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Die Deutschen werden ärmer
Wachsende Sorgen um die persönliche wirtschaftliche Lage
Die Deutschen bangen um ihr Geld - gestern, heute und morgen auch. Erinnert sei an den 4.Oktober 2008: Mitten in der Finanzkrise verkündeten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesminister Peer Steinbrück auf einer gemeinsamen Pressekonferenz der Bevölkerung in Deutschland, »dass Ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die Bundesregierung ein.« Es war ein Versprechen und ein beruhigendes Signal, was medial als »Merkel-Garantie« bekannt wurde, wenn es auch sehr umstritten (weil kaum einlösbar) war. Die politische Garantie verfehlte dennoch ihre Wirkung nicht: Panik- und Kettenreaktionen der Sparer blieben aus, weil die Bevölkerung der Politik vertraute.
Ein gutes Jahrzehnt später: Bundeskanzlerin Angela Merkel meldete sich in einer ARD-Sondersendung am 18.März 2020 zu Wort und appellierte an die Bevölkerung: »Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.« Die Folgen der Herausforderung, die als größte seit dem Zweiten Weltkrieg empfunden wurde: Die Börsenkurse brachen ein.
Legendär ist auch der Ausspruch des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi vom 26.Juli 2012: »Whatever it takes!« Dieses geflügelte Wort gilt seither als »Draghi-Effekt« und soll ein Zeichen für Zuversicht sein - und nicht für Verzicht.
Im Zeitraum 2022/23 stehen wir vor einer vergleichbaren Situation: höchste Inflation seit fünfzig Jahren. Die Angst vor Geldentwertung und Wohlstandsverlusten breitet sich aus, die Sehnsucht nach einer Rückkehr zum Vorkrisenniveau wird stärker. Doch die historische Erfahrung von Kriegs-, Nachkriegs- und Inflationszeiten lässt die Bürger weiterhin sorgenvoll in die nahe Zukunft schauen. Verunsicherung und Zukunftsungewissheit machen sich in Deutschland breit. Mittlerweile sorgen sich zunehmend mehr Bürger um ihre persönliche wirtschaftliche Lage. Dies belegen die OIZ-Repräsentativumfragen32 der letzten Krisenjahre 2021 (Coronakrise) sowie 2022 und 2023 (Ukrainekrieg):
»Ich mache mir Sorgen um meine persönliche wirtschaftliche Lage.«
(März 2021: 39 Prozent - März 2022: 47 Prozent - Januar/Februar 2023: 54 Prozent)
Die Deutschen demonstrierten in der Coronakrise eine relative Krisenresistenz. Doch jetzt inmitten einer weltweiten Eskalation der Probleme (Energie-, Versorgungs-, Ernährungskrise) nehmen die Sorgen der Bevölkerung erheblich zu - auch auf der ganz persönlichen Ebene. Gleichzeitig droht ein Absturz der Zuversicht. Nach den OIZ-Umfragen im November 2022 erwartet lediglich etwa ein Drittel der Bevölkerung (35 Prozent) »bessere Zeiten« im Jahr 2023. Im Vorjahr waren noch 53 Prozent positiv gestimmt gewesen. Mehrheitlich ist jetzt nur noch die junge Generation optimistisch eingestellt (56 Prozent). Der Eindruck entsteht: Große Teile der jungen Generation richten sich in Ruhe ein, tragen fast gelassen ihren Rucksack wirtschaftlicher Zukunftssorgen.
Andererseits zieht sich weiterhin ein ökonomischer Graben durch Deutschland. Die Bevölkerung ist und bleibt wirtschaftlich gespalten - in Sorgenvolle und Sorglose. Das eine Lager macht sich Sorgen um das persönliche Wohlergehen und lebt weitgehend auf der Schattenseite des wirtschaftlichen Wohlstands. Es sind vor allem die Geringverdienenden mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen unter 1500 Euro, die ihr Leben nicht zukunftsfest planen können (68 Prozent) - im Unterschied zu den Besserverdienenden mit einem Einkommen über 2500 Euro (49 Prozent). Auch die Höhergebildeten mit Abitur und Hochschulabschluss fühlen sich von der Wirtschaftskrise nicht ganz so stark betroffen (47 Prozent).
Für die untere Mittelschicht ist nicht das Problem, die täglichen Einkäufe nicht bezahlen, sondern sich zusätzlich neue Zähne, eine neue Brille oder eine Urlaubsreise leisten zu können. Hier fangen die substanziellen Lebensqualitätsverluste an - auch bei der Mittelschicht. Diese Bevölkerungsgruppe hat eher die Sorge, das, was sie für die nächste Generation gespart und zurückgelegt hat, wieder zu verlieren. Für Menschen in der Mitte der Gesellschaft sind nicht Brot und Butter, Salat und Blumenkohl zu teuer. Bei ihnen wachsen vielmehr die Sorgen, den erarbeiteten und verdienten Lebensstandard nicht mehr aufrechterhalten oder gar verlieren zu können.
