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Die Schwester wartete geduldig, während Ava einen weiteren Versuch machte, ihren Bruder zu erreichen.
»Die Mailbox«, erklärte Ava entschuldigend. »Alle haben die Mailbox an. Niemand geht ans Telefon, ich habe es bei allen versucht. Es tut mir wirklich leid.« Ihre sämtlichen Freunde saßen in Meetings, in der U-Bahn oder beim Lunch und waren deswegen nicht zu erreichen.
»Kein Problem.« Auf dem Namensschild der Schwester stand »Julie Stork«. Ava fragte sich, ob sie leichter Zugang zu ihr finden würde, wenn sie ihren Vornamen benutzte. Sie selbst fand es immer ein bisschen unheimlich, wenn bei Starbucks nach ihrem Namen gefragt und der dann auf den Pappbecher geschrieben wurde, aber im Moment konnte sie eine Verbündete gebrauchen. Als Alternative bot sich ihr nur eine andere Schwester namens Tina, mit der sich Julie jetzt in ruhigem Ton unterhielt. Vor Tina konnte man Angst bekommen. Ihre Uniform spannte sich straff über ihrer kompakten Figur, und das Haar trug sie in einem ebenso straffen Pferdeschwanz; der unbarmherzige Blick ihrer Augen erinnerte an den hungriger Krähen. Sie war es gewesen, die Ava mitgeteilt hatte, sie dürfe das Krankenhaus nur in Begleitung einer Person verlassen, die sich während der nächsten vierundzwanzig Stunden um sie kümmern würde; gleichzeitig hatte sie ihrer Patientin nur allzu deutlich klargemacht, dass man ihr Bett so bald wie möglich wieder brauchte.
Ohne diesen Druck, jemanden zu finden, der sie abholte, hätte Ava ihren Krankenhausaufenthalt sogar genossen. Immerhin gab es hier gestärkte weiße Laken, Lamm mit grünen Bohnen, köstlichen Pudding und ein zerlesenes altes Exemplar der Zeitschrift OK!. So jedoch huschte ihr Blick die ganze Zeit nervös zu ihrem Smartphone: Alle paar Sekunden scrollte sie durch ihre Adressliste, schrieb SMS oder WhatsApp-Nachrichten und aktualisierte die Seiten.
Als sie Schwester Tina »Da muss es doch jemanden geben« murmeln hörte, spürte Ava, wie ihr die Schamesröte in die Wangen stieg.
Deswegen stürzte sie sich förmlich auf ihr Handy, als es wieder einen Piepton von sich gab. Es war eine Nachricht von Rory: Kann hier nicht weg. Jonathon holt dich ab.
Ava schlug sich eine Hand vor den Mund. Wie konnte ihr Bruder nur ausgerechnet ihren Ex schicken? Warum nicht seine Assistentin, einen Praktikanten, irgendwen? Irgendjemanden, nur nicht den Typen, mit dem er sie verkuppelt und von dem sie sich vor drei Monaten getrennt hatte.
Schnell setzte sich Ava im Bett auf. Sie musste sich anziehen und diesen dämlichen, hinten offenen Krankenhauskittel loswerden. Die Zeitschrift fiel auf den Boden, und das nicht gerade leise. Ava suchte irgendetwas, um ihr Spiegelbild zu überprüfen, und fand schließlich das Messer auf ihrem Teller. Sie richtete ihre platte Frisur und benutzte ein Haargummi. Ihr war schwindlig. Sie ruhte sich kurz auf dem Bettrand aus und schaute genau rechtzeitig hoch, um zu sehen, wie Jonathon beschwingten Schrittes und mit einem Grinsen im Gesicht über den Flur auf sie zusteuerte.
»Hi, Jonathon«, begrüßte sie ihn mit einem verlegenen Lächeln, als er am Fußende ihres Bettes stehen blieb, die Hände in die Hüften gestemmt.
