sie leben«. Edelsüß prickelte der Champagner auf der Zunge. Endlich war ich am Ziel. Jetzt konnte mir keiner mehr Lucy wegnehmen - oder drohte das doch noch? Nein, sie wollte mich abermals küssen und ließ gar nicht mehr von mir ab. Wegen meines Ranges sträubte ich mich gegen so viel Gefühl. Aber nur vordergründig, denn zu gerne gab ich nach und mein Mund näherte sich wieder ihrem. Der Kuss schmeckte noch besser als .
. das Telefon schrillte. Der Ton riss mich hoch. Ich schlug die Augen auf, und abrupt lösten sich Lucys lächelnde Lippen im Licht der Schreibtischfunzel auf. Papier und Stift gerieten in mein Blickfeld, ein angebissenes Stück Brot, vertrocknet, hoher Anteil Sägemehl. Ein halbes Glas Wasser daneben. Kein Hochzeitsbüfett. Das schwarze Telefon schrillte noch mal, wieder unendlich laut.
»Gibt es einen Freiwilligen für die Rufbereitschaft in der Nacht von Donnerstag auf Freitag?«, hatte der alte Liebig am Vortag gefragt. »Wie wäre es mit Ihnen, Kommissar-Anwärter Kranzel?«
Häng dich rein, hatte er damit gemeint, vorwärts, Kranzel, zeig allen, dass die ausgebliebene Beförderung nur Ansporn ist, beim nächsten Mal dabei zu sein. Die Nase war mir da gerade besonders heftig gelaufen. Richtig schlimm hatte mich die Erkältung diesmal erwischt.
»Ja, ich übernehme das, Herr Kriminaldirektor.«
Die Rufbereitschaft hatte mir schließlich Zeit zum Nachdenken über meine Lage versprochen. Es fehlte wegen dieser verdammten Karrierebremse noch schmerzlicher an Geld für die Hochzeit. So viel war klar. Aber gab es darum überhaupt keine gemeinsame Zukunft mehr? Bewahrheiteten sich meine tiefsten Befürchtungen und Lucy wandte sich jetzt einem anderen zu?
Dazu kam meine Wut auf den Schuldigen: Kommissar Manfred Bräuer, seines Zeichens mein direkter Vorgesetzter und Ausbilder. Wegen seiner ständigen Trinkerei hatte er wieder einmal gefehlt und die Absage meines Beförderungswunsches von Direktor Liebig, unserem Dezernatsleiter, nicht einmal mitbekommen. Also war es seine und nicht meine Schuld, hatte ich mich zu beruhigen versucht. Doch das war mir schwergefallen. Kommt Zeit, kommt Rat, bin erst sechsundzwanzig und werde noch weit kommen, hatte ich gedacht. Nur Durchhalteparolen?
Die Rufbereitschaft war träge dahingeflossen, zwischen Warten, Einnicken und neuen Niesattacken. Am Abend waren wenigstens ein paar Anrufe hereingekommen, wegen des Wintersturms und des einbrechenden Schnees. Aber für mich waren sie alle bloß Mist. Was sollte ich mit Sachschäden, eingefrorenen Schlössern, Stürzen, samt einem Armbruch, bloß anfangen? Ich war schließlich bei der Kripo, und zwar im Morddezernat! Einen richtigen Mord wollte ich bekommen und am besten ganz allein aufklären.
Das Telefon schrillte nun zum wiederholten Mal. Ich hatte nicht mitgezählt. Einfach ignorieren? Es war schon weit nach sieben Uhr am Morgen, und das Schichtende lockte um acht. Außerdem spürte ich meine steil angestiegene Fieberkurve. Wenn es aber was Wichtiges war? Und jemand das später rausbekam?
»Leider haben Sie sich nicht bewährt, Anwärter Kranzel!«
Dazu vertiefte sich vor meinem inneren Auge die Zornesfalte in Direktor Liebigs Gesicht.
Obendrein traf mich der müde Blick von Kommissar Bräuer.
»Das hast du dir selbst eingebrockt.«
Ich nahm den Hörer ab. In meiner Hand wog er hundert Kilo.
