Schweitzer Fachinformationen
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Ziel dieser Publikation ist es, Praktikern in präklinischen Settings ein konkretes und gleichermaßen diskretes Werkzeug für die Orientierung in und Bewältigung von aggressiven und potentiell gewalttätigen Einsatzlagen zu geben. Dazu möchten wir an dieser Stelle bereits auf den Unterpunkt zum taktisch korrekten Verhalten und Handeln innerhalb des Kapitels 5 verweisen.
Eine wesentliche Herausforderung liegt in der Komplexität der Berufsbilder Notfallmediziner und Notfallsanitäter. Die Ressource »Unterrichtszeit« ist in der Aus- und Fortbildung zu stark begrenzt, als dass alle Lösungsmöglichkeiten für alle möglichen Einsatzszenarien umfassend betrachtet werden können (vgl. Landa1969, S. 20). Unterrichtsprozesse müssen deshalb intensiviert und rationalisiert werden, um optimale Bildungs- und Erziehungsergebnisse zu erreichen (vgl. Landa, S. 9). In diesem Zusammenhang hat sich im pädagogisch-psychologischen Bereich die Algorithmierung von Lernprozessen als am tragfähigsten erwiesen (vgl. Landa 1969, S. 12). Deshalb:
»Beim Lösen konkreter Aufgaben müssen wir bei den Schülern recht allgemeine Methoden des Denkens und der Tätigkeit überhaupt entwickeln, müssen wir recht allgemeine Verfahren zur Lösung verschiedener Aufgaben ausbilden und die Schüler befähigen in jeder Situation eine Lösung zu finden.« (Landa 1969, S. 20)
Algorithmen sind Formen allgemeiner Tätigkeitsmethoden, die sich sowohl auf intellektuelle als auch auf praktische Tätigkeiten beziehen (vgl. Landa 1969, S. 21). Algorithmen sind durch ihre Bestimmtheit, Allgemeinheit und Lösungsaussicht charakterisiert. Gerade in der medizinischen Diagnostik ermöglicht ein algorithmisches Vorgehen eine planmäßige Arbeit und eine Verringerung der Fehleranzahl (vgl. Landa 1969, S. 31).
[21]Das A-B-C-Der-Eigensicherung ist ein algorithmen-basiertes Handlungsinstrument bzw. Werkzeug, welches auch als Vorschrift algorithmischer Art im Sinne Landas verstanden werden kann:
Solche Vorschriften besitzen eine Reihe wesentlicher Eigenschaften von Algorithmen (Bestimmtheit, Allgemeinheit, Lösungsaussicht), verfügen aber auch über einige andere Merkmale, die Algorithmen nicht aufweisen (Landa 1969, S. 34).
Eine Vorschrift ist demnach algorithmisch, wenn sie bewirkt, dass die unter dem Aspekt des angenommenen Kriteriums aufgestellten Aufträge eindeutig und richtig ausgeführt werden.
Die Überprüfung einer solchen Vorschrift geht nur im Experiment (Landa 1969, S. 37).
Im Rahmen einer solchen experimentellen Überprüfung werden Hypothesen aufgestellt, welche Operationen für das gegebene System elementar sind. Ausgehend von diesen Hypothesen wird eine Vorschrift formuliert und überprüft. Insofern diese Schritte richtig nachvollzogen wurden, ist eine solche Vorschrift algorithmisch (vgl. Landa 1969, S. 37ff). Das Verständnis für den algorithmischen Prozess, also die Anwendung des Algorithmus auf irgendein Objekt (Landa 1969, S. 43-44), ist die Voraussetzung dafür, dass der sich Mensch aktiv in den Prozess einbringen kann (Landa 1969, S. 45).
Die Hypothesen, die im Zusammenhang dieses Buches aufgestellt werden, lauten wie folgt:
Rettungskräfte sind nicht ausreichend für den Umgang mit Gewaltprozessen geschult.
Die Arbeitsbedingungen, denen Rettungskräfte unterliegen, erschweren die Einschätzung von eskalierenden Situationen zusätzlich.
Die strukturierte Sensibilisierung von Rettungskräften für den Umgang mit Gewaltprozessen muss bereits etablierte Lern- und Handlungsstrukturen für die Arbeit in notfallmedizinischen Kontexten berücksichtigen.
Diese Hypothesen werden im Folgenden anhand von dokumentierten Fallbeispielen überprüft.
[22]Warum ist ein algorithmen-basierter Ansatz erforderlich um die Fähigkeit von Rettungskräften zur Einschätzung und Bewertung einer potentiellen gewalttätigen Gefährdungslage zu verbessern?
Die Beantwortung dieser Fragestellung muss die folgenden Dimensionen berücksichtigen:
Rettungskräfte sind nicht für den Umgang mit eskalierenden gewalttätigen Konfliktsituationen ausgebildet (vgl. Oesterreich/Köhler 2011). Insofern Rettungskräfte im Rahmen ihrer Fortbildung für dieses Thema sensibilisiert werden, handelt es sich in den meisten Fällen um eine nicht rettungsdienstspezifische Fortbildung, die sich thematisch an sicherheitsdienstlichen und polizeilichen Inhalten sowie psychologisch-soziologischen Inhalten orientiert. Aufgrund der knappbemessenen Fortbildungszeit und der ungenügenden Berücksichtigung rettungsdienstlicher Arbeitsvorgaben können solche ambitionierten Schulungsvorhaben lediglich oberflächlich wirksam werden. So wird dem Umgang mit der knappen Ressource Zeit, der für die Arbeit in Akutlagen signifikant ist, kaum Rechnung getragen und häufig davon ausgegangen, dass quasi automatisch ausreichend Zeit zur Verfügung stünde, um mit den entsprechenden Kommunikations- und Gesprächstechniken eine Deeskalation der gegebenen Situation erreichen zu können. Dabei wird häufig nicht berücksichtigt, dass dafür zunächst geklärt werden muss, ob alle beteiligten Parteien dazu im Stande und bereit sind, oder ob dieses nicht (mehr) der Fall ist und eine weitere Eskalation unmittelbar bevorsteht.
