Schweitzer Fachinformationen
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KRIMINALKOMMISSAR TORBJÖRN ROSS STAND REGLOS unter den Bäumen bei der Waldlichtung. Gerader Rücken, die Füße in warm gefütterten Gummistiefeln. Ein kalter Frühlingswind schlich vorbei, Sonnenstrahlen sickerten durch die Bäume. Bald würde es Zeit sein, das Boot aus dem Winterlager zu holen.
Torbjörn betrachtete den makabren Fund, den sie gemacht hatten, nachdem die beiden Plastiksäcke aufgeschnitten worden waren. Ein Rumpf und ein Unterkörper.
»Wie lange hat sie hier schon gelegen?«, fragte er den Rechtsmediziner.
»Unmöglich, das hier vor Ort genau zu sagen. Aber ich würde mal sagen, um die zwei Jahre.«
Torbjörn pfiff durch die Zähne. »Zwei Jahre!«
»Das ist nur geraten.«
Neben Torbjörn räusperte sich ein Polizeiassistent. »Wir können Hände und Kopf nicht finden.«
»Der Fundort ist verhältnismäßig alt«, murmelte Torbjörn. »Ich will, dass wir die Umgebung durchkämmen und nachsehen, ob die anderen Körperteile in der Nähe liegen. Nehmt die Hunde, und seid vorsichtig.«
Er ging davon aus, dass sie weder Hände noch Kopf finden würden, wollte sich seiner Sache aber sicher sein. Derartige Fälle zogen gern ein großes Medienspektakel nach sich. Da war der Spielraum für Fehler sehr gering.
Er wandte sich wieder dem Rechtsmediziner zu. »Was glauben Sie, wie alt sie ist?«
»Ich kann derzeit nur sagen, dass sie jung war.«
»Und kein Stückchen Stoff am Leib?«
»Nein, ich sehe hier keine Spuren von verrotteter Kleidung.«
»Ein Sexualmord.«
»Oder ein Mord, bei dem es wichtig war, dass das Opfer nicht sofort identifiziert wird.«
Torbjörn nickte gedankenverloren. »Das könnte auch sein.«
Der Rechtsmediziner hielt ihm ein kleines Objekt hin. »Sehen Sie mal!«
»Was ist das?«
»Ein Bauchnabelpiercing.«
»Igitt!«
Er hielt das Schmuckstück zwischen Daumen und Zeigefinger. Ein silberner Ring an einem kleinen Steg. Torbjörn rieb ihn am Jackenärmel. »Da steht was.« Er kniff die Augen zusammen, drehte sich aus dem Licht. »Ich glaube, da steht >Freiheit<.« Als er das Wort aussprach, glitt ihm der Ring aus der Hand und verschwand in der Erde. »Verdammte Scheiße!«
Der Rechtsmediziner sah traurig aus.
Torbjörn nahm den Ring wieder auf und zog eine Beweismitteltüte aus der Tasche. Die Identifizierung dürfte mithilfe dieses Schmuckstücks kein größeres Problem darstellen. Seltsam, dass ein Mörder, der ansonsten große Sorgfalt an den Tag gelegt hatte, ein so entscheidendes Detail übersah.
Die Leichenteile wurden mit großer Vorsicht auf eine Bahre gehoben, zugedeckt und davongetragen. Torbjörn blieb zurück und tätigte noch einen Telefonanruf. »Alex«, sagte er, »entschuldige bitte, dass ich dich so früh am Morgen störe, aber ich habe hier einen Fall, der garantiert auf deinem Tisch landen wird.«
Langsam war es Zeit fürs Mittagessen. Eigentlich hatte Spencer Lagergren keinen Hunger, aber weil er um eins einen Termin hatte und nicht wusste, wie lange es dauern würde, wollte er lieber vorher noch etwas zu sich nehmen.
Im Restaurant Kung Krål am Gamla torget in Uppsala brachte man ihm Hühnchen und Reis, und danach spazierte er in flottem Tempo durch die Stadt zur Carolina Rediviva hinauf an der majestätischen Bibliothek vorbei und dann weiter zum Engelska parken, in dem die Gebäude des Instituts für Literaturwissenschaft lagen. Wie oft war er diesen Weg schon gegangen? Manchmal meinte er, ihn mit verbundenen Augen zurücklegen zu können.
Auf der Hälfte des Weges begannen das Bein und die Hüfte zu schmerzen. Die Ärzte hatten ihm versprochen, dass er nach dem Autounfall seine volle Beweglichkeit wiedererlangen würde, und er übte sich in Geduld. Aber zu Anfang hatte er doch sehr mit sich gehadert. Es war so verdammt knapp gewesen. Was für eine teuflische Ironie es gewesen wäre, ausgerechnet in dem Moment zu sterben, als gerade alles im Begriff war, sich zu ordnen. Nach Jahrzehnten des Unglücklichseins hatte Spencer sich am eigenen Schopf packen und endlich alles richtig machen wollen. Doch daraus war nur noch mehr Unglück entstanden.
Mehrere Monate lang war er krankgeschrieben gewesen. Als er zum ersten Mal Vater wurde, hatte er gerade erst wieder zu gehen gelernt. Während der Geburt hatte er nicht gewusst, ob er sitzen oder stehen sollte. Die Hebamme hatte ihm angeboten, eine Pritsche für ihn in den Kreißsaal zu rollen. Doch das hatte er freundlich, aber bestimmt abgelehnt.
