Schweitzer Fachinformationen
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Im Zentrum der Geschichte: eine junge Frau mit einem Ziegenbock, die an einem geschäftigen Bahnhof in Buenos Aires Männer um Geld angeht. Es sei Rita gewesen, erzählt oder gesteht Jorge Malabia dem Arzt Díaz Grey, ein ehemaliges Dienstmädchen, das er als Jugendlicher in Santa María ohnmächtig begehrt hat. In den sechs Kapiteln des Romans verschiebt und verändert sich die rätselhafte Geschichte der Frau und ihres Ziegenbocks, wenn weitere Männerstimmen sie - wie in einem Kampf um Deutungshoheit - erzählen.In Onettis Erzählkunst wird daraus ein dichtes Welttheater um Schuld, Begehren, Trauer und etwas, das dies alles übersteigt.
I
Wir alle, die Honoratioren, wir, die wir das Recht haben, im Fortschrittsklub Poker zu spielen und im Plaza mit steifer Eitelkeit unsere Initialen unter die Rechnungen für Speisen und Getränke zu zeichnen. Wir alle wissen, wie ein Begräbnis in Santa María aussieht. Einige von uns waren bei entsprechender Gelegenheit der beste Freund der Familie; es bot sich uns das Privileg, den Fall von Anfang an zu sehen, und außerdem das Privileg, ihn in die Wege zu leiten.
Es ist besser, harmonischer, wenn es nachts beginnt, nach Sonnenunter- und vor Sonnenaufgang. Wir gingen zu Miramonte oder zu Grimm, dem »Schweizer Bestattungsinstitut«. Manchmal - ich spreche von den Veteranen - konnten wir die Wahl treffen; andere Male war bereits in einem Winkel des Trauerhauses entschieden worden, aus einem Grund oder zehn oder keinem. Ich wähle, wenn ich kann, Grimm für die alten Familien. Sie empfinden die Derbheit oder Gleichgültigkeit Grimms, der darauf besteht, alles Notwendige und auch das, was er aus einer Laune heraus erfindet, selbst zu machen, als bequemer. Sie alle ziehen den alten Grimm aus landsmannschaftlichen Gründen vor, das kann jeder sehen; aber ich habe außerdem bemerkt, daß sie ihm dankbar sind, weil er nicht heuchelt und weil er ihnen Erleichterung verschafft, indem er den Tod als Geschäft behandelt und den Leichnam schlicht als tragbares Bündel betrachtet.
Wir gingen fast immer im Morgengrauen, ernst, aber bequem im Unglück, mit absichtsvoll männlicher und nicht zurückhaltender Stimme, und klopften an die dauernd beleuchtete Tür Miramontes oder Grimms. Miramonte hingegen überläßt anscheinend alles den Angestellten und mischt sich, schwarz der Anzug, schwarz die Frisur, mit seinem traurigen schwarzen Schnurrbart und dem verhalten zweideutigen Glanz in den Mulattenaugen unter die Leidtragenden, um Hände zu schütteln und Trost auszuteilen. Das gefällt den anderen, denen, deren Großeltern noch nicht mit dem Pflug in der Kolonie gearbeitet haben; auch das habe ich gesehen. Wir klopfen, ich klopfe unter der violetten Leuchtschrift und erkläre einem der beiden, dem Ausländer oder dem Mulatten, meinen Auftrag; beide wußten fünf Minuten nach dem letzten Seufzer bereits Bescheid und warteten. Grimm gähnt, setzt die Brille auf und öffnet ein riesiges Buch.
»Was wollen sie wohl«, frage ich. Ich sage es, weil ich es weiß oder weil ich die Summe überschlagen habe.
»Welch ein Unglück, noch so jung! Endlich ruht er in Frieden, so alt, wie er war!« sagt Miramonte, der nie schläft und gekleidet ist wie für einen halbseidenen Ball von früher.
Wir wissen auch, wir alle, daß die beiden ohne langes Hin und Her einen Leichenwagen mit zwei Kutschern anbieten oder festlegen, einen Wagen für die Blumen, Mietwagen, Fackeln, dicke Kerzen, qualvolle Kruzifixe. Wir wissen, daß wir um zehn oder um vier alle durch die Stadt defilieren werden, an einer Seite der Plaza Brausen entlang, längs der mauergeschützten Villa Guerrero, über den abschüssigen, unebenen Weg, der fast nur zu diesem Zweck benützt wird und der bis zu dem großen, früher der Stadt und der Kolonie gemeinsamen Friedhof führt. Wir stoßen danach bei jedem Schlagloch gegen die Verdecke der Wagen und lassen es uns nicht anmerken; es geht nicht im Trab, aber im scharfen Schritt, und jeder weiß die allgemeine Ungeduld zu schätzen, sich der Geschichte zu entledigen, indem wir uns laut und lächelnd unterhalten und über Nichtigkeiten plaudern, um uns von dem länglichen Toten zu entfernen. Wir kennen auch die Totenmessen, das rasche, unverständliche Murmeln, den dichten Weihwassersprühregen. Wir - die Veteranen - vergleichen die Amtsführung des verstorbenen Pfarrers Bergner mit der seines Nachfolgers, dieses Italieners: Favieri, klein, schwarz, mager, mit seinem unbezähmbaren, aufreizenden, fast obszönen Ausdruck.
Wir kennen die am Grab vorgetragenen Totenreden und ertragen sie, blicken zu Boden, halten den Hut gegen das Schambein.
Das alles kennen wir. Wir alle wissen, wie ein Begräbnis in Santa María aussieht, wir können es einem Fremden beschreiben, es brieflich einem entfernten Verwandten erzählen. Aber das kannten wir noch nicht; dieses Begräbnis, diese Art, jemanden zu begraben.
