Schweitzer Fachinformationen
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Ein Fragezeichen erscheint auf dem Display. Ein einzelnes Zeichen, und es sagt doch mehr als ein ganzer Satz. Darin liegt Vorwurf, darin liegt Ärger, darin liegt aber auch Absolution.
Was ist jetzt? fragt das Fragezeichen.
Hast du dich wieder eingekriegt?
Du weißt, wie kindisch das war?
Das Fragezeichen stellt aber nicht nur Fragen, es stellt auch etwas fest. Ich bin immer noch da. Melde dich.
Er tippt ein Rufzeichen, schickt es aber nicht ab.
Es ist Mittwoch. Der Tag, nachdem er sein zweites Bewerbungsgespräch gehabt hätte. Meint sie womöglich das?
Wie ist es ausgegangen? fragt das Fragezeichen.
Nein, Rosi wird sich schon denken können, dass etwas schiefgegangen ist. Sie wird das doch hoffentlich nicht auf sich beziehen, dass er sich eine Woche lang nicht gemeldet hat. Oder?
Er sollte gar nichts schreiben. Er sollte sie anrufen. Er will sie nicht anrufen. Er will sehen, was los ist. Ihren Gesichtsausdruck, ihre Körpersprache, bevor er etwas Falsches sagt.
Er hatte sich bereits überlegt, ob er ihr nicht eine Mail schreiben sollte, ganz ausführlich erklären, was in ihm vorging. Montag Abend. Das leere Dokument geöffnet und bereit. Dann aber war ihm der Cursor auf die Nerven gegangen. Noch nie zuvor war ihm aufgefallen, wie nervös dieser kleine Strich blinkt, dort, wo die Nachricht entstehen soll.
- Na, was ist jetzt? schien ihm der Cursor zu sagen. - Warum schreibst du nicht? Schreib doch! Schreib doch! Schreib doch! Ich bin bereit. Bin bereit. Bin bereit.
Pietsch war es nicht. Und überhaupt, was genau ging denn in ihm vor? Ich bin zu feig, dir zu sagen, dass ich abgelehnt wurde? Ist das etwas, das man über Mail kommuniziert?
Er löscht das Rufzeichen. Treffen? schreibt er stattdessen.
Er wartet eine Minute. Zwei.
Eine Woche hat er sie gemieden, und jetzt kann er ihre Antwort kaum erwarten.
Darf ich dich zum Essen einladen? schickt er hinterher, als im selben Moment Hast du überhaupt Zeit? Offenbar bist du ja ziemlich beschäftigt auf dem kleinen Schirm erscheint.
Und kurz darauf die Antwort auf seine Antwort: Lieber nicht. Unser letztes Essen ist ja nicht so gut ausgegangen.
Das ist sehr ausführlich für ihre Verhältnisse.
Kaffee? schlägt er vor. Und ergänzt, bevor sie antworten kann: Wann immer du magst.
Und schickt noch Hab Zeit. Immer noch arbeitslos. hinterher.
Was Pietsch als selbstkritisches Augenzwinkern meint, als Signal, dass er jetzt bereit ist, über das Thema zu reden, kommt nicht so gut an. Sie schickt ihm Tag, Uhrzeit und die Adresse eines Cafés zurück. Die Adresse! Die Nachricht sieht aus wie ein Geschäftstermin. WhatsApp-Ironie kann sie eindeutig besser als er.
Pietsch fährt sich über das Gesicht, durch das steppengrasartige Gestrüpp, das dort inzwischen entstanden ist. Er hat sich die ganze Woche nicht rasiert. Wozu auch? Von einem Besuch im Supermarkt einmal abgesehen ist er ja nicht vor die Tür gegangen.
Zu Recht. Seit er auf sein Geld schauen muss, hat Pietsch erkannt, dass er in einer Welt lebt, in der jeder Schritt kostet.
Denkt an die Straßen. Auslagen, die einem versuchen einzureden, dass man spart, wenn man in Wahrheit Geld ausgibt. Denkt an Kaffeehäuser, die möchten, dass man Kaffee trinkt. Natürlich, Kaffeehäuser heißen nicht umsonst Kaffeehäuser. Denkt an Kinos, denkt an Konzerte, denkt an Parties.
Pietsch hat entdeckt, dass man zumindest in großen Buchhandlungen weitgehend in Ruhe gelassen wird. Nur in großen, wohlgemerkt, in den kleinen materialisiert sich sofort der Buchhändler deines Vertrauens und fragt, ob er dir helfen kann. In großen Buchhandlungen, zwei Stockwerke sind das Mindestmaß, kann man zumindest sitzen und lesen, kommt sich dabei aber mit der Zeit ebenso wie ein Schmarotzer vor, sobald man einmal die Überwachungskameras bemerkt hat und sich vorstellt, dass irgendwo im Gebäude ein Mitarbeiter vor einem Monitor sitzt und sich in einer Mischung aus Mitleid und Spott denkt, dass sich der Wirbel wegen dieses einen Typen auch nicht auszahlt.
