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Überhaupt hat der Fortschritt das an sich, daß er viel größer ausschaut, als er wirklich ist.
Johann Nepomuk Nestroy, Der Schützling, 1847
Wer sich eingedenk dieses Zitates, das Ludwig Wittgenstein als Motto über seine Philosophischen Untersuchungen stellt, der Frage der tatsächlichen oder vielleicht auch nur scheinbaren Dominanz, des tatsächlichen oder auch nur scheinbaren Fortschritts oder der tatsächlichen oder auch nur scheinbaren Unersetzbarkeit der Plattformen in ihrem Verhältnis zum Staat widmet, der sollte sich zunächst detailliert mit deren technischen und ökonomischen Charakteristika befassen. Was unter Plattformen zu verstehen ist, wurde - bei allen Abgrenzungsschwierigkeiten unter anderem aufgrund der Heterogenität ihrer Geschäftsmodelle - bereits in der Einleitung thematisiert: Plattformunternehmen verbinden mittels einer standardisierten Schnittstelle Konsumenten eines Produkts oder einer Dienstleistung mit ihren Anbietern und können auf diese Weise Angebot und Nachfrage besser und schneller als herkömmliche Unternehmen aufeinander abstimmen. Den betriebswirtschaftlichen Kern bildet dabei der Einsatz von Digitaltechnologien, auf deren Basis Großkonzerne mit weit verzweigten Geschäftsmodellen entstanden sind. Da wir die mannigfaltigen Geschäftsaktivitäten der betroffenen Großkonzerne in diesem Buch weniger disziplinär als ökonomisch ganzheitlich behandeln und von diesen Unternehmen als Gesamtheit ausgehen, lässt sich "Plattformunternehmen" im Folgenden auch als Sammelbegriff verstehen.1 Doch was macht den Erfolg und die Besonderheit dieser Konzerne aus? Wie unterscheiden sie sich von bekannten Monopolen der Geschichte? Und ist ein Ende ihres anscheinend unaufhaltsamen Aufstiegs absehbar?
Angesichts der unterschiedlichen Geschäftsmodelle und Historien der einzelnen Plattformunternehmen würde es den Rahmen dieses Buches sprengen, an dieser Stelle die genannten Big Techs bis ins letzte Detail zu beleuchten und ihre Entwicklung feingliedrig nachzuzeichnen.2 Oberflächlich ist Apple beispielsweise historisch eher ein Hardware-Unternehmen, Amazon baut auf einem weit verzweigten analogen Distributionsnetzwerk für physische Produkte auf und Alphabet, Microsoft und Meta haben vor allem zahlreiche weltweit dominierende digitale Produkte und Dienstleistungen geschaffen.3 Zugleich haben all diese Unternehmen ihre Geschäftsfelder über die Jahre erheblich erweitert und massiv verändert, sodass sie längst in vielen Bereichen miteinander konkurrieren, ob bei Kommunikation, Zahlungsdienstleistungen, E-Commerce, künstlicher Intelligenz, Cloud-Services, Navigation, Betriebssystemen, Suchmaschinen oder vielen weiteren Geschäftsfeldern. Entsprechendes gilt für die asiatischen Angebote von Alibaba über Tencent oder Baidu bis hin zu Huawei.4 Von der Alibaba Group als "dem chinesischen Amazon"5 zu sprechen, greift daher ebenso zu kurz wie Tencent als "asiatisches Meta" zu charakterisieren, allzu viele Parallelen zwischen Huawei und Apple zu ziehen oder Baidu mit Google gleichzusetzen.6 Derlei wird der komplexen Faktenlage schon deshalb nicht gerecht, weil die asiatischen Unternehmen ihre Marktaktivitäten kontinuierlich außerhalb Chinas ausbauen, während sie auf ihrem Heimatmarkt in der Vergangenheit von einer gezielten Blockade einzelner westlicher Digitalangebote durch die chinesische Regierung profitierten.
