Schweitzer Fachinformationen
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Gut zwei Jahre später ...
Wie an jedem späten Nachmittag schleppte sich der Feierabendverkehr durch Aurich. Unzählige, oft überflüssige Ampeln ließen genervte Autofahrer wild hupen. Die Sonne strahlte mit voller Kraft auf die Blechlawinen. Einige kurbelten ihre Seitenscheibe herunter und steckten die Köpfe heraus. Vorweg zog ein Trecker eine beachtliche Schlange hinter sich her. Wagemutige überholten das gemächlich dahintuckernde Gefährt und stießen übelste Schimpfwörter aus. Bei dem fröhlichen Treiben wähnte man sich fast in einer Großstadt. Doch Aurich glänzte nur mit einer recht überschaubaren Einwohnerzahl, behaglicher Fußgängerzone mit geringfügigen Einkaufsmöglichkeiten sowie einem unglaublich hässlichen Gebilde in Form eines eisernen Turmes mit zwei Hörnern auf dem Marktplatz. Moderne Kunst nannte man das hier.
Tjarko interessierte das Treiben hinter ihm nicht sonderlich. Er hatte genügend Zeit. Sein Trecker war in Tannenhausen, am Ortsrand der Stadt, zur Wartung gewesen. Sein Schwager Klaus war so gnädig gewesen, ihn dort abzusetzen. Manchmal gab es bei dem Idioten auch nette Momente. Es herrschte eine Art zweckmäßige Sympathie zwischen ihm und Klaus Lüders. Der winzige Kerl, dessen dicker Kopf irgendwie nicht zum Rest des Köpers passte, gehörte nun quasi zur Familie. Tjarko war es seiner Schwester einfach schuldig, sich mit dem Spinner zu arrangieren. Zudem war Lüders der einzige Besamungstechniker in der ganzen Region.
Also, danke Klaus. Ohne dich könnte ich meinen Trecker jetzt nicht abholen, dachte Tjarko.
Der Landwirt blickte nach hinten und schmunzelte. Sein Gefährt hatte mittlerweile einen ordentlichen Stau verursacht. Ihm egal. Heute würde er sich Zeit nehmen. Es gab schon Stress genug, und der kleine Ausflug war eine willkommene Abwechslung zum täglichen Wahnsinn auf seinem Bauernhof.
Zudem hatte er beschlossen, seine alte Freundin Hildegard zu besuchen, weil es auf dem Weg lag. Die Seniorin aus seinem Dörfchen Buckbuhr wohnte seit zwei Jahren in einer von außen feudal wirkenden Seniorenresidenz am Rande der Stadt. Der Bau war wie ein Schloss gestaltet. Sogar mit einem kleinen Turm und gepflegtem Park zum Verweilen. Hilde gefiel es dort eher mittelmäßig. Doch ihr Haus wurde der alten Dame zu groß. Die steile Treppe in ihr Schlafzimmer hatte sie nur noch mit großer Mühe bewältigen können. Der Gemeindepastor und Tjarko hatten sich auf die Suche begeben und fanden, die Residenz würde gut zu ihr passen. Feudal und mit einem exzellenten Ruf.
Nach einer knappen halben Stunde bog Tjarko in eine Seitenstraße ein und parkte den Trecker auf einem Grünstreifen. Von Weitem erspähte er Hildegard, die auf einem rot gepflasterten Hof auf ihrem Rollator saß und eine Zigarette in der Hand hielt. Erhaben und mit einem gewissen Stolz, aufrechte Körperhaltung und die Lippen knallrot geschminkt. Die grauen Haare streng nach hinten frisiert. Gezupfte Augenbrauen, der spindeldürre Körper in einen weißen Hosenanzug gekleidet. So wie sie auf dem Rollator residierte, wirkte Hilde wie Marlene Dietrich. Fehlte nur noch die berühmte Zigarettenspitze.
Sie lächelte, als der baumlange Kerl mit Glatze um die Ecke schlenderte. Hildegard hob eine knochige Hand und winkte ihn zu sich. »Ach, das ist mal eine Überraschung. Ich hatte schon Sorge, vor Langeweile sterben zu müssen.«
»Moin Hilde«, grüßte Tjarko und drückte ihr zur Begrüßung einen Schmatzer auf die faltige Wange. Es schmeckte nach Schminke und Parfüm.
Hildegard legte die Zigarette neben sich. »Setz dich auf die Bank. Ist ein schöner Tag heute.«
Er nahm Platz und streckte die Beine aus. »Ja. Traumhaft. Hab meine Kälber auf die Weide geschickt.«
»Fein, fein. Wie geht es Nicole?«
»Gut. Den Umständen entsprechend.«
Hildegard steckte sich die Fluppe zwischen ihre dritten Zähne. »Sehr schön«, sagte sie. »Hast du Feuer?«
»Ich? Nein. Du solltest nicht so viel rauchen.«
»Papperlapapp. Ich sterbe sowieso bald.« Sie sah sich suchend um und seufzte. »Apropos Sterben. Hier ist mal wieder Totentanz. Bei dem schönen Wetter hocken alle brav im Singkreis und trällern krumm und schief alte Schinken.«
Tjarko seufzte. »Vielleicht solltest du auch mal daran teilnehmen.«
»Ich? Singen? Komm mir nicht mit sowas. Zudem habe ich keine Lust auf das Gejammer der alten Leute.«
Der Landwirt lachte auf. »Du bist doch auch alt.«
»Wie gehts dir?«, fragte sie und wich damit mal wieder galant seinem Hinweis aus.
