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Als mich Asa am Flughafen von Matsuyama abholte, berichtete sie Folgendes:
»Die jungen Leute von der Caveman-Truppe freuen sich, dass du etwas länger im Waldhaus bleiben wirst. Die Entscheidung, nach Tokyo zu fahren und direkt mit dir zu sprechen, hat der weibliche Führungsstab der Theatergruppe zwar eigenmächtig getroffen - wobei ich allerdings zu Rate gezogen wurde -, doch als Masao, der Leiter der Gruppe, davon erfuhr, machte er sich Sorgen, die bis dahin vorsichtige Annäherung könnte mit einem Mal vermasselt sein.
Was übrigens die von der Gemeinde schon länger angefragte Sache mit dem Gedenkstein anlässlich deines Preises angeht, der jetzt beim Bau der neuen Straße im Weg steht, habe ich ihnen, so wie Chikashi gesagt hat, mitgeteilt, dass keine Notwendigkeit besteht, ihn umzusetzen, und dass sie den Sockel abreißen können. Ich habe gesagt, dass du den Gedenkstein, für den du einen Vers unserer Mutter ausgewählt und weitergedichtet hast, gern selber hättest. Du hast dir den Stein noch nie angesehen, oder? Wir könnten das jetzt gleich machen. Bis nach Okawahara, wo er steht, sind es eineinhalb Stunden. Vielleicht möchtest du vorher ein bisschen schlafen?«
Dann schwieg Asa, richtete den Blick auf die Straße, und nach fast genau eineinhalb Stunden gelangten wir zu dem am Flussufer errichteten Park. Da, wo der Bypass für die Nationalstraße über die neue Brücke führen und durch den Park verlängert werden soll, waren die Bauarbeiten vorläufig eingestellt. Der Granatapfelbaum und die Kamelie, die, wie es hieß, unsere Mutter gepflanzt hatte, waren bereits weggeschafft worden, nur noch der runde Stein stand in der bloßen Erde, angeblich war es ein Meteorit. Als ich zum Fluss hinunterging und von dort hinaufsah, erkannte ich auf dem in einem pflanzlichen Blaugrün getönten Stein die fünf Zeilen. Man hatte meinen mit Füller geschriebenen Text in großer Schrift in den Stein gemeißelt.
Ohne Vorkehrung, Kogii in den Wald gehen zu lassen,
kommt er, wie vom Fluss fortgetragen, nicht wieder zurück.
In Tokyo, in einer Jahreszeit ohne Regen,
erinnere ich mich umgekehrt
vom Alter zurück in die Kindheit.
»Nicht so schlecht, wie ich es mir vom Hörensagen vorgestellt habe«, sagte ich.
»Mutters erste beiden Zeilen fanden von Anfang an keinen Zuspruch«, sagte Asa. »Man unkte, es handele sich weder um ein Haiku noch um ein Tanka . Das lässt sich nun nicht ändern, doch der beratende Professor vom Denkmalausschuss zitierte mich damals nach Matsuyama und beschwerte sich. Die Zeilen wären eine Parodie auf das Lied der Sängerin und Schauspielerin Hibari Misora, meinte er.
Bei Hibari heißt es wie die Strömung im Fluss, hier aber wie vom Fluss fortgetragen. Mutter schreibt nicht bei anderen ab, sagte ich. Die Leute hier in der Gegend bezeichnen Menschen, die den Tod im Wasser sterben, und auch solche, die vom Hochwasser fortgetrieben, aber gerettet werden, als vom Fluss Fortgetragene. Ich habe ihm auch erklärt, dass die Einheimischen glauben, dass die vom Fluss Fortgetragenen, die Toten, aber auch die, die gerettet werden, bald darauf das Dorf verlassen.
Angesichts dessen, dass der Sohn trotz seines Versprechens, unbedingt ins Dorf zurückzukehren, wenn er nur in Tokyo studieren dürfe, uns, wie vom Fluss fortgetragen, verlassen habe, klinge das Gedicht doch eher wie eine Satire, argumentierte ich. Die Leute hier aus der Gegend, die meinen Bruder kennten und den Stein aufgestellt hätten, wüssten das genau. Als ich sagte, dass die erste Zeile vielleicht wirklich schwer verständlich sei, erwiderte der Professor, er habe ein Buch über die Geschichte und die Überlieferungen der Region geschrieben, aber er akzeptierte meine Erklärung nicht. Trotzdem wurde alles so wie auf der Vorlage eingemeißelt, die du uns geschickt hast.
»Aber«, fuhr Asa fort, »ich habe meine Zweifel, ob der Professor die erste Zeile tatsächlich verstanden hat. Er hat doch keine Ahnung, dass du als Kind Kogii genannt wurdest und in deiner Phantasie mit deinem zweiten Ich namens Kogii zusammenlebtest, oder? Es sei denn, er kennt sich in deinen Romanen gründlich aus .
In seinen Studien zu den Überlieferungen wird der Professor eher herausgefunden haben, dass in den Wald gehen lassen so viel bedeutet wie um einen Toten trauern .«
»Du weißt auch nicht, wo an der Sandbank, die sich von hier flussabwärts zieht, Vaters Leiche angetrieben wurde, oder?«, fragte ich. »Deine allererste Erinnerung, hast du gesagt, setzt in dem Moment ein, als sein Leichnam zurückgebracht wurde.«
»Du hast mir damals befohlen, einmal um den Futon, auf dem Vater lag, herumzugehen, um nachzusehen, ob nicht ein totes Kind an seiner Seite schliefe. Als du mir zwanzig Jahre später von deinen Träumen erzählt hast, war das einerseits zum Lachen und klang andererseits wie eine traurige, bittere Wahrheit, und ich merkte, dass es möglicherweise damit zu tun hatte, dass Vater in dem Boot starb, von dem du geflohen bist.
