Schweitzer Fachinformationen
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Die alte Frau hatte nicht mehr lange zu leben, die Krankheit war bereits weit fortgeschritten. Als sie tot in einem Wald nahe Helsinki aufgefunden wird, an einer Schlinge hängend, geht die Polizei von einem Selbstmord aus. Paula Pihjala jedoch ist skeptisch, irgendetwas passt da nicht ins Bild. Als kurz darauf ein Mann auf einem Spielplatz tot aufgefunden wird, steht fest, dass es ein Mord war. Der Mörder hatte das Opfer auf eine Wippe gestellt, mit einer Schlinge um den Hals, dann das Gewicht entfernt. Das Opfer erhängte sich selbst. Was für ein Sadismus! Ein weiteres Opfer ist offenbar schon im Visier. Paula Pihjala und ihr Team ermitteln unter Hochdruck, um dieses grausame Spiel zu beenden.
Der Platz vor dem Krankenhaus war am frühen Abend voller Autos. Durch die Glastüren, die zum Bereitschaftsdienst führten, war das überfüllte Wartezimmer zu sehen. Über den Parkplatz wehte ein leichter, aber kalter Wind.
Meri Kaikkonen wartete wie vereinbart an der Ecke des Gebäudes und rauchte. Trotz des kühlen Wetters trug sie keinen Mantel über ihrem weißen Arztkittel.
»Eine rauchende Krebsärztin«, sagte Renko, als er mit Paula über den Parkplatz ging. »So selten wie ein abstinenter Schriftsteller.«
»Oder ein intelligenter Kriminalhauptmeister«, gab Paula zurück.
»Haha, gut gesagt.« Renko lachte, doch seine Stimme klang leicht verärgert.
Kaikkonen hob grüßend die Hand und warf die brennende Kippe in den Gully.
»Schusters Kinder haben keine Schuhe«, sagte sie fröhlich, nachdem sie den letzten Rauch ausgeatmet hatte.
Paula amüsierte sich über Renko, der auf den Gullydeckel starrte und offenbar überlegte, was das Schustersprichwort mit dem Zigarettenkonsum der Ärztin zu tun hatte.
»Sie haben es sicher ebenso eilig wie wir. Kommen wir also direkt zur Sache«, schlug Paula vor.
»Kaarina Alanne«, begann Meri Kaikkonen, als würde sie einen Krankenbericht diktieren. »Weit fortgeschrittener Brustkrebs, wollte keine Operation. Der Krebs wurde Ende letzten Jahres festgestellt. Vor zwei Wochen habe ich ihre verbleibende Lebenszeit auf einige Wochen, höchstens Monate geschätzt. Das traf offenbar zu.«
Renko öffnete den Mund, doch Paula räusperte sich, um ihn daran zu hindern, den wahren Sachverhalt zu früh zu verraten. Sie suchte auf ihrem Handy das Foto von Alannes Medikamenten und fragte, ob alle ordnungsgemäß verschrieben waren. Kaikkonen nahm das Handy, vergrößerte die Aufnahme und sah sie sich sorgfältig an, bevor sie nickte.
»Wie hat sich Frau Alanne verhalten, als sie hörte, dass sie nicht mehr lange zu leben hatte?«, fragte Paula.
»Sehr ruhig. Auf mich wirkte sie wie ein Mensch, der mit sich selbst und seinem Leben restlos im Reinen ist. Das ist irgendwie schön«, antwortete Kaikkonen.
»Obwohl sie einsam war«, merkte Renko an.
»Nein«, widersprach Kaikkonen. »Sie war zwar allein, aber nicht einsam. Wir haben darüber gesprochen, als ich sah, dass in ihren Papieren keine nahen Angehörigen vermerkt waren. Kaarina hat mir erzählt, dass sie ihr ganzes Leben der Arbeit gewidmet und sich ansonsten für sich allein wohlgefühlt hat.«
»Sie kam also immer allein in die Praxis?«
»Ja. Und sie hat auch nie andere Personen erwähnt.«
»Hatte sie starke Schmerzen?«, fragte Paula.