Rettungskräfte sind mit komplexen Konfliktlagen konfrontiert, die über die »kriminelle« Ausübung von Gewalt zur Erreichung eines bestimmten Ziels, z. B. Raub, Körperverletzung etc., hinausgeht. Vielmehr haben es Rettungskräfte oftmals mit sogenannten psychischen Ausnahmezuständen zu tun, in denen der potentielle Angreifer aufgrund seines momentanen Zustands (Intoxikation, Desorientierung, Angst etc.), selbst gar nicht in der Lage ist, die Situation zu erfassen und einzuschätzen. Demzufolge ist es erforderlich, Rettungskräfte mit den entsprechenden Instrumentarien auszurüsten, die sie befähigen, die vorliegenden Lage diskret einzuschätzen und falls erforderlich die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass einer weiteren Eskalation entgegengewirkt werden kann.
Rettungskräfte verfügen, als Ergebnis ihrer langjährigen Berufspraxis, in der Regel über ein beachtliches Repertoire an Bewältigungsstrategien für den Umgang mit plötzlich eskalierenden Situationen. Paradoxerweise sind sich die wenigsten Rettungskräfte dieser Tatsache bewusst. Unbewusst richtiges und angemessenes Verhalten und Handeln wird deshalb oftmals als reines Glück abgetan. Der Grund dafür liegt wahrscheinlich in dem Umstand begründet, dass den betroffenen Personen [23]kaum kommuniziert wird, dass sie sich in den entsprechenden Situationen gut und richtig verhalten und gehandelt haben. Wesentliche Gründe dafür sind steigende Einsatzzahlen, die immer stärker zunehmende Zahl an Fehlfahrten und eigentlich unsinnigen Einsätzen sowie die Tatsachen, dass der Umgang mit aggressiven und gewalttätigen Personen erst seit sehr kurzer Zeit überhaupt in der Öffentlichkeit thematisiert wird.
Beispiel:
Ein Beispiel für eine solche gleichermaßen simple wie effektive Bewältigungs- bzw. Deeskalationsstrategie ist der Einsatz einer Zigarette zur Beruhigung einer emotional aufgebrachten Person. Das Rauchen bewirkt, dass die Person mehrere Handlungen gleichzeitig ausführen muss und dadurch vom eigentlichen Erregungszustand abgelenkt wird. Gleichzeitig ist die Person gezwungen ihre Atmung zu kontrollieren und somit auch ihren Kreislauf zu stabilisieren. Dadurch wird eine weitere Beruhigung der Situation ermöglicht.
Rettungskräfte tun sich häufig schwer Gewalt und Gewaltausübung überhaupt als Kommunikations- und Konfliktlösungsstrategie zu erkennen, geschweige denn, anzuerkennen. Der Gewaltbegriff wird überwiegend normativ und negativ verwendet. Demnach sei »Gewalt keine Lösung«. Diese subjektive Aussage widerspricht allerdings der objektiven Arbeitsrealität, in der die jeweilige Situation die Wahl der Handlungsoptionen diktiert. Obgleich dieses Widerspruchs ist es erforderlich zu berücksichtigen, dass der Begriff »Rettungsdienst« impliziert, dass die zu rettende Person hilflos ist und sich der Retter zunächst als Helfer versteht. In diesem Konzept ist Gewaltanwendung in erster Instanz nicht vorgesehen. Eine für die Erfordernisse des Rettungsdienstes funktionale und gebrauchstaugliche Handlungsstrategie muss deshalb den Ressourcen Zeit, Erfahrungswissen, arbeitsplatzspezifischen Vorgaben und den individuell psychologisch-ethischen Positionen der Rettungskräfte gerecht werden.
Die Beantwortung der Frage, warum ein algorithmen-basierter Ansatz erforderlich sei, um die Fähigkeit von Rettungskräften zur Einschätzung und Bewertung einer potentiellen gewalttätigen Gefährdungslage zu verbessern, wird konkreter, wenn man sich die Bedeutung der Ressource Zeit genauer vor Augen führt. Der Gesetzgeber gibt, je nach Bundesland, verbindliche Hilfsfristen vor. Meistens bewegen sich diese zwischen zehn bis zwölf Minuten, um nach Alarmierung an der Einsatzstelle einzutreffen. Für die Polizei ist diese Vorgabe beispielsweise nicht so klar definiert. Wenn nun aufgrund des akuten Charakters der Einsatzsituation die Ressource Zeit stark limitiert ist, wie kann dann erwartet werden, dass für die Bewältigung einer [24](noch) nicht vorhersehbaren Lageänderung plötzlich mehr Zeit zur Verfügung steht. Rettungskräfte benötigen demnach ein Instrumentarium, das schnell und diskret eingesetzt werden kann.
Weiterhin muss berücksichtigt werden, dass es im...
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