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Zum Jahresausklang 2024 ist in Syrien das Assad-Regime gefallen, Ursache einer der jüngsten und umfangreichsten Fluchtbewegungen weltweit. Ob sich die politische, wirtschaftliche und soziale Situation in Syrien zum Besseren wenden wird, muss sich erst noch erweisen. Syrische Schutzsuchende hoffen insbesondere in den Nachbarstaaten Türkei und Libanon auf eine Rückkehr, denn dort ist die Lage der Geflüchteten teils höchst prekär.
Politische Stimmen in anderen Aufnahmeländern, wie Deutschland oder Österreich, begannen unmittelbar nach dem Umsturz in Syrien, Rückführungen zu fordern, obgleich die Zukunft Syriens in höchstem Maße ungewiss ist: Das Land ist in großen Teilen stark zerstört. Die Wirtschaft liegt darnieder, sie ist seit Beginn des Bürgerkriegs um 85 % geschrumpft. Auch deshalb ist zweifelhaft, ob das Land Hunderttausende oder gar Millionen Rückkehrer:innen aufnehmen und erfolgreich reintegrieren kann. Die Forschung zeigt, dass Rückkehrer:innen oft als Binnenflüchtlinge enden, wie im Irak, oder Konflikte um knappe Ressourcen anheizen, wie in Afghanistan.[1] Vorstellungen von einer schnellen und massenhaften Rückkehr erscheinen demnach unrealistisch und riskant, denn diese könnte die syrische Gesellschaft überlasten und die Instabilität des Landes weiter vertiefen. Vergessen werden sollte auch nicht, dass sich ein Großteil der syrischen Schutzsuchenden in den europäischen Ankunftsländern inzwischen angesichts einer Aufenthaltsdauer von rund einem Jahrzehnt intensiv in die Gesellschaften hinein vernetzt und ihren Lebensmittelpunkt längst nach Europa verlagert hat. Das zeigt sich in Deutschland beispielsweise an der sehr hohen Bereitschaft, so rasch wie es die gesetzlichen Vorschriften erlauben, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen (2023 stammten 38 % aller Antragstellenden aus Syrien). Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, dass ein erheblicher Teil der Schutzsuchenden als Kinder und Jugendliche nach Europa kam, sollte die Rückkehrneigung nicht überschätzt werden.
Darüber hinaus lässt sich momentan noch gar nicht ausmachen, ob nicht eher neue Fluchtbewegungen anstelle einer Rückkehr die Situation in Syrien kennzeichnen werden: Unter anderem die fortgesetzten Angriffe der Türkei und ihrer Verbündeten auf kurdische Siedlungen in Nordsyrien führten bereits im Dezember 2024 zu neuen Vertreibungen. So sprach das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) im Dezember 2024 von 1,1 Millionen neuen Vertriebenen, darunter 100000 Kurd:innen.[2]
Ungewissheiten kennzeichnen auch die Lage in der Ukraine, einem weiteren wichtigen Zentrum der globalen Fluchtverhältnisse: Gegenwärtig lässt sich nicht ausmachen, dass 2025 Zerstörung und Vertreibung im Rahmen des russischen Kriegs gegen die Ukraine enden werden.[3] Bis Ende 2024 stieg die Zahl der ukrainischen Geflüchteten in der EU von rund 4,1 auf 4,5 Millionen weiter an. Insbesondere die gezielten russischen Terrorangriffe auf Elektrizitäts- und Heizkraftwerke - bis zu 80 % der Stromerzeugungskapazitäten sind beschädigt oder zerstört - trieben erneut Menschen außer Landes, zumindest während der Wintermonate. Der Verlust des Zugangs zu Strom und Wärme erweist sich als ein weiterer Fluchtgrund, der bislang in der Forschung kaum untersucht worden ist.
Inzwischen können sich laut dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (ifo-Institut) in München nur noch 39 % der Ukrainer:innen in der EU eine Rückkehr vorstellen, 25 % wollen demgegenüber an ihren neuen Wohnorten bleiben. Im Juni 2024 verlängerte die EU den befristeten Schutzstatus für Ukrainer:innen bis März 2026. Aller Voraussicht nach handelt es sich um die letztmalige Verlängerung des durch die EU-Massenzustromrichtlinie geschaffenen vorübergehenden Schutzstatus für Ukrainer:innen. Ob ein Aufenthaltsstatus, und gegebenenfalls welcher, nach März 2026 für ukrainische Schutzsuchende zur Verfügung stehen wird, ist momentan ungewiss.
Anders als im Falle Syriens und der Ukraine fand die Vertreibung der armenischen Bevölkerung Bergkarabachs kaum Aufmerksamkeit in der europäischen Öffentlichkeit - gewiss auch, weil nur wenige der von dort Geflohenen Grenzen der EU überschritten. In Bergkarabach, einer armenischen Enklave in Aserbaidschan, wurden nach einer Abriegelung des Gebiets und einem kurzen Krieg Ende 2023 über 115000 Menschen vertrieben. Das entspricht nahezu der gesamten armenischen Bevölkerung der Region. Etwa 15 % sind in andere Staaten weitergezogen, vor allem dann, wenn sie dort Angehörige hatten. Das EU-Parlament sieht in der Vertreibung einen Fall »ethnischer Säuberung«.[4] Dennoch blieb eine Unterstützung Armeniens durch die EU weitgehend aus und auch die Berichterstattung riss schnell wieder ab. Insbesondere das weitere Schicksal der Vertriebenen ist 2024 international kaum thematisiert worden.
