Im Hurlingham Club
Am selben Nachmittag, es ging gegen 15 Uhr, fanden sich einige der hervorragendsten Gelehrten unserer glorreichen Nation in Fulham ein, genauer gesagt im exklusiven Hurlingham Club. Das Clubhaus war der ehemalige Landsitz eines Arztes aus dem letzten Jahrhundert, umgeben von einem weitläufigen Gelände, das an die 16 Hektaren misst und hin und wieder von der königlichen Familie für Wettbewerbe im Taubenschießen verwendet wird.
Von außen sieht das Gebäude mit seiner klaren und symmetrischen Gliederung wie ein Paradebeispiel der Georgianischen Architektur aus: Die weiß verputzten Ornamente an der Fassade kontrastieren mit den Backsteinflächen; Pilaster und Zierbögen säumen das Eingangsportal, welches seinerseits den um das Haus herumlaufenden Sockel durchbricht.
Eine großzügig angelegte Freitreppe weist den Weg ins Grün des Gartens hinab, und genau auf diesen Stufen erwartete ein Diener in Jackett und Gamaschen die Mitglieder unserer Gesellschaft. Er führte jede einzelne Koryphäe, nachdem er sie begrüßt und Hut und Stock in Empfang genommen hatte, in einen abgesonderten Warteraum, in welchem Zeitschriften und die Hälfte aller Erzeugnisse aus der Fleet Street auflagen. Auch ich kam in den Genuss seines Geleits.
Die Wände in besagtem Zimmer waren mit bemalten Spanntapeten überzogen und stellten Jagdszenen sowie mythische Geschehnisse dar. Unschwer konnte ich Beowulfs Kampf mit Grendel ausmachen oder etwa Gawains Geplänkel mit dem Grünen Ritter. Die Einrichtung war eine einzige Lobeshymne auf die angelsächsische Geschichte. - Wohl mit ein Grund, weshalb die ältere Garde meiner Kompagnons einen fast schon snobistischen Gefallen an der Räumlichkeit findet, welche übrigens durch das Vorhandensein einiger Blumentöpfe in meinen Augen eine heimelige Note erhielt.
Nachdem auch die letzten Gäste eingetroffen waren, wurde Gebäck gereicht. Florentiner und Scones machten die Runde, Schalen mit frisch geschlagener Sahne wurden auf Beistelltischchen platziert und brühend heißer Kaffee ausgeschenkt. Alles verströmte einen derart wohlgefälligen Duft, dass das Aroma dazu bestimmt war, unsere Gesellschaft in noch höhere geistige Sphären zu katapultieren als jene, in denen wir ohnehin schon schwebten.
»Well, Ladies and Gentlemen«, eröffnete Sir David Block mit seiner längst zur Gewohnheit gewordenen Begrüßungsformel die Sitzung, den kleinen Finger der rechten Hand leicht abgespreizt, was ihm ein leicht preziöses Aussehen verlieh. Ich blickte verstohlen um mich, ob sich gegebenenfalls doch noch eine Vertreterin des angesprochenen schönen Geschlechts finden mochte, doch ohne Erfolg. Sir David fuhr fort: »Wir haben uns hier - im Plenum, wie ich erfreut feststellen darf - auf Anraten und inständige Bitte unseres geschätzten Kollegen Olmus versammelt, um Näheres über die vulkanischen Tätigkeiten in Südostasien zu erfahren. Im weiteren Verlauf dieses Nachmittags werden wir zudem abstimmen müssen, ob wir dem Vorhaben unseres langjährigen Mitglieds den Segen erteilen, den es verdient, oder ob wir - was Gott verhüte - von seinen Ansichten, die ja auch diejenigen der Königlichen Gesellschaft sind, abrücken werden.«
Bedächtig setzte Sir David zu einem Schluck an und verzog das Gesicht. Mit demonstrativer Geste stellte er die Tasse vor sich auf das fahrbare Tischchen, blickte es eine Zeit lang missmutig an und schob es von sich weg. »Ekelhaftes kontinentales Gesöff«, tat er deutlich seine Meinung kund. »Nun denn, so bitte ich unseren werten Freund Olmus um aufklärende Worte. Applaus, meine Herren.«
Einige der anwesenden Professoren kippten ihren Kaffee in den gerade am nächsten stehenden Begonientopf, jene, die beim offenen Fenster saßen, leerten gleichfalls ihre Tasse in einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Als dieses Liebeswerk getan war, klatschte die illustre Runde, und ich erhob mich.
»Wie bereits von Sir David erwähnt, sehen wir uns in diesen Tagen vor eine Aufgabe gestellt, welche die Wissenschaft einen Schritt weiterbringen kann, sofern wir entschlossen, aber vor allem auch schnell genug handeln werden. Ich werde kurz die Situation umreißen, bevor ich anschließend ein paar Worte über Sinn und Zweck einer von mir geplanten Expedition verlieren werde. Zum Ersten dies: Wie einige unter Ihnen vielleicht wissen, besteht seit ungefähr zwei Jahrzehnten eine Theorie, oder vielmehr eher eine Annahme, dass die einzelnen Kontinente nicht starr an ihrem Platz sein sollen, sondern sich minim bewegen.«
Wie nicht anders zu erwarten, wurde ich an dieser Stelle durch ein leises Hüsteln unterbrochen, das aus der Ecke der Professoren kam, deren Disziplin die Hydrologie war. Ich seufzte innerlich auf und machte gute Miene zum bösen Spiel. Diese Kummerbuben waren schon immer äußerst starrköpfig und werden es wohl immer bleiben. Bevor ich meine Rede wieder aufnahm, stellte ich zufrieden fest, dass zumindest die anderen Anwesenden konzentriert bei der Sache waren, besonders natürlich die Mineralogen und Petrographen.
