Schweitzer Fachinformationen
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Wir fahren auch die Nächte durch, in einer leuchten die Sterne so hell, dass ich die Kontrolle über meinen Discman verliere. Nur in absoluter Dunkelheit ist sein Display zu erkennen, sonst sieht man nur Nullen, Neunen oder nichts.
Jetzt muss niemand pinkeln oder über Belangloses reden, jetzt wird gefahren und geschlafen, ganz ruhig, trotz des Ratterns, und zufrieden, trotz des heulenden Motors.
Mama steuert den Bus, es ist bereits die dritte Nacht, in der sie das Lenkrad an sich gerissen hat. Obwohl Papa sich als exzellenten Fahrer bezeichnet und sich permanent einmischt, wenn Mama irgendein Schild missachtet. Ständig bremst er mit, ein Reflex im Fußraum, der Mama jedes Mal zur Furie macht. Jetzt schläft er und ich sitze hinter ihr. Immer wieder starrt sie in den Rückspiegel, da treffen sich unsere Augen. Meine müssten jetzt schwarz sein. Ihre sind so blau wie die Flagge von dem Land, durch das wir gerade fahren. Aber wie heißt es noch mal? Sie sagt etwas, das ich nicht höre, weil in dem Moment Could it be magic zum siebten Mal anläuft.
Wenn Papa schläft, dann träumt er. Wenn er träumt, dann schnarcht er. Wenn er schnarcht, erzählt er morgens, während er sein Ei köpft, höre er trotz der REM-Phase, die ja hochintensiv und alles überdeckend ist, dass Mama wegen seines Schnarchens immer stöhnt und lästert. Nein, sagt sie, das stimmt nicht. Sie atme eben arg. Und was Papa da in seinem paradoxen Schlaf zu hören glaube, sei nichts weniger als ein gebetetes Gebet, nicht zu Gott oder Allah, eben nur, dass sie heil ankämen. Amen, lacht Papa. Und ich singe: Allah ist groß, Allah ist mächtig, Allah hat Käsfüß von drei Meter sechzig. Papa klatscht. Mama will mit einsteigen, aber sie findet wie so oft nicht den Takt.
Papa grabscht den Schlüssel vom Frühstückstisch, sein Ei noch nicht mal aufgegessen, und rennt zum Wagen. Dass es keine Diskussion gibt, ruft er noch, da heult der Motor schon auf. Und jetzt gibt es eine Diskussion. Hätte er sich einfach wortlos ans Steuer gesetzt, wäre der Streit erst später ausgebrochen, wenn sie ihre Zeit zu zweit wieder auf den Müllkippen an den Rändern der Autobahn genießen, wo sie sich manchmal die Füße vertreten, nur ein paar Meter entfernt vom Bus. Aber so schmeißt Mama jetzt wütend Besteck und Teller in die Spülwanne und die dann in den Wagen. Es klappert und scheppert, und Papa hupt dazu im Takt und brüllt: Jetzt geht's los.
Einmal habe ich Papa gefragt, wie seine Mutter ums Leben kam und wie sie eigentlich hieß. Er beantwortete mir beide Fragen, aber mittlerweile kann ich mich nur noch erinnern, wie sie verstarb.
Es gibt Kreuzungen, die können sie nicht verstehen, egal wie sie die Karte drehen. Ich schnappe mir das Teil und sage: Links, dann noch mal links, dann ewig geradeaus. Dann reiche ich die Karte wieder nach vorn. Papa nuschelt in seinen Bart, dass er hier ja wohl der Vater sei und niemand zwischen Orient und Okzident die Wege so auswendig kenne. Mama gibt Applaus. Nicht dem Vater, der sich ihrer Meinung nach sowieso schon zwischen Abendland und Morgenland völlig verirrt hat. Stolz ist sie auf die Tochter, die eines Tages, und da sei sie sich sicher wie die Felsen am Meer, die beste Geografin der Bundesrepublik Deutschland wird. Was an einem Felsen ist denn sicher?, fragt Papa, ich tippe ihm auf die Schulter, Was ist ein Abendland?, frage ich ihn, und während er erklärt und die Erklärungen wieder erklärt, kommen wir an einer Grenze an.
Durch einen zigarettengelben Schnurrbart bläst ein Zöllner Rauch in unseren Bus. Also hören Sie mal, sagt Mama vom Beifahrersitz und steigt aus. Sie plustert sich wieder auf, flüstert Papa mir zu und imitiert ein hysterisches Huhn. Kikeriki, kräht er und ich kichere, schiebe das Fenster auf und höre den Schnurrbart sagen: Türke nix gut, kommst du mit mir!
Drei Tage lang hat Mama den Bus vollgepackt. Jeden Gegenstand ausgemessen, dann eine maßstabsgetreue Zeichnung angefertigt, die sah aus wie Tetris. Sogar die Beulen im Bus hat sie mit eingerechnet. Bis zum Walnussbaum hinten lagen dann ausgebreitet Koffer, Spiel- und Werkzeug, Luftmatratzen, Lebensmittel, ein Buch über Deutschland und ein Reiseführer für die Mittelmeerküste. Sogar die Mikrowelle hat sie eingepackt, hat Papa dann geschimpft, wir sind zusammen sowieso schon so - na ja - schwer, damit kommen wir doch keinen Berg mehr hoch! Aber davon wollte Mama nichts hören, und schnell fahren wollte sie sowieso nicht und verstaute ein Ding hinter dem anderen akkurat im Bus.
