Schweitzer Fachinformationen
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»Das ist doch eine .« Luigi Batista beendete den Satz nicht. Stattdessen betrachtete er den Mann, der da saß, steif und weiß, als sei alles Blut aus ihm entwichen. Was nicht ganz unzutreffend war, denn die Lache unter seinem Sitz war riesig. Dunkles, getrocknetes Blut.
Die Spurensicherer hatten große Ventilatoren herbeigeschafft, dennoch waren schon erste Fliegen zu sehen, die sich der Leiche bemächtigen wollten.
»Wird Zeit, dass Sie die Zelte aufbauen. Noch eine Stunde bei der Hitze, und wir haben nichts mehr zu untersuchen«, sagte die Commissaria.
»Wir beeilen uns«, erwiderte der Spurensicherer. »Wir wären längst fertig, wenn der Questore uns nicht dazwischengefunkt hätte.«
»Wollen wir?«, fragte sie und blickte Luigi an.
»Eigentlich nicht«, erwiderte der mit einem Stirnrunzeln, doch dann gab er Tulipan ein Zeichen, er solle vor dem Bus Sitz machen. Luigi nahm die drei kleinen Stufen und ließ ihr Platz, damit sie sich neben ihn stellen konnte. Es war ein typischer kleiner Stadtbus, mit der Kasse für die Tickets und den Hinweisen für die Beförderung. Die Busse hatten nur Platz für zwei Dutzend Fahrgäste, größere Busse hätten es niemals durch die engen Gassen der Altstadt geschafft. Es gab keine Trennscheibe zwischen Fahrer und Passagieren, der Täter hatte leichtes Spiel gehabt.
Luigi speicherte all diese Momentaufnahmen, obwohl er genau wusste, dass sie ihn nur davor bewahrten, sich schon jetzt allzu sehr mit der Leiche beschäftigen zu müssen. Doch irgendwann hatte er das Drumherum erschöpfend betrachtet. Er sah auf und warf einen Blick auf den Mann, der hinter dem Lenkrad saß. Auf die klaffende Wunde an seinem Hals, aus der das ganze Blut geflossen war.
Er war nicht jung und nicht alt, Luigi fand das Alter immer schwer zu bestimmen, wenn er einen Toten vor sich hatte. Dieser Mann war Ende dreißig gewesen, vielleicht sogar noch jünger, auf jeden Fall zu jung, um nicht weiterleben zu dürfen. Er hatte dunkles Haar mit kleinen Locken und einen Dreitagebart. Doch das Bemerkenswerteste an diesem Toten war das Lächeln in seinem Gesicht. Keine Verzerrung oder Grimasse, sondern ein wirkliches Lachen, festgefroren durch die Leichenstarre. Es sah obszön aus, weil es so echt wirkte, die offenen Augen sahen nach vorne durch die Scheibe, als fixierten sie den Punkt oder den Menschen, über den sich der Tote so freute.
»Makaber, oder?«, fragte eine Stimme durch die offene Tür und riss Luigi aus seinen Gedanken. »Ich habe das als sehr makaber empfunden.« Noch einmal die Stimme, er musste sich nicht umdrehen, weil er bereits wusste, dass der Questore in der Tür stand. Der Commissario schnaubte ärgerlich.
»Sehen Sie das? Wie er lächelt? Ich war mir gleich sicher, dass das ein Zeichen sein muss .«
»Können Sie jetzt mal für einen Moment still sein?« Es war Giulias Stimme, die kühl und fordernd klang, eigentlich hatte sie es leise gesagt, aber in dem leeren Bus warfen die Glasscheiben die Worte doppelt so laut zurück. Luigi war froh, weil er gleich geplatzt wäre, hätte der Questore weitergeredet und ihnen diesen ersten Moment im Bus damit geraubt.
Diesen ersten Moment, der so wichtig war für den Fall. Die erste Inansichtnahme des Tatorts. Der erste Blick auf das Opfer. Die kleinen Details, die am Ende entscheidend sein konnten.
Er betrachtete die Uniform des Mannes, bestehend aus einem Hemd, von dessen Weiß nicht mehr viel übrig war durch das viele Blut, untenherum trug der Mann eine dunkle Bundfaltenhose, eigentlich nichts für jemanden, der so jung war wie er. Beides war gebügelt und sah makellos aus, nach dieser langen Schicht eigentlich ein Wunder.
Die Hände des Mannes lagen noch immer auf dem großen schwarzen Lenkrad, nicht verkrampft, nein, sie lagen einfach obenauf, so, als habe ihn der Tod mitten in der Fahrt erwischt. Die Wunde am Hals ging einmal von links nach rechts, über die gesamte Kehle. Die Wunde klaffte, sie musste sehr tief sein. Ein brutaler Schnitt, ohne Frage. Obwohl er schon viele Messerwunden gesehen hatte, fiel es ihm schwer, hinzusehen. Auch, weil das Gesicht darüber so besonders war. Besonders furchterregend, besonders einmalig. Aber nicht im guten Sinne.
Direkt über der Wunde war das Kinn, darüber verliefen die Mundwinkel einmal hochgezogen von links nach rechts. Der Mann hatte ebenmäßige Züge, er war ein gutaussehender Bursche gewesen mit seinem dunklen Bart und den dunkelbraunen Augen. Und doch war es nun beinahe unmöglich, länger als zwei Sekunden hinzusehen, ohne dass Luigi sich gruselte. Er wusste, dass dieses Gesicht ihn in seine Träume verfolgen würde.
