Die steten Auf- und Abbauprozesse unserer Knochen sind abhängig von bestimmten Hormonen und Nährstoffen. Wie die Zahnräder in einem Uhrwerk greifen unzählige Mechanismen ineinander, und wenn es an der einen oder anderen Stelle hakt, kann das gesamte System aus dem Takt geraten.
Die Grundformen unserer Knochen werden ganz überwiegend als weiches Knorpelgerüst beim Embryo im Mutterleib angelegt und beginnen etwa ab der 28. Schwangerschaftswoche (3. Trimenon) bis zum Ende des ersten Lebensjahres zu verknöchern. Die umgangssprachliche Formulierung, dass Babys "weiche Knochen" haben, entspricht also tatsächlich der Wahrheit. Mit fortschreitendem Alter, etwa bis zum Ende der Pubertät beziehungsweise bis zum Ende des zweiten Lebensjahrzehnts, wachsen unsere Knochen in die Breite und in die Länge und nehmen außerdem an Mineralisation zu. Die Wachstumsprozesse der unterschiedlichen Knochen laufen allerdings nicht immer gleichmäßig ab, weshalb sich die Körperproportionen von heranwachsenden Menschen immer wieder verändern können. Spannend ist ebenfalls, dass es dem Körper dabei gelingt, das Wachstum der einzelnen Knochen so aufeinander abzustimmen, dass stets ein funktionstüchtiges Skelett bereitsteht.
Bis etwa zum Ende des zweiten Lebensjahrzehnts überwiegt der Knochenaufbau sowie die Zunahme der Knochenmasse durch die sogenannte sekundäre Mineralisation, also die Mineralisation von bereits als Osteoid gebildeten Knochen, sodass wir im Alter von etwa 25 Jahren die größte Knochenmasse unseres Lebens, die sogenannte "Peak-Bone-Mass", erreicht haben. Wichtig ist es hier zu betonen, dass dementsprechend der Lebensstil in Kindheit und Jugend tatsächlich großen Einfluss auf das Erwachsenenskelett und die Knochendichte hat. Kinder, die sich viel auf natürliche Weise bewegen und Sport treiben, haben als Erwachsene mehr und stärkere Knochen als Kinder, die deutlich weniger aktiv sind. Die "Peak-Bone-Mass" beschreibt also nicht einen bestimmten Wert der Knochenmasse, den alle Menschen automatisch erreichen! Ganz im Gegenteil - die individuelle maximale Knochenmasse wird vor allem durch genetische Faktoren bestimmt sowie durch die Belastung und die Ernährung im Kindes- und Jugendalter. Eine hohe "Peak-Bone-Mass" ist dabei ganz wesentlich für die Knochengesundheit im Alter. Belegt ist zum Beispiel, dass bei einer um 10 Prozent höheren "Peak-Bone-Mass" das Risiko für osteoporotische Knochenbrüche im Alter um die Hälfte sinkt. Eltern sollten bei ihren Kindern also von Anfang an auf eine gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung achten, zum Beispiel indem sie sie ermuntern, in einem Verein Sport zu treiben.
DIE "PEAK-BONE-MASS"
Bis etwa zum 25. Lebensjahr überwiegt der Knochenaufbau sowie die Zunahme der Knochenmasse. Beeinflusst werden diese genetisch determinierten Wachstumsprozesse durch den Lebensstil - und zwar sowohl positiv als auch negativ. Je gesünder die Ernährung in jungen Jahren ist und je aktiver Kinder und Jugendliche unterwegs sind, desto höher wird die "Peak-Bone-Mass" wahrscheinlich ausfallen. Bedingt durch hormonelle Veränderungen, den Lebensstil als Erwachsene mit abnehmender körperlicher Belastung und eventuell vorliegende Krankheiten überwiegen dann im Alter zunehmend die Abbauprozesse. Je höher die "Peak-Bone-Mass" also ist, desto mehr "Puffer" haben wir im Alter.
Im weiteren Verlauf des Lebens halten sich im jungen und mittleren Erwachsenenalter die Auf- und Abbauprozesse meist die Waage, bis ab einem Alter von ungefähr 50 Jahren die Abbauprozesse überwiegen. Dies betrifft zunächst vor allem Frauen, bei Männern nehmen diese Abbauprozesse etwa fünf bis zehn Jahre später vermehrt zu. Dies liegt vor allem daran, dass das weibliche Geschlechtshormon Östrogen die Knochen bis zu den Wechseljahren schützt, indem es die knochenaufbauenden Osteoblasten aktiviert und die knochenabbauenden Osteoklasten hemmt. Wenn die Wechseljahre beginnen und der Hormonspiegel allmählich sinkt, fällt dieser Schutzmechanismus weg und der Knochen wird schneller abgebaut.
KNOCHENDICHTE
Wenn von Knochendichte beziehungsweise von Knochenmasse die Rede ist, dann geschieht dies oft im Zusammenhang mit Osteoporose, weil die Knochendichte häufig als Ausdruck für die Stabilität der Knochen gesehen wird.
Die Knochendichte ist für die Stabilität der Knochen allerdings nur eine Variable von vielen. Neben der Knochendichte, die ein Maß für die Masse des mineralisierten Knochens ist, ist auch noch die Knochenstruktur sowie die Mineralisation von ganz entscheidender Bedeutung. Darüber hinaus gibt es viele weitere Faktoren, die alle zusammen die Knochenqualität bestimmen. Auf diesen Punkt gehen wir im Kapitel "Das alles macht die Qualität unserer Knochen aus" noch genauer ein.
