Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Nur wenige Menschen in der Geschichte haben es geschafft, dass ihr Name sprichwörtlich wurde. Und von diesen Wenigen kamen noch weniger zu der Ehre, dass sich ihr Name zu einem gebräuchlichen Adjektiv entwickelte. Meist bezeichnet man mit solchen nach bestimmten Herrschern benannte Epochen, die in der historischen Diskussion von gewissem Interesse sind, wie beispielsweise »viktorianisch« oder »wilhelminisch« usw. In die Alltagssprache auch der historisch Uninteressiertesten schafften es wiederum nur die wenigsten. Dieses Kunststück gelang dem griechischen Politiker und Gesetzesreformer Drakon (ca. 650 - ca. 600 v. Chr.). Bis heute bezeichnet man Strafen, die besonders unnachsichtig oder zu hart sind, als »drakonisch«. Drakon selbst war jedoch nicht so »schlimm«, wie man anhand seines Rufes vermuten könnte. Bei vielen seiner Mitbürger war er nämlich äußerst beliebt, ja so beliebt, dass es ihn das Leben kostete.
Wann Drakon geboren wurde, ist ungewiss. Da er 624 v. Chr. das erste Mal historisch greifbar in Erscheinung trat (Figueira, S. 298 f.), kann man von einem Geburtsjahr um 650 v. Chr. ausgehen. Im Erwachsenenalter finden wir ihn in der zweiten Hälfte des 7. vorchristlichen Jahrhunderts in Athen. Dies war eine Zeit, die das antike Griechenland langsam aus dem »Dunklen Zeitalter« herausführte, der Zeit also, die zwischen dem Untergang der ersten Hochkulturen der Minoer und Mykener um 1200 v. Chr. und der beginnenden klassischen Zeit ab 500 v. Chr. liegt (Vollkommer, S. 20 f.). Drakon lebte in der von Historikern als »archaischer Zeit« bezeichneten Epoche der griechischen Geschichte, in der auch die ersten griechischen Literaturwerke wie Homers Ilias und Hesiods Dichtungen entstanden. Es war die Periode, in der sich die staatlichen Strukturen erst herausbildeten, die wir heute aus der klassischen griechischen Antike kennen (ebd.). Und Drakon hatte daran maßgeblichen Anteil.
Kurz bevor unser Protagonist aus der Dunkelheit der Geschichte auf die Weltbühne trat, begegnet uns eine andere Person, die nicht minder nebulös, jedoch weniger im Menschheitsgedächtnis haften blieb als Drakon. Es war der Olympiasieger im Doppellauf des Jahres 640 v. Chr., der einen großen Beitrag zu Drakons Jahrtausende überdauernder Popularität leisten sollte, obwohl dies nicht in seiner Absicht lag. Dieser attische Adlige namens Kylon wollte knapp zehn Jahre nach seinem Triumph seine Popularität ausnutzen und die alleinige Macht in Athen an sich reißen (Meier, S. 44). »Nachdem er eine Schar von Altersgenossen für sich gewonnen hatte, versuchte er sich der Akropolis zu bemächtigen. Aber der Versuch mißlang, und er setzte sich schutzflehend unter das Standbild der Göttin« (Herodot, Historien, V, 69). Doch den göttlichen Schutz missachteten seine Gegner unter der Führung des Megakles, sodass viele seiner Anhänger in der heiligen Halle gesteinigt wurden. Ein Sakrileg zweifelsohne, das keine Ruhe in Athen einkehren ließ und als »Kylonischer Frevel« in die frühe Geschichte des klassischen Athens einging (Bengtson, S. 95). Die Folge war eine Zunahme der Fälle von Blutrache, einer nach heutigem Empfinden zutiefst archaischen Vorgehensweise zur Wiedergutmachung. Diese gestattete die Sühne einer schweren Straftat wie einem Tötungsdelikt durch die Verwandten der Opfer oder andere nahestehende Personen, die auch aus der Phratrie (»Bruderschaft«) stammen konnten, also einer Verbindung mit anderen Familien. Grundsätzlich musste man nicht auf der Tötung des Täters bestehen, man konnte auch die Entrichtung einer Buße akzeptieren oder eine sonstige Einigung zur Aussöhnung (vgl. Meyer, S. 528 ff.). Jedoch barg die grundsätzliche Möglichkeit, die Rache selbst in die Hand zu nehmen, die Gefahr einer Kettenreaktion, die unter Umständen viele Todesopfer forderte. Um nicht völlig in chaotische Verhältnisse abzudriften, versuchten kühlere Köpfe, die Rachegelüste in der konkreten Situation in vernünftigere Bahnen zu lenken und Regeln festzuschreiben, die für jeden ersichtlich und nachvollziehbar waren. Damit beauftragt waren die führenden Politiker Athens, zu denen Drakon gehörte.
Um das Jahr 620 v. Chr. hatte er wohl das Amt eines Archonten inne (Vollkommer, S. 30). Der Archon (»der Erste«) war ein hoher Staatsbeamter, der sich um einen bestimmten Bereich der Administration kümmerte. So gab es einen Archon für religiöse Belange, für militärische und eben auch für juristische. Der Archon eponymos war zur Zeit Drakons der oberste Funktionsträger und vielleicht hatte jener dieses Amt inne, denn er war der oberste Gerichtsherr und kümmerte sich unter anderem um das Familienrecht (Meier, S. 208).
