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Fünf Jahre lang lebte und arbeitete ich in Paris - und kämpfte am Anfang mit den Widrigkeiten dieser Stadt. Aber irgendwann ergreift hier jeden das Gefühl: Es ist ein Segen, in so viel Schönheit wohnen und leben zu dürfen.
Hemingway sagte: »Wenn du das Glück hattest, als junger Mensch in Paris zu leben, dann trägst du die Stadt für den Rest deines Lebens in dir.« Das Buch, in dem dieser Satz verewigt ist, heißt »Paris - Ein Fest fürs Leben« - und in der Tat: Hemingway, dieses schriftstellerische Genie, hat so recht.
Ich war 25 Jahre alt, als ich mir wünschte, in Paris zu arbeiten - und 26, als der Traum Wirklichkeit wurde. Und Paris, die Stadt und das Gefühl, das sie bei dem Besucher hinterlässt, hat mich bis heute fest in ihrem Besitz.
Ich erinnere mich noch an den Anruf meines Chefredakteurs. Ich stand unter der Dusche in meiner Berliner Wohnung, als er mir auf die Mailbox sprach, ob ich mir vorstellen könne, aus Paris zu berichten. Es würde auch nichts machen, wenn ich mich schnell entschiede. Ich musste nicht lange nachdenken. Ich sagte zu.
Vielleicht hätte ich doch besser länger nachgedacht - allerdings hat mich bis heute niemand je gefragt, ob ich denn Französisch spräche - nicht im Vorstellungsgespräch, nicht im Vertragsgespräch, einfach niemals. Offensichtlich gingen alle davon aus - nur ich hatte da so meine Zweifel - behielt die aber lieber für mich, schließlich wollte ich das Abenteuer Frankreich nicht verpassen.
Aber in der Tat: Mein Brandenburger Abitur hatte ich mit Müh und Not geschafft, auch in Französisch. Und ich glaube, dass meine damalige Lehrerin noch heute verwundert darüber ist, dass ich es in Paris geschafft habe, nicht zu verhungern. Das lag meiner Meinung nach aber auch an der Angewohnheit des damaligen Lehrplans, die Schülerinnen und Schüler beim Erlernen der Sprache derart zu nerven und zu zermürben, bis wirklich niemand mehr Lust hatte auf Französisch. Ich habe bis heute den Plusquamperfekt in Frankreich noch nicht einmal benutzt - musste ihn mir aber über ein halbes Jahr in den Kopf prügeln - statt einfach nur zu sprechen und mich in diese wunderbare Sprache zu verlieben.
Gargoyle 1: »Schon wieder einer, der eine Bleibe sucht?« Gargoyle 2: »Ich wüsste da etwas für diesen Alex, nahe Centre Pompidou: elf Quadratmeter für 1000 Euro!«
So zog ich also in die Stadt der Liebe, zur schlimmsten vorstellbaren Zeit, der rentrée nämlich. Anfang September, wenn alle Pariser aus den Urlaubsdomizilen am Mittelmeer und am Atlantik in die Hauptstadt und an die Schreibtische zurückkehren - und dabei naturgemäß sehr schlecht gelaunt sind, sodass die Frostigkeit der Stadt wohl in keiner anderen Woche des Jahres so hoch ist wie in dieser. Da wurde dann auf den engen Gehsteigen noch einmal mehr gerempelt (und sich aber natürlich höflich entschuldigt - manchmal wird sich auch erst entschuldigt und dann gerempelt), die Kellner waren noch hochnäsiger als sonst - und ich bezog mein kleines erstes WG-Zimmer.
Chambre de bonnes (Dienstbotenzimmer): für Wohnungssuchende mit schmalem Budget oft eine erste Möglichkeit, in Paris unterzukommen
Die Wohnungssuche in Paris war durchaus anspruchsvoll. Als stolzer Mieter einer geräumigen und sehr günstigen Wohnung im Berliner Prenzlauer Berg war ich mir sicher: Das wird schon mit den vier Wänden an der Seine. Kurz gesagt: wurde es nicht.
Die Mietangebote in der Stadt sind ohnehin rar: Denn die meisten Wohnungen sind in Privatbesitz, kaum einer mietet hier, es ist einfach zu wenig Platz für zu viele Menschen, und so sind die Bewohner der Stadt mehrheitlich Eigentümer.
Da aber sehr viele Menschen von außen nach Paris strömen - seien es Franzosen wegen der Arbeit oder Expats zum Studium oder zum Beruf -, ist der Mietmarkt total überhitzt. Diese Wucher-Angebote, die man aus Social-Media-Posts kennt, sind durchaus realistisch: Eine »Wohnung« mit 23 Quadratmetern, Dusche und Klo zusammen, dazu eine winzige Pantryküche, wird hier mal locker 1500 Euro kosten, in guten Lagen gerne mehr. Und natürlich kommt der Vermieter am Monatsanfang persönlich vorbei, um die Miete bar zu kassieren. Ob er sie dann versteuert? Sie können es erraten.
Noch schwieriger ist es mit Wohngemeinschaften, die in Paris einfach nicht so gängig sind wie in Deutschland. Die wenigen WGs, die es gibt, werden zumeist von sehr reichen Kids betrieben, die mit der Wohnung ihrer Eltern ordentlich Kasse machen - und dann auch noch die Regeln in den vier Wänden diktieren - das muss jetzt nicht schlimm sein, kann aber.