»Dich hat ein Bus gestreift, habe ich gehört?«
Ava nickte. Dann versuchte sie aufzustehen, aber ihr wurde schon wieder schwindlig, und sie ließ sich zurücksinken. Er kam schnell ums Bett herum, um ihr zu helfen. »Danke«, murmelte sie.
»Schon gut. Keine Hektik.«
Sie musste daran denken, wie vertraut ihr sein Gesicht einmal gewesen war. Die braunen Augen und die geröteten Wangen. Der frustrierte Blick, mit dem er sie angesehen hatte, als sie zu ihm sagte, sie glaube nicht, dass sie zueinanderpassten. Dass sie nicht sehr gut darin sei, Beziehungen zu führen, und dass sie nicht glaube, das zu sein, wonach er suchte. Dass sie gut sei im Alleinsein. Und daran, wie sich Jonathons große Augen zu Schlitzen verengt hatten, als er erwiderte: »Das bist du in der Tat. Du wirst es können müssen. Denn weißt du, Ava, ehrlich gesagt habe ich das Gefühl, ich kenne dich gar nicht.«
Jetzt wirkte er froh und munter, hatte den Kragen seines Rugbyhemdes im Matrosenlook aufgestellt, und seine Augen funkelten. Ava in ihrem hinten offenen Krankenhauskittel dagegen konnte kaum aufrecht stehen. Barfuß machte sie ein paar schlurfende Schritte, um den Vorhang um das Bett zu schließen, aber Schwester Tina war schon zur Stelle und zog den Stoff mit einem Ruck zu.
»Brauchst du Hilfe?«, wollte Jonathon wissen, während er die Zeitschrift vom Boden aufhob und schnell durchblätterte.
Ava schüttelte den Kopf, woraufhin Jonathon aus dem Vorhang heraustrat. Dann griff sie nach ihren Socken, aber sie anzuziehen, war so anstrengend, wie über eine Mauer zu klettern. Sie war so müde, dass sie kaum die Augen offen halten konnte. Sie versuchte, ihren Kittel zu öffnen, kam jedoch nicht hinten heran. Ihre Glieder waren zu schwer und quasi unbrauchbar. Sie versuchte es noch einmal. Irgendwann setzte Ava sich hin, ließ die Hände einfach am Körper herunterhängen, schloss die Augen und rief: »Jonathon.«
»Ja«, antwortete er und steckte den Kopf durch den Vorhang.
»Ich glaube, ich brauche doch deine Hilfe.«
Sie sah, wie er kurz die Augenbrauen hob und seine Mundwinkel ganz leicht zuckten. Schließlich kam er zu ihr und öffnete vorsichtig die Rückseite ihres Kittels. Ava hielt den Stoff vor der Brust zusammen, als sie erst einen und dann den anderen Arm herauszog und Jonathon ihr ihr T-Shirt reichte. Sie spürte, dass es ihn amüsierte, wie sie versuchte, ihr Oberteil anzuziehen, ohne noch mehr von ihrem Körper zu entblößen. Doch als die Reihe an ihre Skinny Jeans kam, musste Ava schließlich aufgeben, denn ihre Zehen gingen irgendwo in dem unnachgiebigen Stoff verloren, als sie die Hose erst bis halb zu den Oberschenkeln hochgezogen hatte. »Könntest du mir bitte beim letzten Stück helfen?«, fragte sie und verfluchte dabei das Design von Topshop. Wenn sie nicht so völlig erschöpft gewesen wäre, hätte sie die Erniedrigung als unerträglich empfunden.
Danach musste sich Ava noch eine Sekunde aufs Bett setzen, um wieder zu Atem zu kommen. Als ihr ihre platte Frisur und ihr bleiches Gesicht entgegenstarrten, wurde ihr klar, dass das Fenster hinter dem Bett einen perfekten Spiegel abgab. Widerwillig akzeptierte sie Jonathons Arm, um aufstehen zu können.