Die Commissaria hatte sich schon dem Bereich über der Fahrerkabine zugewandt. In einem kleinen Kartenhalter steckte hier in Florenz immer der Ausweis des jeweiligen Fahrers mit einem Passbild. Sie las:
»Gianluca Viccione, geboren am 25.4.1980 in Lucca. Busfahrer der Autolinee Toscane, Betriebserlaubnis gültig bis zum 30.09.2024, Betriebsprüfung bestanden im März 2023.«
Sie zog sich die Latexhandschuhe über, dann beugte sie sich über den Mann, und Luigi machte einen Schritt zur Seite. Vorsichtig, ohne unnötig viel zu berühren, öffnete sie die kleine Kasse, die sich unterhalb des Ticketdruckers befand. Luigi sah, dass Scheine und Münzen noch darin waren, Fünfer und Zehner und auch ein Zwanziger.
»Nicht sehr viel«, sagte sie, als hätte sie seine Gedanken erraten, »aber die meisten Fahrgäste haben ohnehin ein Abo und zahlen nicht bar. Und wenn ein Räuber Geld mitgenommen hätte, dann hätte er wohl alles genommen, oder?«
»Das hier sieht ohnehin nicht nach einem Räuber aus«, erwiderte Luigi nickend.
»In der Tat .«
Sie wandte sich nach hinten und schien die sechs Sitzreihen zu betrachten, die es in dem kleinen Bus gab. »Der Täter kam von hinten, oder?«
»Sie meinen, er war schon im Bus?«
»Die Haltestelle ist ein Stück weiter vorn.« Sie nickte. »Ja, er war schon drin.«
»Dann suchen Sie rechts und ich links.«
Sie ging ein Stück weiter in den Bus hinein und beugte sich tief in die rechten Sitzreihen. Luigi tat es ihr auf der anderen Seite nach. Die Sitze waren mit Stoff bezogen und einigermaßen sauber. Unter einem fand er einen Kaugummi, widerwillig zog er sich einen Gummihandschuh über und knibbelte das eklige Teil ab, um es anschließend in eine Beweistüte zu werfen. Ein Kaugummi war perfektes DNA-Material.
Unter dem nächsten Sitz lag ein kleiner Espressobecher aus Pappe, auch den fummelte Luigi in eine Beweismitteltüte. Er sah auf, als er Giulias Stimme hörte, die aufgeregter klang als sonst.
»Na, das ist doch .«
Er machte die paar Schritte zu ihr und sah, wie sie mit dem Handy ein Foto des Sitzes machte. Genauer gesagt waren es zwei Sitze, in der Ritze zwischen denen etwas steckte. Sie griff vorsichtig zu und zog es heraus. Es war ein beigefarbenes Stofftaschentuch.
»Wer benutzt denn noch solche Dinger?«, fragte Luigi laut und runzelte die Stirn.
»Und nicht nur das. Es ist auch noch bestickt«, erwiderte die Commissaria.
»Tatsächlich .« Nun konnte auch er die Buchstaben erkennen, die in feiner Schreibschrift in den Stoff gestickt waren.
S und O.
»Hat das jemand hier verloren?«
»Möglich. Oder .« Sie ließ die Worte in der Luft hängen.
»Oder es ist eine Nachricht des Täters«, vollendete Luigi den Satz. »Aber was sollte das sein? Eine Nachricht, dass er ein bornierter Mann ist, der Schnupfen hat?«
»Ich mag viele Dinge an Ihnen, Commissario. Ihr Zynismus gehört sicherlich nicht dazu.«
»Sie wollten unbedingt mit mir arbeiten, Commissaria. Ich kann das ja auch nicht verstehen.«
Sie lächelte ihn kopfschüttelnd an. »Wir müssen in Erfahrung bringen, was am ersten Tatort gefunden wurde. Und das hier .«, sie öffnete eine Beweismitteltüte und ließ das Tuch hineingleiten, »muss dringend ins Labor. Sehr dringend.« Sie schaute noch einmal unter die hintere Sitzreihe. »Ansonsten sind wir hier fertig.«
Sie gingen wieder nach vorne, Luigi warf einen letzten Blick auf den Mann hinter dem Steuer. »Was für eine arme Seele«, murmelte er.
Die beiden Polizisten stiegen aus. Giulia wandte sich einem Kollegen von der Spurensicherung zu und überreichte ihm ihre Beweismitteltüte, Luigi gab ihm seine beiden.
»Wir sind hier fertig. Machen sie großflächig Fotos von allem, und nehmen Sie Fingerabdrücke und Spuren im Fahrerraum - dann kommt das Opfer bitte sofort in die Gerichtsmedizin. Und nun .«, sie wandte sich zu dem Questore um, der sich schmollend in eine schattige Ecke zurückgezogen hatte, »erzählen Sie uns doch bitte, verehrter Signore Medici, was es mit diesem Fall hier auf sich hat - und mit dem ersten Opfer.«
»Ich freue mich«, sagte er und trat mit großer Pose aus dem Schatten, »dass Sie nun doch erkannt haben, dass meine Expertise in diesem Fall unverzichtbar ist.«
»Oh Mann«, sagte Luigi stöhnend, »ich geh mal in die Bar auf einen caffè, d'accordo?«
»Sie bleiben hier, Commissario«, fuhr ihn die Commissaria an. »Ich brauche Sie.«
Der Questore beobachtete den Austausch sichtlich amüsiert, dann fuhr er fort: »Der Busfahrer steuerte die letzte Tour der Linie C1, es war kurz nach Mitternacht. Der Täter muss ihm hier aufgelauert haben, er hat ihm die Kehle durchgeschnitten, und dann ist der Bus hier zum Stehen...
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