Mit dem Kind kamen neue Energie und die Kräfte zur Erholung, und auch die Trennung von Eva gestaltete sich in keiner Weise so dramatisch, wie er befürchtet hatte. Sein Umzug wurde zwar von dem Autounfall überschattet, der ihn fast das Leben gekostet hatte, doch seine Exfrau sagte kein Wort, als die Umzugsleute stundenlang seine Habseligkeiten aus ihrem gemeinsamen Haus trugen. Spencer selbst war zugegen, um dafür zu sorgen, dass alles ruhig vonstattenging, und beobachtete die Umzugsarbeiten von seinem Lieblingssessel aus. Als der Laster gepackt war, fühlte es sich wie eine symbolische Handlung an, sich aus dem Sessel zu erheben und ihn als letztes Packstück hinaustragen zu lassen.
»Pass auf dich auf«, sagte er, als er in der Tür stand.
»Du auch«, erwiderte Eva.
»Wir hören voneinander.« Er hob die Hand zu einem zögerlichen Abschiedsgruß.
»Ja, das tun wir.« Sie lächelte, als sie das sagte, doch ihre Augen glänzten von Tränen. Und als er gerade die Eingangstür hinter sich zuziehen wollte, hörte er sie flüstern: »Aber manchmal hatten wir es auch gut, oder?«
Er zeigte ihr mit einem Nicken, dass er der gleichen Meinung war, doch der Kloß im Hals war zu dick, als dass er etwas hätte sagen können. Er schloss die Tür zu dem Haus, das fast dreißig Jahre lang ihr gemeinsames Zuhause gewesen war, und ließ sich von einem der Umzugsleute die Treppe hinunterhelfen.
Das war jetzt fast zehn Monate her, und er war seither nicht ein einziges Mal dorthin zurückgekehrt.
Doch das Leben nach dem Autounfall hatte so manche andere Rückkehr für ihn bereitgehalten. Zum Beispiel die Rückkehr zur Arbeit. Das Gerücht, dass der geschätzte Professor Ehefrau und Haus verlassen hatte, um in Stockholm mit einer jungen Frau zusammenzuleben, die soeben ihr gemeinsames Kind zur Welt gebracht hatte, verbreitete sich wie ein Lauffeuer an der Fakultät. Dass die Leute nicht wussten, ob es sich schickte, ihm zu seiner Vaterschaft zu gratulieren, quittierte er mit einem Lächeln.
Das Einzige, was ihm, abgesehen von der eingeschränkten Beweglichkeit, in seinem neuen Leben schwerfiel, war der Umzug nach Stockholm. Irgendwie fühlte sich plötzlich alles fremd an. Und immer wenn sein Zug in Uppsala ankam, wollte er am liebsten nie wieder nach Stockholm zurückfahren. Uppsala machte nicht nur beruflich, sondern auch privat einen großen Teil seiner Identität aus. Stockholm lag ihm dagegen nicht so sehr. Er vermisste Uppsala mehr, als er zugeben wollte.
Inzwischen hatte er die Universität erreicht. Der Leiter des Instituts für Literaturwissenschaft, Erland Malm, und Spencer kannten einander, seit sie frisch bestellte Doktoranden gewesen waren. Sie hatten sich nie besonders nahegestanden, waren aber auch nie Feinde, nicht einmal Konkurrenten gewesen. Man konnte sagen, dass die Beziehung gut war, aber auch nicht mehr.
»Setz dich, Spencer«, sagte Erland.
»Danke.«
Es tat Beinen und Hüfte gut, nach dem Marsch auszuruhen. Der Stock durfte an der Armlehne des Stuhls stehen.
»Ich fürchte, ich habe eine etwas beklemmende Information für dich«, sagte Erland.
Beklemmend?
»Erinnerst du dich an Tova Eriksson?«
Spencer dachte nach. »Die habe ich im letzten Herbst betreut, und zwar zusammen mit der neuen Doktorandin, Malin. Das war kurz nachdem ich angefangen hatte, halbtags zu arbeiten.«
»Wie hast du die Zusammenarbeit mit Tova Eriksson in Erinnerung?«
Ein Geräusch vom Flur erinnerte sie daran, dass die Tür zu Erlands Zimmer offen stand. Erland erhob sich und schob sie zu.
»Meiner Erinnerung nach war die Zusammenarbeit unproblematisch.« Spencer hob kurz die Hände. Er wünschte, er hätte eine Tasse Kaffee bekommen. »Sie war allerdings nicht sonderlich ehrgeizig, und sowohl Malin als auch ich fragten uns, warum sie ein derart kompliziertes Thema für ihre Arbeit gewählt hatte. Es war nicht leicht, sie aufs richtige Gleis zu setzen, und am Ende fiel sie durchs Abschlussseminar.«
»Hattest du viele Treffen mit ihr?«
»Nein, nur ein paar. Um den Rest hat sich Malin gekümmert. Ich glaube, das hat Tova verärgert. Sie wollte keine Doktorandin als Betreuerin.«
Der Stock drohte umzukippen. Spencer lehnte ihn an Erlands Schreibtisch.
»Worum geht es hier eigentlich?«
Erland räusperte sich. »Sie sagt, du habest sie bei ihrer Abschlussarbeit behindert. Und du habest dich geweigert, ihr zu helfen, wenn sie nicht .«
»Wenn sie nicht .?«
»Sexuelle Handlungen ausführe. An dir.«
»Wie bitte?« Spencer lachte kurz auf, dann durchfuhr ihn der Zorn. »Wie bitte? Das nehmt ihr doch wohl nicht ernst, oder? Ich hatte kaum etwas mit ihr zu tun. Habt ihr mal mit Malin gesprochen?«
»Wir haben mit Malin gesprochen, und sie sagt das Gleiche wie...
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