Bevor wir aber auf den genauen Zusammenhang von Hormonen und Knochengesundheit eingehen, fassen wir an dieser Stelle erst einmal kurz zusammen: Unsere Knochendichte verändert sich im Laufe des Lebens, wobei zunächst die Aufbau- die Abbauprozessen überwiegen. Grundsätzlich halten sich im jungen und mittleren Erwachsenenalter Aufbau und Abbau von Knochenstrukturen die Waage, der Knochen ist stabil und erneuert sich kontinuierlich. Gerät dieses Wechselspiel mit zunehmendem Alter schließlich aus dem Gleichgewicht, verlieren die Knochen an Masse und Struktur und somit an Stabilität. Krankheitsbilder wie zum Beispiel die Osteoporose können entstehen. Die gute Nachricht ist: Wir können tatsächlich zeitlebens etwas für unsere Knochengesundheit tun! Denn schwache Knochen gehören keineswegs zu den unumgänglichen Alterserscheinungen.
Damit die Prozesse der Knochenbildung sowie des Auf- und Abbaus von Knochenmaterial wirklich gut und ausgeglichen funktionieren können, müssen einige wichtige Voraussetzungen erfüllt sein. So sollte zum Beispiel das gesamte Leben auf eine umfassende Nährstoffversorgung geachtet werden, damit unsere Knochen stets alle notwendigen Bausteine bekommen, damit also Osteoblasten, Osteozyten und Osteoklasten stets im gesunden Wechselspiel arbeiten können. Welche Nährstoffe das genau sind, darauf gehen wir im Kapitel "Ernährung" detailliert ein - so viel aber schon einmal vorweg: Knochengesundheit beginnt in der Küche, und das jeden Tag!
Vor allem jedoch sind an dem Prozess des Knochenaufbaus verschiedene Hormone in komplizierten Regelkreisen beteiligt. Besonders wichtig sind dabei die Sexualhormone Östrogen und Testosteron, sowie das Calcitonin aus der Schilddrüse und das Parathormon (PTH) aus der Nebenschilddrüse.
Das weibliche Sexualhormon Östrogen wirkt zum einen über die Aktivierung von Osteoblasten knochenaufbaufördernd und zum anderen hemmt es den Knochenabbau, indem es die Anzahl und die Aktivitäten der Osteoklasten reduziert. Ist also zu wenig Östrogen vorhanden, wird weniger neues Knochenmaterial aufgebaut, während gleichzeitig die Abbauprozesse vermehrt stattfinden können. Bei Frauen sinkt mit dem Beginn der Menopause der natürliche Östrogenspiegel, was dazu führt, dass das Gleichgewicht zwischen Knochenauf- und -abbau aus den Fugen gerät. Das erklärt auch, warum Frauen nach den Wechseljahren vermehrt unter Osteoporose, also einem systemischen Knochenschwund, leiden und die postmenopausale Osteoporose die häufigste Osteoporoseform darstellt.
Das männliche Sexualhormon Testosteron hat ebenfalls einen großen Einfluss auf unsere Knochengesundheit. Es ist bekanntermaßen ein sogenanntes Anabolikum und ist förderlich für den Knochenaufbau und das Knochenwachstum, aber auch für den Muskelaufbau. Männer mit einem niedrigen Testosteronspiegel haben also weniger Knochenwachstum und darüber hinaus eine schlechtere Koordination und sind damit anfälliger für Stürze und Frakturen, also Knochenbrüche.
Unser drittes wichtiges Hormon, das Calcitonin, regelt zusammen mit dem vierten Kandidaten, dem Parathormon, den Kalzium- und den Phosphathaushalt des Körpers. Beide Hormone regeln den Kalziumspiegel im Blut sehr genau. Dieser Wert wird in einem sehr engen Bereich stabil gehalten, da Kalzium für viele lebenswichtige Prozesse stets ausreichend zur Verfügung stehen muss. Bei höheren Kalziumwerten wird vermehrt Calcitonin ausgeschüttet, um den Kalziumspiegel zu senken. Bei zu niedrigen Kalziumwerten wird hingegen das Parathormon vermehrt gebildet. Dies führt zur Aktivierung der knochenabbauenden Osteoklasten. Das beim Knochenabbau frei werdende Kalzium kann dann in die Blutbahn abgegeben werden, um den Kalziumspiegel zu erhöhen beziehungsweise diesen zu stabilisieren. Der Knochen dient also auch als Reservoir für lebenswichtige Mineralien, auf die bei Bedarf zurückgegriffen werden kann.
Um zu verstehen, wie genau Calcitonin und Parathormon Einfluss auf unsere Knochengesundheit nehmen, muss man wissen, dass sich ein gesunder Knochen durch eine ausreichende Mineralisation mit Kalzium und Phosphat auszeichnet. Fehlen Kalzium und Phosphat oder ist das Verhältnis unausgewogen, kann er nicht ausreichend verknöchern und bleibt weich und instabil. Und genau für diese Prozesse spielt ein weiterer Kandidat eine tragende Rolle: das Vitamin D. Zusammen mit dem Parathormon sorgt Vitamin D nämlich dafür, dass immer genügend Kalzium im Blut vorhanden ist. Sinkt nämlich die Kalziumkonzentration im Blut, wird in den Nieren vermehrt...