Damit jeder die Gesetze kannte, es also Rechtssicherheit gab, wurden diese auf der Agora, dem Marktplatz Athens, wo das öffentliche Leben stattfand, jedermann zugänglich gemacht. Die Gesetze wurden auf nummerierte Axones geschrieben. Dabei handelte es sich wohl um vierseitige Holzbalken, die an den Enden quer aufgehängt worden waren, sodass man sie drehen konnte. Später meißelte man sie in Steinsäulen. Ein Fragment, das 200 Jahre nach Drakon entstanden ist, blieb erhalten. Auf diesen Überresten werden auch die Person Drakon und die Existenz der aufgezeichneten Gesetze das erste Mal überhaupt historisch fassbar (Figueira, S. 292). Zu Beginn der Inschrift wird die Entstehungszeit wiedergegeben, indem die zu diesem Zeitpunkt regierenden hohen Amtsträger genannt werden. In diesem Fall das Jahr 409/408 v. Chr. Dann folgt die Angabe, dass es sich um das Gesetz des Drakon das Delikt der Tötung betreffend handelt. Hierbei wird geregelt, wie man bei einer Tötung »ohne Vorbedacht« vorgehen soll (Busolt, S. 793). Ein mehrstufiges Verfahren sieht vor, dass zunächst eine öffentliche Anklage in Verbindung mit der Aufforderung erfolgt, der vermeintliche Täter habe die Heiligtümer und die Agora zu meiden. In Erinnerung an den »kylonischen Frevel« sollte offensichtlich vermieden werden, dass es wieder zu einem solchen Sakrileg kommen konnte. Die Empörung darüber und die daraus resultierenden Unruhen in Athen waren wohl noch präsent. Allem Anschein nach konnte Drakon die Lage mit seinen Gesetzen aber beruhigen, sodass man diese noch 200 Jahre später wortwörtlich in Stein meißelte. Der Prozess fand vor 51 Richtern statt, die zu Drakons Lebzeiten ephetai hießen und auch über die angenommene Willensrichtung des Täters entschieden. Das Urteil fällten schließlich die basileis, »Könige« genannte hohe Beamte (Busolt, S. 1092). Dies konnte im Schuldfall bedeuten, dass der wegen unvorsätzlicher Tötung Verurteilte ins Exil gehen musste, wo er Schutz vor der Rache der Angehörigen des Opfers genoss. Ihm konnte auch verziehen werden, was ein per Eid bekräftigter Vertrag bestätigen musste (Meyer, S. 530).
Drakons Gesetze führen das erste Mal die Unterscheidung zwischen einer vorsätzlichen und einer unvorsätzlichen Tötung ein (Bengtson, S. 85). Da die Stele nur die unvorsätzliche Tötung thematisiert bzw. nur dieser Teil überdauerte, wissen wir nicht, wie mit einer vorsätzlichen Tötung (dem »Mord« im eigentlichen, heutigen Sinn) verfahren werden sollte. Hier können wir nur per Analogie aus dem schließen, was uns durch spätere Überlieferung bekannt ist. So berichtet der antike Historiker Plutarch (ca. 45 - 125 n. Chr.) Folgendes vom athenischen Staatsmann Solon (ca. 640 - ca. 560 v. Chr.), der eine Generation nach Drakon lebte: »Zuerst hob er also die Gesetze des Drako insgesammt auf, mit Ausnahme derjenigen über Mord. Er that dies wegen ihrer Strenge und der Größe der angesetzten Bußen. Denn beinahe für sämmtliche Verbrecher war nur eine einzige Strafe festgesetzt, - der Tod. Ein Mensch, der bloß wegen Müßiggangs schuldig gefunden wurde, mußte eben sterben; wer ein Gartengemüse oder Obst gestohlen hatte, verfiel ganz der nämlichen Strafe, wie ein Tempelräuber und Mörder« (Plutarch, Solon, 17, 1-4).
Somit waren allem Anschein nach die Bestimmungen der Blutrache für vorsätzliche Tötung, »ein Leben für ein anderes«, noch in Kraft. Es scheint auch, als sei hier der Ursprung der erwähnten sprichwörtlichen »drakonischen Strafe« zu finden, denn der Geschichtsschreiber fährt mit folgender Anekdote fort: Auf die Frage, warum er für die meisten Vergehen den Tod als Strafe ansetzte, antwortete Drakon, die kleinen Vergehen hätten diesen verdient, jedoch wisse er für die schlimmeren keine größere Bestrafung (Figueira, S. 290).
Doch auch ein anderer Ursprung könnte angenommen werden. Wenn man sich die Fragmente der Stele anschaut, welche am ehesten als historisch »wahr« zu bezeichnen sind, kann man Drakons Gesetz wie folgt interpretieren: Dem Mörder eines Diebes oder eines Ehebrechers, was als unvorsätzliche Tötung charakterisiert wird, gilt das Exil als Strafe oder eben die Versöhnung mit der Opferfamilie....
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.