»Sie hatte Schmerzen, ja, aber keine unerträglichen.«
»War sie Ihrer Ansicht nach selbstzerstörerisch?«
»Auf keinen Fall. Wieso?«, fragte Kaikkonen verwundert. »Hat sie . untersuchen Sie deshalb ihren Tod? Hat sie eine Überdosis genommen? Das sollte eigentlich nicht möglich sein, Schmerzmittel werden jeweils nur in kleinen Mengen verschrieben.«
»Die Ergebnisse der Obduktion liegen noch nicht vor«, antwortete Paula. »Aber sie wurde erhängt aufgefunden.«
Meri Kaikkonens Augen füllten sich zuerst mit Entsetzen, dann mit Tränen, die sie schnell wegblinzelte. Sie holte eine Schachtel Chesterfield aus der Kitteltasche und steckte sich eine weitere Zigarette an. Paula ließ der Krebsärztin Zeit für ein paar Züge.
»Das kann ich nicht glauben«, sagte Kaikkonen schließlich, als sie ihre Zigarette fast zur Hälfte aufgeraucht hatte.
»Warum nicht?«, fragte Paula. »Ist Selbstmord nicht in gewisser Weise eine natürliche Reaktion, wenn man erfährt, dass man bald sterben wird? Vielleicht hat sie doch befürchtet, dass das Ende qualvoll sein wird.«
»Nein, nein, nein.« Kaikkonen schüttelte den Kopf. »Wir hatten alles besprochen. Für Kaarina war ein Palliativplatz reserviert für den Moment, wenn sie zu Hause nicht mehr zurechtkäme oder nicht allein sein wollte. Aber es war ihr ausdrücklicher Wunsch, zu Hause zu bleiben.«
»Wie war ihre physische Kondition?«, erkundigte sich Paula. »Konnte sie zum Beispiel noch Spaziergänge machen?«
»Oder auf einen Baum klettern?«, murmelte Renko vor sich hin, aber nicht leise genug.
»Auf einen Baum klettern«, wiederholte Kaikkonen ungläubig, als wäre das der schlechteste Witz, den sie je gehört hatte. Sie schnippte die Kippe auf den Asphalt und verschränkte die Arme vor der Brust. »Für ihr Alter war sie noch fit, aber auf einen Baum hätte sie nicht mehr klettern können. Nicht einmal in gesundem Zustand«, fügte sie schroff hinzu.
Jetzt sah sie so aus, als wolle sie kein Wort mehr sagen. Paula verfluchte Renko insgeheim. Sie bat Kaikkonen zu überlegen, ob Kaarina Alanne irgendwelche Begegnungen erwähnt hatte, doch die Ärztin schüttelte den Kopf.
»Wenn Ihnen noch irgendetwas Besonderes einfällt, worüber Sie gesprochen haben, melden Sie sich bitte.« Kaikkonen nickte nervös und erklärte, sie müsse zurück auf die Station. Paula und Renko blickten ihr nach, als sie mit gesenktem Kopf durch eine Seitentür in die Klinik ging.
»Okay, das war ein Fehler«, sagte Renko. »Ich dachte, es wäre gut, der Ärztin einen kleinen Schreck einzujagen, falls sie etwas weiß.«
»Aha. Das ist dir ja gelungen«, versetzte Paula und machte sich auf den Weg zum Auto.
»Ärzte geben ihre Fehler nie zu«, fuhr Renko hinter ihr fort. »Sie fürchten sich vor Fehlern, gestehen sie aber nur ein, wenn ihnen keine andere Wahl bleibt. Das liegt an ihrer beruflichen Allmacht. Aber kann irgendeines von Alannes Medikamenten eine selbstzerstörerische Neigung verursacht haben? Danach hätten wir uns erkundigen müssen.«
»Bist du jetzt also doch der Meinung, Alanne könnte Selbstmord begangen haben?«, fragte Paula über die Schulter.