Pietsch hatte seinen Lieblingsort im Stadtpark. Steinstufen vor einem Brunnen, auf denen man an warmen Tagen in Ruhe ausspannen konnte. Aber der Stadtpark ist in der Stadt. Also gibt es auch hier kein Entkommen, wenn die Einkäufer mit ihren Einkaufstaschen und Kartons über die Kieswege flanieren.
Pietsch wurde in dieser Woche bewusst, dass er seine Wohnung oft nur noch für Rosi verlassen hatte.
Also blieb er ohne sie daheim.
Sah fern.
Las Bücher, die er schon kannte.
Vergrub sich in seinen Computer.
Da ist noch jemand, der nicht nach draußen geht. Trotzdem ist alles anders. Im Gegensatz zu Pietschs Wohnung wirkt diese hier verlassen. Sie vermeiden es, über das Nötigste hinaus zu existieren. Keine Geräusche dringen ins Stiegenhaus, hinter den Fenstern flackert nachts kein Fernsehschirm und das wenige Licht einzelner Lampen könnte genauso gut eine Reflexion der Straßenbeleuchtung sein.
Sie wollen nicht, dass jemand weiß, dass sie zu Hause sind. Wann sie zu Hause sind. Die anderen hier in der Siedlung sollen sie vergessen. Was natürlich nie passieren wird.
Die gelb-schwarzen Absperrbänder rund um die Sandkiste sind immer noch da und die wenigen, die sich nicht schon an sie gewöhnt haben, rätseln, ob man sie wegräumen darf. Also bleiben die Bänder und erinnern an das, woran niemand hier erinnert werden muss.
Malika hat ihren Vater bekniet, wieder zur Arbeit zu gehen. Sie brauchen das Geld. Es war noch nicht zu spät, davon war Malika überzeugt. Ihr Vater arbeitet in einer kleinen Autowerkstatt ganz in der Nähe. Er war schon immer gut mit Motoren. Das war es auch, was er bei den Rebellen gemacht hatte. Wenn ein Fahrzeug eigentlich nicht mehr zu reparieren war, er hat es doch noch hinbekommen, egal, wie viele Einschusslöcher es bereits hatte. Das verschaffte ihm eine gewisse Achtung. Und eine gewisse Freiheit. Eine Freiheit, die er nutzte, um mit seiner Familie das Land zu verlassen, während alle anderen noch mit Kämpfen beschäftigt waren.
Vorgeworfen wurde ihm das nie, schließlich haben es viele, die hier leben, nicht anders gemacht. Er war im Krieg, und das ist es, was zählt. Ob er Leute erschossen oder nur Maschinen repariert hat, danach fragt niemand. Es ist nicht wichtig.
Malika hatte recht. Herr Lenert, dem die Werkstatt gehört, in der es auch immer wieder aussieht wie auf einem Kriegsschauplatz, war verärgert. Der Vater musste einige Überstunden einlegen, um mit den Aufträgen hinterherzukommen, das schon, mehr war aber nicht passiert.
Der Vater ist eben wirklich gut mit Motoren. Das überlegt man sich dann schon zweimal, ob man so einen hinausschmeißt.
Im Gegensatz zur Mutter. Putzen kann eine Jede. Und anders als der Vater redet Malikas Mutter viel. Malika dachte immer, dass das gut sei. Das Deutsch ihrer Mutter ist über die Zeit viel besser geworden als das des Vaters. Sie hat Übung.
Malika weiß nicht, ob Herr Lenert weiß, dass der Kindermörder der Sohn seines Mechanikers ist.
Der Vater spricht nicht darüber.
Malika hat sich oft geärgert, dass der Vater so wenig erzählt. Jetzt weiß sie, wie klug das von ihm war.
Malikas Mutter hat gesprochen, sie hat immer gesprochen, hielt die ältere Dame, der sie zweimal in der Woche das viel zu große Haus geputzt, ihre schweren Perserteppiche gesaugt hat, immer über die Familie am Laufenden. Wie stolz sie auf ihre Kinder ist, dass die längst hierhergehören. Das ist schon eine Leistung! Aber Kinder können das eben, sich anpassen. Tim geht in die Berufsschule. Er ist nicht gut in der Schule, aber er wird es schaffen. Er ist ein Kämpfer. Er sagt von sich selber, dass er ein Kämpfer ist.
Sachen wie diese. Jedenfalls genug, dass die Alte sofort wusste, dass es eben jener Tim war, über den sie in der Zeitung geschrieben haben. Der Sohn ihrer Putzfrau. Wie auch immer sie es herausbekommen hatte. Vielleicht, weil die Mutter ihr auch noch erzählt hatte, wo sie wohnen, vielleicht über das Foto in der Zeitung, das in der Wohnung darunter aufgenommen wurde, als die beiden Familien noch miteinander gefeiert hatten. Sicher hat sie ihr einmal eines von Tim gezeigt. Fotos von ihnen allen.
Auch wenn es nur ein Zubrot war, das Geld der Mutter fehlt. Also hat er gar keine Wahl. Neben Malika muss auch der Vater wieder zur Arbeit. Er macht sich schon um fünf Uhr früh auf den Weg. Drückt sich lieber eine Stunde im Schatten der verschlossenen Einfahrt zur Werkstatt herum, als jemandem aus dem Haus zu begegnen. Die Überstunden kommen ihm gelegen. Wenn er...
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