»Es ist ein unumstößliches Faktum, dass es an bestimmten Stellen der Erdteile zu einer sonderbaren Anhäufung von vulkanischen Tätigkeiten kommt, worauf ich bereits in meinen früheren Forschungen hingewiesen habe. Ich habe mich damals eines Hilfsmittels bedient, welches in der Medizinwissenschaft zur Anwendung kommt, wenn man Infektionsherde und Ausbreitung von Seuchen lokalisieren möchte. Das Prinzip ist so einfach wie genial: Auf einer Landkarte trägt man die auftretenden Seuchenfälle ein. Bald einmal ergibt sich daraus ein Muster. Unsere werten Kollegen Doktoren haben dank dieser Methode das Zusammenspiel von feuchten Gegenden mit der Malaria bestätigt gefunden und den Einfluss von unhygienischen Wohngegenden auf die Volksgesundheit zur Diskussion gestellt. Jeder von Ihnen, meine Herren, hat seinen Dickens gelesen, und ich kann nicht umhin, dass einem einfach schwer ums Herz werden muss, wenn man über die so eindrücklich geschilderten miserablen Zustände nachdenkt. Wie dem auch sei - zurück zu den Vulkanen . Ich habe also die Verfahrensweise der Mediziner auf die Vulkanologie übertragen. Das Ergebnis ist ebenso bemerkenswert wie aussagekräftig. Manchmal ist die Dichte der Vulkankegel nämlich so groß, dass man von einer regelrechten Vulkanseuche sprechen kann.«
Wiederum wurde mir das Wort abgeschnitten, diesmal unbewusst von Sir David, der allzu laut nachfragte, ob es denn »tatsächlich keinen Tee in diesem verfluchten Club« gebe. Sein Habichtsgesicht blickte säuerlich auf die Kaffeekanne vor ihm.
»Eine markante Anhäufung von Vulkanen«, griff ich den Faden meiner Ausführungen wieder auf, »gibt es zum Beispiel an den Kontinentalrändern in Japan und an den südamerikanischen Anden. Vermehrt kommt es in diesen Regionen auch zu Erdbeben, zu schwefelartigen Ausdünstungen oder zu seltsamem Gebaren der örtlichen Tierwelt. All dies, so meine Schlussfolgerung und nicht zuletzt auch die von einigen Kapazitäten von Rang und Namen, muss zusammenhängen und auf das zurückzuführen sein, was neuerdings unter dem Begriff der >kontinentalen Verschiebung< im öffentlichen Bewusstsein Verbreitung findet.«
»Das alles mag als These schön und gut sein«, meldete sich Thomas Parker, einer der Hydrologen, zu Wort. »Aber falls die Kontinente in eine bestimmte Richtung driften, so driften sie im Gegenzug doch auch von einem Ausgangspunkt weg. Wo war denn die Landmasse vor 100 Jahren? Wo vor 1.000 Jahren? Die Erdteile können nicht endlos durch die Gegend treiben, ohne einmal aneinanderzustoßen oder ohne bereits einmal verbunden gewesen zu sein. Und dies hätte doch schon vor Urzeiten unweigerlich zu einer Vermischung von Süß- und Salzwasser geführt. Ich schließe mich deshalb der Meinung unserer selig machenden Kirche an, dass die Erde bemerkenswert klug eingerichtet ist und deshalb das trinkbare Süßwasser im Landesinneren zu finden ist, wohingegen das ungenießbare Salzwasser die großen Weltmeere bildet. Als Hydrologe kann ich das nur bestätigen, und ich zweifle jegliche andere Behauptung an.«
»Ihr Einwurf in Ehren, werter Kollege. Aber haben Sie sich einmal die Mühe gemacht, einen Blick auf den Globus zu werfen? Die Ostküste Südamerikas mit ihrer Ausbuchtung beim Kaiserreich Brasilien schmiegt sich bei der Westküste Afrikas in die Einbuchtung der Goldküste, und das kleine Australien passt haargenau ins Arabische Meer. Aber wir sind heute nicht zusammengekommen, um zu streiten, meine Herren, sondern um uns über die Chancen klar zu werden, die sich der Forschung bieten. Der Ausbruch des Perboewatan darf nicht ungenutzt bleiben, und je mehr Zeit sinnlos verstreicht, desto schlimmer steht es um die Wissbegierde unserer Nation.«
Sir David Block kam mir zu Hilfe. »Was Olmus sagen will«, erklärte er, »ist Folgendes: Egal, wie man zur Theorie der Kontinentalverschiebung auch stehen mag, jetzt endlich bietet sich die Möglichkeit, diese zu beweisen oder endgültig als unzutreffend zu brandmarken. Man muss nur vor Ort sein und die Distanzen zwischen einigen ausgewählten Punkten messen. Dies wird im Verlauf der Eruption wiederholt, um etwaige Veränderungen festzustellen. Vielleicht gelingt dies, vielleicht auch nicht. So oder so wird eine potenzielle Expedition von Erfolg gekrönt sein.«
»Aber warum ausgerechnet Asien?«, gab Parker zu bedenken. »Das ist kostspielig und aufwändig. Es gibt doch auch hier Vulkane, oder nicht? Der Kaiserstuhl in Deutschland oder zum Beispiel der Vesuv.«
»Der Kaiserstuhl ist ein erloschener Vulkan, der Vesuv ein untätiger.«
»Ich verstehe.«
Ein saturiertes Lächeln huschte über das Gesicht Sir Davids. Er klopfte...