Ebenso wenig Aufmerksamkeit in Europa fand 2023/24 der Bürgerkrieg im Sudan. Inzwischen befinden sich 14 Millionen Sudanes:innen auf der Flucht.[5] Der Großteil von ihnen ist insofern immobilisiert, als sie wegen fehlender Ressourcen und geschlossener Grenzen nicht über Möglichkeiten der Migration verfügen. In der EU haben 2023 nur rund 9600 Menschen aus dem Sudan um Asyl nachgesucht. Die Medien berichteten kaum über die sudanesischen Fluchtverhältnisse, auch die internationalen politischen Reaktionen blieben sehr verhalten. Es handelt sich mithin um eines der vergessenen Fluchtzentren der Welt.
Um Afghanistan ist es international ebenfalls still geworden, obgleich seit der Machtübernahme der Taliban 2021 weitere 1,6 Millionen Menschen geflohen sind und 350000 Afghan:innen in der EU Asyl beantragt haben. In Deutschland sank allerdings 2024 die Zahl der von dort kommenden Schutzsuchenden im Vergleich zu 2023 stark ab. Selbst die Fluchtbewegungen im Konflikt zwischen Israelis und Palästinenser:innen fanden in den vergangenen Monaten in der internationalen Öffentlichkeit kaum mehr Interesse. Die Vertriebenen im Gazastreifen bleiben wegen der Grenzsperren dort weiterhin gefangen,[6] ihre Bewegungsmöglichkeiten innerhalb des schwer zerstörten Territoriums sind gering. Der israelische Angriff auf die Hisbollah im Libanon dauerte hingegen nur einige Wochen, so dass die meisten der rund 900000 Binnenvertriebenen in ihre Häuser zurückkehren konnten oder können.
Trotz des Rückgangs der Zahl der Asylanträge in Europa im Vergleich zu den Vorjahren blieb das Thema Flucht auch 2024 ein zentraler Gegenstand politischer und medialer Debatten. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Aufstiegs rechtspopulistischer und rechtsextremer Positionen, denen es gelungen ist, die Themen Migration und Flucht für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, dominieren in den EU-Staaten Abwehrreflexe, Restriktionsspiralen und Abschiebephantasien.
So versuchte 2024 die italienische Regierung, Asylverfahren nach Albanien auszulagern. Sie folgte damit einem ähnlichen Plan der abgewählten konservativen britischen Regierung, per Boot über den Ärmelkanal eingereiste Asylsuchende in das ostafrikanische Ruanda auszufliegen, um deren Asylverfahren dort durchführen zu lassen.[7] Anders als das Ruanda-Modell bieten Asylverfahren in Albanien in den Augen von Bundesinnenministerin Nancy Faeser ein »interessantes Modell«.[8] Italien wollte im zentralen Mittelmeer aufgegriffene erwachsene und als nicht-vulnerabel geltende Männer in Albanien ausschiffen, um dort die Asylverfahren durchzuführen. Zu dem Zweck sind zwei geschlossene Flüchtlingslager aufgebaut worden, in denen die Verfahren von jährlich 36000 Personen durchgeführt werden sollten. Die ersten Verfahren scheiterten bereits im Ansatz: Italienische Gerichte stellten fest, dass der Transfer nach Albanien unrechtmäßig sei. Daraufhin mussten die kurzzeitig in den albanischen Lagern untergebrachten Menschen nach Italien transportiert werden. Die Lager stehen seither leer und das italienische Personal wurde abgezogen. Allerdings hält die italienische Regierung weiterhin an dem Plan fest.
Zu den aktuellen europäischen Abwehrreflexen passt auch die Beschränkung der Resettlement-Programme zur Umsiedlung von Schutzsuchenden, die bereits in Drittstaaten vom UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) anerkannt wurden. Der UNHCR sieht einen weltweiten Bedarf von einer Million Resettlement-Plätzen. In der EU nehmen nur noch 14 Staaten an den Programmen teil, mit Litauen, Slowenien und der Slowakei sind zuletzt drei Länder ausgestiegen. Die Quote hat weiterhin einen Umfang von rund 30000 freiwilligen Aufnahmen pro Jahr, unter anderem, weil die Niederlande ihre Quote erhöht haben. Bislang war in Deutschland von geplanten 6560 aufzunehmenden Personen nach § 23 Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes die Rede, verteilt auf verschiedene Programme. Hinzu tritt noch das Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Afghan:innen (Stichwort »Ortskräfte«). Es wurde mit dem Ende der Koalitionsregierung im November 2024 zunächst gestoppt. Laut Programm für die Bundestagswahl 2025 will die CDU alle freiwilligen Aufnahmeprogramme beenden, dazu gehört auch die Familienzusammenführung von subsidiär Geschützten.[9] Von den ohnehin nur sechs...
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