Ich bin um den Toten herumgelaufen, dessen Gesicht mit einem Stück Stoff bedeckt war, doch dann stolperte ich, fiel hin und habe mit meiner ausgestreckten Hand ein nasses Büschel Haare berührt. Daran erinnere ich mich, deswegen glaube ich dir auch, wenn du darauf bestehst, dass Vater vom Fluss fortgetragen wurde.«
»Bevor unser Dorf eingemeindet wurde, bin ich noch ein Jahr lang in die hiesige, nach dem neuen Schulsystem errichtete Oberschule gegangen, weißt du noch?«, sagte ich. »Im Kunstunterricht sind wir zu der Sandbank gelaufen, um im Freien zu malen. Der Kunstlehrer, der aus Honmachi kam, postierte die Staffelei mit Blick auf die Weidenkätzchen, die am Rand der Sandbank stehen, und malte ein Ölbild. Ich ging da vorbei, und er sprach mich an: »Die Stelle hier heißt der Ort, wo der vom Fluss fortgetragene Herr Choko angetrieben wurde, hat das was mit deiner Familie zu tun?« Alle in unserer Umgebung wussten von Vaters Tod im Wasser, der in unserer Familie jedoch negiert wurde. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass Mutter in ihrem kurzen Gedicht vom Fluss fortgetragen schrieb.«
Wir liefen unter den dunklen, dichten Kirschbäumen zum Auto zurück - es war beschlossene Sache, dass sie alle abgeholzt würden -, und auf der etwa zwanzigminütigen Fahrt zum Tal in den Wäldern erzählte mir Asa von der Sache, die sie anscheinend die ganze Zeit über zu klären versucht hatte.
»Ich bin glücklich, dass du dich an den roten Koffer und an den so lange anvisierten Roman machen und aus diesem Grund für eine Weile im Waldhaus wohnen willst . Aber wahrscheinlich hat das auch mit dem Alter zu tun, denke ich. Mit Alter meine ich diese Art, alles erledigen zu wollen, eins nach dem anderen, und natürlich auch über den Tod nachzudenken.
Wir sind ja fast gleich alt, deswegen mache ich mir auch Gedanken. Aber ist die Zeit davor nicht am schwierigsten? Man kann auf den Tod gefasst sein, aber es bleibt immer noch die Zeit bis zu dem Tag, an dem er uns ereilen wird, nicht wahr? Der Tod an sich kommt von allein, aber für das Leben bis dahin müssen wir selbst Verantwortung übernehmen.
Denkt man das mit, glaube ich, dass Mutters Art von Gedicht, oder Haiku, vielleicht eine Botschaft an dich war, wenn du zurückkommen und den Stein betrachten würdest. Ohne Vorkehrung, Kogii in den Wald gehen lassen, kommt er, wie vom Fluss fortgetragen, nicht wieder zurück.
Im Gegensatz dazu bedeuten deine drei Zeilen, dass du ganz sicher nicht zurückkommst, darüber hinaus scheinst du dir als ein alter Mann in einem dürren Monat - das ist ein Zitat von T.S. Eliot oder? - alles Mögliche dabei gedacht zu haben, doch im Vergleich zu Mutters beiden Zeilen sind deine die Antwort eines unbekümmerten Jungen.
Als Mutter ihr Haiku dichtete, warst du für sie immer noch Kogii, sie machte sich die ganze Zeit Gedanken darüber, was für Vorkehrungen du dafür triffst, Akari in den Wald gehen zu lassen. Als du die Idee hattest, eine Zeitlang im Waldhaus zu wohnen, dachte ich, dies sei in vielerlei Hinsicht eine der Vorkehrungen, Kogii in den Wald gehen zu lassen.«
Asa schwieg eine Weile, dann fuhr sie an den Straßenrand.
»Von hier aus kannst du auf dem Trampelpfad den Hügel zum Waldhaus hinauflaufen, es ist eine Abkürzung. Du erinnerst dich doch noch, oder? Es ist bereits spät, deswegen lasse ich dich heute hier raus und fahre direkt nach Hause. Ich ruh mich kurz aus, und dann bringe ich dir dein Abendessen. Und deinen Koffer.
Ach so, und was die Frau betrifft, die dich in Tokyo angesprochen hat, sie wird morgen mit Masao Anai von der Theatergruppe, dem Schüler von Goro, zum Waldhaus kommen. Sie sagte, sie hätte ansatzweise schon mit dir darüber gesprochen, was für gemeinsame Projekte sie sich während deines Aufenthalts im Waldhaus von dir wünschen. Erst einmal kommen aber morgen die jungen Leute der Truppe, um sich um den Gedenkstein zu kümmern, für den schon alles geregelt ist. Wenn sie damit fertig sind, würden die beiden gern über eine künftige Zusammenarbeit mit dir sprechen. Sie freuen sich schon sehr. Sei also nett zu ihnen!«
Die von Asa angesprochene Umstellung des Gedenksteins - nur der runde Stein mit der Inschrift sollte in den kleinen Garten hinterm Waldhaus gebracht werden - hatte sie offensichtlich schon vor meinem Kommen in die Wege geleitet. Gut...
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