Schweitzer Fachinformationen
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Ich hatte gerade mit meiner Cessna Skylane RG zur Landung auf dem Internationalen O'Hare-Flughafen von Chicago angesetzt, als drinnen das Telefon läutete.
Das Rauschen des durchs offene Fenster hereinwehenden Windes, das Brummen der Motoren sowie der Lärm, der just in diesem Moment durch das Ausfahren des Fahrwerks entstanden war, mochten verantwortlich sein dafür, dass ich das Klingeln des Telefons fast überhörte. Meine Augen wanderten zwischen dem Höhenmesser und dem Variometer hin und her, und ich versuchte - in einem Anfall von Masochismus -, eine perfekte Landung durchzuführen. Schnell nahm ich einen Schluck von meinem lauwarm gewordenen Nescafé. Weit und breit war kein anderes Flugzeug zu sehen.
Ich hatte etwa die Hälfte der Landepiste unter mir zurückgelegt, als plötzlich ein Seitenwind auftauchte und meinem kleinen Flieger einen heftigen Stoß versetzte. Ich drosselte die Motorleistung noch etwas. Das zweite Läuten des Telefons nahm ich zwar verärgert wahr, doch zog ich vor, es zu ignorieren. Ich hatte wieder einmal zu viel Tempo. Also reduzierte ich die Geschwindigkeit nochmals.
Beim dritten Klingeln des Telefons begann ich zu fluchen. Dieser Störenfried setzt alles daran, mich an einer ordentlichen Landung zu hindern. Er soll gefälligst warten. Ich nahm noch mehr Leistung zurück. Mein Flugzeug reagierte mit einem Hechtsprung, der mich in Panik versetzte. Also drehte ich wieder auf.
Meine Handinnenflächen waren leicht verschwitzt. Ich hatte Lust auf eine Zigarette, doch dafür blieb keine Zeit. Die Landebahn kam immer näher auf uns zu, und ich hob die Nase meines Fliegers wieder leicht an. Doch bereits das war zu viel, zumindest schien es mir so. Also richtete ich die Flugzeugnase wieder nach unten. Die Instrumententafel beachtete ich längst nicht mehr. Das war ein Fehler. Mein sicherer, auf unzähligen geglückten Landungen basierender Instinkt war wie ausgeschaltet durch diese Panik. Von neuem riss ich das Flugzeug hoch.
Die Rollbahn lag jetzt wieder genau unter mir. Meine Geschwindigkeit war viel zu hoch. Ich nahm das Gas ganz weg. Der verfrühte Ton der Überziehwarnung erklang zusammen mit dem vierten Läuten des Telefons. »Ruhig, verdammt noch mal«, rief ich zum Telefon hinüber.
Um die sich mit jeder Sekunde verkürzende Piste unter mir nicht zu verpassen, kippte ich die Nase meines Fliegers hastig nach unten. Das hätte ich nicht tun sollen. Die Räder stießen hart auf die Rollbahn auf. Zu hart. Zuerst zeigten sich Risse in den Flugzeugfenstern, dann war ein höllischer Lärm zu hören; schließlich stand ganz unten auf dem Bildschirm die Botschaft »You have crashed!«.
Während ich zusehen musste, wie meine arme Cessna in die Brüche ging, läutete das Telefon zum fünften Mal. Ich erhob mich von meinem Platz und lief ins Wohnzimmer.
Ich nahm den Hörer ab und bellte hinein: »Ja, was ist .«
Der Anrufer hatte wohl inzwischen die Hoffnung aufgegeben; jedenfalls hörte ich zunächst einmal gar nichts. Dann ertönte eine gutturale Frauenstimme mit einem Zungenschlag, der absolut nicht nach Istanbul gehörte: »Remzi Ünal? Spreche ich mit Remzi Ünal?«
»Ja, hier Remzi Ünal«, antwortete ich. Remzi Ünal . Expilot und Exflugkapitän, ausgetreten aus der Luftwaffe, geschasst von den Turkish Airlines, Remzi Ünal, den kein »frequent flyer« auch nur dem Namen nach kennt, den selbst die billigste Chartergesellschaft nicht haben will und der - dank Ihnen - nicht einmal imstande ist, seine Cessna auf dem Flight Simulator ordentlich zu landen, hier ist er, neu erstanden als Privatdetektiv Remzi Ünal.
»Äääm, ich verbinde Sie mit Yusuf Bey«, näselte die Stimme. Offensichtlich hatte die Frau in einem Film eine Sekretärin so sprechen hören.
»Und wer ist bitte Yusuf Bey?«
Die Stimme schien plötzlich ihr Selbstbewusstsein eingebüßt zu haben. »Spreche ich mit Remzi Bey?«, fragte sie von neuem.
»Ja«, sagte ich. »Hier Remzi Ünal .«, der .
»Äääm, ich verbinde Sie jetzt mit Yusuf Sari«, sagte die Sekretärin, die eindeutig aus der Provinz stammte, oft ins Kino ging und die falschen Filme wählte.
Ich wartete, während ich dem seltsamen Gedudel der firmeninternen Telefonverbindungen lauschte. Ich machte es mir auf dem Sessel neben dem Telefon bequem und streckte meine Beine auf dem davorliegenden Puff aus.