»Weißt du, so verletzlich habe ich dich noch nie erlebt«, kommentierte er schmunzelnd, weil es ihr so offensichtlich mehr als unrecht war, dass sie Hilfe brauchte.
Langsam gingen sie an Schwester Julie vorbei zum Ausgang. Deren Blick war zu entnehmen, dass sie Ava und Jonathon für ein entzückendes verliebtes junges Paar hielt, das sich nun auf den Heimweg machen würde, um dann zusammen Hühnersuppe zu essen und sich auf dem Sofa vor dem Fernseher zusammenzukuscheln. Schwester Tina sah mit einem zufriedenen Nicken von ihrem Platz an der Rezeption auf und reichte Ava ein Informationsblatt über Gehirnerschütterungen und mögliche Symptome, auf die sie achten sollte.
Am liebsten hätte sich Ava einfach irgendwo zusammengerollt und geschlafen, aber Jonathon sprach nach wie vor mit ihr. »Das ist doch verrückt, oder? Schließlich waren wir mehr als sechs Monate zusammen.« Er blieb stehen, um ihr die Tür aufzuhalten, und fügte dann grinsend hinzu: »Ich bin übrigens immer noch eine ziemlich gute Partie, weißt du, Ava .«
Sie schaffte es, ihn anzulächeln.
Während er sie in den weichen Ledersitz seines Volvo hob, wurde ihrer verletzlichen, von einer leichten Gehirnerschütterung geplagten Seite klar, wie einfach es wäre, ihn zurückzugewinnen. Sich einfach wieder auf ihn einzulassen, wo sie sich doch so vertraut waren. Aber sie wusste, dass das nicht richtig gewesen wäre. Als Feuerprobe stellte sie sich immer vor, sie würde ihn mit ihrer Mutter bekannt machen, wäre diese noch am Leben. Wie sich ihre Mutter bei einem Treffen zu dritt nicht würde konzentrieren können, während Jonathon höfliche Konversation machte und ein wenig über sich erzählte. Wie ihre Mutter ihn sofort als durchschnittlich einschätzte. Ava hörte sich selbst Einwürfe über seine beruflichen Erfolge machen, davon berichten, wie viel Spaß sie immer zusammen hatten, und dann erschien auf dem Gesicht ihrer Mutter ein Ausdruck, der die Frage in sich barg, wen Ava da eigentlich zu überzeugen versuchte.
Jonathon wandte sich um und sah sie an, während er den Wagen die Hauptstraße hinuntersteuerte. »Ich setze dich bei Rory ab und fahre gleich weiter; ich muss zurück zur Arbeit, okay?«
Da begriff Ava, dass ihr Jonathon mit seiner Bemerkung, er wäre immer noch eine ziemlich gute Partie, unter die Nase reiben wollte, was sie sich hatte entgehen lassen. Aber was vorbei war, war vorbei. »Natürlich, völlig in Ordnung.«
Als sie vor der viktorianischen Doppelhaushälfte hielten, in der Rory mit seiner Frau Claire wohnte, ging Jonathon um den Wagen herum, um die Tür für Ava zu öffnen, doch das war ihr schon selbst gelungen. Dafür schloss er sie hinter ihr.
»Hast du alles?«, wollte er wissen, als er ihr auf den Bürgersteig folgte.
Ava nickte. »Danke. Du weißt schon, für .« Mit einer vagen Geste deutete sie auf ihre Kleider und das Auto. ». für alles.«
»Es war mir ein Vergnügen, Ava«, erklärte Jonathon mit einer Grimasse. Dann beugte er sich vor, um Ava rasch auf die Wange zu küssen, während er schon Claire zuwinkte, die gerade die Haustür geöffnet hatte. Als er sich wieder in seinen beheizten Ledersitz zurücksinken ließ, fügte er hinzu: »Das Ganze war übrigens sehr aufschlussreich für mich. Eine Art Blick hinter .« Er wies kurz auf Avas Gesicht und ihren...
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