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Stella stand in der Auffahrt. Sie war müde und verschwitzt. Das Haus ragte über ihr auf, grau und gebieterisch, und zu ihrem Erstaunen tröstete sie der vertraute Anblick. Normalerweise beachtete Stella es kaum, denn die Furcht vor dem bevorstehenden Aufenthalt lenkte sie davon ab, oder sie war zu beschäftigt damit, das Auto auszuladen, die Kinder zur Ordnung zu rufen, ihrer Mutter zuzuhören, wie diese von der Reise irgendeines Neffen aus London am Vortag berichtete - eine Fahrt, die ewig lange gedauert hatte, und war es nicht ein unglaubliches Glück, dass ihnen das nicht auch passiert war? Heute hingegen konnte sie sich an dem Ort, wo sie aufgewachsen war, gar nicht sattsehen: die großen Steinplatten, der weiße Jasmin, der förmlich über die Fenster tanzte, die knallrote Tür, die total fröhlich wirkte, eine Möwe, die krächzend auf dem Schornstein saß und dann Antwort von einer anderen bekam, die auf dem weitläufigen Rasen herumstolzierte. Das Mammutblatt konnte man zwischen dem Haus und der alten Garage gerade so erkennen. Die Garage sah heruntergekommener aus als jemals zuvor, aber sie stand noch, samt ihrem Wetterhahn, der klemmte und immer Richtung Süden zeigte. Dann gab es da noch den entzückenden kleinen Mandelbaum neben der Küche, die beiden vom Wind ganz zerrauften Palmen und die rostige Bank einige Meter vom Klippenrand entfernt, von der aus man eine unverstellte Aussicht auf das Meer hatte.
Irgendwie machte dieser Blick die Tatsache, dass ihr Vater die Familie verlassen hatte, weniger vage. Die Aussicht verband das ganze Debakel mit der Realität, mit den ihr vertrauten Backsteinen, dem Mörtel. Als sich Stella jetzt wieder dem Haus zuwandte, erfüllte es sie mit Erleichterung, dass sich nicht alles verändert hatte.
Doch schließlich öffnete sich die Haustür, und Stella war einen kurzen Moment lang vom Anblick ihrer Mutter dort im Türrahmen verblüfft. Noch nie zuvor hatte sie sie eine Jeans tragen sehen, und schon gar kein hautenges Paar, an dessen einem Bein sich eine aufgestickte Efeuranke entlangwand. Auch die Haare hatte sie sich machen lassen, und irgendjemand musste ihr beigebracht haben, wie man teures Make-up richtig auftrug.
Ihre Mutter sah völlig verändert aus. Warum war das Stella nicht vor vierzehn Tagen aufgefallen, als sie Sonny bei ihren Eltern absetzte? Weil es damals in Strömen geregnet hatte, wurde ihr bewusst. Moira hatte ihren Regenmantel bis obenhin zugeknöpft, und Sonny hatte sich geweigert, ins Haus zu gehen, wo sie alle zusammen hätten Kaffee trinken können. Stattdessen war er davongestürmt und hatte sich auf dem Beifahrersitz von Moiras Volvo verkrochen.
Beim Anblick ihrer Mutter war sich Stella nicht ganz sicher, was sie jetzt tun, wie sie sie begrüßen sollte. Sie versuchte sich ins Gedächtnis zu rufen, was sie normalerweise sagte. Als ihr das jedoch nicht gelang, begriff sie, wie wenig sie sie normalerweise wahrnahm. Wie sehr ihre Mutter einfach im Hintergrund verschwand, wie das Rauschen ihres Geplauders.
Letzten Endes war es Moira, die die Führung übernahm. Sie lief über den Kiesweg, drückte ihrer Tochter kurz den Arm und küsste sie dann auf die Wange. Sie duftete nach einem teuren, intensiven Parfum. Nicht mehr nach dem üblichen kurzen Sprühstoß von einem x-beliebigen Katalogprodukt. »Hallo, Liebes. Wie war denn die Fahrt?«
»Ach, eigentlich ganz okay«, erwiderte Stella. Nachdem sie ihre Mutter von oben bis unten gemustert hatte, fügte sie hinzu: »Toll siehst du aus! Ist die Jeans neu?«
Moira errötete leicht, als sie antwortete. »Na ja - du weißt schon. Die habe ich mir aus einer Laune heraus gekauft.«
»Gibt es denn etwas Neues von Dad?«, wollte Stella wissen.
Moira schüttelte den Kopf, sodass ihre flammend roten Highlights im Sonnenlicht tanzten. »Ich habe dir alles schon am Telefon gesagt.«
Stella war kurz davor, ihre Mutter zu fragen, warum sie denn gar nicht besorgt wirkte. Da entdeckte sie Sonny, der mit gesenktem Kopf im Schatten des Türrahmens herumhing. Sie schluckte. Er sah auf und schob sich den überlangen Pony von den Augen. Stella machte einige Schritte vorwärts, wobei sie die Sonnenbrille abnahm, um ihren Sohn besser sehen zu können. Sonny hatte die Augen zusammengekniffen und sah besorgt aus, seine Haut wirkte aschfahl.
Sie erreichte ihn. »Alles in Ordnung bei dir?«
Er nickte.
»Bist du sicher?«
Er nickte wieder.