Dabei geht es nicht nur um Geld und materiellen Wohlstand. Zeitgleich zur OIZ-Umfrage 2022 fand die Frühjahrs-Welle des Nationalen Wohlstandsindex für Deutschland (NAWI-D) von Ipsos statt. Dabei ist belegbar: Nehmen die finanziellen Sorgen zu, sind die Menschen weniger glücklich, leben weniger in Frieden mit ihren Mitmenschen und fühlen sich auch weniger gesund. Es ist davon auszugehen, dass sich mit den anhaltenden Krisenzeiten immer mehr Menschen subjektiv schlechter fühlen. Es wächst die Angst vor sozialem Abstieg und erheblichen Einschränkungen des Lebensstandards. Selbst Besserverdienende fühlen sich auf Dauer nicht mehr richtig wohl und wohlhabend, weil sie ihren gewohnten Lebensstandard einschränken oder aufgeben müssen. Wirtschaftliche Zukunftsungewissheit macht sich breit.
Die sozialen Folgen für die Zukunft können dramatisch sein. Denn mit dem immer höheren Altenquotienten aufgrund steigender Lebenserwartung nehmen auch die Kosten für die gesetzliche Renten- und Pflegeversicherung zu. Wenn die heute über Dreißigjährigen selbst Rentner oder pflegebedürftig werden, sind ihre Beitragszahlungen längst verausgabt. Die dann stark dezimierte jüngere Generation wird aufgrund sinkender Geburtenquoten den hohen Anstieg der Soziallasten nicht mehr schultern und bezahlen können. Zugleich wird die heutige Sandwich-Generation mit ihren Zukunftsrisiken und ihrer Angst vor Altersarmut alleingelassen.
Um sicher und angstfrei bis ins hohe Alter leben zu können, muss sich die Sozialpolitik schon aus humanitären Gründen der Frage eines Rechts auf Grundversorgung stellen, wenn der Sozialstaat glaubwürdig bleiben will. Denn in Deutschland sind prekäre Lebensverhältnisse zu erwarten. Der Weg in eine staatliche Existenzsicherung ist im Grunde längst vorgezeichnet. Die sogenannten fünf A (= Arme, Alte, Arbeitslose, Ausländer und Alleinerziehende) sorgen heute schon dafür, dass immer mehr Bundesbürger von Rente und Arbeitslosengeld leben müssen. Natürlich gilt auch in Zukunft das Freiheitsprinzip, wonach jeder Bürger frei von staatlicher Bevormundung und Betreuung sein Leben selbst gestalten und finanzieren soll. Dieses Freiheitsversprechen aber kann der Staat schon heute kaum mehr aufrechterhalten. Vieles deutet darauf hin, dass die gesetzliche Rente in Zukunft ein Niveau erreicht, das nur noch knapp über dem Existenzminimum liegt. Deshalb muss sich die Politik frühzeitig ernsthaft Gedanken über eine »Niveausicherungsklausel« machen, damit die gesetzliche Rente nicht auch noch das Sozialhilfeniveau unterschreitet.
Eine Grundgeborgenheit großer Teile der Bevölkerung in Deutschland ist langfristig gefährdet:
Ein wachsender Anteil der Bevölkerung - und nicht nur die mittlere Generation - empfindet sich als sogenannte Sandwich-Generation: eingeklemmt zwischen Forderungen, Anforderungen und Überforderungen, zwischen sinkenden Reallöhnen und steigenden Sozialabgaben, Lebensstandard- und Wohlstandsverlusten. Während ihr der Boden der Existenzsicherheit zu entgleiten droht, schwindet die Zukunftsgewissheit. Die Verunsicherung kann in Resignation enden. Der Sozialstaat in Deutschland steht damit vor einer neuen Belastungsprobe. Die Angst vor Altersarmut und vor dem gesellschaftlichen Absturz schleicht sich zusehends in den Lebensalltag breiter Mittelschichten ein. Die soziale Krise hat das Bürgertum erreicht. Immer mehr Bürger leben »unter« ihren Verhältnissen.
Die Grenzen zwischen Noch-Wohlstand und Schon-Armut werden fließender. So gibt es Augenblicks-Armut oder Schon-wieder-Armut oder Immer-noch-Armut. Die eindeutigen Kriterien für Armut verschwimmen. Wer arm ist, kann nach außen hin (zum Beispiel durch den Besitz eines Autos) als relativ wohlhabend erscheinen. Erst beim zweiten Blick entdeckt man »das Prekäre, das Uneindeutige«33 - die Armut auf Zeit oder Widerruf. Wenn ein Kind bei einer Klassenfahrt zu Hause bleiben muss, weil die Eltern das zusätzliche Geld nicht aufbringen können, dann bedeutet dies Ausgrenzung. Nicht die existenzielle Sorge um das Überleben oder um lebensnotwendige Grundlagen von Menschen in der Dritten Welt ist der Maßstab für Armut bei uns, sondern die soziale Ausgrenzung.
Für die Zukunft zeichnet sich ab: Armut ohne Elend breitet sich aus. Das Ausgeschlossensein (»Exklusion«) wird subjektiv als Armut empfunden. Arm ist man ja nicht mehr, weil man unterhalb des Existenzminimums lebt. Nach dem EU-Verständnis gilt man als arm, wenn man 50 Prozent (oder weniger) des durchschnittlichen Haushaltseinkommens verdient....
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