»Kripo Bonn, Rufbereitschaft. Kommissar-Anwärter Eugen Kranzel am Apparat«, krächzte ich vorschriftsgemäß.
»Wer? Wat? . Anwärter? Isch versoch et schun die janze Zick. Wohl verschlofe, wo jibbet denn sowat?«
»Wie . äh, was meinen Sie?«
So eine dumme Gegenfrage, dachte ich sogleich. Klingt nicht nach Inspektor, klingt nach Anwärter.
»Leeve Jong, bist wohl esu ne Hochdütsche, na dann will ich das mal übersetzen: Was ich meine? Seit einer halben Stunde kriege ich das Morddezernat nicht an die Strippe. Bin nur zur Fahndung durchgedrungen. Keiner ist zuständig. Keiner kommt her. Und jetzt rede ich mit einem blutigen Anfänger, der verpennt hat. Dat darf doch wohl nit wohr sin!«
Hell erwacht drückte ich den Rücken durch, straffte die Schultern und hob den Kopf.
»Was fällt Ihnen ein? Sie sprechen hier mit der Kripo. Wer sind Sie überhaupt? Was wollen Sie melden? Wo befinden Sie sich?«
Die W-Fragen, gelernt ist gelernt, dachte ich.
»Nur mal langsam, du Jungspund.«
Dass er alt war, hatte ich durch die Leitung erkannt, obwohl es rauschte und knackte. Ein Fernruf musste das sein. Die Stimme klang grantig, ihr rheinischer Singsang dämpfte das kaum. Als sie fortfuhr, zog ich eilig den Stift heran.
»Melde, dass hier einer erschlagen wurde. Ich bin Polizeihauptwachtmeister Uli Fuhrmann. Ich rufe aus Kirchhofen an. Man hat den Toten heute früh gefunden, gegen sechs Uhr, klaro?«
Während ich schrieb, huschte mein Blick zur Wandkarte im Lampenschein.
»Kirchhofen? Wurde der Tote auch dort gefunden?«
Das lag gleich hinter Siegburg und so eben noch im Kreis der Bonner Zuständigkeit. Wenige Kartenmillimeter weiter, und es wäre ein Fall für die Kölner gewesen. Die Z-Frage nach der Zuständigkeit war so wichtig wie die W-Fragen. Ich atmete schneller. Bestimmt rötete sich mein Gesicht. Zum Fieber trat noch die Aufregung hinzu. Das war jetzt mein Fall, meine Chance, und ich durfte das nicht verpatzen!
»Ja, also, direkt bei Kirchhofen, vor dem Dorf, da hat er gelegen, in einem Schafstall, nah an der Sieg. - Am besten schreibst du dir das mal auf, Jong.«
Die Gegend kannte ich von der Durchreise in Richtung Sauerland, meiner alten Heimat, den Ort Kirchhofen hatte ich aber noch nie besucht. Fuhrmann ließ eine Pause verstreichen. Noch mal straffte ich mich.
»Nun hören Sie gut zu, Mister Hauptwachtmeister! Ich bin nicht Ihr Junge. Ich besuche den Lehrgang des Morddezernats. Bald bin ich Inspektor. Also hören Sie auf, mich zu duzen. Außerdem erwarte ich jetzt exakte Auskünfte. Wir werden den Fall übernehmen.«
Laut war ich geworden. Wieder folgte eine Pause. Hatte er verstanden?
»Nun ja, also, die, also die Annie, das heißt die Frau Anneliese Voss, die hat mich heute früh geweckt. . und . und die hat den Toten gefunden, zusammen mit dem Bauern Weißkirchen. Sie versorgt in der Frühe seine Kühe, klaro? Die Viecher waren sehr unruhig, und nach dem Melken ist ihr aufgefallen, dass . äh . dass der Schafstall nebenan offen stand. Aus Angst, wer da sein könnte, hat sie den Bauern dazugeholt. Sonst war der Stall immer abgeschlossen und die Tiere gehören bei so einem Schneetreiben ja nicht .«
»Das ist doch keine Meldung, verdammt noch mal! Keiner interessiert sich für irgendwelches Viehzeug. Was ist mit dem Toten? Wer? Wie? Was? Warum?«
Ich...
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