Genau diesen Haufen Tetrissteine will der Schnurrbart nun unter die Lupe nehmen, weil sie sich mit ihm angelegt hat. Mama schimpft. Mama schüttelt den Kopf. Mama zeigt dem Schnurrbart ihre akribische Arbeit, mehrmals sagt sie: Es geht nicht, das können Sie nicht, aber der Zöllner versteht nicht, und dann sagt sie, dass es unmöglich ist, diesen Bus leer zu räumen.
Zwei Stunden später liegt die Hälfte zwischen Bosnien und Herzegowina auf der Straße und erst als Papa einen Hundertmarkschein zückt, darf sie den Kladderadatsch, wie Papa ihn nennt, wieder einpacken.
Wie erschöpft wir alle nach dieser Aktion waren, Mama ist sofort auf dem Beifahrersitz eingeschlafen. Wir fahren an Tankstellen vorbei. An Getränkemärkten. An Flüssen, Teppichhändlern, an Vieh, Ruinen. Irgendwann wird der Motor leiser, endlich bleiben wir stehen. Mama redet von Narzissen, die gestutzt werden müssen, dann von Mikrowellen, dann dreht sie sich hektisch um. Ich winke, Guten Morgen, sage ich, will sie über den Rücksitz umarmen, doch da ist sie schon ausgestiegen. Sie streckt sich ins Grau des jugoslawischen Himmels, der ab und zu knattert und knallt.
Wir reden nicht, gehen alle in Kabinen zum Pinkeln, man hockt hier, und das macht mir Angst. Die Kacheln sind schön und dreckig, eine Ratte oder so huscht vorbei und in den Ecken hängen die prallsten Spinnen. Ich kann hier nicht, rufe ich Richtung Nachbarkabine. Dann musst du halt bis zum nächsten Halt halten, ruft Mama zurück. Ich öffne die Tür und klopfe an ihre, ich zittere, und sie sagt, dass sie längst noch nicht fertig sei. Noch ein Tier huscht vorbei, schnell klettere ich ins Waschbecken und pinkele dort hinein.
Wir kaufen kleines buntes Essen in der Tankstelle, der Mann sagt etwas, das wir nicht verstehen. Dabei muss ich an die Nachrichten denken und dass alles, was man als Kind von der Welt weiß, aus Mündern von Erwachsenen kommt.
Wir fahren weiter. Das Plastik knistert und fertig sind die roten, blauen, lila und gelben Snacks. Sie versuchen, mir die gelben anzudrehen, aber ich bin ja nicht blöd. Mama gibt auf und schimpft nun auch über ihr Essen. Du hast so recht. Schau, diese Idioten, können die nicht mal ein Sandwich belegen?, und fischt in ihrem Busen nach Wurst und Paprika, an der beige Soße klebt. Und jetzt muss ich an die Frikadellen in Naturfreundehäusern denken. Nach stundenlangem Wandern durch deutsche Wälder, die mir lange nicht so gut wie die lichten jenseits von Europa gefallen, baden sie immer als Krönung eines jeden Familienausflugs lau und braun in beigem Kartoffelsalat und sind, so schimpft die Omi immer, nix als fad und fettig. Papa, der wiederum nur über das Wandern schimpft, freut sich immer auf die Extraportion, die die Omi aber lieber mir geben will, damit das Kind nicht ganz vom Fleisch fällt. - Aber alle Kinder fallen vom Fleisch, sagt der Opi. Sie werden dann halt Teenager. Wie gut sich diese Naturfreundehäuser immer vor den Hungrigen verstecken! Von Auto zu Frikadelle dauert es immer ewig, deswegen werden für die Wanderung Stullen geschmiert, Gutzchen eingepackt und Routen gesucht, die jeder Generation Spaß machen. Auf dem Weg wird kaum geredet, dafür gelaufen, getrunken, geschaut und auf Dinge gezeigt, über die man eigentlich nichts sagen kann außer: Ja, eine Eiche - Genau, ein Vogel - Oh, ein See. Grüppchen bilden sich, Mama mit Omi, Kind mit Opi, Mama mit Papa, Omi mit Schwiegersohn. Nur die Herren des Hauses sieht man nie nebeneinandergehen.
Mama hat es wieder ans Steuer geschafft und Papa ist eingeschlafen. Gleich sind wir in Serbien, flüstert sie und: Da drüben ist Krieg. Ein Funkeln in ihren Augen, die Lust am Spektakel, schießt in den Rückspiegel und hinter zu mir. Papa schnarcht. Dass wir den Krieg umfahren, hatte er beim Frühstück versprochen und auf der Karte auf ein paar sichere Länder gezeigt. Aber ich erinnere mich nicht, ob Serbien auch dabei war, also vertraue ich auf unseren Bus als sicheres Vehikel bis in die Türkei.
Irgendwann muss auch ich eingeschlafen sein, denn jetzt ist es Morgen, die Sonne brennt und der Bus steht. Ich höre das Klappern von Tellern, das Zischen von Gas und das Blubbern der Kaffeemaschine, ich sehe Linien aus Pinien und das Quadrat eines Campingtisches, und wenn mich nicht alles täuscht, ist da hinten auch schon das Meer. Ich steige aus, dabei fällt der Discman runter, und nun ist er endgültig hin. Die Klappe ist ab, die CD raus, und ich sehe Kreise auf der Rückseite, durch die sich große Kratzer ziehen. Ich lasse sie liegen. Ich kenne eh jeden Song in- und auswendig.
Morgens trinken sie schwarzes Wasser. Dazu essen sie Weißbrot, geschmolzene Butter, gelbe Oliven und noch gelberen Honig. Ich sitze nur da und atme die Luft ein, die...
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