»Hallooooo«, rief eine männliche Stimme, die mit dem Istanbuler Idiom noch weniger zu tun hatte. Einen ähnlich breitgewalzten Dialekt hatte ich zuletzt vernommen, als der gewiefte Zwischenhändler, dem ich mein altes Auto verkaufen wollte, mich hereinzulegen versuchte. »Spreche ich mit Remzi Ünal?«
»Ja, bitte .«
»Sag mal, du, stimmt es, dass du Privatdetektiv bist?«
»Jawohl«, sagte ich. Zumindest war diese Bezeichnung legal, weil das Gesetz, gegen welches unser Staatspräsident Demirel sein Veto eingelegt hatte, neuerdings vom Parlament angenommen worden war . Auch wenn ich es in manchen Punkten großzügig interpretierte .
»Bist du wenigstens ein guter Schnüffler?«, fragte der Mann.
»Woher haben Sie meine Nummer?«, fragte ich zurück.
»Da war neulich ein Inserat in der Hürriyet. Das war schon ein bisschen speziell. Darauf sagte ich mir, da will ich mal anrufen.«
Applaus für meinen Freund, den Besitzer einer Werbeagentur. Ich hatte für ihn einige »freischaffende« Zeitschriftenhändler aufgespürt, die einen seiner Kunden geprellt hatten. Im Gegenzug schaltete er für mich eine Superanzeige, noch dazu zu Sonderkonditionen.
»Alles klar«, sagte ich. »Sie haben den richtigen Mann.«
»Dann finde mir gefälligst Ibo, Menschenskind.«
»Und wer ist Ibo?«, wollte ich wissen.
»Ibo ist mein Neffe. Der sollte in Istanbul sein. Aber seit Tagen habe ich nichts von ihm gehört.«
Jetzt war klar, warum der Mann aus der fernen Provinz anrief. Wer weiß, wie viele Neffen, Söhne, Brüder, Väter, Ehemänner und Onkel, von denen seit Tagen jede Nachricht fehlte, gerade in Istanbul untergetaucht waren!
»Von wo rufen Sie an?«
»Aus Tarsus, mein Guter.«
An Tarsus habe ich schöne Erinnerungen. Vier Jahre meines Lebens habe ich dort verbracht. Des Nachmittags roch es im Schulgarten nach Bitterorangen. Ich stellte auf den Dialekt meiner Schulzeit um: »Wir werden ihn schon finden. Am Telefon ist das allerdings nicht ganz leicht .«
»Komm doch schnell runter«, sagte der Mann, der sich über meine veränderte Sprechweise zu freuen schien.
»Nun mal langsam .«, sagte ich. Ich hatte es mir zur Gewohnheit gemacht, nicht einen Schritt zu unternehmen, bevor der Auftrag auf sicheren Füßen stand. Auch Tarsus musste da warten. »Lass uns mal von vorn beginnen. Wie heißt du?«
»Yusuf Sari. Ibo ist mein Neffe, Ibrahim Sari.«
»Ist er wirklich dein Neffe?«
»Ja, ja, wirklich. Sein Vater ist gestorben, und der Junge wurde mir anvertraut.«
»Und was macht dein Ibo in Istanbul?«
»Er studiert an der Bosporus-Universität. Soziologie. Was immer das sein soll.«
»Die Studenten der Bosporus-Universität lassen sich gern ablenken«, sagte ich. »Vielleicht ist er gerade mit einem Mädchen beschäftigt, und du regst dich umsonst auf.«
Der Mann am anderen Ende der Leitung schien eine Zeit lang unentschlossen, was er von meinen Worten halten sollte, doch dann entschied er sich: »Nix da, Ibo ist ein ordentlicher Junge. Er kommt jedes Wochenende her, und alle zwei Tage reden wir am Telefon. Ich mache mir jetzt Sorgen, weil er seit einer Woche nichts von sich hören lässt. Ich habe seine Freunde angerufen; die haben ihn auch nicht gesehen.«
Diesmal zögerte ich. Doch ich musste offen sprechen: »Es hat doch hoffentlich nichts mit Politik zu tun?«
Nicht nur wegen der Gesetze, sondern auch aus persönlichen Gründen wollte ich bei meinen Fällen mit Politik rein gar nichts zu tun haben. Die Menschen konnten meinetwegen denken, was sie wollten, und dieses Recht nahm ich auch für mich in Anspruch. Doch war ich nicht bereit, irgendeine Verantwortung für Komplikationen zu übernehmen, die sich an der delikaten Grenze zwischen Denken und Handeln ergeben mochten.
Die Antwort kam ohne Zögern. »Nein, mein Freund, Ibo hat damit nichts am Hut. Das hat er mir geschworen. Er studiert brav, und gelegentlich hilft er mir bei meinen Geschäften in Istanbul.«
»Was für Geschäfte sind das?«
Auf meinen trockenen Ton hin schien der Mann aus Tarsus leicht verstimmt. Doch vielleicht irrte ich mich auch.
»Wir schicken den Händlern Garn, Stoffe und dergleichen. Das Geschäft läuft gut. Ibo besucht die Händler, wenn es nötig ist.«
Während ich überlegte, was ich diesen Onkel unter den vielen, die ihre Neffen in Istanbul suchten, noch fragen könnte, veränderte ich die Position meines Gesäßes auf dem Sessel. Yusuf Sari entging mein Zögern nicht: »Was meinst du, Remzi, wirst du Ibo finden? Er ist uns teuer, ein Vermächtnis meines Bruders. Wirst du ihn finden?«
»Ich will tun, was ich kann. Aber ich muss noch mehr wissen....
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