So landete ich also in meinem ersten WG-Zimmer, das mit elf Quadratmetern und 1000 Euro Warmmiete nun sicherlich nicht unterbezahlt war. Dafür hatte ich aber auch auf die drei Regeln bei der Wohnungssuche geachtet: Lage, Lage, Lage. Ich war untergekommen in einem historischen Viertel, nun ja, einem modernen historischen Viertel - dem Quartier de l'Horloge im Rücken des Centre Pompidou.
Die ersten Wochen waren ein Schock. Zuerst natürlich wegen des ganz allfälligen Preisunterschieds: Hatte ich in Berlin für ein Bier beim Späti damals 1,50 Euro bezahlt, um dann mit Freunden auf irgendeiner Parkbank rumzuhängen, kostete hier jedes demi, also jedes kleine Glas Bier, mindestens fünf Euro. Und beim Ausgehen am Samstag konnte es dann schon passieren, dass ich beim Bezahlen meines Wodka-Tonic einen Zwanzig-Euro-Schein über den Tresen reichte und auf mein Wechselgeld wartete - es kam aber keines. Günstig wie beim Vietnamesen in Berlin, wo das Hauptgericht damals fünf Euro kostete, gab es in Paris nichts zu essen.
Junge Leute aßen vorm Ausgehen zu Hause - und klugerweise glühten sie genau dort auch noch vor, mit Champagner, Rotwein & Co., um dann schon gut angeheitert auf die Piste zu gehen - es ist einfach günstiger so.
Der zweite Schock war die Sprache: Damals war es tatsächlich noch so, dass die Pariser schlicht und einfach nur französisch sprachen - auch wenn sie Englisch eigentlich gut konnten. Ich möchte vorausschicken, dass sich das gottlob verändert hat, seit fünf, sechs Jahren etwa. Damals aber war es schwierig - und ich verstand, warum Politiker immer wieder darauf beharren, dass alleine die Sprache Grundlage für eine gelungene Integration ist.
Klar, fürs Arbeiten reichte es, ich konnte Interviews auf Französisch führen - und bin eben auch nicht verhungert, weil das Baguette beim Bäcker und das Essen im Restaurant keine große Hürde war.
Es war eher das Gefühl der Einsamkeit, das mich beschlich, als ich spürte, wie alle privaten Gespräche meiner Kollegen an mir vorbeirauschten.
Der Dialog über den neuen Kinofilm, die angesagte Bar, der Gossip über die neue Freundin, all das war so schnell und oftmals im Dialekt der banlieues, dass ich kein Wort verstand. Und genau diese Hürde schaffte dann das Gefühl, niemals richtig in Paris ankommen zu können.
Denn natürlich machen es die Pariser einem auch nicht leicht, sich mit ihnen anzufreunden. Paris ist eine societé fermé, eine geschlossene Gesellschaft. Nicht nur aus Standesdünkel, sondern auch aus Selbstschutz, meine ich. Es kommen so viele Menschen aus aller Welt hierher, die meistens nur ein Jahr bleiben, manchmal zwei, selten für immer.
Das wissen die Pariser - und sie wissen auch, dass sie ihr Herz, selbst für eine Freundschaft, nicht an jemanden verschenken möchten, der bald wieder weg ist. So bleibt die feine Gesellschaft der Stadt unter sich, Franzosen treffen sich mit Franzosen, und das lässt eben auch die Expats unter sich bleiben. Ein Aufbrechen geht da - wenn überhaupt - nur, wenn die Sprache perfekt ist. Doch keine Sorge: Nach sieben oder acht, höchstens neun Monaten in einer fremden Sprache macht es Plopp - und dann wird aus gutem oder sehr gutem Französisch ein fließendes - so war es jedenfalls bei mir. Und spätestens dann lässt sich bei Kinodiskussionen herrlich mitmischen.
Auch sonst schloss ich die Stadt bald ins Herz. Eigentlich hatte ich vor meiner Ankunft hier große Sorgen: Ich hatte in Berlin unter einer Angststörung gelitten, über Jahre war das gegangen. An schlechten Tagen habe ich es nicht einmal zum Briefkasten geschafft. Öffentliche Verkehrsmittel waren gänzlich tabu. Es ging einfach nicht - sobald sich die Tür der U-Bahn zu schließen drohte, musste ich noch schnell rausspringen, weil die Panik von mir Besitz ergriffen hatte.
Und nun also Paris - wo alles viel hektischer, lauter und voller war. Wie sollte das denn gehen?
Kurzum: Ich bin am ersten Arbeitstag in die Métro der Linie 1 gestiegen, an der proppenvollen Station Châtelet, um bis zur Haltestelle George V zu fahren, genau unter den Champs-Élysées. Am Morgen im Pendlerstrom gibt es wohl keine vollere Linie. Und ich glaube bis heute, genau das war des Rätsels Lösung. Weil das Chaos hier so groß war, dass man sich tatsächlich fürchten konnte, weil die Métro so eng und proppenvoll war und die Menschen dicht an dicht standen, hatte meine Angst gar keine Chance, sich zu entwickeln - und ich habe mich quasi mit Paris selbst therapiert.
Im Jugendstil: Métroeingang Étienne Marcel, gestaltet von Hector Guimard
Trotzdem habe ich die Métro nach ein paar Monaten...
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