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Geben und Nehmen - das sind zwei Dinge, die in Deutschland oft untrennbar miteinander verbunden sind. Meistens wird genau abgezählt: Ich gebe dir etwas, dafür möchte ich aber auch etwas von dir bekommen.
Im Süden ist das anders: Da gibt man und erwartet erst mal gar nichts von seinem Gegenüber. Die Abrechnung gerät eher langfristig, auf den Lauf der Dinge vertrauend. Vielleicht kommt eines Tages etwas zurück, vielleicht schon morgen, vielleicht aber auch nie.
Es ist eine Funktionsweise der Gesellschaft, die auf zahlreichen Krisen beruht: Denn nur, wenn sich die Menschen gegenseitig stützen, werden sie auch überleben. Eine Lebensversicherung, die funktioniert, schon seit Hunderten von Jahren.
»Das Geheimnis des Glücks liegt nicht im Besitz, sondern im Geben. Wer andere glücklich macht, wird glücklich.«
André Gide, französischer Schriftsteller
Kurz vor der Geburt meines ersten Sohnes schenkte mir eine Kollegin ihr Babybett. Es war fünfzehn Jahre alt, sie hatte es schon oft verliehen, es hatte viele Schrammen und knarzte ganz schön. Trotzdem freute ich mich darüber, es war etwas Besonderes.
Als die Kollegin uns das Bett übergab, tat sie es jedoch mit den Worten: »Ist ja ein Geschenk. Du kannst mir eine richtig gute Flasche Wein dafür geben.« Das wiederholte sie noch zwei Mal, bis ich ihr dann wirklich eine gute Flasche überreichte.
Bis heute muss ich über diese Geschichte lachen. Natürlich hätte ich ihr etwas für das Bett gegeben, vielleicht sogar mehr als eine Flasche Chablis. Aber die wiederholte Aufforderung war einfach zu komisch, und vor lauter Unverständnis hätte ich gerne ins Bettgitter gebissen. Die Kollegin hatte lange im Ausland gelebt und war trotzdem so deutsch.
Ganz ähnlich war mir zumute bei einer ehemaligen kannten, die uns für einige Zeit ihren gebrauchten Kindersitz auslieh. Leider fiel der bereits sehr betagte Autositz einem Brand in unserem Ferienbungalow zum Opfer, so wie das gesamte Inventar. Als die Bekannte wieder ein Kind erwartete, wollten wir den Sitz ersetzen, woraufhin sie uns die zehn Jahre alte Originalrechnung schickte und die Überweisung des Neupreises erwartete. Als ich vorsichtig infrage stellte, ob es richtig sei, einen abgenutzten Sitz nach so langer Zeit vergolden zu wollen, sprach sie nie wieder ein Wort mit mir.
Beide Vorgehen sind natürlich legitim, sowohl die wenig subtile Weinforderung als auch die überzogene Kindersitzgeschichte. Sie sind aber das genaue Gegenteil von einem der wichtigsten Glücksprinzipien des Südens.
Eine Hand wäscht die andere. Das ist keine Phrase, sondern im Süden gelebte Realität. Versuchen Sie mal, in Nizza oder in Neapel dem Kellner klarzumachen, dass der Zehnertisch getrennt bezahlen möchte - Sie werden Kopfschütteln ernten, mindestens. In Italien zahlt man alla romana, einer löhnt für alle, und hinterher teilt man sich die Kosten - oder es wird gleich eine Einladung draus, bis zum nächsten Mal, dann ist es andersrum. In Frankreich gilt das Aufteilen der Rechnung genauso als verpönt.
Wie oft höre ich in deutschen Freundeskreisen von Problemen mit der Bezahlung, egal ob im Restaurant oder bei der Urlaubskasse. Neulich unternahm eine Freundin eine Reise mit ihren Freundinnen. Vor der Reise hatte man die Kosten für die Unterkunft brav per PayPal durch fünf geteilt, diejenige, die die anderen im Auto mitnahm, bekam das Benzingeld. So weit, so gut. Schon beim Einkauf fürs abendliche Dinner, der natürlich auch durch fünf geteilt werden sollte, war der Ärger aber programmiert: Eine Freundin war Veganerin, sie lehnte es ab, fürs »ach so teure Steak« mitzubezahlen - nicht aus Geiz, wie sie sagte, sie wolle aber auch nicht den bestialischen Mord an dem armen Rind unterstützen. Eine andere Freundin war schwanger und forderte deshalb, man müsse den Wein aus ihrem Anteil herausrechnen, sie habe ja schließlich nichts davon. So dauerte die Abrechnung der Einkaufskosten doppelt so lang wie der Einkauf selbst - und hinterher hatten alle genug Gelegenheit, um zu lästern oder sich zu ärgern.
Solch ein Auseinanderdividieren im Restaurant beobachte ich oft hierzulande, wenn Gruppen ihre Rechnungen aufteilen, bevorzugt mit dem Handy-Taschenrechner: Sabine hatte doch keine Suppe, und Thomas hatte das viel teurere Hauptgericht. Da müsse man jetzt mal rechnen, einfach alles durch vier, das geht natürlich nicht.
Ich persönlich habe schon Urlaube abgesagt, weil im Vorfeld die Forderung nach einer Urlaubskasse laut wurde. Allein diese Ankündigung macht mir schon Angst. Es ist nicht das Teilen an sich - ich teile jedoch lieber Pi mal Daumen, statt meine Kosten mit Strandblick auseinanderzuklamüsern. Mal gewinnt man, mal verliert man.