Anfänglich erfuhr ich davon, unvoreingenommen, ironisch, ohne zu ahnen, daß ich da auf etwas stieß, als der Bevollmächtigte Miramontes sich im Universal an meinen Tisch setzte, an einem Samstag kurz vor Mittag; er bat um Erlaubnis und sprach dann von der Leber seiner Schwiegermutter. Er übertrieb, log ein bißchen, suchte nach Zeichen von Besorgnis. Ich tat ihm den Gefallen nicht. Er trägt den Schnurrbart lang und auch die Manschetten des Hemds; er schwenkt die Hand vor dem Mund, als verscheuchte er matt die Fliegen. Ich schlug, weil er mir unsympathisch war, die Entfernung der Gallenblase vor, ließ mich einladen, sah begeistert durch das seifenfleckige Fenster den Sommer auf dem Platz und erahnte ein Glück jenseits der eingetrockneten Wolken auf den Fensterscheiben. Dann erwähnte er den Ziegenbock - das war das erstemal, daß ich davon hörte, und ich hätte es auch nicht gehört haben können -, während ich rauchte und er nicht, denn er ist geizig und rackert sich ab und glaubt an eine Zukunft, für die man sich schonen müsse. Ich rauchte, sage ich, wandte den Kopf ab, um ihm zu verstehen zu geben, daß er gehen möge, betrachtete den weißen Wirbel, den Seife und Scheuerschwamm auf der Fensterscheibe hinterlassen hatten, und überzeugte mich, daß wieder Sommer war. Und da sagte er:
»... dieser Sohn der Malabias, der jüngere.«
»Der einzige. Der einzige, der ihnen bleibt«, sagte ich boshaft und höflich von der Seite her.
»Entschuldigen Sie, das macht die Gewohnheit; es waren zwei. Ein großartiger Mann, dieser Federico!«
»Ja«, sagte ich und wandte mich ihm zu, um ihm in die Augen zu blicken und ihm einen Stich zu versetzen. »Grimm hat ihn begraben. Eine hervorragende Arbeit.« (Aber er, Caseros, der Bevollmächtigte Miramontes, vertraute darauf, daß ich später, am Mittag, bezüglich seiner Schwiegermutter von bösartiger Geschwulst reden würde. Er wollte nicht gehen; und er tat gut daran, wie ich dann erfuhr.)
»Herr Grimm ist ein Meister in seinem Beruf«, sagte er lobend; er aß eine Olive, betrachtete den Kern in der hohlen Hand.
Und jener Sommer zeigte sich mir, abgeschwächt durch den Wirrwarr der weißlichen Wolke auf der Fensterscheibe, über dem Platz, auf dem Platz selbst, auf dem ruhigen Fluß, vier oder fünf Straßen weiter. Es war der Sommer, der sich dreißig Meter von hier faul ausbreitete, erfüllt mit träger Luft, mit nichts, mit dem Geruch der Jasminblüten, die man von den Höfen herbringen würde, mit dem zarten Duft einer fremden Haut, die unter seiner Sonne warm wird.
»Der Sommer«, sagte ich mehr oder weniger direkt, zu ihm oder zum Tisch.
»Der junge Malabia ist gekommen, wie ich Ihnen schon sagte, er hat auf mich eingeredet und dabei die Worte verschluckt. Ich begriff, daß es sich um einen Trauerfall handelte. Aber in seiner Familie war, soweit ich wußte, niemand krank; obwohl es sich natürlich um einen Schlaganfall oder Unfall handeln konnte, ganz unerwartet, und er will von mir, als wir uns verständigen, das billigste Begräbnis, das er haben kann. Er kommt mir nervös und bleich vor, die Hände in den Taschen, wie er sich gegen den Tisch lehnt. Ich spreche von heute morgen, als ich geöffnet habe, denn Herr Miramonte vertraut mir die Schlüssel an, und es gibt Tage, wo er nicht mal kommt. Ein Begräbnis. Ich frage ihn, erstaunt, ängstlich, ob es sich um einen Familienangehörigen handle. Aber er schüttelt den Kopf und sagt nein, und daß es eine Frau sei, die in einer der Holzhütten an der Küste gestorben sei. Aus Diskretion wollte ich nicht weiter fragen. Ich sage ihm einen Preis, er schweigt, als dächte er nach. Aber ich habe mir sofort gesagt, wenn er nicht zahlt, ist da noch der Vater. Der Junge ist, Sie kennen ihn, recht stolz, ernst. Nicht wie der Ältere, Federico, von dem wir gesprochen haben. Trotzdem habe ich zu ihm gesagt, er soll sich wegen der Bezahlung keine Sorgen machen. Aber er weist das zurück, die Hände in den Taschen, todmüde, und will mich nicht ansehen, fragt, was das billigste Begräbnis koste, bar. Er holt Geld aus der Tasche, zählt es, legt es auf den Tisch. Es reichte gerade, ohne Gewinn, für den Sarg und den Leichenwagen, nicht mehr. Ich sagte ja, und er gab mir die Adresse an, in der Hüttensiedlung an der Küste, für heute um vier. Er hatte einen ordnungsgemäßen Totenschein, von diesem neuen Arzt, dem aus der Poliklinik.«
»Dem Krankenhaus«, sagte ich.
»Doktor Ríos«, sagte er begeistert. »Um vier Uhr schicke ich ihm also den Wagen. Dem Alter nach könnte sie fast die Mutter sein, sie ist so an die fünfzehn Jahre älter. Ich verstehe das nicht. Wenn es eine Freundin der Familie wäre, eine...
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