»Gut. Alles prima.«
»Was macht Hassan?«
»Den habe ich vorgestern erst getroffen. Er hatte ein kleines Problem.«
Hilde blickte ihn neugierig an. »Ach. Was denn?«
Im Gegensatz zu ihm konnte Hassan nicht die Finger von der Geisterjagd lassen. Er erledigte hier und da kleine Aufträge. Nichts Dolles. »Damit ich fit bleibe«, hatte er mal bemerkt. Selbst vor seiner Frau verheimlichte er seine Freizeitaktivität. Wieso das schon so lange gutging, war dem Landwirt ein Rätsel.
»Nichts. Die Tür von seinem Geschäft hat geklemmt«, log Tjarko.
Das war wenigstens die halbe Wahrheit. Irgendwo in der Krummhörn hatte eine Stalltür ein Eigenleben bekommen. So etwas geschah manchmal. Irgendwelche Dinge wurden von einer verlorenen Seele übernommen. Mal war es eine Kaffeemaschine, mal ein Rasenmäher und in dem Fall eine wildgewordene Stalltür.
»Ach was. Und wie geht die Geschichte weiter?«, fragte sie.
»Welche Geschichte?«
»Die von der Tür.«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen.«
Hildegard schien förmlich zu riechen, das Tjarko sie anflunkerte. »Warum hast du dann damit angefangen?«
»Nun klemmt sie nicht mehr«, sagte er und stand auf. Er wollte schnellstmöglich vom Thema ablenken. »Kleinen Spaziergang durch den Park?«
Sie seufzte. »Der ist langweilig.«
»Wollen wir auf dein Zimmer gehen?«
»Zu warm, Tjarko.«
Er überlegte. »Soll ich dir ein Feuerzeug besorgen?«
»Ach, das wäre ein Traum«, erwiderte sie breit grienend.
Der Landwirt erhob sich, nickte und latschte zum Kiosk, der nur ein paar Meter von der Residenz entfernt lag.
Fünf Zigaretten und einen Schokoriegel später, den Tjarko noch besorgt hatte, verabschiedete er sich. Hilde strich mit ihren dünnen Fingern über seine tellergroßen Pranken.
»Wann holst du mich wieder auf den Hof? Ich kann Rouladen machen.«
»Übermorgen, Hilde. Hab ich dir letzte Woche schon gesagt.«
»Ach, ja. Jetzt, wo du es erwähnst ...«
»Ich muss jetzt aber los«, sagte Tjarko.
»Grüß Mechthild von mir.«
Er lächelte. Die war schon seit einem Jahr verstorben. Hildegard wurde so langsam vergesslich. Um sie nicht zu enttäuschen, versprach er, die Grüße auszurichten. Natürlich auch an Pastor Jacobs und Nicole. Sogar seinem Bullen sollte er herzliche Grüße senden.
Nun denn, es war an der Zeit, sich auf die Socken zu machen.
Auf dem Behrenshof gab es noch eine Menge zu tun. Die Kühe mussten gemolken, Heuballen von A nach B transportiert werden ... Arbeit gab es überall. Tjarko war froh darüber. Seit er die Sache mit den paranormalen Dingen auf Eis gelegt hatte, widmete sich der Landwirt seinem Hof. Es hielt ihn davon ab, auch nach der langen Zeit auf Trockendock, an Alkohol zu denken. Na ja, dran denken musste er nahezu jeden Tag. Aber es nicht in die Tat umzusetzen, war halt die große Kunst. Das durchzuhalten war beinahe so unmöglich, wie in einem runden Raum in die Ecke zu pinkeln. Als trockener Säufer musste er eine Menge Kraft und Phantasie einsetzen, genau das durchzuhalten. Tagein und tagaus.
Arbeit war für ihn die beste Therapie.
Am Abend stattete er dem Tierarzt Münnings noch einen Besuch ab. Einfach so, nur zum gemütlichen Quatschen.
Fokko ließ sich gern auf einen Plausch ein. Zudem war er die beste Nachrichtenquelle für Neuigkeiten von den anderen Höfen in der Gegend. Es war immer gut zu wissen, was die Konkurrenz machte.
Die meisten Kollegen hatten inzwischen Ställe, die so groß waren wie zwei Fußballfelder. Damit der Milchertrag möglichst hoch war. Dafür fristete das Vieh ein Leben ohne Weide und frisches Gras. Für Tjarko ein Ding der Unmöglichkeit. Sein Vieh durfte tagsüber auf die Weide. Für den Tierarzt gab es auf dem Hof eher wenig zu tun. Die Kühe waren kerngesund.
Fokko Münnings hatte an diesem lauen Abend wenig Zeit für einen Schnack. Seit kurzem hatte er eine Sprechstunde für Kleintiere eingerichtet. Eine lange Schlange von besorgten Hundebesitzern und Katzenliebhabern wartete ungeduldig vor der Praxis.
»Moin, mein Lieber«, sagte Fokko und ging, unbeeindruckt von den Wartenden, breit grinsend auf ihm zu. Er fuhr mit...
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