Unbeschadet dieser Vielschichtigkeit lassen sich dennoch Parallelen und gemeinsame Erfolgsfaktoren der genannten Konzerne benennen.7 Hierzu gehören zunächst die bereits beschriebenen, der Plattformlogik inhärenten Netzwerkeffekte:8 Plattformen und die auf ihnen stattfindenden Interaktionen werden umso besser, je mehr Nutzer sie aufweisen.9 Zugleich führt dies - gepaart mit einer wachsenden Verflechtung zwischen dem analogen und dem digitalen, oft jeweils an einen bestimmten Anbieter gekoppelten, Ich - zu einem hohen Wechselaufwand und -nachteil für die Nutzer, einer steigenden Bindung an das System (Lock-in-Effekt)10 und damit einhergehend zu hohen Markteintrittsbarrieren für Dritte.11 Dies sind auch die Gründe für eine besondere Neigung der besetzten Märkte zur Monopolisierung.12
Eine weitere Gemeinsamkeit der Unternehmen sind deren zuweilen schillernde Gründer und CEOs, die die Geschicke des Unternehmens langfristig strategisch lenken.13 Hinzu kommen proprietäre digitale Infrastrukturen, von denen Verbraucher und andere Unternehmen zunehmend abhängen, und stark skalierende Geschäftsmodelle zur Monetarisierung der erlangten Marktmacht.14 Auch Schmidt und Cohen wiesen bereits 2013 auf die besondere Bedeutung dieser "economies of scale" und der damit verbundenen Dominanz der Plattformen hin:
Ihre Macht beruht auf der Fähigkeit, exponentiell zu wachsen. Mit Ausnahmen von biologischen Viren gibt es nichts, was sich mit derartiger Geschwindigkeit, Effizienz und Aggressivität ausbreitet wie diese Technologieplattformen, und dies verleiht auch ihren Machern, Eigentümern und Nutzern neue Macht.15
Hinzu kommt, dass die Inhalte für die Plattformen keine oder nur geringe Kosten verursachen und ihre Haftung oftmals stark eingeschränkt ist (sogenanntes Plattformprivileg).16 Die Mischung all dieser Faktoren sichert die Dominanz der Unternehmen für die Zukunft ab, um auch angrenzende Geschäftsfelder Schritt für Schritt zu übernehmen. So wird beispielsweise aus dem Hersteller eines Smartphone-Betriebssystems der Betreiber eines digitalen Marktplatzes oder aus einer Suchmaschine ein Vermittler für Flugreisen. Typische Strategien von Big Tech sind unter anderem die Schaffung eigener Standards, die Bündelung von Produkten und strategische Übernahmen.17 Doch auch die Gesamtheit dieser - vor allem ökonomischen - Charakteristika beschreibt nur unzureichend die besondere Rolle der Plattformen. Denn es gibt zahlreiche zusätzliche Unterschiede zu herkömmlicher Marktmacht, wie sie aus der Wirtschaftsgeschichte bekannt sind. Für das Verständnis der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung und nicht zuletzt des Verhältnisses zum Staat sind daher weitere prägende Kriterien der Plattformen Gegenstand der folgenden, tiefergehenden Analyse.
Ihre Fähigkeit, Bedingungen zu diktieren, das Sagen zu haben, ganze Branchen umzukrempeln und Angst zu schüren, stellt die Macht einer privaten Regierung dar.
David Cicilline, Demokratischer US-Kongressabgeordneter, 202018
Marktdominanz ist keine neue Entwicklung. Im Gegenteil. Monopole, Duopole und Oligopole ziehen sich wie ein roter Faden durch die gesamte Wirtschaftsgeschichte. William Vanderbilt und Amasa Leland Stanford (Eisenbahnsektor), John D. Rockefeller (Ölindustrie), John Pierpont Morgan (Finanzbranche) oder Andrew Carnegie (Stahlmarkt) sind nur einige der klangvollen nordamerikanischen Namen, die sich im historischen Zusammenhang einer Marktdominanz aufzählen lassen.19 Die Bildung von Monopolen wird in der Wirtschaftstheorie sogar als klassisches Phänomen der vierten der 1960 von dem US-amerikanischen Ökonomen Walt Rostow entwickelten und nach ihm benannten fünf Wirtschaftsstufen20 eingeordnet.21 Und das gilt nicht nur innerhalb eines Sektors, sondern auch sektorenübergreifend: Dem französischen Wirtschaftswissenschaftler François Perroux22 zufolge kann selbst eine ganz neue, führende Industrie, die eine bestimmte Größe erreicht hat, für sich genommen eine Monopolstellung einnehmen, umfangreiche Verflechtungsbeziehungen mit der übrigen Wirtschaft begründen, Verhandlungsmacht ausüben und damit die restliche Wirtschaft dominieren.23
In diesen großen Zusammenhang sind auch die Technologiemonopole der 1970er, 1980er und 1990er Jahre einzuordnen, die den damaligen (amerikanischen) kartellrechtlichen Diskurs bestimmten: von der American Telephone and Telegraph Company (AT&T) über die International Business Machines Corporation (IBM) bis hin zu Microsoft.24 Alle drei Unternehmen sahen sich in deren Folge mit unterschiedlich großem Erfolg - und trotz der wirtschafts- und geostrategischen Dimension25 - Zerschlagungsbestrebungen der US-Regierung ausgesetzt. Insbesondere wurden entsprechende Pläne im Hinblick auf Microsoft schlussendlich ad acta gelegt: Der Konzern legte den Streit mit dem Justizministerium im November 2001 bei, indem er zustimmte, seinen Konkurrenten die Integration ihrer jeweiligen Software in das Windows-Betriebssystem zu erleichtern.26 Gleichzeitig belegen die Fälle nachdrücklich die dauerhafte Brisanz der Dominanz einzelner Marktteilnehmer - auch und gerade im Bereich der Informationstechnologie.27
Also alles schon einmal dagewesen? Wiederholt sich hier Geschichte, nur - in Anlehnung an Karl Marx - dieses Mal als Farce? Dagegen spricht einiges. Denn die historischen Referenzen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich zahlreiche Unterschiede der genannten historisch-monopolitischen Beispiele zu den digitalen Plattformunternehmen und dem derzeitigen Lagebild feststellen lassen. Das betrifft auch die...
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