»Nein. Aber vielleicht hat die Ärztin es befürchtet. Bringst du mich zum Präsidium zurück?«
»Wenn du willst, kann ich dich auch nach Hause bringen.«
»Prima, danke«, sagte Renko. »Dann schafft meine Frau es noch zur Gymnastik, die muss sie so oft ausfallen lassen.«
Paula setzte sich in den Wagen und dachte an Renkos Frau, der sie ein paarmal begegnet war. Sie hatte herzlich und fraulich gewirkt, auf diese mühelos-natürliche Art, die Paula immer ein Rätsel geblieben war. Wenn Paula zum Beispiel ihre Haare zurückbinden wollte, war ein straffer, glatter Pferdeschwanz das Einzige, was sie zustande brachte, während Renkos Frau bei ihrer letzten Begegnung die Haare zu einer Art Dutt hochgesteckt trug, der aussah, als sei er schnell, aber mit sicherer Hand gemacht, nachlässig und doch akkurat.
»Was ist deine Meinung zum Gnadenmord?«, fragte Renko, als sie vom Parkplatz der Klinik auf die Straße bogen.
»Das Wort mag ich nicht. Ich spreche lieber von Euthanasie«, erwiderte Paula.
»Aha, du ziehst einen verschleiernden Ausdruck vor«, sagte Renko herausfordernd.
»Nein«, schnaubte Paula. »Meiner Meinung nach geht es bei Euthanasie nicht um Mord, und Gnade sollte mit der ganzen Sache nichts zu tun haben. Als müsste ein todkranker, leidender Mensch von anderen Gnade bekommen, obwohl er nur Hilfe braucht, sonst nichts.«
Renko gab zu, dass Paula recht hatte, und schien überrascht von ihrer heftigen Reaktion.
»Mir kam nur gerade in den Sinn, dass assistierter Suizid eine Ermittlungslinie sein könnte, wenn Alanne auf irgendeine andere Art getötet worden wäre«, sagte er versöhnlich.
»Stimmt«, erwiderte Paula, der ihre hitzige Erwiderung ein wenig peinlich war.
»In gewisser Weise hatte Alanne selbst ja den größten Nutzen von der Tat, wenn man bedenkt, dass ihr dadurch härteres Leid erspart blieb.«
»Ich würde Tod durch Erhängen nicht so einstufen, dass dem Opfer härteres Leid erspart bleibt, aber ich verstehe, was du meinst.«
»Meiner Meinung nach müsste jeder Mensch das Recht haben, Sterbehilfe zu bekommen, wenn er sie braucht. Nur bei Minderjährigen und aus psychischen Gründen sollte sie ausgeschlossen sein«, sagte Renko.
Paula erstarrte und heftete den Blick fest auf das Nummernschild des Wagens vor ihnen. Weiter vorn sprang die Ampel auf Grün um, aber die Schlange kam so langsam voran, dass sie es vor dem nächsten Wechsel nicht über die Kreuzung schaffen würden.
»In einigen Ländern ist das möglich«, fuhr Renko fort. »Also zum Beispiel wegen Depression Sterbehilfe zu bekommen. Das finde ich auf keinen Fall akzeptabel. Depression ist keine tödliche Krankheit.«
Paula hätte ihm gern widersprochen, brummte aber nur zustimmend und hoffte, Renko würde das Thema wechseln. Doch ihre Hoffnung war vergebens. Im Gegenteil, Renko lehnte sich auf dem Sitz zurück, als genieße er es, lang und breit reden zu können, solange sie im Stau steckten.
»Ich will keineswegs bestreiten, dass eine Depression gewaltiges menschliches Leid verursachen kann«, erklärte Renko.
»Tatsächlich?« Paulas Stimme klang so farblos, dass Renko die Frage für aufrichtig hielt.
»Ja, wirklich. Ich habe einmal mit einem depressiven Patienten gesprochen. An den schlimmsten Tagen kam er überhaupt nicht aus dem Bett, und sonst hatte er das Gefühl, sich wie in Gelee zu bewegen. So was ist doch kein Leben. Das ist schwer zu begreifen.«
»Bestimmt«, sagte Paula und versuchte sich auf das Kennzeichen des vor ihr fahrenden Wagens zu konzentrieren, die Buchstaben und Ziffern wieder und wieder zu lesen.
»Man interessiert sich für nichts, man empfindet nichts. Stell dir mal vor, selbst wenn man Familie hat,...
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