In den vergangenen zwei Wochen hatte sie ihn vermisst, aber als sie jetzt voreinanderstanden, wusste Stella nicht genau, was sie tun sollte. Sich entschuldigen, weil sie ihn hergeschickt hatte? Eine Entschuldigung von ihm verlangen? Ihn umarmen oder stehen bleiben, wo sie war, da sie seine Ablehnung fürchtete? Aus einigen Jahren Erfahrung wusste sie, dass es sich hier um eine Situation handelte, in der man als Elternteil darüberstehen musste. Sie durfte sich nichts von ihrer Angst vor einer möglichen coolen Zurückweisung ihres Kindes anmerken lassen. Deswegen zwang sie sich dazu, einfach so zu tun, als machte es ihr nichts aus. Sie legte ihm einen Arm um die Schultern, zog seinen steifen Körper zu sich heran und küsste ihn auf die fettigen Haare. »Hallo, du Idiot.«
Er grunzte irgendetwas.
Aber er zog sich nicht zurück.
Stattdessen hob er die Hand und berührte sie am Arm. Drückte ihn kurz.
Dann machte er einen Schritt rückwärts.
Für Stella war das genug, jedenfalls für den Augenblick. »Warum bist du denn so blass?«, erkundigte sie sich.
»Ich mache mir Sorgen. Wegen Grandpa«, gab er zurück, als wäre es unglaublich dumm von ihr, diese Frage überhaupt zu stellen.
»Oh.« Sie war konsterniert über seine Reaktion. Stella ging ziemlich fest davon aus, dass das Einzige, was Sonny im vergangenen Jahr in irgendeiner Form berührt hatte, Rosies Missgeschick mit seinem iPhone gewesen war. Damals hatte das Display einen Sprung abbekommen.
Sie sah auf und stellte fest, dass Jack das Ganze mitverfolgte. Er hatte so viele Taschen wie möglich auf einmal aus dem Auto geschleppt und stand da wie ein Packesel. Als er bemerkte, dass sie ihn gesehen hatte, setzte er sich sofort in Bewegung und sagte: »Hilf mir doch mal, Sonny.«
Sonny nahm sich die größte Tasche, bekam sie allerdings kaum vom Boden.
Jack und Stella tauschten einen Blick, als würden sie sich fragen, wie es ihnen gelungen war, einen so verweichlichten Kerl großzuziehen. Dann küsste Jack Moira auf die Stirn, als er an ihr vorbeiging. Dabei sagte er: »Gut siehst du aus, Moira. Das mit Graham tut mir leid.«
»Hallo. Danke, mein Lieber. Ja, eine sehr unangenehme Sache. Wie geht es dir? Alles in Ordnung in der Arbeit?«
»Alles wie immer. Ich kann mich nicht beklagen«, gab Jack zurück, während er unter der Last des Gepäcks fast zusammenbrach.
»Gib mir doch ein paar von diesen Taschen.«
»Nein, nein.« Jack bewegte die Finger der Hand, die den Griff umklammerte, und ließ sich nicht helfen. »Ich schaffe das schon.«
»Er mag es, seine Belastung so konkret zu spüren«, witzelte Stella.
Ihr Mann fand ihre Bemerkung nicht ganz so lustig, wie sie gehofft hatte. Er hob nur die Augenbrauen und ging dann aufs Haus zu.
»Das war ein Witz«, murmelte Stella und ging wieder zum Auto, wo sie mit ihrer Mutter Rosie holen wollte. Diese saß immer noch angegurtet im Kindersitz, die Augen starr auf das Display ihres iPads gerichtet. Sie hatte noch nicht einmal mitbekommen, dass sie ihr Ziel erreicht hatten.
»Diese Geräte sind doch einfach ein Geschenk des Himmels, wenn man eine lange Reise vor sich hat«, kommentierte ihre Mutter mit einer Geste in Richtung iPad.
Stella nickte und dachte darüber nach, wie sehr sie sich als Kind eine ähnliche Ablenkung auf langen Autofahrten gewünscht hätte. Wie sie auf dem Rücksitz des rotbraunen Vauxhall Cavalier durch ganz Europa gegurkt waren und die Frage »Sind wir bald da?« verboten gewesen war.
Einmal hatte der Motor kurz vor Madrid überhitzt, die Klappe hatte sich verklemmt, ihr Vater hatte einen Wutanfall bekommen, und Stella hatte ihre verschwitzten Beine langsam von dem heißen Plastik ablösen und sich auf eine Grasnarbe am Straßenrand setzen müssen. Die Mittagshitze hatte unbarmherzig auf sie herabgestrahlt, aber Stella wollte einfach nur dem Zornesausbruch entkommen. Sie hatte sich einen Sonnenstich geholt, was ihren Vater total aufbrausen ließ, denn nun verspäteten sie sich noch mehr als ohnehin schon und verpassten den großen Teil eines Sportwettbewerbs, den er unbedingt hatte sehen wollen. In ihrer Kindheit ging es in den Ferien immer darum, wo gerade die Welt- oder die europäischen Meisterschaften im Schwimmen stattfanden, ganz abhängig davon, welche Sportler ihr Vater, ein ehemaliger olympischer Schwimmer und Trainer des britischen Teams, gerade betreute. Kein einziges Wochenende, kein einziger Urlaub verging, ohne dass das Schwimmen irgendwie eine Rolle gespielt hätte. »Wenn das Jahr 365 Tage hat, bedeutet das 365 Tage Training.« Deswegen begleiteten sie ihn, um überhaupt Zeit mit ihm verbringen zu können, obwohl er stets beschäftigt und die meiste Zeit über schlecht gelaunt war. Wenn sich seine Sportler beschwerten, sie hätten zu viel und zu hart trainieren müssen und wären müde, schaute er sie mit seinem berüchtigten spöttischen Blick unter halb geschlossenen Augenlidern hervor an und sagte: »Schlafen ist nicht drin.« Als Kind hatte Stella ständig mit dem Gedanken gespielt, das irgendwann einmal zu ihm zu sagen, wenn er sie abends ins Bett steckte. Bei der Vorstellung, das wirklich zu tun,...
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