Klar, man kann die finanzielle Sorglosigkeit auch übertreiben: Silvio Berlusconi ließ sich jahrzehntelang korrumpieren und korrumpierte seinerseits, hinterzog Steuern und bestach Amtsträger, was das Zeug hielt. Seinem Volk lieferte er damit die Vorlage, um zu sagen: Na, wenn die da oben das machen, dann können wir das auch, dann müssen wir uns auch nicht an die Regeln halten.
Derlei wilde Buchhaltung und kriminelle Energie sind natürlich mit dem Glücksprinzip nicht gemeint. Aber eben auch nicht das komplette Gegenteil, dieses penible, übergenaue Aufrechnen von allem, wie es in Deutschland oft praktiziert wird. Wenn Bekannte ihre Leihgaben aufrechnen, Freunde ihre Geschenke und Ehepartner die Hausarbeit.
Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Keine Erbsenzählerei und kein Prassen um des Prassens willen, es geht schließlich nicht um angloamerikanische Großkotzigkeit, sondern um ein Gleichgewicht der Kräfte, und das betrifft längst nicht nur das Finanzielle, sondern unser tagtägliches Wirken: etwa ein Ratschlag, eine gute Tat oder auch nur das Bekanntmachen mit jemandem, der einem weiterhelfen kann.
Es ist das Geschäftsprinzip des Südens. Ich gebe dir heute was - und du gibst mir etwas, wenn die Zeit reif dafür ist, vielleicht ist das morgen, vielleicht erst in einigen Monaten. Dass etwas gar nicht vergolten wird, tritt so gut wie nie ein: Das Leben ist lang, und es findet sich immer eine Gelegenheit, ein gutes Wort oder eine gute Tat zurückzugeben.
Und: Um die Höhe des Betrags oder des Aufwands geht es bei diesen Tauschgeschäften nicht. Es spielt keine Rolle, ob es sich um sehr viele oder sehr wenige Euros handelt, manchmal ist die Unterstützung auch nur ideell. Denn es geht bei alledem ja eben nicht ums Geschäft, sondern um Gemeinschaft. Es geht darum, dass die Tauschgeschäfte für viele Familien auch heute noch eine Überlebenshilfe sind, gerade in den armen Regionen des Südens.
Eine gute Freundin von mir stammt ursprünglich aus einer süditalienischen Familie. Sie wuchs in Campobasso auf, der Hauptstadt der Region Molise, im Süden Italiens. Ihre Eltern kamen wie so viele aus der strukturschwachen Gegend als Gastarbeiter nach Deutschland, doch der Großteil der Familie blieb an dem Ort, den sie immer noch ihre Heimat nennt. Als Kind war meine Freundin oft im sonnigen Süden - und lernte schnell, wie das Überleben funktioniert. Das System prägt sie bis heute.
Es gab nie viel zu essen in dieser kargen Region, es te eine Mangelwirtschaft, aber eine, die durch das Prinzip des Teilens erträglich war: Da war Tante Lucia, die auf ihrem Grundstück Hühner hielt, und die Großmutter meiner Freundin, die den ersten Backofen im ganzen Dorf hatte, mit Holz und offenem Feuer. Die alten Damen besuchten sich gegenseitig, genossen Gemeinschaft und ein wenig Geplauder - und anschließend ging die eine mit einem halben ofenwarmen Brot nach Hause, während die andere ein wenig Olivenöl in die Pfanne ließ, um die frischen Eier zu braten, die sie eben bekommen hatte.
Derlei Tauschgeschäfte kennen wir natürlich auch in Deutschland - aber sie sind deutlich weniger geworden, wie ich finde. Meine Nachbarn auf dem Dorf lassen sich ihre Eier zumeist mit Geld bezahlen. Die unbewachten Kassen vor den Haustüren sind seltener geworden oder ganz verschwunden, weil irgendwie auch das Vertrauen ineinander nicht mehr da ist.
Das selbstlose Geben und Nehmen scheint ein Relikt vergangener Tage zu sein - aber eines, dem alle nachtrauern. Gerade hier in Brandenburg höre ich oft: Herrje, in der DDR, da waren wir noch füreinander da, da haben wir einander noch geholfen. Das war gelebte Solidarität.
Das ist natürlich eine Verklärung der Zustände: Meine Eltern mussten mit anderen tauschen, Zement gegen Autoteile, Nutella gegen Strumpfhosen, weil es in den Läden der ehemaligen DDR oft keine Waren gab. Es war eine Mangelwirtschaft, genau wie im ländlichen Italien. Man musste tauschen, um über die Runden zu kommen, um den Hausbau fortsetzen zu können, um wieder mit dem Trabi zu fahren. Die Menschen halfen einander, und ich kann diejenigen verstehen, die sich wieder mehr Miteinander in der Gesellschaft wünschen. Die andere Wahrheit ist aber: Gerade jene, die die alten Zeiten vermissen und das Verschwinden der Solidarität beklagen, sind oft die, die sich ihre Eier bezahlen lassen.
»Ich bin ja gebürtig aus Schwaben«, sagt Katina Papadomanolakis, die ich für dieses Buch in Athen getroffen habe. »Deshalb weiß ich, wie Sparsamkeit funktioniert und wie ungern die Deutschen etwas abgeben wollen.« Die junge Frau muss lachen, als sie an ihre Kindheit in Stuttgart denkt. Sie ist die Tochter einer Deutschen und eines Griechen und lebt seit mittlerweile siebzehn Jahren in Athen. Wir treffen uns in einem...
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